Archiv für den Monat: September 2020

Sind Frauen nur die Opfer? Ein provokativer Roman

War die MeToo-Debatte zu einseitig?

Hans Högl- Buchrezension

Lisa Taddeo (2020) three women – drei Frauen, München 2020. 6. Aufl.(USA 2019)

Das Buch handelt vom Begehren von drei unterschiedlichen Frauen. Angeblich suchte die Autorin acht Jahre quer durch die USA nach wahren Berichten von Frauen, die ihr Begehren schildern. Sie wissen es anzustellen, um zu erreichen, was sie wollen – in gekonnten Inszenierungen. Ist nun das Buch ein Roman oder eine Reportage? Wie auch immer- es ist fesselnd und prickelnd von einer 39-jährigen Frau verfasst.

Sloane stammt aus höchsten Kreisen, das Studium sagt ihr nicht zu, sie gründet mit einem Spitzenkoch ein Restaurant im vornehmen Newport. Der Besuch des Fitnessstudios hilft, Gewicht abzunehmen und auch selbstinduziertes Erbrechen. Und es heißt: „Sie beherrschte die Kunst, absolut begehrenswert zu erscheinen, von Tag zu Tag besser.“ Sie will ihren Mann und seine fast karnickelhafte Unersättlichkeit gibt ihr das Gefühl, die begehrteste Frau der Welt zu sein. Über sie und ihren Mann geht das Gerücht, es zu dritt zu machen.

Lina wünscht körperliche Beachtung. Das Ehepaar hat Kinder, aber warum heiratete sie einen Mann, der sich kaum für sie interessiert, sie links liegen lässt. Sie wartet am Fluss auf einen geheimnisvollen Mann, der ihr gehören würde und gerade auf Sie wartet und sie damit in ihrem ganzen Sein bestätigt. „Er war eigentlich der Grund ihrer Existenz. Ihre Mutter und ihre Schwestern und die Rückseite ihres Vaters konnten ihr gestohlen bleiben.“

Besonders fesselt Maggie Leben. Sie hat als 17-jährige Schülerin eine heftige Romanze und Liebelei mit dem verheirateten und beliebtesten Lehrer in North Dakota. Da dies im Laufe der Zeit endet und kein Kontakt mehr besteht, klagt Maggie nach Jahren den Lehrer in einen Gerichtsprozess wegen Missbrauch an und schadet ihm finanziell. Und was war das Motiv dafür? Wollte sie ihn wenigsten einmal wieder sehen?

Diese Buch steht polar zum Trend von MeToo – wenngleich indirekt; denn die Autorin sammelte schon früher Berichte. Die MeToo-Anklagen zeigen arge Verfehlungen von mächtigen Männern auf. Und der sozial-liberalen „Süddeutschen“ scheint es bei der Rezension die Rede verschlagen zu haben: „Es ist ein fragwürdiges Buch, aber geradezu unwiderstehlich“. Seit Oktober 2017 gibt es Berichte über sexuelle Übergriffe. MeToo wurde ein globaler (Medien) Trend. Für die einen wurde es ein Befreiungsschlag, für die anderen eine Hexenjagd – so ARTE.

Was Musikkritiker anrichten

Medien aus Sicht des Dirigenten Franz Welser-Möst. Aufgeregtheit versus Stille

Hans H ö g l- Rezension

Während andere VIPs sich einen Ferrari zulegen, so der Musikkritiker Karl Löbl, ließ sich der Dirigent Franz Welser-Möst eine gediegene Bibliothek einrichten. Und was er liest, überrascht: Heideggers „Sein und Zeit“ und über die Postmoderne. Schon als Kind verschlang er Bücher. Er ist ein spirituell Suchender.

Im Sommer lebt er am Attersee im Salzkammergut. Frühmorgens steigt er auf Berge und erlebt das Werden des Tages. Das Buch des 60-Jährigen spiegelt sein Leben und ist eine Reflexion über die Welt der Musik. In seiner Kindheit sah er nicht fern, sondern lauschte abends seiner Mutter beim Klavierspiel. Wien bietet heute eine Fülle an Konzerten, aber wo wird Hausmusik gepflegt? Musikpflege ist bildend, doch 2017 sind an deutschen Grundschulen 80 % der Musikstunden entfallen. Und siehe da: Welser-Möst lobt die Musikpflege in Rotchina!

Die Ururgroßmutter des Dirigenten war Wienerin. Er selbst, geboren in Linz, wuchs in der Provinzstadt Wels auf, und ein geistlicher Musikpädagoge begeisterte ihn. Eine kleine Notiz lässt aufhorchen: Der frühere Chef der Wiener Staatsoper Joan Holender sah sich auch in der Provinz um Sänger um, förderte und forderte sie.

Seit Jahrzehnten dirigiert der Star das klassische Orchester in Cleveland (USA). Für ihn sind Musikkritiker wichtig, aber er verrät Bedenkliches: Ein Musik-Kritikerin in Chicago brachte Rafael Kubelik, einen exzellenten Dirigenten, schon nach drei Jahren um sein Amt. Den Vogel schoß der Wiener Musikkritiker Franz Endler ab: Seine Rolle als Kritiker gegenüber jungen Künstlern „sei wie die des Jägers für das kranke Wild- es muss herausgeschossen werden“ (S. 135). In Welser-Mösts Zürcher Periode an der Oper stand er von einem Musikkritiker unter Dauerbeschuss. Etwas passte ihm am Dirigenten nicht, dann wurde der Negativist vom Chefredakteur ersetzt.

Auch für solche, für die Musik nicht zentral ist, bietet dieses Buch Lehrreiches. „Das eigentlich Laute ist in Wahrheit das Leise“. Ein Leitmotiv von Welser-Möst ist die Erfüllung der Stille – als Gegenpol zur Schnelllebigkeit heute.

Franz Welser-Möst (2020): Als ich die Stille fand. Brandstätter Wien.

Mehr „Selbstmorde“ als Verkehrstote

Einen anderen Umgang der Medien mit dem „Suizid“ hält Filmproduzent Golli Marboe für wünschenswert

Hans Högl

Der 10. September ist Welttag der Suizidprävention, eine Initiative der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO). Ziel ist es, uns für dieses enorme Problem zu sensibilisieren. Das lateinische Wort Suizid bedeutet Selbst -„Mord“, besser Selbsttötung. Medien berichten so gut wie nie über einen Suizid, da er nachgeahmt wird. Das erwies die Suizidwelle zum „Werther“-Roman von Johann W. Goethe. Um dies zu verhindern, vermeiden Medien Berichte drüber.Das ist eine reelle Medienselbstkontrolle. Von Leuten, die sich vor die U-Bahn stürzen, wird nicht berichtet.

Der Filmproduzent Golli Marboe und Obmann des Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien hat bereits bei der letzten Generalversammlung der Vereinigung für Medienkultur darauf hingewiesen, dass Medien die Frage des Suizids anders gewichten sollten. Seit dem 2.Vatikanischen Konzil gewährt die Katholische Kirche den Menschen, die sich selbst getötet haben, ein kirchliches Begräbnis. Dazu hat die Expertise des österreichischen Psychoanalytikers Dr. Erwin Ringel beigetragen.

Die Wiener Kirchenzeitung bringt in der neuesten Ausgabe (6.Sept.) ein längeres Interview mit Susanne Kummer, einer Bioethikerin. Sie sagt, dass die Suizidrate im Alter zunimmt – auch wegen der Vereinsamung. Auch Jugendliche sind stark betroffen. Zwar sinke die Suizidrate in Österreich kontinuierlich, dennoch gibt es jährlich drei Mal soviel Suizide als Verkehrstote: Im Jahr 2018 nahmen sich in Österreich 1.209 Personen das Leben. Jährlich nehmen sich weltweit rund 800.000 Menschen das Leben.
Für Menschen in Krisensituation gibt es in Wien unter www.suizid-praevention.gv.at eine Anlaufstelle (mit Telefon) oder die Telefonseelsorge Tel. 142 , täglich 0 – 24 Uhr. (www.telefonseelsorge.at)

Perle im Fernseh-Meer des Larifari. Wissenschafter-Biografie

Ein Meisterwerk eines deutschen TV-Films über das Leben des Astronomen Johannes Kepler. Dies im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Bei privaten TV-Anstalten dominiert eher Kommerz mit Unmengen an Schwachsinn. Aber es gibt Ausnahmen.

Hans H ö g l

Die Corona-Wochen gaben mir den Impuls, ungelesene Bücher zu entsorgen. Das Buch „Unser Kosmos“ hatte ich bisher nie angerührt. Und da kam eines zum anderen. Ich vertiefte mich ins Buch, und da bot Fernsehen einen deutschen Film, produziert von SWR,BR und Arte, über Leben und Werk des Astronomen Johannes Kepler. Der Film: ein Meisterwerk einer Wissenschafter-Biografie. Das Anschauliche des Filmes verlebendigte das Buch des US-Astronomen Carl Sagan und darin fesselte mich der Bezug Religion und Astronomie. Kepler, 1571 geboren im württembergischen Städtchen Weil, studierte Theologie in Tübingen, um Geistlicher zu werden, und da er protestantische und mathematische Interessen hatte, wurde er nicht Geistlicher, sondern Mathematik-Lehrer in einer evangelischen Schule in Graz. Doch in Graz griff die katholische Richtung hart durch, da verließ Kepler diese Stadt und wurde obgleich Protestant nach Prag berufen als Mitarbeiter des Astronomen Tycho Brahe am Hof des katholischen Habsburgers Rudolf II. Hier entdeckte Kepler die nach ihm benannten Planetengesetze. Sein Schirmherr Rudolf II. wurde abgesetzt, und Kepler wurde „aufgrund seines kompromisslosen Individualismus in Fragen der Lehre aus der lutherischen Kirche ausgeschlossen“.

Keplers 74-jährige Mutter Katharina wurde als Hexe verdächtigt und in Württemberg bei Nacht und Nebel in einer Wäschetruhe fortgeschafft und „in einem Kerker der Protestanten“ gefangen gehalten und sollte – wie Galilei von den Katholiken – als Hexe gefoltert werden. Ihr Sohn zeigte Widersprüche im Prozess auf, und so wurde Keplers Mutter nur „bei Todesstrafe lebenslänglich aus Württemberg verbannt“. Zwischen 1615 und 1629 wurden in dem Heimatstädtchen Weil jährlich drei Frauen gefoltert und als Hexen verbrannt. Nun: Hexenprozesse gab es auch im puritanischen frühen Amerika. Vgl. Arthur Millers Theaterstück „Hexen von Salem“ mit historischem Hintergrund.

Eine Rückblende zum Bezug Weltbild und Religion: Bekannt sind die Verbrennung des Dominikanermöchs Giordano Bruno als Ketzer und Galileis Probleme mit der Katholischen Kirche. Höchstens beiläufig ist bekannt, dass Kopernikus katholischer Geistlicher war und Martin Luther ihn, den Heliozentriker, als Emporkömmling und Narren bezeichnete. Dies zum Bezug christlicher Konfessionen zum Werden des neuzeitlichen Weltbildes.

Quelle: Carl Sagan „Unser Kosmos“, München 1982, p. 76-79.

Nawalny- eine Gefahr für Russlands Elite

Kritik an Medien über die Vergiftung von Alexei Nawalny. Die Drehzahl der Medienwelt ist schneller als die reale Welt.

Hans H ö g l

Auf zwei kritische Punkte im Fall der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny sei verwiesen: Erst kürzlich wurde in Berlin nachgewiesen, dass Alexei Nawalny vergiftet wurde. Doch schon längst gebärdeten sich viele Medien so, als wäre die Vergiftung eine Tatsache. Diese Vor-Verurteilungen sind kein E i n z e l f a ll. Es ist in Medien ein vorschnelles Als-Ob-Getue von Kenntnissen.Dafür gab es vorher Indizien, aber keinen Nachweis.

Die zweite Kritik bezieht sich auf Urheber der Vergiftung. Diese wird fast nur der russischen Regierung bzw. der Administration oder den Geheimdiensten angelastet. Tatsache ist, dass Alexei Nawalny nicht nur ein politisch einflussreicher Oppositioneller der russischen Regierung war, sondern dass er auch die Machenschaften von Oligarchen scharf kritisiert hatte. Auch von dieser Seite machte sich Nawalny große Feinde. Dies wird in der Regel in Medien ausgeblendet. Nawalny stellt also für Russlands Mächtige eine doppelte Gefahr dar: Er warf auch auf die Machenschaften der wirtschaftlichen Elite, den Oligarchen, ein grelles Licht.