Archiv für den Monat: September 2022

Ukraine u. Russland: Geschichtslücken

Historische Notizen fehlen oft in aktuellen Berichten

Hans Högl – Basiswissen von Osteuropa-Experten

Fast nur Qualitätsmedien bieten Basiswissen zu Konflikten. Darum lasse ich Osteuropa-Experten über die Ukraine zu Wort kommen – in: „Russische Geschichte“ von Manfred Alexander (Kröner Verlag, Stuttgart 2018, mit Register, 924 Seiten !). Hier zeichnen wir nur große Linien ab 1917 – von der Roten Armee über Stalin bis zur Orangenen Revolution.

1917: Für die Bolschewisten war die Ukraine existentiell. Ohne sie mit ihrem Reichtum an Menschen und Naturprodukten erschien keine russische Großmacht möglich, gleichgültig ob ein Zar oder ein Zentralkomitee herrschte. Doch die Träume der ukrainischen Nationalisten von einem eigenen Staat scheiterten an der Uneinigkeit der Ukrainer (S. 586). Der deutsche Vormarsch im Frühjahr 1918 befreite die Ukraine von den Bolschewisten; doch den abziehenden Deutschen folgte Ende 1918 die Rote Armee, die im Mai 1920 vorübergehend den Polen (!) Kiew überlassen musste.

Stalin ab 1930: Die Kollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin brachte ein „ungeheures“ Leid über die Ukraine. Obwohl die Zahlen unsicher sind, rechnet man mit 600.000 bis 800.000 Familien, die von ihren Höfen vertrieben wurden. Und die Zahl der Todesopfer übersteigt mehrere Millionen. Besonders in der Ukraine hat man in Stalins Aktion einen gezielten Völkermord durch Hunger erblickt, „aber auch hier hat die neuere Forschung vor voreiligen Schlüssen gewarnt; denn auch russisch besiedelte Gebiete an der Wolga und im Nordkaukasus waren in ähnlicher Weise betroffen“ (S. 644 f.)

1954 war die Krim an die Ukraine übertragen worden. Einer Mehrheit von 72,6 % Ukrainern standen 22,2 % russisch sprachigen Staatsbürgern gegenüber, die im östlichen Gebiet des Donbass und auf der Krim lebten. Das Referendum vom 1. Dez. 1991 ergab eine Zustimmung von 90 % zur Souveränität, auch die zu 67 % von Russen besiedelte Krim hatte mehrheitlich zugestimmt. Gegenüber dem Westen konnte die Ukraine das Überlassen der Atomwaffen an Russland zu einem politischen Handel nutzen, der ihr Kredite und Hilfe für die Modernisierung oder gar einen Ersatz des Kernkraftwerkes Tschernobyl verschaffte.
Aus Moskauer Sicht wird der Bezug zur Ukraine als Problem einer besonderen Nachbarschaft gesehen- mit einer langen gemeinsamen Geschichte. Doch die Ukraine entfernte sich immer mehr von der GUS (S. 814 f.). Moskau lehnte alle Formen einer Eingliederung der Ukraine in westliche Strukturen ab und unterstützte russisch orientierte Kandidaten bei den Wahlen, wurde jedoch durch die „Orange-Revolution“ im Herbst 2004 mit der Wahl von Juschenko brüsk zurückgewiesen (S. 813-820).

Gefährliches Szenario

Ist die regionale Annexion ein Anlass für eine weitreichende Katastrophe?

Hans Högl

In dem populären Geschichtsmagazin „All About History“ ( 4/2022 – München) wird der große Terror unter Stalin hervorgehoben. Er traf auch die Ukraine und löste eine unglaubliche Hungersnot aus. Das blieb bis heute im kollektiven Gedächtnis der Ukraine.

Und nun wiederholt sich ein Stellvertreterkrieg. Im Magazin heißt es: Während des Kalten Krieges achteten die USA und die Sowjetunion genau darauf, einander nie direkt zu konfrontieren. Ihre Gegnerschaft drückte sich in Stellvertreterkriegen aus. Jede Seite bewaffnete einen Verbündeten, konfrontierte die andere Seite aber nie direkt. So war es in Angola, Nikaragua, im Yom Kippur Krieg.

1983 war ein höchst gefährliches Jahr. Es gab die Nato – Ü b u n g „Able Archer 83“. Eine regelmäßige Militärübung, um den Start von Atomwaffen zu trainieren. Dies war höchst sensibel; denn beinahe hätte die Sowjetunion dies als Ernst-Einsatz verstanden – dies vermutete der Geheimdienstchef Juri Andropow. Um Haaresbreite wäre es zu einer weltweiten nuklearen Katastrophe gekommen.

Die offizielle Annexion von ostukrainischen Regionen hat aus russischer Sicht die Konsequenz, dass jeder, wer diese angreift, Russland direkt angreift. Dies birgt ein höchst gefährliches Szenario.

Brasilien wählt: Lula versus Bolsonaro

Gewicht einer wissenschaftlichen Kritik!?

Hans Högl bringt Text des Brasilianers Francisco da Rocha (Dr.rer.pol.) vom August 2022 in: „soziologie heute“.

Brasilien hat offiziell 210 Millionen Menschen und hat durch die Covid-19-Pandemie „mehr als 670.229 Menschen verloren“. Laut Expertisen dürften noch viel mehr Menschen daran gestorben sein. Die Zahl der an Corona Erkrankten wird auf 3 Millionen geschätzt. Laut einer parlamentarischen Untersuchung hätte die Übertragung des Coronavirus auf 40 Prozent gesenkt werden können. Aber Bolsonaro „reagierte erbärmlich langsam“(da Rocha).

(Bolsonaros Pandemiepolitik geriet in die Schlagzeilen, weil er sich gegen die Verhaltensrichtlinien der WHO stellt -in Rio haben sich Gouverneur und Bürgermeinster gegen ihn gestellt.)

Gilmar Mendes war einer der Richter, der für die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Lula gestimmt hatte. Nun verteidigt er die Auffassung, dass die Korruptionsprozesse gegen Lula unrechtmäßig geführt wurden. Diese Aussage des Richters war Grund dafür, dass der ehemalige Präsident Lula nun kandidieren darf.

Das Versagen von Bolsonaro, so Francisco da Rocha, betreffe nicht nur die Covid-19-Krise, sondern auch die öffentliche Verwaltung und die Wirtschaft. Und Bolsonaro sah in Präsident Trump ein Vorbild. Laut einer Umfrage im V o r j a h r gaben 45 % der Wähler an, nun bei der Wahl Lula da Silva zu unterstützen, während 34 % antworteten, Jair Bolsonaro ihre Wahlstimme zu geben. Wir sind gespannt, wie die Wahl ausgeht.

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Jugend: Angst und Hass

Medien vom Bild dominiert

Hans Högl –
Resumé des Vortrages: Angst und Hass in Jugendkulturen von Bernhard Heinzelmaier 

Der bekannte Jugendforscher hielt kürzlich beim Philosophicum in Lech den Vortrag „Angst, Ressentiment und Hass in den Jugendkulturen “. Er sieht bei der Jugend eine ohnmächtige Wut, die sich nach innen kehrt und zur „seelischen Selbstvergiftung“ führt, und er zeichnet nach, wie das Vertrauen zunehmend erodiert, so jenes zum Staat in den Mittel- und Unterschichten und sieht „so etwas wie ein postmodernes Duckmäusertum“. Dies liege an angstbesetzten Themen und führe zu einer Schweigespirale.

Wo jedoch Diskussionen geführt werden, seien diese hochgradig emotional. Eine Ursache dafür ortet der Jugendforscher in der Medienlandschaft, die immer mehr vom Bild dominiert sei und wo Argumente immer weniger eine Rolle spielten. Das wichtigste Bildungsmittel für Jugendliche sind YouTube und Instagram.

Italien: Abgespecktes Parlament

Weniger Senatoren und Abgeordnete in Italien

Hans Högl

Mit der vorgezogenen Parlamentswahl wurde in Italien eine 2020 per Referendum abgesegnete Verfassungsreform umgesetzt – das neue Parlament hat deutlich weniger Sitze: Für die Abgeordnetenkammer standen nur noch 400 statt bisher 630 Sitze und im Senat 200 statt 315 Sitze zur Wahl.Diese wichtige Information findet sich beiläufig in den orf news am 26.9.2022 anlässlich der Wahlen in Italien.

Behördensprache einfacher

Juristensprache: Neuseeland will klare Behördensprache

Hans Högl

Gegen Fachjargon, für eine einfachere Sprache: Ein neues Gesetz soll die neuseeländische Regierung zu klarer und präziser Kommunikation mit der Öffentlichkeit verpflichten. orf news berichtet dies und bezieht sich auf den britischen „Guardian“. Wer österreichische Juristen-Urteile über Presseverfehlungen liest, muss sich den Hals verrenken, um zu verstehen, wer nun warum verurteilt wird. Doch wer komplexe lateinische Sätze entschlüsselt hat, schafft es schon.

Die orf news bieten eine gute und kurze Nachrichtenübersicht. Kein Wunder, dass die Printmedien gegen dieses ORF-Angebot sind.

Im Übrigen: Die „Vereinigung für Medienkultur“ erfuhr aufgrund der Schweden-Kontakte von der Wichtigkeit einfacher Nachrichten – auch wegen der großen Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund vor allem in Großstädten – und regte diese dem ORF an. Mein Brief an einen leitenden ORF-Redakteur wegen der Prioritätsfrage wurde als unfreundlicher Akt von einer ORF-nahen Person bezeichnet. Als hätte ich eine Majestät beleidigt. Immerhin die „Presse“ publizierte dazu meinen Leserbrief, der sich so kritisch und sozial-liberal überlegen gebärdende „Falter“ lehnte dies ab, wobei sich die Redaktion bei mir – wegen der Ablehnung- privat entschuldigte. Ja, da gibt es auch Hinsichtl- und Rücksichtl.

Russische Geschichte

Zeitgeschichte bis in die Ära Putins

Hans Högl

Ein guter Bekannter machte mich auf das Buch „Russische Geschichte“ von Manfred Alexander aufmerksam, das ursprünglich von Günther Stökl verfasst wurde (Kröner Verlag, Stuttgart 2018, mit Personen-, Orts-u.Sachregister, 924 Seiten !). Ich habe die Periode ab Gorbatschow bis in die Ära Putins genau gelesen und kann mich der folgenden Rezension nur voll anschließen:

Diese verlässliche und äußerst anschaulich geschriebene Darstellung rekapituliert die ereignisreiche russische Geschichte, die seit dem Zerfall der Sowjetunion und den Entwicklungen im Russland der letzten Jahre sehr an Aktualität gewonnen hat. Für die nun vorliegende 7. Auflage hat Manfred Alexander (Univ.Prof.u. Spezialist für Osteuropa) den gesamten Text gründlich überarbeitet, auf den neuesten Stand der Forschung gebracht und bis in die Ära Putin hinein fortgeschrieben.

Klein, klein in Medien…….

KLEIN KLEIN – aber 2,5 Millionen Tonnen Getreide aus Ukraine

Hans Högl

Wir erfahren eine Flut von Infos, wie nun kleine Schritte zum Energiesparen aussehen könnten. Gut so.

Dass 100 Schiffe mit 2.5 MILLIONEN TONNEN AGRARPRODUKTEN AN BORD DIE UKRAINE VERLASSEN, das berichtet die deutsche Presseagentur. Ich fand dies in einer angesehenen Schweizer Zeitung am 7.9. Ansonsten las ich immer nur von Problemen und Blockaden des Getreidetransportes.

Ich denke, dass dies kaum irgendwo eine Schlagzeile war, oder irre ich mich? Wenn ich mich nicht irre, ist dies ein Beweis, welchen Schmarren wir täglich erfahren, aber dass unglaublich wichtige Ereignisse für Völker, die hungern, kaum eine Beachtung finden.

Auch in der Schweizer Zeitung ist dies eine Randnotiz mit 15 Zeilen (ohne Titel) auf der wenig beachteten rechten Seite und wiederum ganz rechts und fast ganz unten, immerhin auf S.2.

Journalist hat kaum Zeit zum Nachdenken

Infragestellung des konstruktiven Journalismus

Hans Högl-
Resumé eines Interviews mit Johannes von Dohnanyi. Er ist Autor, war Topjournalist und lebt im steirischen Salzkammergut (Ausserland).

Dohnanyi zur Aufgabe der Journalisten: Wichtig wäre, zu erklären, wie es zum Konflikt gekommen ist, was die Menschen bewegt, in diesem System zu leben. Unsere Aufgabe ist zu berichten, einzuordnen,

aber nicht mit der Hochnäsigkeit von Experten Lösungsvorschläge zu präsentieren. Ich halte deshalb auch nichts vom so genannten konstruktiven oder positiven Journalismus. Wir sind keine Vordenker – die Leser nehmen uns das sowieso nicht ab.

Es bleibt Journalisten keine Zeit zum Nachdenken und Recherchieren. Der als Erster berichtet, bestimmt oft die Tonalität für die nächsten Tage. „Dabei ist gerade das nicht die Aufgabe von Journalisten.“ Kleine Zeitung 11.9.22

Gesundheitskioske -Beratung ohne Termin

Gesundheitsberatung in Hamburg

Hans Högl: „Das sind ja mal gute Nachrichten“ in: „Der Stern“ 1.9.2022

Als Reaktion auf den Ärztemangel wird im Hamburger Stadtteil Billstedt ein sogenannter Gesundheitskiosk betrieben. Ohne Termin wird man hier in Gesundheitsfragen beraten. Ein Gremium aus Ärzten und Krankenkassen hat empfohlen, solche Kioske in allen 16 Bundesländern aufzustellen.