Archiv für den Monat: September 2024

Gescheiterte Koalition

Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte die politische Situation in Österreich 3 Tage vor der Nationalratswahl in einer Analyse. Im Folgenden eine gekürzte Fassung von

Hans Högl

„Das Zeugnis für die österreichische Regierungskoalition wird bei der Wahl diesen Sonntag katastrophal ausfallen. Nun droht dem Land ein politischer Neustart. Die Stimmung in Österreich ist schlecht, bei der Wahl am Sonntag wird die Regierung deshalb massive Verluste hinnehmen müssen.
… Sebastian Kurz sah sich.. als internationaler Taktgeber, als er nach seinem fulminanten Wahlsieg vor fünf Jahren die erste konservativ-grüne Regierung Österreichs bildete. Das könne eine Vorbildfunktion auch für Deutschland haben, meinte er ..2020 am Weltwirtschaftsforum Davos…

Es kam bekanntlich anders. In Deutschland regiert eine Ampelkoalition, und auch in Österreich könnte nach der Wahl vom Sonntag ein Dreierbündnis nötig werden, um die rechtspopulistische FPÖ von der Macht fernzuhalten. Die schwarz-grünen Jahre werden dagegen als vorerst gescheitertes Experiment in die Geschichte eingehen.

Beide Regierungsparteien dürften laut Umfragen massiv an Wähleranteilen verlieren, eine Mehrheit ist rechnerisch nicht mehr vorstellbar. Das Vertrauen in die Regierung stürzte auf den tiefsten je gemessenen Wert ab. Die Wirtschaft steckt in der längsten rezessiven Phase der Nachkriegszeit, Ökonomen sprechen von fünf verlorenen Jahren.

«Koste es, was es wolle» war das Motto – über die Krise hinaus. Das Zeugnis fällt damit katastrophal aus. Die eigentliche Bilanz dieser Regierung ist allerdings gar nicht so schlecht. Denn so turbulent die Amtszeit auch war mit zwei Kanzlerwechseln und den grössten externen Krisen der Zweiten Republik, so ist doch zu berücksichtigen: Die beiden Koalitionspartner regierten trotz ihrer Gegensätzlichkeit eine ganze Legislaturperiode durch, was in Österreich eher die Ausnahme ist. Zudem gelangen wichtige Reformen, die zuvor jahrzehntelang versprochen und nie umgesetzt worden waren – die Abschaffung der kalten Progression etwa oder die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.

Eine Harmonie, wie Kurz sie einst mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zelebriert hatte, war nie zu erwarten. Dafür liegen die beiden Parteien inhaltlich zu weit auseinander. Es kam sogar zu schweren Zerwürfnissen: Die Grünen erzwangen vor drei Jahren wegen Korruptionsvorwürfen den Rücktritt von Kurz, und die ÖVP zeigte im Juni die grüne Umweltministerin nach ihrer eigenmächtigen Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz wegen Amtsmissbrauchs an. Aber das schwarz-grüne Bündnis funktionierte bis auf die letzten Monate überraschend reibungsarm, nachdem zuvor die schwarz-blaue Koalition nach nur anderthalb Jahren zerbrochen war.

Das folgte auch aus purer Not: Bald machten die schlechten Umfragewerte vorgezogene Neuwahlen für beide Parteien nicht erstrebenswert. Aber es bewährte sich das Prinzip, das Kurz bei der Präsentation des Regierungsprogramms mit dem «Besten aus beiden Welten» beschrieben hatte. Die Regierungspartner liessen bei den jeweiligen Kernthemen gegenseitig Erfolge zu, nachdem es früher in den grossen Koalitionen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten oft genug darum gegangen war, Prestigeprojekte der anderen Partei zu verhindern.

Vor allem die Grünen nutzten diesen Spielraum und setzten das populäre Klimaticket für den öffentlichen Verkehr sowie milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz durch. Ein echter Meilenstein ist auch die ökologische Steuerreform, mit der ein CO2-Preis eingeführt wurde, auch wenn er noch zu tief angesetzt ist. Die ÖVP konnte dafür ohne viel koalitionsinternen Widerstand ihre harte Linie in der Migrationspolitik propagieren, erhielt eine Senkung der Körperschaftssteuer, die dringend nötige Aufrüstung des Bundesheers und den Beitritt zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield – für Österreich ist das durchaus eine kleine Zeitenwende.

Die Liste zeigt allerdings, dass es vor allem enorme Geldsummen waren, die den Kitt dieser Koalition bildeten. «Koste es, was es wolle» war das Motto, das Kurz während der Corona-Pandemie ausgerufen hatte, und es sollte auch darüber hinaus gelten. Für jedes Problem eilte der Staat herbei, der Zuschüsse und Boni mit der Giesskanne verteilte. Das Subventionsvolumen explodierte, selbst bereinigt um die Massnahmen gegen Pandemie und Teuerung. Ob die Gelder zielgerichtet eingesetzt wurden, spielte keine Rolle, das ins Koalitionsabkommen geschriebene Ziel eines ausgeglichenen Haushalts auch nicht. Österreich verfehlt die EU-Fiskalregeln deutlich, Brüssel verlangt für das nächste Jahr erhebliche Einsparungen.

Überhaupt ist die Wirtschaftslage düster. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Wohlstand. Seit zwei Jahren stagniert oder schrumpft die Wirtschaft. Obwohl die Bevölkerung wächst, sinkt das Arbeitsvolumen. Die Folge ist unter anderem eine hartnäckig hohe Inflation, die durch die expansive Ausgabenpolitik des Staates angeheizt wird. Reformen, die hier ansetzen, konnte die Koalition nicht durchsetzen. Für die Wirtschaftspartei ÖVP, die in dieser Legislaturperiode mit einer so grossen Mehrheit regierte, wie sie es wohl lange nicht mehr tun wird, ist das blamabel.

Die Krisen und ihre Folgen liessen das Vertrauen erodieren.Die zweite Schwäche dieser Regierung war ein teilweise erratischer Umgang mit den beiden Krisen dieser Legislaturperiode, der Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In ihrem Kampf gegen das Coronavirus schwankte die Regierung zwischen Alarmismus und Selbstlob, zwischen bis ins Detail geregelten Lockdowns und gefeierten Öffnungen. Das Hin und Her gipfelte darin, dass Österreich als einzige europäische Demokratie eine Impfpflicht beschloss. Sie wurde zwar nie umgesetzt, spaltete die Bevölkerung aber tief.

Ähnlich unentschlossen wirkt Österreich gegenüber Russland. Zwar verurteilt die Regierung die verbrecherische Aggression und trägt auch die Sanktionen mit. Gleichzeitig finanziert das Land die russische Kriegsmaschinerie mit, indem es nach wie vor fast seine gesamten Erdgasimporte aus Russland bezieht – obwohl es inzwischen die Möglichkeit zum Ausstieg hätte. Bundeskanzler Karl Nehammer war neben Ungarns Regierungschef Viktor Orban der einzige westliche Spitzenpolitiker, der den Kremlherrn Wladimir Putin seit der Grossinvasion in Moskau besucht hat. Erst im August konnte sich die Regierung dazu durchringen, die Strategie der nationalen Sicherheit zu ändern, in der Russland noch als «strategischer Partner» bezeichnet worden war.

Die Krisen und vor allem ihre Folgen mit hohen Energiepreisen und Teuerung liessen das Vertrauen in die Regierung erodieren, wie es in anderen Ländern auch geschah. Hier endet aber mehr als nur eine besonders herausfordernde Legislaturperiode. Die Wahl ist auch ein Schlussstrich unter die Ära von Sebastian Kurz, der den Konservativen einen Höhenflug beschert hatte und den stetigen Niedergang der beiden staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ kurzzeitig stoppen konnte.

Bestätigen sich die Umfragen, wird die ÖVP unter Nehammer so schwere Verluste hinnehmen müssen, dass auch ein Bündnis mit der SPÖ keine Mehrheit mehr hätte. Dagegen dürfte die FPÖ die grosse Wahlsiegerin sein. Das wäre gleich eine doppelte Zäsur für das Land: Die Rechtspopulisten könnten erstmals zur stärksten Kraft werden. Und die grosse Koalition, diese quasi natürliche Regierungsform der Zweiten Republik, die diese aufgebaut hat und nach wie vor bis in den hintersten Winkel prägt, wäre keine Option mehr. Der Journalist Georg Renner bezeichnet das in einem kürzlich erschienenen Buch zu Recht als politische Kontinentalverschiebung, die einem Ende dieser Zweiten Republik gleichkommt.

Was auf sie folgt, ist völlig offen. Das schwarz-grüne Experiment war schon vor fünf Jahren nicht das Vorzeigemodell, als das Kurz es bewarb, sondern ein Zweckbündnis aus Mangel an Alternativen. Die inhaltlich viel naheliegendere Koalition mit der FPÖ war an der Ibiza-Affäre gescheitert – ein Ende nach kurzer Zeit und im Chaos, wie bisher bei jeder Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Die klassische grosse Koalition mit der SPÖ war für Kurz undenkbar, stand sie in ihrer letzten Phase doch für Stillstand, während er «Zeit für Neues» ankündigte.

Fünf Jahre später steht eine extremere FPÖ als damals vor dem Wahlsieg. Deren Chef Herbert Kickl strebt offen eine Orbanisierung Österreichs an, und man möchte sich die radikalen Impfskeptiker und Kreml-Freunde um ihn nicht erneut an den Schalthebeln der Macht vorstellen. Die Partei hat ihre Regierungsunfähigkeit schon mehrmals bewiesen. Gleichzeitig wird vermutlich nur noch ein heterogenes Dreierbündnis einen weiteren Versuch verhindern können, und der Blick nach Deutschland stimmt dafür nicht zuversichtlich. Das Scheitern von Schwarz-Grün bedeutet deshalb vorerst eine Dritte Republik ohne zukunftsträchtige Optionen.“

Zu ergänzen möchte ich, Hans Högl, dies mit einem Kommentar des Spitzendiplomaten Peter Launsky-Tieffenthal, der meint, dass die vielkritisierte Migrationspolititk von Kurz bis Nehammer nun in der EU konsensfähig geworden sei (Kurier, 29.9.2014,S. 26).

Schlechtreden schadet

Der Zürcher Tagesanzeiger hat das angeblich „überbordende Schlechtreden der Deutschen“ kritisiert. Dies schade dem Land. Ein Zitat aus dem Artikel ausgewählt von

Hans Högl

„Das Land bräuchte dringend mehr Zuversicht. Deutsche neigen zu masslosem Schlechtreden in der Krise und zu Überheblichkeit im Erfolg.

Nützlicher wäre Realismus, gepaart mit Entschlusskraft und Mut. Deutschland ist in der Krise, ja, dennoch ist die Lage erheblich besser als die Stimmung. Oder umgekehrt: Der überbordende Missmut ist mittlerweile womöglich ein ernsteres Problem als die anstehenden politischen und wirtschaftlichen Aufgaben. Im Moment sei es vor allem die negative Stimmung, die Konsum und Investitionen – und damit die Konjunktur – lähme, schrieb gerade die OECD.“ (soweit der Tagesanzeiger wortwörtlich).

Weiter unten wird auf Länder wie Haiti oder Somaliland verwiesen, wo es wirklich große Probleme gibt.

Mutige Äußerungen

Auch die jüngste Ausgabe von INTERNATIONAL, der renommierten Zeitschrift für internationale Politik, ist wieder gespickt mit höchst interessanten Beiträgen. Darunter auch ein Gespräch mit mutigen Äußerungen einer Nationalratsabgeordneten zu Österreichs umstrittener Außenpolitik.

Udo Bachmair

Sie ist die erste heimische Politikerin palästinensischer Herkunft : Muna Duzdar. Die SPÖ-Parlamentarierin scheut nicht davor zurück, auch heikle weltpolitische Themen offen anzusprechen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, in dem Zusammenhang nicht zuletzt auch die mediale Berichterstattung. Duzdar dazu gegenüber INTERNATIONAL:

„Die Berichterstattung heimischer Medien hat dabei versagt, das Leid und die Perspektive der Palästinenser ausreichend darzustellen. Wir haben es im Nahostkonflikt nicht nur mit einem asymmetrisches Krieg zu tun. Auch die Berichterstattung ist asymmetrisch, zugunsten einer Partei und das ist Israel. Wir erleben das z.Bsp., wenn israelische Quellen immer unhinterfragt übernommen werden und palästinensische Quellen gleich den Hamas- oder Terroristenstempel aufgedrückt bekommen. Das ist fatal und schadet der Glaubwürdigkeit journalistischer Medien.“

Soweit die Mediensprecherin der SPÖ, Muna Duzdar, die darauf hofft, mittels Vorzugsstimmen wieder in den Nationalrat einziehen zu können.

Zum Thema Nahost bietet INTERNATIONAL zudem eine spannende Analyse von Helga Baumgarten mit dem Titel „Nakba: Die nicht enden-wollende Katastrophe“. Die Politologin beleuchtet brillant Hintergründe und Folgen des Nahostkonflikts anhand der dramatischen Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung von 1948 bis 2024.

Die Zeitschrift vermittelt außerdem im Detail die außenpolitischen Positionen der Parteien, im besonderen zu Neutralität und Friedenspolitik. Ein Themenkomplex, der im NR-Wahlkampf eine beschämend geringe Rolle gespielt hat.

Das jüngste Heft spannt inhaltlich und geografisch einen großen Bogen von Russland, Venezuela, dem Iran bis hin zur Lage in Somalia, Sambia und Aserbeidschan.

Kunst und Kultur sowie Lyrik für den Frieden komplettieren die jüngste Ausgabe IV / 2024.

Näheres unter www.international.or.at

Aggressiver Journalismus

Wenn Journalisten und Journalistinnen aggressiv werden, spürt man geradezu ihre und des gesellschaftlichen Mainstreams Unsicherheit. Nämlich dann, wenn Dinge gesagt werden, die eigentlich selbstverständlich sind, die man aber nicht aussprechen darf. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Wolfgang Koppler *

Da Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der neuen deutschen Linkspartei BSW, mit größter Ruhe Dinge ausspricht, die uns allen einleuchten müssten (und im tiefsten Innersten wohl auch dem Wagenknecht-kritischen „Moderator“ Lanz und seinen Kollegen), werden manche Journalisten im Gespräch mit ihr immer wieder aggressiv. Oder sagen wir mal, höhnisch oder empört. Und ebenso die Printmedien, wie der gegenständliche Artikel in Focus-online zeigt. Dummerweise lässt sich die selbstbewusste und authentische Wagenknecht nicht provozieren, und sie sieht in ihrem eher konservativen Outfit auch nicht aus wie eine Revoluzzerin.

Dass erst einmal die Waffen schweigen müssen, um Verhandlungen im Ukrainekrieg zu ermöglichen, sollte eigentlich jedem klar sein. Wer Verhandlungen erst nach einem Sieg der eigenen Seite beginnen möchte, will in Wirklichkeit keine. Und eine solche Position zu unterstützen, ist Kriegstreiberei – auch wenn der Krieg von der anderen Seite begonnen wurde.

Ich darf darauf verweisen, dass der Westen auch schon vor dem russischen Einmarsch substantielle Verhandlungen über zumindest diskutierbare russische Forderungen abgelehnt hat – etwa was einen neutralen Status der Ukraine und den Verzicht auf eine weitere Ausdehnung der NATO betrifft. Interessanterweise wurde dann nach dem Einmarsch der Russen sehr wohl verhandelt. Es scheiterte an den Sicherheitsgarantien für eine ukrainische Neutralität. Während Biden überlegte, legte sich „Mini-Churchill“ Boris Johnson quer und brachte auch die USA zu einer Ablehnung.

Während Putin (dem die Belastungen Russlands durch den Krieg inzwischen sehr wohl bewusst sein dürften) immer wieder Verhandlungssignale aussandte (wenngleich mit Maximalforderungen, die aber meist am Beginn von Verhandlungen stehen), stellte Selenskyj klar, dass Verhandlungen erst nach einem ukrainischen Sieg in Betracht kämen.

Wenn Wagenknecht hier von einer Erhöhung der Kriegsgefahr durch den Westen spricht (wobei sie selbstverständlich den russischen Angriffskrieg ablehnt und den Ausdruck Kriegstreiberei erst auf mehrmalige Nachfrage von Lanz verwendete), so ist dies nachvollziehbar. Denn ein solcher Justamentstandpunkt kann den Krieg nur verlängern, auch dann wenn ihn der Gegner begonnen hat.

Übrigens: Bushs Angriffskrieg im Irak wird trotz erfundener Kriegsgründe bis heute nicht verurteilt. Obwohl er Jahrzehnte langes Chaos und den Aufstieg des IS zur Folge gehabt hat.

Im Übrigen wird auch eine formal rechtmäßige Verteidigung oder Rechtsdurchsetzung irgendwann unverhältnismäßig. Weil die Durchsetzung von Recht sehr oft zu neuem Unrecht führt. Kleist hat das in seinem Michael Kohlhaas wunderbar aufgezeigt. Das sieht man auch im Gazakrieg, wo der eine oder andere ORF-Journalist diesen gelegentlich als Geiselbefreiungsaktion zu verharmlosen sucht. Obwohl bis jetzt nicht nur mehr als 40.000 Menschen gestorben sind, eine unabsehbare Eskalation im Libanon droht und das Leben der Geiseln wohl eher gefährdet als gerettet wird.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Neutralität in kriegerischen Zeiten

Gut besuchte Podiumsdiskussion in Wien unter Mitwirkung der Vereinigung für Medienkultur

Udo Bachmair

„Neutralität in Zeiten von Krisen und Kriegen“ war das Thema einer viel beachteten Podiumsdiskussion* im Kultur- und Veranstaltungszentrum Amerlinghaus in Wien. Veranstaltet wurde der Diskussionsabend von den Gewerkschaftern gegen Atomenergie und Krieg sowie der Vereinigung für Medienkultur.

Bemerkenswerterweise war im Wahlkampf für die NR-Wahl das Thema „Krieg 8nd Frieden“ sowie die Rolle der österreichischen Neutralität kaum ein Thema. Dabei wäre Österreich als neutraler Staat und UNO-Standort prädestiniert dafür, als diplomatischer Mediator und Initiator von Gesprächen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aktiv zu werden. Doch eine einseitige Außenpolitik der schwarz-grünen Außenpolitik in den vergangenen Jahren – weit entfernt von Bruno Kreiskys nützlichen und erfolgreichen diplomatischen Aktivitäten – hat den Geist der Neutralität weitgehend untergraben.

Die Chance auf eine effektive friedensorientierte Außenpolitik ist ähnlich der Tatenlosigkeit der EU-Kommission sträflich vernachlässigt worden.
Darauf aufmerksam zu machen haben sich jüngst vor allem SPÖ-Chef Andi Babler und KPÖ-Vorsitzender Tobias Schweiger bemüht, allerdings weitgehend ignoriert von den heimischen Medien. Babler und Schweiger plädieren uneingeschränkt für die Sinnhaftigkeit und Aufrechterhaltung der Neutralität. Von Expertenseite sieht vor allem der renommierte Politikwissenschafter Heinz Gärtner die Neutralität Österreichs als Sicherheitsgarantie für unser Land.

Mitglieder der Initiative Engagierte Neutralität wie Bundesheer-General Günther Greindl, seinerzeit Oberbefehlshaber der österreichischen UNO-Truppe auf dem Golan, oder die beherzte Diplomatin und Ex-Botschafterin Gaby Matzner sowie der bei den Gewerkschaftern gegen Krieg besonders aktive Wilfried Leisch bekräftigten in der erwähnten Veranstaltung ihre klare Pro-Neutralitäts- und Anti-NATO-Position. Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur, gab u.a. zu bedenken, dass Politik und Medien nach der NR-Wahl Befürwortern eines NATO-Beitritt Österreichs mehr Raum für entsprechende Propaganda öffnen könnten.

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion im Amerlinghaus, genauer gesagt der Anfangsstatements, sind unter folgendem Link abrufbar:

www.youtube.com/watch?app=desktop&v=NixOIY2N8bQ

Vom Ego zum Selbst

Mitunter findet sich auch in Boulevardblättern Interessantes. Etwa das, was NEOS-Gründer und Ex-NR-Abgeordneter Matthias Strolz zu seinem nunmehr endgültigen Rückzug aus der Politik getwittert hat.

Wolfgang Koppler

Ob Matthias Strolz sich nun wirklich für immer aus der Politik oder gar aus der Öffentlichkeit zurückzieht, ist hier nicht so wichtig. Auch nicht, ob ihm das, was er hier zu dem, was man in der zweiten Lebenshälfte anpeilen sollte, schildert, wirklich gelingt. Aber die Richtung, die er hier für unsere Persönlichkeitsentwicklung in einer besonders egoistischen und egozentrischen Kultur vorgibt, das Wesentliche worauf es ankommt, wäre für uns alle interessant. Besonders für Angehörige der so genannten Eliten aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Zunächst beschreibt Strolz jene Egozentrik, die seiner Ansicht nach die erste Lebenshälfte prägt. Das Streben nach meist materieller Selbstverwirklichung, das die Presse vor einigen Monaten treffend als Flucht (vor dem Wesentlichen, wie etwa den Anforderungen der Gemeinschaft) bezeichnete. Strolz, der selbst nicht ganz frei von Egozentrik ist, hat da wohl auch seine eigenen Erfahrungen geschildert. Strolz nennt es etwas beschönigend, den Versuch, sich an Projekte und Menschen zu binden. Der mE wohl meist in Verlorenheit und Einsamkeit endet. Strolz meint zu Recht, dass viele dieser (materiellen Selbstverwirklichungs-)Logik bis zum Lebensende anhaften.

Und spricht Strolz unter Bezugnahme auf C.G. Jung von der Einladung in der zweiten Lebenshälfte vom Ego zum Selbst zu reifen, zur eigenen Personenmitte vorzustoßen. Was nur gelingt, wenn wir dabei „unsere Schattenseiten integrieren“. Die nachstehenden Ausführungen sind manchen vielleicht zu philosophisch oder zu esoterisch – aber das ist hier nicht so wichtig. Aber zu uns selbst, zu unseren Abgründen und dann vielleicht – wenn uns davor schaudert – zu unserer positiven Intuition vorzustoßen, das ist wohl allgemeingültig.

Und könnte für jede und jeden, vor allem aber für Politiker, Unternehmer und Journalisten wichtig sein, Um sich nicht allzu sehr in Egozentrik und Feindbildern zu verlieren, ob es der ach so unvernünftige „Pöbel“, Putin oder sonst jemand ist. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung in Medien, Wirtschaft und Politik. Und würde auch die Klagswut bei einigen eindämmen. Und die Eigenständigkeit fördern. Anstelle von Echokammern.

https://x.com/matstrolz/status/1838489030524117379?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1838489030524117379%7Ctwgr%5E8dea7ae1fa63f195f297926abff25dc48bbfe3fa%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.heute.at%2Fs%2Fpolit-knall-neos-comeback-von-strolz-abgeblasen-120060730

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Das Recht auf Frieden

Die Priorisierung des Rechts auf Frieden lässt zu wünschen übrig. Dabei wäre sie im Sinne der Menschenrechte von existentieller Bedeutung.

Peter Stribl *

Am 1. Januar 2016 hat die UNO 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung in Kraft gesetzt, die für alle ihrer Mitgliedsstaaten gültig sind.
Nachfolgend diese 17 Ziele in der festgelegten Reihenfolge:

1. Keine Armut
2. Kein Hunger
3. Gesundheit und Wohlergehen
4. Hochwertige Bildung
5. Geschlechter-Gleichheit
6. Sauberes Wasser und Sanitär-Einrichtungen
7. Bezahlbare und saubere Energie
8. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
10. Weniger Ungleichheiten
11. Nachhaltige Städte und Gemeinden
12. Nachhaltiger Konsum und Produktion
13. Maßnahmen zum Klimaschutz
14. Leben unter Wasser
15. Leben an Land
16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zum Recht ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.
17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele (1)

Unschwer zu erkennen ist, dass die Reihenfolge schlicht unsinnig ist: Wie sollen die Ziele 1 bis 15 ohne Frieden erreicht werden? Für Menschen, die Kriegen ausgesetzt sind, sind Armut, Hunger und Krankheit nachgerade zwangsmäßige Begleiter. Sauberes Wasser und Energie, menschenwürdige Arbeit – nichts weiter als süße Fata Morganen aus einem unerreichbaren Schlaraffenland. (2,3,4,5)

Die Priorisierung von Ziel 16 (Frieden) wird von den USA und von US-amerikanischen Stiftungen und Förderern der Nachhaltigkeitsziele, von der EU und der OECD bisher abgelehnt, während China, Indien und zahlreiche Entwicklungsländer das Ziel unterstützen, die bereits 2013 in der UN-Vollversammlung verlangt hatten, dass das Recht auf Frieden ein Menschenrecht werden soll. Die Ablehnung manifestiert sich durch das Ignorieren und der fehlenden Erwähnung von Ziel 16, beispielsweise in einem Papier der OECD zur Agenda 2030. (1)

Daraus folgt, dass die Prioritäten vom Kopf auf die Füße gestellt werden müssen. Das Recht auf Frieden ist elementar, von existentieller Natur. Nichts auf dieser Welt ist demokratischer. Unvorstellbar, dass die Bevölkerung egal welchen Landes Krieg mit anderen Ländern zur obersten Priorität erhebt. Vielmehr wird Krieg als Durchsetzung der Interessen von Oligarchen „kultiviert“.

Zurzeit ist dieser Irrsinn täglich sichtbar. Da lässt sich ein Fußballverein vom Rüstungskonzern Rheinmetall sponsern. Klar, die schießen aus allen Rohren… Keine Talkshow, die nicht mit einem Pazifisten, dafür aber mit mehreren Konfrontation Suchenden bis hin zu Bellizisten besetzt ist. Der Nachrichtensender ntv „möchte eine Debatte ermöglichen“, dass Waffen als nachhaltig deklariert werden. Eine gewisse Logik ist dem nicht abzusprechen, denn kaum etwas ist nachhaltiger als der Tod.

Bei Kriegen geht es immer um die Interessen von wirtschaftlichen Gruppierungen. Bodenschätze sind unwiderstehliche Ziele. Nachzulesen bei Zbigniew Brzezińskis Strategien oder – etliches einfältiger – bei (CDU-)Kiesewetters Statement zu den Lithium-Vorkommen im Donbass. Was wäre der Nahe Osten ohne Erdöl?

Befeuert werden die Konflikte dieser Erde durch Medien in Privatbesitz. Kein Redakteur wird wagen, gegen die Interessen „seines“ Herausgebers anzuschreiben. Desillusionierend die spärliche Zahl aufrecht gebliebener Journalisten… Was hier an Interaktivität und Folgen damals wie heute erkennbar wird, ist bemerkenswert.

Während der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler wegen Kritik für seine Äußerungen zurücktrat („dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen“) – darf Verteidigungsminister Boris Pistorius in der Straße von Taiwan die freie Schifffahrt verteidigen zum Wohlwollen der Medien und ihrer Meinungsmache, sowie der USA, allerdings zum Missfallen der VR China.

Wer hier mit wem spielt, ist interessant. Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat zu Beginn seiner ersten Amtszeit im Februar 1999 gesagt, dass er zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze“ brauche. Eine steile Behauptung; andere Politiker sind dabei im Gegenteil flach rausgekommen. Z.B. der frühere Bundespräsident Christian Wulff „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Laut dem Kabarettisten Volker Pispers der Moment, in dem Verlegerin Friede Springer den Daumen über Wulff senkte. Bitte nach Volker Pispers „Wem gehören die Medien?“ auf YouTube googeln. Aber Vorsicht: Verschwörungstheorien!

Andererseits, was ist, wenn sich Theorien bestätigen?
(https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AH71_WulffBild_ArltStorz_2012_05_07.pdf)

Medien schließlich geben in Ihrer Sucht nach Marktanteilen auf dem Gebiet ein erbärmlich ekelhaftes Bild ab. Der Wettbewerb um die zugkräftigsten Schlagzeilen ist schlicht widerlich.

Zurück zum Recht auf Frieden: Es kann durch tatsächliche Demokratie ermöglicht werden. Keine Spiegelfechterei über repräsentative „nur dem eigenen Gewissen verpflichtete“ Dampfplauderei. Politische Bildung darf nicht den Medien überlassen werden, sondern über den Staat erfolgen. Wissenschaftlich begründet durch politische und ökonomische Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Zur Erinnerung „Enteignet Springer“ war eine der richtigsten Forderungen der 68er-Bewegung.

Unumgänglich auf dem Weg dahin ist die politische Entmachtung von Konzernen, die Staatsmänner wie Marionetten ihrer Interessen halten. Man erinnere sich an die Geburtstagsfete Joe Ackermanns im deutschen Kanzleramt und Merkels Statement zur „marktorientierten Demokratie“. – Die Besinnung auf die juristischen Vorteile von Erbpacht und Jedermannsrecht sowie deren Entwicklungsmöglichkeiten muss endlich in den Mittelpunkt der Zielsetzungen rücken.

Die Neutralität von Staaten verdient ganz besondere Beachtung. Österreich zum Beispiel ist prädestiniert für die Vermittlerrolle, die gefragter ist denn je. Auch die Bedeutung der blockfreien Länder kann kaum überschätzt werden. Leider beides mit den Abstrichen versehen, die unübersehbar den Abnutzungserscheinungen, dem Schleifen und Sandstrahlen der Verbundenheit zur Aktualität geschuldet sind.

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Im Bildungs- und Erholungszentrum der deutschen IG Druck und Papier in Springen im Taunus fand sich eine Amethyst-Druse, versehen mit dem Motto „Unser Ausweg heißt Bildung“. Gemeint war Bildung im Sinne Wilhelm Liebknechts „Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“.
Der zweite Teil des Titels wurde und wird allzu gern unterschlagen; traditionell wie besonders aktuell. (6)

Links:
(1)https://de.wikipedia.org/wiki/Ziele_f%C3%BCr_nachhaltige_Entwicklung
(2)https://www.sipri.org/
(3)https://www.tagesschau.de/ausland/europa/sipri-atomwaffen-108.html
(4)https://www.tagesschau.de/ausland/europa/unhcr-fluechtlingszahlen-102.html
(5)https://www.tagesschau.de/inland/friedensgutachten-2024-100.html
(6)https://www.projekt-gutenberg.org/liebknec/polschri/chap003.html

* Gastautor Peter Stribl ist Politik- und Medienanalyst und lebt in Konstanz am Bodensee

Vielversprechender Journalismus

Das „Magazin für Veränderung“ – Was verspricht es und was kann es halten?

Ilse Kleinschuster*

Tja, da gibt es nun eine neues junges Journalisten-Team, es nennt sein digitales Nachrichtenmagazin „Magazin für Veränderung – tag eins“ https://steadyhq.com/de/tag-eins/about
Es glaubt fest daran, dass „Menschen gut informiert sein müssen“. Ja, ich auch – klar, dann schau‘ ich mir das gerne an und bestelle zunächst einmal ein Probe-Abo für einen Monat gratis. Bin ja neugierig!

Was sie da versprechen scheint ein bisschen viel:

„Wir wissen, wie frustrierend es sein kann, die Nachrichten zu verfolgen. In zig Livetickern geht die Welt jeden Tag ein Stückchen weiter unter, Auswege scheint es nicht zu geben. Mit tag eins wollen wir dir einen Ausweg aus dem Schlagzeilen-Burnout bieten. Mit modernem Journalismus, der nicht bei den Problemen stehenbleibt, sondern auch nach Lösungen sucht. Der dich informiert, ohne dich zu frustrieren. Digital, progressiv, unabhängig, werbefrei, hintergründig, konstruktiv. Wir liefern keine Berichte aus dem Ministerrat oder dem Parlament, uns interessiert nicht, was die Frau Ministerin oder der Herr Landeshauptmann sagt. Wir berichten über die Themen, die unsere Mitglieder bewegen. Das Private ist politisch. Alles ist politisch. Wir ballern dich nicht noch weiter zu. Wir liefern dir einen Text pro Woche – der aber ist so fundiert, hintergründig und gut recherchiert, dass er dir das Gefühl gibt, die Welt ein bisschen besser verstanden zu haben.“

Warum macht mich dieser Text-Abschnitt allein schon stutzig, wenn es da heißt, wir berichten über die Themen, die unsere Mitglieder bewegen? Fühl‘ ich mich angesprochen, wie wissen sie was mich bewegt? –Darüber hinaus, wer immer sich da angesprochen fühlen – wie immer gebildet, er sein mag -, wenn er keine Gestaltungskompetenz besitzt, wird ihm auch gute, lösungsorientierte Information und der Veränderungsglaube dieser Journalisten nichts nützen. Nichts für ungut, aber das gilt dann wohl für jeglichen Journalismus!?! Und ich sage das, weil das kürzlich ein Mitglied der Scientists for Future mir gegenüber meinte (Sie gehört übrigens zu einer Bewegung, in der man sich mehr und mehr als Kunsthandwerker/Künstler für die Zukunft einbringt!).

Heute in dieser krisengeschüttelten Zeit sind Schlüsselqualifikationen für das Meistern der Herausforderungen doch ein generationenübergreifendes Vermögen, die Zukunft von Gesellschaften, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können. Andernfalls, so fürchte ich, wird sich die Vertiefung der Kluft fortsetzen – zwischen jenen, die einer postmaterialistischen und an modernen Werten orientierten sozial-ökologischen Transformation wohlgesinnt gegenüberstehen und jenen, die gerade darin eine zusätzliche Bedrohung ihres als prekär empfundenen Lebens erblicken.

Die grundsätzliche Frage, ob Demokratisierung sämtlicher Lebensbereiche die Menschen angstfreier, postmaterialistischer und für eine sozial-ökologische Transformation fähiger machen kann, bleibt offen. In der Initiative Zivilgesellschaft wurde sie lange ausführlich diskutiert als das notwendige Narrativ für eine friedliche, offene Gesellschaft. Ich fürchte, das aktuelle kriegerische Narrativ hast sie wohl obsolet werden lassen. Daran etwas zu ändern, wird auch für das Magazin der Veränderung eine Sisyphus-Arbeit.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagiertes Mitglied der Initiative Zivilgesellschaft

Mülltexte als Sprachspott

Der Medien- und Bildungssoziologe Prof. Hans Högl, Autor des Buches „Hinter den Fassaden des Tourismus. Dörfer im Stress“, beschäftigt sich mit Alltagshandeln in städtischen und ländlichen Gemeinden. Das nun abgesagte sogenannte Mistfest der zuständigen Wiener Magistratsabteilung nimmt Hans Högl zum Anlass für den folgenden Beitrag

Hans Högl

Hier nur ein Kriserl, zum leidigen Müllproblem und seinen Texturen in Wien. Feste sind auf Familiäres oder auf Brauchtum und Religion bezogen. Ein Fest ist nicht alltäglich. Nicht so bei der Mistwirtschaft der MA 48. Sie plante ein Mistfest am Wochenende in Hernals. Wie kam es zur Idee und zum Aufruf dieses seltsamen Festes?
Das ist denk-würdig.

Nun fiel das Wiener Mist-Fest ins Wasser. Geplant waren Attraktionen und Stände im Freien. Der Kulturphilosoph dreht sich- hörte er davon – noch im Grabe um. Aber die Abteilung  Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark (MA 48) hatte ein Fest mit Attraktionen und Stände im Sinne. Was mit Abfall passiert, ist nicht beiläufig. Was da allein in Haushalten anfällt, erstaunt und will entsorgt werden.

Bürgermeister Zilk erkannte die Ambivalenz, Industriereste zu hinterlassen und entkräftete Kritik, indem er aus der Müllanlage in der Spittelau ein Hundertwasser- Kunstwerk gestalten ließ. Seit Inbetriebnahme der Müllverbrennungs-Anlage (MVA) Pfaffenau in Simmering entstehen aus 250.000 Tonnen Müll jährlich etwa 65 Gigawatt Stunden Strom. Damit können zig-tausende Haushalte versorgt werden. Seit 1993 muss Müll österreichweit getrennt entsorgt werden, in Städten und auf dem Land.

Wiens Bürgermeister Ludwig lächelt uns von Plakaten entgegen, umgeben von lieben „Mistbuam“. Beim Friedhof Hernals ist das beträchtliche Areal einer Müllanlage. Ein halbes Dutzend Arbeiter stehen Entsorgern zu Hilfe. In riesige Müllcontainer kommt Abfall: Problemstoffe, Altpapier und – eisen, Schrott, elektronische Geräte, Plunder, Ramsch, Krimskram, Gerümpel, Schlacke, Sperr- und Sondermüll. Dies wird geordnet, weggefahren, verbrannt, noch Brauchbares als Sonderstück weitergegeben. Doch wenden wir uns leidigen, professionell gedrechselten Müll-Sprüchen zu, die dem Städter begegnen.

Ein Blick auf Perlen der Müll-Texte

Die „Mist“-Texte – auf Mülleimer der MA 48 geklebt – gerieren sich teils halblustig: „Halt die City Pretty!„. „Thrashtag“.“ Es klingt anglophil und südländisch: „Mülle Grazie“.  Oder: „Der Dreckshop Store – Bitte füttern!“ Ja, da schimmert Witz durch.

Einiges macht nachdenklich. Verlieren wir einen Gedanken daran. Sprach-Spott klingt in manchen Müll-Sprüchen durch: „Mach`s kleiner, warat feiner“ – „I tram vom Mist“. „Ich gehöre zur Famüllie“. „I bim sauber! „Ich hab` Dich vermist“. „A echter Wiener haut nix runter“.  Redet ein Ausländer holprig, verdrehen Einheimische ihre Worte spöttisch.
Robert Sedlaczek schreibt in „Wenn ist nicht würdelos“ vom kurzzeitigen OefB-Teamchef Karel Brückner aus Olmütz, der bei seinem ersten Presseauftritt holprig Deutsch sprach, worauf Sportjournalisten dies in Häme bemerkten und und an Giovanni Trapattonis Sager erinnerten: „Ich habe fertig“.

Manche Texte klingen akzeptabel: „Mist im Kübel ist nicht übel“. „Bitte füttern“. „Du hast es in der Hand. Bau keinen Mist.“  -Manchmal klingt Humor durch: „Sinnlose Anträge hier einbringen“/ „Nächster Halt Mistkübel“. „Unsere Stadt hat Abfall satt“. „Restverwerter“. „Klima-Schmutz-Expert*in“. „Der tut nix! Der will nur Müll“. „Mir schmeckt´s halt“.

Einfache Sprache – wohl anfangs in Schweden gepflegt – ist ein Anliegen. Ob die genannten Müll-Sprüche immer sinnvoll und passend- und hilfreich sind – fürs Nebenbei- Erlernen der deutschen Umgangssprache, wo so viele ohne Schulabschluss und dann ohne Arbeit bleiben? Vielleicht wären in einfacher Sprache andere Worte zu finden?

Kürzlich parkte vor dem Haus ein PKW einer renommierten Marke. Der Fahrer hinterließ als Wegwurf Getränkedosen, entsorgt neben dem Auto. Einen Tag danach lagen noch Rest herum. Dosen zu gar nicht fernen Mülleimern zu bringen, kam dem Fahrer nicht in den Sinn. Rasch die Vermutung: Dies sind Leute (geografisch) von da unten. Aber werfen wir nicht selbst Papierkartons weg, ohne sie zu zerteilen? Waren-Hüllen per Internet bestellt.  Manches landet an falscher Stelle: Zigarettenreste bei U-Bahnen. Darum nun die drohende Aufschrift „Wirf dein Geld nicht weg. 50 € für verlorene Tschickstummel“.

Auch Fahrräder haben ein Schicksal. Eine Zürcher Zeitung schreibt: „Es gibt doch einige Sachen im Leben, ….denen man etwas nachtrauert, wenn sie plötzlich aus dem Alltag verschwinden. In meinem Fall sind es die stets gleichen trostlosen Velos am Abstellplatz beim Bahnhof, die ich teilweise wochenlang antreffe. Bleibt eines hier länger als 30 Tage am selben Ort stehen, sammelt es Entsorgung+Recycling Zürich ein. So kommt es zur erklecklichen Zahl von  3.000 Velos im Jahr. Doch beruhigen wir uns: Die fahrbaren Velos werden für gute Zwecke eingesetzt.“ Auch in Wien stehen Fahrräder herum oder Angebote, die zu wenig genützt werden.

Im übertragenen Sinn weist der Liedermacher und Lyriker Thomas Andreas Beck vom Müll und Dreck im Süden Wiens auf garstiges, gemeines Alltagsverhalten. Er nahm in einem Grätzel den Dreck wahr und sah dies klarer, als er eine Innenstadt-HTL- besuchte. Und er fand akzeptablere mitmenschliche Beziehungen.

Und er, Thomas Andreas Beck, korrigiert eine vorschnelle Mediensicht: Ist von Banden die Rede, wird rasch auf ethnische Wickel unter Migranten verwiesen. Beck: Bandenkriminalität am Reumann-Platz ist kein Ausländerproblem. „Wir waren toxisch männlich, Favoriten gegen Simmering“. „Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm“, heißt sein aktueller Lyrikband.

Abschließend Spitzenleistungen der Mülltexte und ein sinniger Gedanke:
„Ich lass` mich gern papierln“ „Hasta la mista Baby?“-.Sind Mistfeste Holy Days?

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ORF und Verantwortung

Puls24 oder Oe24 haben bereits den ganzen Vormittag ausführlich über die Hochwasserkatastrophe berichtet. Das ORF-Fernsehen hingegen hat erst um 12 Uhr mit einer Sondersendung begonnen, deren erste Sendestunde inhaltlich und gestalterisch vergleichsweise schwach war. Kritik ist auch an der Vorberichterstattung angebracht.

Wolfgang Koppler *

Auch wenn es in diesem Fall „nur“ um das Wetter geht, so könnte die diesbezügliche Berichterstattung im ORF-NÖ und die gegenständliche Unwetterkatastrophe doch ein Anlass sein, Journalisten an ihre Verantwortung zu erinnern. Während vom Unwetterdienst bereits Warnstufe 5 ausgegeben wurde, stufte ein Wetterfrosch des ORF-NÖ Donnerstag abends das Wetter als „relativ fad“ ein und sprach sonst nur davon, dass die zu erwartenden Regenmengen „ordentlich viel“ seien. Keine Rede von der für etliche Menschen drohenden Katastrophe und der Unwetterwarnung.

Am Küniglberg versuchte man dies in der ZiB2 am Freitag wenigstens auszubügeln, indem man dem ORF-Meteorologen ein längeres Interview über die zu erwartende Wetterlage, deren Ursachen und Auswirkungen gewährte. Vielleicht eine Reaktion auf die deftige, aber nicht unberechtigte Kritik von Kachelmann ? Ändert aber nichts daran, dass man sich beim ORF und anderen Qualitätsmedien Gedanken über die eigene Verantwortung machen sollte. Nicht nur beim Wetterbericht.

In einem großteils aus Beitragszahlungen finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk umso mehr. Bis dato scheint immer noch des Öfteren gedankenlose Selbstdarstellung im Vordergrund zu stehen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien