Papst Franziskus hat als begeisterter Leser spezielle Literaturtipps veröffentlicht. Dazu Zitate aus einem Bericht von Thomas Ribi in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
Hans Högl
„Der Papst outet sich als leidenschaftlicher Leser: Ein Buch lesen sei manchmal wichtiger als beten, schreibt er. Der neue Hirtenbrief von Franziskus ist eine Hymne an die Kraft der Literatur: ein Mix aus persönlichen Bekenntnissen, Literaturtheorie und schwindelerregender Theologie.
Von der Bibel ist mit keinem Wort die Rede. Dabei geht es in dem Brief, den Franziskus Mitte Juli veröffentlichte, um Bücher. Auf zwölf Seiten spricht der Papst darüber, was Lesen bedeutet. Für ihn persönlich und überhaupt. Zunächst sei der Text für Priesteramtskandidaten gedacht gewesen, schreibt er am Anfang. Aber dann habe er gespürt, dass das, was er sagen wolle, für alle pastoralen Mitarbeiter der Kirche gelte. Und im Grunde für alle Christen. Die Lektüre von Romanen und Gedichten sei seiner Ansicht nach zentral für die Persönlichkeitsbildung.
Aufsehen hat das Schreiben, das mitten in der Sommerflaute auf der Website des Vatikans aufgeschaltet wurde, nicht erregt. Obwohl es herausragt aus den päpstlichen Verlautbarungen. Nicht weil Franziskus’ Gedanken bahnbrechend wären. Dass ein gutes Buch eine Oase in der Einsamkeit sei, dass literarische Werke Begleiter sein können im Auf und Ab des Lebens – geschenkt. Aber allein schon, dass dem Papst das Thema Literatur so wichtig ist, dass er ihm einen Hirtenbrief widmet, ist bemerkenswert. Und dass er so persönlich darüber schreibt, auch.
Keine Pflichtlektüre, bitte! Etwa wenn er von seiner Vorliebe für «tragische Künstler» spricht, deren Werke man als Ausdruck der eigenen inneren Dramen lesen könne – konkrete Beispiele nennt er freilich keine. Oder davon, wie man die Welt durch ein Buch mit anderen Augen sieht: vielleicht durch die eines verlassenen Mädchens, einer alten Frau, die ihren Enkel zudeckt, oder durch die eines kleinen Geschäftsmannes, der trotz allen Schwierigkeiten über die Runden zu kommen versucht…..
Da kommt der Lehrer zu Wort, der Franziskus einmal war. Mitte der sechziger Jahre unterrichtete Jorge Maria Bergoglio an einem Jesuitenkolleg Literatur. Nun legt er den Christen ans Herz, was er damals seinen Schülern empfahl: Lest Bücher! Doch was gelesen wird, ist offenbar nicht so wichtig. Von Pflichtlektüre hält der Papst wenig, wie er schreibt. Konkrete Lektüretipps gibt er keine: «Jeder wird die Bücher finden, die sein eigenes Leben ansprechen und zu wahren Wegbegleitern werden.»
Das Wort, das Fleisch wurde. Das klingt entspannt. Vor allem für das Oberhaupt einer Kirche, die über Jahrhunderte einen Index verbotener Bücher führte, deren Lektüre den Ausschluss von den Sakramenten nach sich zog. Franziskus geht allerdings noch weiter. Ein gutes Buch, schreibt er, könne helfen, in Lebenskrisen zu Gelassenheit zu finden – selbst dann, «wenn es uns nicht einmal im Gebet gelingt, zur Ruhe zu kommen».
Lieber lesen als beten? Das sagt der Papst nicht. Aber er räumt ein, ein Buch sei manchmal wichtiger als ein Gebet. Das ist erstaunlich genug. Zwischen Verweisen auf Autoren wie Proust, T. S. Eliot, Paul Celan und Jorge Luis Borges kommt Franziskus dann freilich doch noch auf das zu sprechen, was ihn ganz besonders beschäftigt: das Wort, das Fleisch geworden ist.“