Wege aus der Konfrontation

Russland, die Ukraine und der Westen – Wege aus der Konfrontation, kurzfristig und auf längere Sicht. Von Andreas Zumach – ein bemerkenswerter Vortrag vor 2 Jahren.

Hans Högl:

Ich kenne Andreas Zumach von Friedenskonferenzen in Schlaining. Er war damals Korrespondenz für die TAZ.
Ich griff NUN nach seinem Buch „Die kommenden Kriege“. Darin findet sich kaum etwas über Russland, aber sehr viel Kritisches zur USA und Nato. Darum ist folgender Beitrag bemerkenswert, in dem er nicht nur eine Seite im Ukrainekrieg verantwortlich zeichnet und ferner Hintergründe glaubhaft aufzeigt.

Zumach: „Seit vielen Jahren eskalieren die Konflikte zwischen Russland und den 33 westlichen, in NATO und EU zusammengeschlossenen Staaten. Für die aktuelle und seit Ende des Kalten Krieges gefährlichste Zuspitzung, ist zweifelsohne die Regierung von Präsident Putin verantwortlich. Die massive Konzentration russischer Truppen und schwerer Waffen an den Grenzen zur Ukraine verbunden mit aggressiver Rhetorik aus Moskau wird verständlicher Weise als Bedrohung wahrgenommen. Nicht nur in Kiew, sondern vor allem auch in den osteuropäischen Mitgliedsstaaten von NATO und EU. Russische Politiker und Militärs beteuern zwar immer wieder, man plane „keinen Angriff auf ein Nachbarland“, sondern nehme lediglich „das souveräne Recht zu Militärmanövern auf dem eigenen Territorium“ wahr. Doch diese Beteuerungen sind angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 und der seitdem anhaltenden militärischen Unterstützung der Sezessionisten im Donbass nicht dazu angetan, die aktuellen Bedrohungsängste zu beruhigen.

Eine Deeskalation der aktuell zugespitzten Lage und die unbedingte Vermeidung kriegerischer Konflikte oberhalb des Niveaus der bisherigen militärischen Auseinandersetzungen im Donbas sollte für alle Beteiligten und politisch Verantwortlichen oberste Priorität haben. Diese dringend notwendige Deeskalation wird kaum möglich sein ohne einen zumindest weitgehenden Abzug der russischen Streitkräfte und Waffen aus den grenznahen Regionen zur Ukraine. Sollte die Regierung Putin diesen Schritt vollziehen, stehen danach allerdings die westlichen Staaten vor einer kaum weniger großen Herausforderung: sie müssten endlich das falsche westliche Narrativ aufgeben, wonach die Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau erst mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 begonnen habe.

Tatsächlich begann diese Verschlechterung mit der Ostausdehnung der NATO, die seit den 1990er Jahren vollzogen wurde – unter dem Bruch nachweislich gemachter Zusagen an Präsident Michail Gorbatschow sowie unter Irreführung seines Nachfolgers Boris Jelzin.1 Die bis dato rein westliche Militärallianz rechtfertigt(e) ihre bisherige sowie künftig geplante Ostausdehnung gerne mit „legitimen Sicherheitsinteressen“ ihrer Mitgliedsstaaten. Damit werden auch die militärischen Manöver der NATO in der Nähe zur russischen Grenze gerechtfertigt sowie die ständige Stationierung von 7.000 „rotierenden“ NATO-Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten. Russland wird der Anspruch auf „legitime Sicherheitsinteressen“ aber verwehrt.

Zugleich machen sich die westlichen Staaten sehr unglaubwürdig, wenn sie zwar Russlands Bestrebungen zur Ausweitung seiner Einflusssphären kritisieren, aber die mit der NATO-Osterweiterung vollzogene Ausweitung ihrer eigenen Einflusssphären unterschlagen oder schönreden, Nur wenn die westlichen Staaten diese Haltung aufgeben, ihre Mitverantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland anerkennen und daraus auch praktische politische Konsequenzen für die künftige Gestaltung dieser Beziehungen ziehen, besteht eine Chance, für deren dauerhafte Verbesserung und damit für Stabilität und Kooperation auf dem gemeinsamen eurasischen Kontinent.

Die Deeskalation des aktuell zugespitzten Konflikts wird erschwert durch die Unsicherheit über die Ziele, die Putin mit dem Truppenaufmarsch verfolgt. Eine großflächige Invasion der Ukraine ist zwar nicht völlig auszuschließen, gilt unter westlichen wie russischen – sowohl kremlnahen wie kremlkritischen – Analysten aber als das unwahrscheinlichste Szenario. Schon für eher möglich gehalten wird ein Versuch Russlands, den Donbas militärisch zu besetzen – mit der Rechtfertigung, die inzwischen über 400.000 mit russischen Pässen ausgestatteten Einwohner:innen dieser beiden ostukrainischen Provinzen vor einem Angriff der ukrainischen Regierungsstreitkräfte zu schützen – und diese Region dann ähnlich wie 2014 die Krim nach Russland einzugliedern. Darüber hinaus, so wird spekuliert, könnten die russischen Truppen dann den Nord-Krim-Wasserkanal bis zum Fluss Dnipro unter ihre Kontrolle bringen. Moskau könnte damit den chronischen Wassermangel auf der Krim beenden. Die ukrainische Regierung hatte die Wasserversorgung der Halbinsel nach der Annexion durch Russland gestoppt.

Oder glaubt Putin, er könne mit seiner militärischen Drohkulisse seine Forderungen und Vorschläge durchsetzen, die er Mitte Dezember der USA und der NATO in Form von zwei Vertragsentwürfen übermittelt hatte (keine Aufnahme der Ukraine und anderer ehemaliger Teilstaaten der UDSSR in die NATO; Verzicht auf die Stationierung und Nutzung von Truppen und militärischer Infrastruktur der USA in osteuropäischen NATO-Staaten etc.).

Was immer die Absicht Putins ist: seine Handlungen sind sehr stark innenpolitisch motiviert. Für seine Ukrainepolitik hatte der russische Präsident unter den russischen Bürger:innen in den ersten Jahren nach der Krim-Annexion noch die Unterstützung einer großen Mehrheit von bis zu 85 Prozent der Befragten. Doch diese Unterstützung bröckelt infolge der schlechten Wirtschaftslage und Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, des Missmanagements in der Coronapandemie sowie der zunehmenden Repression gegen Regierungskritiker. Die Zuspitzung eines außenpolitischen Konflikts verbunden mit dem Schüren nationalistischer Gefühle ist ein Versuch, das Volk wieder hinter der Regierung zu vereinen und Dissidenz zu unterbinden.

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist zwar nicht sicher. Doch auf jeden Fall sollte der Westen mit Maßnahmen und Vorschlägen reagieren, die Putin einen Rückzug der Streitkräfte von der ukrainischen Grenze unter Gesichtswahrung ermöglichen. Der Verzicht der NATO auf die 2008 in Aussicht gestellte Aufnahme der Ukraine wäre in all den Jahren seit der Krim-Annexion und noch bis vor kurzem eines der wichtigsten Signale des Westens an Moskau gewesen, um die negative Dynamik in den beiderseitigen Beziehungen umzukehren.

Dass die „Ukraine als souveräner Staat das Recht hat, sich frei für ein Bündnis zu entscheiden“, ist zwar völkerrechtlich und formal völlig richtig. Aber genauso hätten die ebenfalls souveränen Mitgliedsstaaten der NATO das Recht, aus Gründen der politischen Klugheit gegen eine Mitgliedschaft der NATO zu entscheiden. Nachdem allerdings Putin die entsprechende Forderung im Dezember offiziell und schriftlich vorgelegt hat, scheint ihre Erfüllung zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für die NATO auch aus Gründen ihrer Gesichtswahrung nicht möglich. Die Forderung bleibt dennoch richtig.

Doch auf Verhandlungen zu einigen der rüstungskontrollpolitischen Forderungen und Vorschlägen in Putins Vertragsentwürfen sollten die NATO-Staaten sich jetzt einlassen – und dabei natürlich auch reziproke Schritte Russlands einfordern. Darunter die Beendigung der militärischen Unterstützung der Sezessionisten im Donbas, den Verzicht auf die Stationierung von Mittelstreckenraketen oder den Rückzug der Truppen aus den beiden von Georgien abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien.

Entspannung, Verhandlungen und Kooperation zwischen dem Westen und Russland sind aber nicht nur in den militärischen Bereichen der Sicherheitspolitik dringend erforderlich, sondern auch in der Energiepolitik. Es liegt im herausragenden gemeinsamen Interesse aller Menschen auf dem eurasischen Kontinent – und darüber hinaus -, dass die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden. Dieses Ziel wird aber krachend verfehlt werden, wenn Russland und seine Volkswirtschaft in der derzeitigen Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern Öl und Gas verbleiben. Deutschland und seine EU-Partner sollten daher alle nur erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um Russland bei der Diversifizierung seiner Volkswirtschaft und der schrittweisen Befreiung aus dieser fatalen Abhängigkeit zu unterstützen. In diesem Kontext könnte die umstrittene Nordstream-2-Pipeline vom Zankapfel zu einem Kooperationsprojekt werden, in dem die EU-Länder Russland die notwendigen Technologien zur Erzeugung von Wasserstoff mit Hilfe von Solar- und Windenergie zur Verfügung stellen und anstelle von Gas dann dieser Wasserstoff durch die Pipeline geliefert wird. Den richtigen Vorschlag für ein gemeinsames Wasserstoffprojekt, den Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Kiew gemacht hat, hätte sie auch in Moskau unterbreiten sollen.“

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