Archiv der Kategorie: Gastbeiträge

Verhaltene mediale Kritik

Laut Bibel sollten wir eigentlich das Salz der Erde sein. Aber unsere Medien bevorzugen anscheinend salzlose Kost.

Wolfgang Koppler *

Da können sich viele Menschen am freien Markt keine Wohnung mehr leisten, Ausmietfirmen treiben ihr Unwesen, der Klimawandel wird nur halbherzig bekämpft und der globale Süden stöhnt angesichts des Ukrainekriegs unter der Last stark gestiegener Lebensmittelpreise, während Israel trotz Protesten seinen Gazakrieg unerbittlich vorantreibt. Die mediale Kritik dazu fällt äußerst verhalten aus.

Und welche Meldungen dominieren derzeit im Internet, worüber sorgt sich unser Journalismus? Dass Unbekannte ein 1,20 m tiefes Loch in Schäubles letzte Ruhestätte gegraben haben. Sogar der deutsche Staatsschutz wurde eingeschaltet, wie sogar Qualitätsmedien wie FAZ und Standard zu berichten wissen.
Aber man kann es genauso gut in Gratiszeitungen wie OE24 nachlesen.

Wozu brauchen wir eigentlich noch Qualitätsjournalismus? Als Baldrian der Erde?

Kein Wunder, wenn die Leser in die sozialen Medien abwandern und sich gegenseitig aufhetzen. Aber nicht einmal Kritik an den sozialen Medien und dem schrankenlosen Gewinnstreben der Internetgiganten scheint mehr möglich. Macht nichts, man kann sich immerhin noch für eine Erhöhung der Presseförderung einsetzen. Ob das unsere Printmedien retten wird ?

Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien

Offener Brief an die Ö1-Information

Der ORF wäre verpflichtet, auch in der außenpolitischen Berichterstattung auf Ausgewogenheit und Differenzierung Bedacht zu nehmen. Wenn es ums Thema Ukrainekrieg geht, gelingen diese Vorgaben nur selten. Eines der Beispiele dafür ist ein Beitrag mit besonderer Schlagseite von Markus Müller jüngst im Ö1-Mittagsjournal, Gegenstand des folgenden offenen Briefes an die Ö1-Information:

An die Redaktion des Radiosenders Ö1

von Sylvia Stuckenberg *

ORF-Redakteur Markus Müller-Schinwald beschuldigt den Neutralitätsforscher Pascal Lottaz im Mittagsjournal von Ö1 vom 19.4.2024 Kreml-Propaganda zu betreiben. Als Grund werden dessen Äußerungen zu den Friedensverhandlungen im März 2022 in Istanbul herangezogen. Lottaz sagt, dass die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vom Westen torpediert worden seien.
Und das sei der Beweis, dass er im Dienste Moskaus stünde, so der Journalist.

Schauen wir uns das einmal genauer an. Als Vermittler bei den Friedensverhandlungen in Istanbul traten Erdogan (türkischer Staatspräsident), Bennett (damaliger israelischer Premierminister) und Gerhard Schröder (ehemaliger deutscher Bundeskanzler) auf. Alle drei waren sich am Ende der Verhandlungen einig, dass die russischen und die ukrainischen Unterhändler einer umfassenden Friedenslösung sehr Nahe gekommen waren.

Die Ukraine würde einem Neutralitätsstatus zustimmen und auf eine Aufnahme in die Nato verzichten und im Gegenzug dafür Sicherheitsgarantien von einem wesentlichen Teil der westlichen Staaten ( sogenannte Garantiestaaten) erhalten. Und Russland erklärte sich bereit die Integrität der Ukraine mit Ausnahme der Krim zu gewährleisten. Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit, Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.
Bennett weiter: …die Ukrainer haben den Frieden nicht vereinbart, weil sie es nicht durften. Die mussten bei allem, was sie berieten, erst bei den Amerikanern nachfragen. Auch Mevlüt Cavusoglu , damaliger türkischer Außenminister, äußerte sich in ähnlicher Weise. In einem Interview mit der CNN Türk am 20.4.2022 sagte er:“ Einige Nato Staaten wollten, dass der Ukraine Krieg weitergeht, um Russland zu schwächen.“

Im Rahmen der Verhandlungen wurde von der ukrainischen Delegation am 29. März 2022 ein Positionspapier vorgelegt, das zum Istanbuler Kommunique wurde. Die ukrainischen Vorschläge wurden von der russischen Seite in einem Vertragsentwurf umgesetzt. Michael von der Schulenburg, der ehemalige UN Assistant Secretary-General (ASG) in UN Friedensmissionen schreibt, dass “die Nato bereits am 24.März 2022 auf einem Sondergipfel beschlossen hätte, diese Friedensverhandlungen (zwischen der Ukraine und Russland) nicht zu unterstützen“. Nach von der Schulenburg hatte es sich bei den russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen um eine historisch einmalige Besonderheit gehandelt, die nur dadurch möglich war, weil sich Russen und Ukrainer gut kennen und die „gleiche Sprache sprechen“

Die Washington Post berichtet am 5.4., dass in der Nato die Fortsetzung des Krieges gegenüber einem Waffenstillstand und einer Verhandlungslösung bevorzugt wird:“ Für einige in der Nato ist es besser, wenn die Ukraine weiterkämpfen und sterben als einen Frieden zu erreichen, der zu früh kommt oder zu einem zu hohen Preis für Kiew und das übrige Europa“ Selenskyj solle“ so lange weiterkämpfen, bis Russland vollständig besiegt ist“.

Am 9.4. traf Boris Johnson unerwartet in Kiew ein und wies laut dem britischen Guardian vom 28.4. den ukrainischen Präsidenten Selenskyj an „keine Zugeständnisse an Putin zu machen“ Er brachte die Botschaft mit nach Kiew, dass selbst, wenn Selenskyj bereit wäre gegen Sicherheitsgarantien eine Verhandlungslösung mit Russland zu finden, es der Westen nicht ist!

Auch die NZZ meldet am 12.4., dass die britische Regierung unter Johnson auf einen militärischen Sieg der Ukraine setzt. Der Guardian Kolumnist Simon Jenkins warnte, dass „Liz Trust riskiert, den Krieg in der Ukraine für ihre eigenen Ambitionen anzufachen“

Die US Zeitschrift Responsible Statecraft zitiert die Zeitschrift „Foreign Affairs“: diese schreibt am 2.9.22:“ Laut mehreren ehemaligen hochrangigen US-Beamten, mit denen wir gesprochen haben, schienen sich russische und ukrainische Unterhändler im März 2022 auf die Umrisse einer vorläufigen Zwischenlösung geeinigt zu haben……..aber der Westen ist nicht zu einem Ende des Krieges bereit.“

Eine tragfähige Lösung von beiden Seiten, Ukraine und Russland, ein ausverhandelter Vertragsentwurf war finalisiert und im letzten Augenblick von den USA und Großbritannien torpediert worden. Alle anwesenden Diplomaten berichten über diesen Verlauf.

Wie kommt nun Herr Müller-Schinwald dazu, diese Darstellung als russische Propaganda zu bezeichnen? Hat er nur nicht sorgfältig recherchiert oder steht eine Absicht dahinter?

Sehr erstaunlich ist die Tatsache, dass Herr Müller-Schinwald als einzige Referenz für seine Behauptung ein Mitglied einer Nato-Denkfabrik zitiert. Herr Kalensky vom Zentrum für hybride Bedrohung diskreditiert Herrn Pascal Lottaz. Diese Zentren werden auch als Exzellenzzentren bezeichnet. Sie wurden 2003 von der Nato als zivile Einrichten für Schulungen u.a. gegründet. Bis heute gibt es 26 solcher Zentren, die auch eine Einbindung von nicht Nato-Staaten vorsehen. Es ist die einzige Nato/EU Institution. Das Konstrukt ist sehr undurchsichtig, wäre es aber Wert, genau beleuchtet zu werden.

Ich denke seriöser Journalismus sieht anders aus. In kürzester Zeit hätte Herr Müller-Schinwald unendlich viele Quellen aus der ganzen Welt zusammentragen können und damit die Aussage von Pascal Lottaz bestätigen können. Aber es muss wohl die Frage gestellt werden, warum gerade jetzt ein seriöser Neutralitätsforscher als russischer Spion „enttarnt“ wird, oder bestenfalls wie Herr Müller Schinwald meint als „nützlicher Idiot“ einzustufen sei.

Als öffentlich rechtlicher Rundfunk sind Sie verpflichtet mit Sorgfalt und ausgewogen zu berichten. Im übrigen gebietet dies auch die journalistische Ethik.

Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Wenn ich als Ärztin mit einer Problemstellung überfordert bin, wird der Patient an einen Fachkollegen zugewiesen. Da fange ich nicht an herumzupfuschen. Das gilt auch für den Journalismus. Auch dort werden mit solch unprofessionellen Berichten Existenzen aufs Spiel gesetzt.

* Dr. Sylvia Stuckenberg ist Journalistin und Medizinerin und lebt in Lochau in Vorarlberg. Zitate in ihrem offenen Brief stammen aus der Berliner Zeitung, vornehmlich aus der Analyse „Wie die Chance für eine Friedensregelung vertan wurde“ (erschienen 19.11.2023).

Durch Mainstream reduzierter Diskurs?

Die jüngste ORF-Diskussion „Im Zentrum“ trug den Titel: Verwirrt, frustriert, resigniert – Warum noch wählen?

Wolfgang Koppler *

Ein bisschen beklemmend wirkte der zugeschaltete Beitrag zu Beginn der Sendung, in dem man unsere Spitzenpolitiker von Maurer über Edtstadler bis Nehammer auf TikTok in den dort üblichen Posen und mit kurzen Slogans bewundern konnte. Diskussionsteilnehmer Prof. Filzmaier erklärte das schlüssig damit, dass man zunächst mit den potentiellen Wählern (in diesem Fall Jugendliche) dort Kontakt aufnehmen müsste, wo sie sich meist aufhalten bzw. erreichbar sind. Das könne aber nur ein erster Schritt sein. Dann müssten weitere folgen, um Inhalte nahezubringen und einen Diskurs zu führen, Interesse zu wecken.

Die anwesenden Jugendpolitiker sahen das naturgemäß etwas weniger realistisch. Sie beklagten etwa den durch den Mainstream eingeschränkten Diskurs (was interessanterweise von manchen Populisten brachial ausgenutzt wird, indem diese nur mehr auf Emotionen und nicht auf Sachargumente setzen, sodass allzu viel political correctness zum Gegenteil dessen führt, was sie beabsichtigt),sie beklagten aber auch die eingeschränkten Möglichkeiten der Politik durch vorgegebene rechtliche und wirtschaftliche Erfordernisse.

Und hier hätte es interessant werden können. In der unmittelbar vorangegangenen ZiB2 kam zumindest im Rahmen eines kurzen Straßeninterviews der EU-Spitzenkandidat der KPÖ, Hopfgartner, zu Wort. Neben dem Einsatz für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg will sich die KPÖ ja auch für leistbares Wohnen auch auf EU–Ebene einsetzen. Und da stellte er einen interessanten Vergleich an: Während die Wirtschaft jederzeit gegen Wettbewerbshindernisse vorgehe, also ihre „Rechte“ problemlos durchsetzen kann, stehen Grundrechte des Einzelnen meist nur auf dem Papier. Wie etwa das Recht auf Wohnen (auch wenn es sich nur in der UN-Menschenrechtsdeklaration vom 1948 findet).

Menschenwürde ist in unseren Gesellschaften offenbar ein Lippenbekenntnis und Menschenrechte werde oft als weit weniger bedeutsam erachtet als der freie Wettbewerb und das Recht auf weitgehend schrankenlosen Gewinn. Auch wenn das vielen Leuten vielleicht nicht so ganz bewusst ist. Ob es den Mangel an leistbarem Wohnraum (bei leerstehenden Bürobauten und Luxuseigentumswohnungen), die zugrunde gehenden Kleinunternehmer, den Klimawandel oder unseren Dreck an afrikanischen Küsten betrifft. An dem angeblich nur der Konsument schuld ist. Und nicht primär die schrankenlose und umweltschädigende Überproduktion. Sowie die ständige Expansion von Großunternehmen.

Und Menschen, die Derartiges hinterfragen, sind meist Miesmacher oder gefährliche Radikale. Oder werden zumindest schnell vom dringend erforderlichen Diskurs über unsere Werte ausgeschlossen.

Was vielleicht auch ein Grund für die vielen Nicht- und Protestwähler ist.

Und unsere Medien: Die beschäftigen sich mit so wichtigen Dingen, wie dem Schutz von Wölfen, die längst keine gefährdete Tierart mehr sind. Wie die Coverstory des jüngsten Profil. Kein Wunder, wenn sich viele von Politik und Medien abwenden. Mit einer gesunden und freien Diskussionskultur könnte man vielleicht den einen oder die andere wiedergewinnen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Friedenswille sieht anders aus

In der ZiB 2 des ORF war vergangenen Mittwoch – wie schon so oft – erneut Bundesheer-Oberst Reisner zu Gast. Stellvertretend für die kleine Schar der immer selben Interviewpartner mit den einander immer wieder gleichenden Positionen zum Ukrainekrieg.

Wolfgang Koppler *

Nicht ganz überraschend hat auch der US-Senat nach langem Hin und Her das neue Unterstützungspaket für die Ukraine genehmigt. In der ZiB2 wurde in diesem Zusammenhang in einem Beitrag auch darauf verwiesen, dass Russland seine Waffenproduktion längst angekurbelt hätte und 29 % seines Budgets dafür ausgebe. Friedenswille sehe anders aus. Nur in Russland oder doch auch bei uns im Westen ?

Dann ein Interview Wolfs mit Oberst Reisner vom Bundesheer, welcher natürlich die neue Unterstützung für die in Bedrängnis geratene Ukraine begrüßte. Dann wurde von Wolf auf sein Interview von letzter Woche mit dem ehemaligen NATO-Generalsekretär „Stoltenberg“ verwiesen, der eine ähnliche Unterstützung des Westens bei der Luftabwehr der Ukraine gefordert hatte wie im Falle des iranischen Luftangriffs auf Israel. Die Verwechslung mit Stoltenberg lässt tief blicken: Der Name Rasmussen ist für viele doch noch mit seinem seltsamen Gebaren im Irakkrieg verbunden. Dass Wolf sich für die Verwechslung nicht entschuldigte, lässt zudem die Vermutung aufkommen, dass der Fauxpas vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt war.

Wirklich interessant wurde das Gespräch am Ende. Da fragte Wolf doch tatsächlich nach einem „Ausstiegsszenario“, zumal weder eine Eroberung der Ukraine durch Russland noch ein totaler Sieg der Ukraine zu erwarten sei. Reisner sah drei Möglichkeiten, wobei er einen Waffenstillstand a la Nordkorea bzw. „Diktatfrieden“ offenbar für am wahrscheinlichsten hielt (wenngleich er das nicht offen aussprach) – mit einer Waffenstillstandslinie, die in etwa der heutigen Frontlinie entsprechen würde. Ein Ergebnis, das Ex-Bundespräsident Heinz Fischer in einer ORF-Diskussion schon vor mehr als zwei Jahren für realistisch hielt.

Und dafür opfert man Hunderte Milliarden Dollar und einige hunderttausend Menschen, lässt Millionen hungern und den Globalen Süden links liegen? Pardon, gegen letzteren müssen mir ja auch noch aufrüsten, wie uns Reisner schon vor längerer Zeit im ORF erklärte. Statt endlich Verhandlungen mit Russland und parallel dazu Gespräche mit den BRICS-Staaten ins Auge zu fassen. Auf Augenhöhe und ohne Vorbedingungen.

Der Bankrott der westlichen Außenpolitik ist offensichtlich. Aber ohne permanente Feindbilder lässt sich unsere Gesellschaft anscheinend nicht mehr zusammenhalten. Ähnlich wie die russische. Oder sollte man nicht doch (mit etwas Selbstbescheidung) über gemeinsame Werte nachdenken? Statt überall nur Feinde zu sehen. Käme vielleicht billiger, ließe uns alle etwas leichter überleben und die echten Probleme angehen.

Und die Russen, der Iran, China, die Islamisten, die Rechten, die Kommunisten, die Fundamentalisten usw. würden uns dann vielleicht gar nicht mehr so gefährlich vorkommen. Weil auch auf der jeweils „anderen“ Seite“ nicht nur Verrückte und Teufel sitzen. Sondern des Öfteren nur übertrieben emotionalisierte und sich selbst belügende Menschen. Wie wir selbst.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

NATO-Propaganda im ORF

In der jüngsten ZiB2 des ORF war der umstrittene ehemalige NATO-Chef Rasmussen zu Gast. Allzu kritische Fragen brauchte er sich nicht gefallen lassen. So konnte er seine Kriegsrhetorik weitgehend ungebremst verbreiten.

Wolfgang Koppler *

Dass der ORF den ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen zu einem Interview ins ZiB2-Studio einlud, ließ schon angesichts der Vergangenheit Rasmussens Schlimmes befürchten. Als dänischer Ministerpräsident hatte er eine Teilnahme eines dänischen Kontingents am Irakkrieg befürwortet und zudem – trotz offenbar gegenteiliger Geheimdienstberichte – das Vorhandensein irakischer Massenvernichtungswaffen behauptet. Was etwa Tony Blair das Amt kostete. Man kann dies alles problemlos den seinerzeitigen Medienberichten entnehmen. In der ZiB2 wurde nur erwähnt, dass Rasmussen die ukrainische Regierung berät..

Das gestrige von Armin Wolf geführte Interview mit Rasmussen übertraf allerdings auch die Erwartungen von an immer mehr zugespitzter Kriegsrhetorik bereits gewöhnten Zusehern. Da wurde die erfolgreiche Abwehr des iranischen Drohnenangriffs auf Israel mit Unterstützung Großbritanniens und der USA zum Anlass genommen, ein entsprechendes Eingreifen des Westens auch in der Ukraine zu fordern. Wolf fragte zwar nach, ob dies nicht zu einer weiteren Eskalation und zu einer direkten Konfrontation NATO-Russland führen könne, verließ sich aber dann auf Rasmussens substanzlose Bestreitung einer derartigen Gefahr.

Auch eine Einladung zu einem NATO-Beitritt der Ukraine wurde von Rasmussen befürwortet, weil alles andere Putin nur zu einer Weiterführung des Krieges verlocken würde. Auch wenn Rasmussen nur von „Einladung“ sprach, klang es für einen unbefangenen Zuseher sogar danach, als ob die Ukraine schon während des Krieges beitreten sollte. Was gegen den Nordatlantikvertrag verstoßen und schon per se zu einer unmittelbaren Konfrontation führen würde. Was Wolf zwar erwähnte, sich aber auch hier mit einer substanzlosen Bestreitung Rasmussens begnügte. Gefordert wurde natürlich auch noch der Einsatz von Langstreckenwaffen und wurden die diesbezüglichen Bedenken von Deutschen und Amerikanern gerügt.

Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus kommen einem da in den Sinn. Was macht der Krieg aus den Menschen ?

Dass Rasmussen Macrons Ansicht, man solle auch den Einsatz von NATO-Bodentruppen nicht ausschließen, unterstützte, ist angesichts der obigen Äußerungen nur mehr selbstverständlich. Beängstigend, wenn die Industriellenvereinigung einen solchen Mann nach Wien einlädt. Noch beängstigender, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines neutralen Landes in einer solch aufgeheizten und gefährlichen weltpolitischen Situation diesem auch noch Gelegenheit biet, derart problematische und selbst in Brüssel und Washington umstrittene Ansichten zu propagieren.

Das gegenständliche ZiB2-Interview war jedenfalls das genaue Gegenteil von Deeskalation.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.

Ruf nach transformativem Journalismus

Die Politik ist gefordert, um die Existenz von Qualitätsmedien und deren Vielfalt zu gewährleisten.

Ilse Kleinschuster *

Am Tag der Pressefreiheit, am 3. Mai 2023, hat der FURCHE-Redakteur Otto Friedrich in seinem Artikel bedauert, dass es weder Plan noch Vision für den ORF gäbe. Das neue Gesetz zum ORF, das die Bundesregierung vorgelegt habe, sei mitnichten ein Produkt des Diskurses über Medien im Land, sondern es sei der Verfassungsgerichtshof gewesen, der eine Neuaufstellung der Finanzierung der größten Medienanstalt verlangte. Und vor kurzem lese ich da, wieder in der Furche, dass die Debatte über ORF-Spitzengehälter von den dringlichsten medienpolitischen Aufgaben ablenke. Ja sicher, diesbezüglich seien wohl vor allem Interessen vonseiten der Politik ein grundlegender Faktor für die Problematik einer Reform hin zu politisch unabhängigen Medien – speziell das Interesse der Regierung am öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Bald jährt sich wieder der Welttag der Pressefreiheit!

Unabhängige und freie demokratische Länder sollen die Öffentlichkeit unabhängig und zutreffend über aktuelle Entwicklungen informieren, Missstände aufzeigen und durch Kritik und vielfältige Diskussion zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Um diese erfüllen zu können, muss die Medienlandschaft eines Landes frei, vielfältig und unabhängig von wirtschaftlicher oder politischer Beeinflussung sein.

Tja, klar, die digitale Transformation wie sie die Medien aller Art zurzeit erleben und erleiden, würden eine politische wie gesellschaftliche Diskussion der Sonderklasse verlangen. Denn Medienbetreiber müssen existieren und JournalistInnen von etwas leben können. Weil jedoch klassische Erlösmodelle weggebrochen sind – die Werbung von den internationalen Technologiegiganten abgesaugt wird – bleiben Alternativen im demokratischen Graubereich.

Es soll z.B. das neue Gesetz zum ORF, das die Bundesregierung vorgelegt hat, mitnichten ein Produkt des Diskurses über Medien im Land gewesen sein, sondern es wurde erzwungen aufgrund der Forderung des Verfassungsgerichtshofs nach einer Neuaufstellung der Finanzierung der größten Medienanstalt. Erst, weil etwas zu reparieren war, handelte die Regierung.

Tja, freie Meinungsäußerung ist wohl zentral für eine funktionierende kritische Öffentlichkeit.
Sie ist auch notwendig, wenn es darum geht, die UN-Menschenrechte zu verteidigen oder sich für eine gerechte und vernünftige Gesetzgebung in einer gewaltenteilenden, rechtsstaatlichen Demokratie einzusetzen. Erst wenn wir das erreicht haben, werden wir von einem Fortschritt der Menschheit reden können.

Es gibt seit vielen Jahren die Forderung der UNO nach nachhaltiger Entwicklung und es gibt auch einen globalen Plan, wie klimafreundliches Handeln (die ‚Große Transformation‘) zur Regel werden könnte (https://unric.org/de/17ziele/), aber nur sehr zögerlich finden sich die Mainstream-Medien bereit, darüber konstruktiv zu berichten.

Schon seit vielen Jahren wird von kompetenten Leuten „Transformativer Journalismus“ eingefordert. Als engagierte Umwelt- und Klimaaktivistin treibt mich das Thema um, weil ich glaube, dass klimafreundliches Handeln erst zur Regel werden kann, wenn Medienförderung an die Einhaltung ethischer Grundsätze gebunden wird.

Appell für Nachwuchsausbildung im Bereich transformativer Journalismus!

Es ist jetzt schon wieder 5 Jahre her, dass ich in der „Wiener Zeitung“ gelesen habe, dass sie zusammen mit dem Kuratorium für Journalistenausbildung Praktikantinnen und Praktikanten in journalistischen Grundlagen geschult hat. In ihrem Ausbildungsprogramm werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Profis in den Grundelementen des journalistischen Handwerkzeugs unterrichtet. Dazu vergab die Wiener Zeitung Praktikumstellen in ihren Ressorts (www.kfj.at/kooperationen-events/journalismuslernen). So weit, so gut! Aber, wie wird das heute gehandhabt? Ich fürchte, es gibt da wieder eine Bezahlschranke. Traurig, wo es doch vor allem junge, oft noch mittellose Menschen betrifft, die sich vielfach bereits als die „letzte Generation“ gerieren. Sie schreiben auch gegen die Verhältnisse an, aber zumeist in einschlägigen Medien. Ich frage daher, sollte nicht gerade diese Generation journalistisch ausgebildet und für die drängenden Fragen der Zukunft fit gemacht werden?

Mein Vorschlag: Strukturen schaffen, in denen eine Kooperation mit diversen Initiativen im NGO-Bereich, die es bereits aus ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement heraus zu einem gewissen Expertentum gebracht haben, niedrigschwellig möglich sind. Freiwillige aus den Reihen der initiativen Zivilgesellschaft könnten dort ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben, was, hopefully, in einer Art Bürger-Journalismus münden würde. Nach und nach könnten Bürgerinnen und Bürger zu „Meistern“ werden, die in „Werkstätten“ (seinerzeit nannte ich die Wiener Zeitung als eine mögliche) eine Art Praktikantenausbildung zur Verfügung stellen. Ich dachte, das wäre ein nicht zu unterschätzender Ansatz, um endlich Bürgerbeteiligung aus der Wissenschaft in die Medienwelt zu übertragen: Theorie- und Praxisgruppen zusammenzuführen, Medienentwickler, Netzwerker und Campaigner auf der Theorie-Seite und Neu-Journalisten in der Praxis. Sozusagen, eine Werkstatt für Transformation, die sich um transformativen Journalismus kümmert. Dazu braucht es nur noch einen Kümmerer, sozusagen einen Redakteur, bzw. ein Redaktionsteam!

Darüber hinaus ginge es darum, gemeinsam mit Nachhaltigkeits-Expert*innen und relevanten Vertretern aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft dieses Know-how aus der Vielfalt von Pilotprojekten für ein internationales Roll-out verfügbar zu machen. Denn: Spätestens mit der Umsetzung der NFI-Richtlinie in Österreich hat sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht nur als Pflicht großer Unternehmen etabliert, sondern findet auch als Kür kleinerer und mittlerer Unternehmen immer weitere Verbreitung. Wenn nun aber dabei bereits auch internationale Regelwerke wie das der Global Reporting Initiative (GRI) angewendet werden, so bleibt der Beitrag zu echter Nachhaltigkeit immer noch verschwindend gering. Unternehmen/Organisationen, die sich strengen Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet fühlen, fällt es immer schwerer, sich von der Masse der „berichtenden“ Unternehmen abzuheben. Zählen und erzählen im Sinne der demokratischen Transformation wären dafür die richtigen Kommunikationsinstrumente.

Diese Ideen stammen aus dem Konzept der Cooppa-Genossenschaft https://cooppa.at/ die nach fünf jährigem Bestehen wahrscheinlich, mangels Finanzierbarkeit, bald zu Grabe getragen werden muss.

* Gastautorin Ilse Kleinschuster engagiert sich in mehreren Bereichen der Zivilgesellschaft

Lob für Universum History

„Universum History“ ist eine lobenswerte Programmserie des ORF. Sie erfüllt vorbildlich den öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag des Unternehmens. Das belegt auch die jüngste Ausgabe der Sendereihe.

Wolfgang Koppler *

Es war jüngst ein besonders interessantes ORF-Universum History über die Geschichte der Kindheit, beginnend mit den alten Ägyptern, der Zeit der Griechen und Römer (mit Abstechern zu den Kelten) über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis zur Aufklärung und natürlich endend mit der Gegenwart und ihren immer neuen Erziehungskonzepten.

Interessant waren für mich in diesem Zusammenhang vor allem die von uns Europäern ja immer als Ursprung aller Weisheit betrachteten Griechen. Dass diese behinderte und ungewollte Kinder aussetzten, war mir schon bekannt. Dass sie sie manchmal in einen Abgrund warfen, überraschte mich ebenfalls nicht. Aber dass der als Ursprung unseres wissenschaftlich-rationalen Denkens angesehene Aristoteles die Aussetzung und Tötung verkrüppelter oder sonst wie unbrauchbarer Kinder explizit befürwortete, war auch für mich neu. Und sollte zu denken geben. Auch die Römer orientierten sich hier am griechischen Vorbild und überließen dem pater familias die Entscheidung über die Annahme eines Kindes (das bei den Römern wenigstens gelegentlich nur vor den Stufen eines Tempels abgelegt und nicht immer umgebracht wurde). In der gegenständlichen Doku wurden dann natürlich sofort wieder die Leistungen der alten Griechen, etwa in Sachen Demokratie und Philosophie hervorgehoben.

Das ändert aber nichts daran, dass der von uns Europäern immer so hochgelobte antike „Humanismus“ nichts mit Menschenwürde zu tun hat. Wie auch die antike Sklaverei (Versachlichung des Menschen), Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen und andere Grausamkeiten zeigen. Und die Tatsache, dass die Kindstötung erst unter Konstantin und dem Einfluss des Christentums verboten wurde, wie in der Doku auch korrekt ausgeführt wurde. Bei allen theologischen Irrwegen und allem Pharisäertum insbesondere in der Amtskirche kann man diesen urchristlichen Aspekt nicht ganz beiseiteschieben.

Das griechisch-römische Denken war und ist nämlich kalt und rational und versucht den Menschen bis zum heutigen Tag als reines Vernunftwesen zu sehen. Was er nicht ist und nie werden wird. Deshalb versuchen ja Intellektuelle gelegentlich für ihre Vorurteile und sehr oft auch nur für ihren Opportunismus rationale Begründungen zu finden. Und tarnen dies als geistige Überlegenheit. Statt sich selbst zu hinterfragen

Genau das hat mir in der ansonsten hochinteressanten Doku gefehlt: Das Hinterfragen des selbstgefälligen europäischen Intellektuellentums (was vielleicht auch erklärt hätte, warum der in Erziehungsfragen so bewanderte Rousseau seine fünf Kinder allesamt in ein Heim steckte): Bei allem naturwissenschaftlichen Fortschritt sind wir nämlich menschlich zurückgeblieben. Vor allem hinter den – in der Doku mehr als Klassengesellschaft dargestellten – Ägyptern (waren das Griechen und Römer nicht auch?), die – soweit ersichtlich- keine Kinder aussetzten, Behinderte in die Gesellschaft integrierten und deren Göttin maat am Ende des Lebens das Herz gegen eine Feder abwog. Kein Wunder, dass selbst die Bibel von der „Weisheit Ägyptens“ spricht. Also endlich raus aus der europäischen Selbstgefälligkeit!

https://www.spektrum.de/magazin/mumien-kindheit-im-pharaonenreich/1586246

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist. Er lebt in Wien.

NATO-Einheitsberichterstattung

Die veröffentlichte Meinung zeigt ein fast ausnahmslos positives Bild der NATO. Ungeachtet des durchaus kritikwürdigen Umstands, dass das westliche Militärbündnis mehr denn je mit Kriegsrhetorik provoziert.

Wolfgang Koppler *

Ukraine als NATO-Mitglied ? „Die Frage ist nicht ob, sondern wann“ titelt der Kurier in seiner heutigen Online-Ausgabe. Kat.at zitiert ebenfalls Stoltenberg, aber etwa zurückhaltender: „Ukraine wird NATO-Mitglied“. Und die Gratiszeitung „Heute“ übersetzt dieselbe Aussage für den Boulevard: „Hammer-Ansage an Putin ! Ukraine wird NATO-Mitglied“. Raphaela Schaidreiter sieht in der heutigen ZiB1– anlässlich des NATO-Außenministertreffens – in der Unterstützung der Ukraine einen „Härtetest“ für die NATO. Und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk erntet keinerlei medialen Widerspruch, als er eine neue „Vorkriegszeit“ konstatiert – wohl eher ernst als besorgt. Heute titelt geradezu begeistert: „Neue Vorkriegszeit? NATO-Land legt alle Karten offen.“ Zumindest Russland-Experte Mangott darf in einem anderen Blatt noch ein bisschen relativieren.

Eigentlich könnte man unsere Medien – zumindest was den Ukrainekrieg betrifft – durch einen europaweiten Brüsseler Anzeiger ersetzen. Den Rest erledigt dann ein Übersetzungsprogramm. Da könnte man viele Journalisten einsparen. Wozu brauchen wir eigentlich Pressefreiheit bei einer derartig unkritischen Einheitsberichterstattung ?.

Irgendwie kommt mir Nordkorea in den Sinn. Wie geht doch schnell das Lied auf den dortigen Staatsgründer ? Kim Il Sung, unsre große Sonne… oder so ähnlich. Ist gar nicht so weit vom selbstgefälligen Jubel in unserer Europahymne entfernt, für die Beethoven herhalten musste. Freude, schöner Götterfunken…

Wem dieser Vergleich überspitzt erscheint, der möge sich die westliche Ukrainekriegsberichterstattung noch einmal ansehen. Oder seinen Chefredakteur mit einem kritischeren Artikel herausfordern…

Nestroy ist offenbar nach wie vor gültig. Auch in Demokratien. Wie heißt es in Judith und Holofernes ? Und weil er uns sonst niederhaut, drum preisen wir ihn alle laut (Anm: Den oder die Herrschenden).

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Kriegerische Schlafwandler

Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.

Fritz Edlinger *

Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:

„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).

„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).

Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.

So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.

Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten

Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.

Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.

Links:

Gehen auch wir schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg?

https://www.aljazeera.com/news/2024/3/26/will-the-un-ceasefire-resolution-stop-israels-war-on-gaza

* Gastautor Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL www.international.or.at

Wohnen als Reizthema

Politik und Medien haben das Reizthema „Leistbares Wohnen“ bisher weitgehend ausgeklammert. Angesichts der Wahlerfolge der KPÖ findet diese Causa nun aber mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Wolfgang Koppler *

Leistbares Wohnen, ein Thema, das bis jetzt eigentlich fast nur die KPÖ aufgegriffen hat. Es ist von anderen Parteien schlichtweg verschlafen worden. In Wien etwa hat sich die Wohnbauleistung trotz Zuzugs von 2021 bis 2023 von 16000 auf 9000 Wohnungen reduziert. Auch der soziale Wohnbau ging zurück. Und der Bau von Gemeindewohnungen hat offenbar überhaupt nur mehr symbolische Bedeutung, während Hunderte Millionen in Straßenverschönerungen, Musiktheater und Museumsbauten gesteckt werden.

Auch die Medien haben dieses Thema mehr oder weniger ignoriert. Erst die dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt – nicht nur in Österreich – und die Erfolge der KPÖ in Salzburg und Graz scheinen einigen Journalisten bewusst gemacht zu haben, dass es Menschen gibt, die auf eine Mietwohnung angewiesen sind. Und die sich eine Eigentumswohnung schlicht nicht leisten können. Oder den Kredit für den Eigenheimbau (der zudem zur Zersiedelung beiträgt). Unangenehm, dass man sich gelegentlich mit den Bedürfnissen des „Pöbels“ (laut Thomas Schmid) auseinandersetzen muss. Aber unter den Medienkonsumenten und Wählern finden sich halt leider auch viele solcher Menschen außerhalb der Seitenblicke-Gesellschaft. Menschen, die man doch nicht gänzlich ignorieren kann.

Immerhin, der ORF hat jetzt das Grundbedürfnis Wohnen entdeckt. Zunächst in der ersten Folge seines neuen Magazins „Weltweit“. Und nun sogar als Diskussionsthema in der jüngsten Ausgabe von „Im Zentrum“. Da war von wahrhaft erstaunlichen Zahlen die Rede. So sprach die Diskutantin Katharina Rogenhofer von 650.000 leerstehenden Wohneinheiten in Österreich. Was Jan Kluge vom neoliberalen Institut Agenda Austria prompt zu bagatellisieren suchte. Das seien großteils zeitweise Leerstände. Und im Übrigen rentiere sich halt das Vermieten zu wenig. Weil zu viel in den Markt eingegriffen würde.

Dass es im freifinanzierten Neubau (und dazu zählen immerhin Gebäude, die nach dem 30.6.1953 errichtet wurden) keinerlei Mietzinsbeschränkungen gibt, wurde nicht erwähnt. Ebenso wenig etwa, dass in den letzten Jahrzehnten von den privaten Bauträgern ein gewaltiges Überangebot von Büroflächen geschaffen wurde. Weil diese billig zu errichten sind und scheinbar noch mehr Mietertrag bringen. Wenn man sich einredet, sie doch noch anbringen zu können. Tatsächlich besteht schon seit langem kein Bedarf mehr und werden Büros zurückgegeben. Ein Umdenken bei den privaten Bauträgern hat aber nicht eingesetzt. Der Markt wird – nicht nur in diesem Bereich – von unvernünftiger Gier bestimmt. Nicht nur im Fall Benko.

Aber unverständig ist ja nur der Pöbel…

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien