Archiv der Kategorie: Medien und Bildung / Religion

Streit um Klimawandel

Die Klimafrage berührt existentiell den Menschen. Darum sieht das deutsche Verfassungsgericht in der Lösung der Klimafrage ein Staatsziel. Die Kipp-Punkte des Klimawandels greift u.a. das Buch von Axel Bojanowski auf (2024): „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Der Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft“ – Neu-Isenburg (Westend Verlag).

Hans Högl

Besonders zentral sind die Kapitel 41/42. Für den Autor ist der Klimawandel real, er weist aber auf Grenzen der Meteorologie hin. Es geht um die Frage, ob der Temperaturanstieg auf der Erde zu einer Katastrophe führt und zwar, wenn es vorher zu unwiderruflichen Kipp-Punkten durch Temperaturanstieg kommt (S. 264).

Das Pariser Klimaabkommen (2015) forderte eine 1,5-Grad-Grenze für die Erderwärmung. Diese Forderung und Passage gelangte am Morgen des letzten Konferenz-Tages in Paris in den Text. Wie – weiß man nicht. Es meldete BBC: Verhandler der Marshallinseln hatten die 1,5 Marke gefordert, um am Leben zu bleiben und wollten die Industrieländer zum Klimaschutz verpflichten. Doch Chinesen, Saudis und Argentinier waren gegen die 1,5 Marke. Der IPCC, der UN-Weltklimarat, sah ungenügende Evidenz für die Forderung. Ebenso viele Experten ( vgl. S. 265). Doch die Klimaaktivisten konnten plakatieren: „Wir sind die letzte Generation vor den Kipp-Punkten“ .

Der IPCC-Chef erklärte: Die Europäer belasten sich mit einer unerfüllbaren Aufgabe. Auch französische Wissenschafter sahen in den 1,5 Grad ein „unmögliches Ziel“. Doch Tony Blair half schon 2005 beim G-8-Gipfel dem Thema auf die Sprünge, und 2004 hatte Hans Joachim Schellhuber in Stockholm vor dem Temperaturanstieg gewarnt- als Direktor des PIK. In der angesehenem Wissenschaftszeitschrift „Nature“ war man vorsichtiger, und sie verwendete das Stichwort „Perspektive“. Auch der Schweizer Klimatologe Thoma Stocker, Vorsitzender des 5.UN-Klimareports, warnte zur Vorsicht: „Die Klimawissenschaft weiß noch zu wenig über Klipp-Punkte, sagte er zur „ZEIT“ (Ende 2022)..

Doch der „Spiegel“ dramatisierte und schrieb: Es gibt „Ernteausfälle, Wüstenbildung, Wasserknappheit, Völkerwanderungen, Eisbären auf Schollen“. Von Wissenschaftszweifeln berichten Medien ungern – weder internationale Organisationen noch Politiker. Die Wissenschaft kennt Kipp-Punkte im Laufe von Milliarden Jahren auf der Erde (S. 272), doch heutige Modelle würden nicht ausreichen, dies für das Jetzt genau festzustellen. Aber das populärwissenschaftliche Wort „Kipp-Punkte“ war nicht mehr wegzubringen. Auch die UN0 nützt es.

Unsicherheiten sind für viele Medien Fremdworte. Doch der Publizist Stephan Ruß-Mohl erinnert an die Qualität des Buchautors. Dieser war Chefredakteur der angesehenen Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“, und Ruß-Mohl weiß, dass Medien anstelle von Erderwärmung und Klimawandel mit Vorzug von „Erderhitzung und Klimakatastrophe“ reden.

Ruß-Mohl gab seiner „Furche“- Rezension den Titel „Klima-Apokalypse als Medienereignis“, doch die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb wählte als Furche-Aufhänger „Geschickt in die Irre geführt“. Und sie unterstellt dem Buchautor Effekthascherei und eventuell „gezielte Desinformation“ .

Dieser Text zeigt, wie korrekt dieser Buchtext das Problem Kipp-Punkte darlegt und wie verkürzt dies in nicht wenigen Medien passiert. Lob verdient die Wiener Wochenzeitung „Die Furche“, da sie in der gleichen Nummer zwei unterschiedliche Buchrezensionen zu einem einzigen Buch brachte.

Nicht d i e Medien sind fehlerhaft, denn Wissenschaftsmagazine haben sorgfältig berichtet. Doch deren Auflage ist gering. Es stellt sich für Medien die Frage, inwiefern das Publikum unklare Aussagen aufnimmt und akzeptiert. Das Thema ist komplex: Ist etwas zu differenziert greifen Medien es nicht auf. Darum ist die öffentliche Sprechweise oft übertrieben.-Aber sollte nicht anders gefragt werden: Der Rückgang der Gletscher und andere Ereignisse belegen den Klimawandel, und ist es darum nicht pragmatisch und sinnvoll, jetzt alles zu tun, um diesen zu stoppen, anstelle Zweifel der Wissenschafter an den Kipp-Punkten darzulegen?

Westliche Meinungsfreiheit..

Mit der Meinungsfreiheit steht es auch im Westen nicht zum Besten. Inhaltlicher Mainstream in vielen Politikfeldern dominiert.

Wolfgang Koppler *

Jüngst in der ZiB 2 ist über die Verurteilung von Hongkonger Regimekritikern zu langen Haftstrafen berichtet worden, zudem über schwindende Meinungsfreiheit dort. Auch die chinesische Wirtschaftskrise würde die einst so florierende Stadt zunehmend erfassen.

Die Wirtschaftskrise erfasst wohl auch uns. Nur was die Meinungsfreiheit betrifft, macht es der Westen geschickter. Offiziell kann man zwar vieles sagen und schreiben, aber nicht in den wirklich relevanten Medien. Man darf sich dafür in irgendwelchen Blogs und in den sozialen Medien austoben oder am Stammtisch. Die wirklich maßgebenden Kreise können dann den so genannten Pöbel umso mehr tabuisieren. Notfalls fangen Protestparteien den Unmut auf, die – wenn sie einmal an der Macht sind, natürlich auch nichts ändern. Vor allem nichts am Neoliberalismus und in jenen Bereichen, die den Eliten wirklich am Herzen liegen: Wirtschafts- und Steuerpolitik. Damit sie weiterhin möglichst ungeniert ihren Wohlstand mehren können, auf Kosten von Mensch und Umwelt. Feindbilder kann man austauschen. Ob man sich an Putin oder an den Islamisten abarbeiten darf, ist nicht so wichtig, solange die unteren Schichten sich ablenken lassen. Von Korruption und unendlichem Gewinnstreben.

Meinungsmanipulation in den Medien und gesellschaftliche Ächtung sind weitaus wirksamer als Haftstrafen. Und Leser sind ja sowieso nur Vollidioten, wie der Herausgeber eines Qualitätsblattes vor längerer Zeit völlig ungeniert durchblicken ließ. Aber die Narzissten an der Macht sind weitaus gefährlicher als die Ohnmächtigen. Und letztere sind wenigstens gezwungen, sich von Zeit mit sich auseinander zusetzen, wenn sie von der Realität gebeutelt werden. Die Mächtigen nicht einmal dann, wenn sie pleite geben. Die gehen nach wie vor auf Kosten irgendwelcher Stiftungen auf die Jagd. In ihrem Anhang Politiker, die auch gerne so reich wären. Was für eine Gesellschaft.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Medien- und Politikanalyst und lebt in Wien

Wie Misstrauen begegnen

Empfehlung unseres Autors für Sascha Lobos Buch über die wachsende Vertrauenskrise und deren Bewältigung.

Hans Högl

Manche Infos gehen einem nicht aus dem Kopf; So ergeht es mir mit dem Buch von Sascha Lobo: „Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass“, Köln 2023. Umfang: 329 Seiten!

Walter Hämmerle, früher Chefr. der „Wiener Zeitung“, nun in der „Kleinen Zeitung“ tätig, fragte sich kürzlich irritiert bei einem Vortrag in Wien über das weithin verbreitete öffentliche Misstrauen. Das Buch von Sascha Lobo Sascha ist eine (deutsche) Antwort darauf. Sie gilt wohl im Kern auch für Österreich.

Lobo konstatiert: Das Zukunftsvertrauen der Deutschen ist kollabiert. Zur Wende waren 68 % hoffnungsfroh, vor der Pandemie waren es 54 %. Kern der Vertrauenskrise ist der tiefe Zweifel am Funktionieren der Demokratie (S. 12). Doch ein basales Vertrauen in Medien ist für einen Grundkonsens erforderlich. Doch nur 50 % trauen seit Jahren den Inhalten der Leitmedien (so das Leibniz-Insititut). (S. 91). Wie ist der Vertrauenskrise zu begegnen? Behörden sollen früh ihre Rohdaten strukturiert bekannt machen. Mit Transparenz schützt man sich. Die Öffentlichkeit brauche Anwälte, Ombudspersonen.

Es gibt den Vertrag. dass jüngere Berufstätige die Pensionen der Älteren tragen. Bei der Klimakrise sollte es einen Generationenvertrag für die Jüngeren geben.

Wir sollten wissen, wie Wissen entsteht. Wo ist Vertrauen angebracht, wo nicht? Es gilt, Aussagen kritisch zu betrachten, wir brauchen Quellenstudium, Vertrauensheuristik, Ambiguitätstoleranz.

Lobo nennt Wikipedia, die Online-Enzyklopädie, ein „digitales Weltwunder“. Auch Wissenschaft ist gefordert. Es irritiert, dass die Öl- und Gasindustrie lange falsche Daten lieferte. Zu Prognosen: Der Weltklimarat IPCC meinte 2007, dass 2035 Himalayas Gletscher geschmolzen seien; doch 2010 stellte das IPCC fest, dies wäre erst im Jahr 2350 der Fall. 2007 war die Prognose: Das Eis in der Arktis sei bis 2013 verschwunden. Auch das wurde korrigiert.

1979 beauftragte Jimmy Carter den „Club of Rome“ mit einer Studie über die Ressourcen der Erde. Die Umfrage hatte 1.500 Seiten. In Deutschland wurde die Studie mit dem Namen „Global 2000“ 500.000 mal verkauft. Der Spiegel: Die apokalyptischen Aussagen trafen nicht ein. So entstehen Zweifel bzgl. medialer Sensationsmache. Und Wissenschafter spitzen ihre Ergebnisse mit Blick auf die Medien zu.

Europa im Blick von Christopher Clark

Der Qualitätssender 3sat (ARD, ORF, SRG) darf nicht geopfert werden! Entsprechende Pläne, ihn aufzulösen und seine Programmanteile anderen Medien einzuverleiben, werden hoffentlich nicht realisiert. Das ist umso wünschenswerter, als gerade in letzter Zeit wieder besonders sehenswerte Dokus programmiert waren.(Mod-Text Udo Bachmair)

Hans Högl *

Wer im Fernsehen auch einen Bildungsauftrag sieht, der kam mit 3-sat Sendungen mit dem Namen „Europa-Saga“ voll auf die Rechnung. Sie wurden von Prof. Christopher Clark (Univ. Cambridge) konzipiert und geleitet. Christoper Clark ist der in Australien geborene Historiker, der an der Universität Cambridge lehrt. Er wurde bekannt durch das Buch „Schlafwandler“- über die Anfänge des 1. Weltkrieges.

Die Sendungen wurden gestern Dienstag, den 12. November 2024, ab 14.05 ausgestrahlt. Ich habe mit großem Interesse die Einzelsendungen von Anfang bis Ende gesehen.

Die Sendungen wären für den Bereich „Politische Bildung“ außerordentlich geeignet. Vielleicht vermag eben ein australischer Historiker die Leistungen der verschiedenen Länder wie von Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Österreich für Europa und die Welt so fair und ausgeglichen darstellen.

Mit großer Kenntnis hebt Clark die wichtigsten Ereignisse Europas – vom Mittelalter beginnend hervor – und verweist auf den Unterschied zum Großreich China, das niemals seine Grenzen so ausgedehnt hat wie Europa.

Clark sucht persönlich die wichtigsten Orte und Quellen selbst auf. Durch Amsterdam fährt er typischerweise mit dem Fahrrad wie eben Niederländer. Er konsultiert und zeigt die Originaldokumente wie das vom Westfälischen Frieden 1648 und die des Wiener Kongresses 1815.

Für Clerk ist das Zustandekommen der Europäische Union eine der größten Errungenschaften der Weltgeschichte.

* Prof. Dr. MMag. Hans Högl ist Soziologe, Buchautor, Vizepräsident und Finanzreferent der Vereinigung für Medienkultur und lebt in Wien und Bad Mitterndorf

Rotraud Perner. Eine Würdigung

Der unverzichtbare Sender ORF III hat einen besonders sehenswerten Film über das Leben und Werk von Rotraud Perner produziert. Gesendet wird die Doku allerdings an einem wenig attraktiven Sendungstermin, nämlich am 6.10. um 9.55 Uhr in ORF III.

Udo Bachmair

Sie ist Psychoanalytikerin, Juristin, evangelische Theologin, Hochschuldozentin, Autorin von 67 Büchern u.v.m.. Eine besonders engagierte, gescheite, selbstbestimmte, und liebenswürdige Frau. Eine charismatische Persönlichkeit: Rotraud Perner. Sie wird nun endlich auch in einer längeren ORF-Dokumentation gewürdigt, die gestern Abend in Wien einem interessierten Publikum vorab präsentiert wurde.

Der für ORF III produzierte Film der jungen Regisseurin Paula-Marie Pucker zeigt einfühlend und kompetent Perners buntes, kreatives und vielseitiges Leben und Schaffen. Unter besonderer Berücksichtigung der Perner begleitenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche. Die Dokumentation zeichnet in Interviews mit der Gewürdigten selbst sowie deren WegbegleiterInnen das Bild einer Frau, die sich trotz Rückschlägen nie entmutigen hat lassen.

Ein Wehrmustropfen: Diese hervorragende Dokumentation aus Anlass des 80. Geburtstages von Rotraud Perner wird am 6. Oktober am Vormittag um 9.55 Uhr gesendet (Wiederholung am 11.10. um 8.40 Uhr!) und damit mehr oder weniger „versteckt“. Doch es besteht hoffentlich noch der Wille der Führung von ORF III, diese Fehlplanung zu korrigieren. Das ist eine Doku auch im besten öffentlich-rechtlichen Sinn und gehört ins reichweitenstärkere Hauptabendprogramm!!!

„Die da oben“ und „die da unten“

Ratlosigkeit beherrscht die politische Szenerie. Das Wahlergebnis war angesichts der Umfragen zwar nicht wirklich überraschend. Aber ein so deutlicher Abstand zwischen FPÖ und ÖVP und erst zur SPÖ war doch überraschend, für viele auch eine herbe Enttäuschung. das Wahlergebnis beflügelt zudem den Disput um „die da oben“ und „die da unten“.

Wolfgang Koppler *

Die Selbsttäuschung vieler über die Ursachen dieses auch in anderen westlichen Ländern sich abzeichnenden politischen Wandels, der vereinfachend als ein Abdriften nach rechts oder gar in Rechtsradikalismus gesehen wird, hält aber nach wie vor an. Immer noch werden solche Wahlergebnisse, aber auch die diesen zugrunde liegende Stimmung als Protest gegen „die da oben“ abgetan, dem gar keine wirklichen Missstände oder ein Fehlverhalten von Politik, Wirtschaft und Medien zugrunde lägen. Man müsse einfach politische und wirtschaftliche Vorgänge und Entscheidungen besser erklären bzw. kommunizieren, heißt es immer. wieder.

Den Ausdruck „die da unten“ verwendet man hingegen nicht. Obwohl sich Politik, Wirtschaft und Medien von Wählern, Konsumenten und Lesern bzw. Zusehern tunlichst abschotten. Kontakt erfolgt nur über Mails, die von dazu geschulten Personen gelesen und beurteilt werden und die Politiker, Unternehmer und Journalisten im Regelfall gar nicht zu Gesicht bekommen. Selbst dann, wenn sich ein ein Wissenschafter oder ein Mensch meldet, der Wissen und Erfahrungen aus der Praxis mitbringt und vielleicht echte Missstände aufzeigen könnte.

Und so lebt unsere „Elite“ – oder wie immer man Politiker, Journalisten und Manager bezeichnen mag – und selbst ihre Umgebung in einer Art Blase. Nicht viel anders als der Stammtisch. Nur eben in einer anderen Vorstellungs- und Erlebniswelt. Wobei es oben und unten dann noch verschiedene Arten von nebeneinander bestehenden Blasen gibt. Bestimmte Redaktionen fühlen sich als etwas Besonderes, ebenso wie Manager verschiedener Großunternehmen sich hie und da besser dünken als ihre Kollegen.

Trotzdem: Bildung, Geld und Macht als das, was bei uns offenbar erst den wirklich „wertvollen“ Menschen ausmacht, scheidet unsere Gesellschaft in die da oben und die da unten.

Und da wir im Westen zur Egozentrik neigen, zu einem sich selbst vergöttlichenden Wesen mit wenig Selbstkritik, dünkt sich unsere Elite oft als mehr oder weniger unfehlbar. Oder verdrängt zumindest Fehlverhalten. Sich zu entschuldigen oder gar in sich zu gehen kommt nicht in Frage. Sie können das gerne ausprobieren, indem sie einen Journalisten auf einen klar ersichtlichen Fehler hinweisen. Eine Entschuldigung oder gar ein Umdenken wird kaum einmal erfolgen.

Der Wahlkampf ist ein Kindergarten, heißt es treffend im Werbespot eines Möbelhauses. Ein wunderbares Bild für jenen infantilen Narzissmus, dem gerade unsere Eliten immer wieder zum Opfer fallen. Ohne dass sie es merken.

Und so werden Migranten zum Opfer der Politik. Auf beiden Seiten. Menschen mit Migrationshintergrund werden nämlich auch von der linken Seite benutzt. Indem sich Intellektuelle zu ihren Schutzgeistern erklären, die wenig mit der Lebensrealität von Zuwanderern zu tun haben. Sondern nur das große Wort führen; Migranten als billige Arbeitskräfte sehen und Angst vor Rechtsextremismus genauso schüren wie manche Politiker der rechten Seite die Angst vor dem Islam.

Und so werden Migranten zum Spielball der rechten als auch der linken Seite. Das aktuelle Wahlergebnis spricht Bände. Und sollte zu Selbstkritik führen, Auf allen Seiten.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Gescheiterte Koalition

Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte die politische Situation in Österreich 3 Tage vor der Nationalratswahl in einer Analyse. Im Folgenden eine gekürzte Fassung von

Hans Högl

„Das Zeugnis für die österreichische Regierungskoalition wird bei der Wahl diesen Sonntag katastrophal ausfallen. Nun droht dem Land ein politischer Neustart. Die Stimmung in Österreich ist schlecht, bei der Wahl am Sonntag wird die Regierung deshalb massive Verluste hinnehmen müssen.
… Sebastian Kurz sah sich.. als internationaler Taktgeber, als er nach seinem fulminanten Wahlsieg vor fünf Jahren die erste konservativ-grüne Regierung Österreichs bildete. Das könne eine Vorbildfunktion auch für Deutschland haben, meinte er ..2020 am Weltwirtschaftsforum Davos…

Es kam bekanntlich anders. In Deutschland regiert eine Ampelkoalition, und auch in Österreich könnte nach der Wahl vom Sonntag ein Dreierbündnis nötig werden, um die rechtspopulistische FPÖ von der Macht fernzuhalten. Die schwarz-grünen Jahre werden dagegen als vorerst gescheitertes Experiment in die Geschichte eingehen.

Beide Regierungsparteien dürften laut Umfragen massiv an Wähleranteilen verlieren, eine Mehrheit ist rechnerisch nicht mehr vorstellbar. Das Vertrauen in die Regierung stürzte auf den tiefsten je gemessenen Wert ab. Die Wirtschaft steckt in der längsten rezessiven Phase der Nachkriegszeit, Ökonomen sprechen von fünf verlorenen Jahren.

«Koste es, was es wolle» war das Motto – über die Krise hinaus. Das Zeugnis fällt damit katastrophal aus. Die eigentliche Bilanz dieser Regierung ist allerdings gar nicht so schlecht. Denn so turbulent die Amtszeit auch war mit zwei Kanzlerwechseln und den grössten externen Krisen der Zweiten Republik, so ist doch zu berücksichtigen: Die beiden Koalitionspartner regierten trotz ihrer Gegensätzlichkeit eine ganze Legislaturperiode durch, was in Österreich eher die Ausnahme ist. Zudem gelangen wichtige Reformen, die zuvor jahrzehntelang versprochen und nie umgesetzt worden waren – die Abschaffung der kalten Progression etwa oder die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.

Eine Harmonie, wie Kurz sie einst mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zelebriert hatte, war nie zu erwarten. Dafür liegen die beiden Parteien inhaltlich zu weit auseinander. Es kam sogar zu schweren Zerwürfnissen: Die Grünen erzwangen vor drei Jahren wegen Korruptionsvorwürfen den Rücktritt von Kurz, und die ÖVP zeigte im Juni die grüne Umweltministerin nach ihrer eigenmächtigen Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz wegen Amtsmissbrauchs an. Aber das schwarz-grüne Bündnis funktionierte bis auf die letzten Monate überraschend reibungsarm, nachdem zuvor die schwarz-blaue Koalition nach nur anderthalb Jahren zerbrochen war.

Das folgte auch aus purer Not: Bald machten die schlechten Umfragewerte vorgezogene Neuwahlen für beide Parteien nicht erstrebenswert. Aber es bewährte sich das Prinzip, das Kurz bei der Präsentation des Regierungsprogramms mit dem «Besten aus beiden Welten» beschrieben hatte. Die Regierungspartner liessen bei den jeweiligen Kernthemen gegenseitig Erfolge zu, nachdem es früher in den grossen Koalitionen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten oft genug darum gegangen war, Prestigeprojekte der anderen Partei zu verhindern.

Vor allem die Grünen nutzten diesen Spielraum und setzten das populäre Klimaticket für den öffentlichen Verkehr sowie milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz durch. Ein echter Meilenstein ist auch die ökologische Steuerreform, mit der ein CO2-Preis eingeführt wurde, auch wenn er noch zu tief angesetzt ist. Die ÖVP konnte dafür ohne viel koalitionsinternen Widerstand ihre harte Linie in der Migrationspolitik propagieren, erhielt eine Senkung der Körperschaftssteuer, die dringend nötige Aufrüstung des Bundesheers und den Beitritt zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield – für Österreich ist das durchaus eine kleine Zeitenwende.

Die Liste zeigt allerdings, dass es vor allem enorme Geldsummen waren, die den Kitt dieser Koalition bildeten. «Koste es, was es wolle» war das Motto, das Kurz während der Corona-Pandemie ausgerufen hatte, und es sollte auch darüber hinaus gelten. Für jedes Problem eilte der Staat herbei, der Zuschüsse und Boni mit der Giesskanne verteilte. Das Subventionsvolumen explodierte, selbst bereinigt um die Massnahmen gegen Pandemie und Teuerung. Ob die Gelder zielgerichtet eingesetzt wurden, spielte keine Rolle, das ins Koalitionsabkommen geschriebene Ziel eines ausgeglichenen Haushalts auch nicht. Österreich verfehlt die EU-Fiskalregeln deutlich, Brüssel verlangt für das nächste Jahr erhebliche Einsparungen.

Überhaupt ist die Wirtschaftslage düster. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Wohlstand. Seit zwei Jahren stagniert oder schrumpft die Wirtschaft. Obwohl die Bevölkerung wächst, sinkt das Arbeitsvolumen. Die Folge ist unter anderem eine hartnäckig hohe Inflation, die durch die expansive Ausgabenpolitik des Staates angeheizt wird. Reformen, die hier ansetzen, konnte die Koalition nicht durchsetzen. Für die Wirtschaftspartei ÖVP, die in dieser Legislaturperiode mit einer so grossen Mehrheit regierte, wie sie es wohl lange nicht mehr tun wird, ist das blamabel.

Die Krisen und ihre Folgen liessen das Vertrauen erodieren.Die zweite Schwäche dieser Regierung war ein teilweise erratischer Umgang mit den beiden Krisen dieser Legislaturperiode, der Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In ihrem Kampf gegen das Coronavirus schwankte die Regierung zwischen Alarmismus und Selbstlob, zwischen bis ins Detail geregelten Lockdowns und gefeierten Öffnungen. Das Hin und Her gipfelte darin, dass Österreich als einzige europäische Demokratie eine Impfpflicht beschloss. Sie wurde zwar nie umgesetzt, spaltete die Bevölkerung aber tief.

Ähnlich unentschlossen wirkt Österreich gegenüber Russland. Zwar verurteilt die Regierung die verbrecherische Aggression und trägt auch die Sanktionen mit. Gleichzeitig finanziert das Land die russische Kriegsmaschinerie mit, indem es nach wie vor fast seine gesamten Erdgasimporte aus Russland bezieht – obwohl es inzwischen die Möglichkeit zum Ausstieg hätte. Bundeskanzler Karl Nehammer war neben Ungarns Regierungschef Viktor Orban der einzige westliche Spitzenpolitiker, der den Kremlherrn Wladimir Putin seit der Grossinvasion in Moskau besucht hat. Erst im August konnte sich die Regierung dazu durchringen, die Strategie der nationalen Sicherheit zu ändern, in der Russland noch als «strategischer Partner» bezeichnet worden war.

Die Krisen und vor allem ihre Folgen mit hohen Energiepreisen und Teuerung liessen das Vertrauen in die Regierung erodieren, wie es in anderen Ländern auch geschah. Hier endet aber mehr als nur eine besonders herausfordernde Legislaturperiode. Die Wahl ist auch ein Schlussstrich unter die Ära von Sebastian Kurz, der den Konservativen einen Höhenflug beschert hatte und den stetigen Niedergang der beiden staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ kurzzeitig stoppen konnte.

Bestätigen sich die Umfragen, wird die ÖVP unter Nehammer so schwere Verluste hinnehmen müssen, dass auch ein Bündnis mit der SPÖ keine Mehrheit mehr hätte. Dagegen dürfte die FPÖ die grosse Wahlsiegerin sein. Das wäre gleich eine doppelte Zäsur für das Land: Die Rechtspopulisten könnten erstmals zur stärksten Kraft werden. Und die grosse Koalition, diese quasi natürliche Regierungsform der Zweiten Republik, die diese aufgebaut hat und nach wie vor bis in den hintersten Winkel prägt, wäre keine Option mehr. Der Journalist Georg Renner bezeichnet das in einem kürzlich erschienenen Buch zu Recht als politische Kontinentalverschiebung, die einem Ende dieser Zweiten Republik gleichkommt.

Was auf sie folgt, ist völlig offen. Das schwarz-grüne Experiment war schon vor fünf Jahren nicht das Vorzeigemodell, als das Kurz es bewarb, sondern ein Zweckbündnis aus Mangel an Alternativen. Die inhaltlich viel naheliegendere Koalition mit der FPÖ war an der Ibiza-Affäre gescheitert – ein Ende nach kurzer Zeit und im Chaos, wie bisher bei jeder Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Die klassische grosse Koalition mit der SPÖ war für Kurz undenkbar, stand sie in ihrer letzten Phase doch für Stillstand, während er «Zeit für Neues» ankündigte.

Fünf Jahre später steht eine extremere FPÖ als damals vor dem Wahlsieg. Deren Chef Herbert Kickl strebt offen eine Orbanisierung Österreichs an, und man möchte sich die radikalen Impfskeptiker und Kreml-Freunde um ihn nicht erneut an den Schalthebeln der Macht vorstellen. Die Partei hat ihre Regierungsunfähigkeit schon mehrmals bewiesen. Gleichzeitig wird vermutlich nur noch ein heterogenes Dreierbündnis einen weiteren Versuch verhindern können, und der Blick nach Deutschland stimmt dafür nicht zuversichtlich. Das Scheitern von Schwarz-Grün bedeutet deshalb vorerst eine Dritte Republik ohne zukunftsträchtige Optionen.“

Zu ergänzen möchte ich, Hans Högl, dies mit einem Kommentar des Spitzendiplomaten Peter Launsky-Tieffenthal, der meint, dass die vielkritisierte Migrationspolititk von Kurz bis Nehammer nun in der EU konsensfähig geworden sei (Kurier, 29.9.2014,S. 26).

Schlechtreden schadet

Der Zürcher Tagesanzeiger hat das angeblich „überbordende Schlechtreden der Deutschen“ kritisiert. Dies schade dem Land. Ein Zitat aus dem Artikel ausgewählt von

Hans Högl

„Das Land bräuchte dringend mehr Zuversicht. Deutsche neigen zu masslosem Schlechtreden in der Krise und zu Überheblichkeit im Erfolg.

Nützlicher wäre Realismus, gepaart mit Entschlusskraft und Mut. Deutschland ist in der Krise, ja, dennoch ist die Lage erheblich besser als die Stimmung. Oder umgekehrt: Der überbordende Missmut ist mittlerweile womöglich ein ernsteres Problem als die anstehenden politischen und wirtschaftlichen Aufgaben. Im Moment sei es vor allem die negative Stimmung, die Konsum und Investitionen – und damit die Konjunktur – lähme, schrieb gerade die OECD.“ (soweit der Tagesanzeiger wortwörtlich).

Weiter unten wird auf Länder wie Haiti oder Somaliland verwiesen, wo es wirklich große Probleme gibt.

Mutige Äußerungen

Auch die jüngste Ausgabe von INTERNATIONAL, der renommierten Zeitschrift für internationale Politik, ist wieder gespickt mit höchst interessanten Beiträgen. Darunter auch ein Gespräch mit mutigen Äußerungen einer Nationalratsabgeordneten zu Österreichs umstrittener Außenpolitik.

Udo Bachmair

Sie ist die erste heimische Politikerin palästinensischer Herkunft : Muna Duzdar. Die SPÖ-Parlamentarierin scheut nicht davor zurück, auch heikle weltpolitische Themen offen anzusprechen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, in dem Zusammenhang nicht zuletzt auch die mediale Berichterstattung. Duzdar dazu gegenüber INTERNATIONAL:

„Die Berichterstattung heimischer Medien hat dabei versagt, das Leid und die Perspektive der Palästinenser ausreichend darzustellen. Wir haben es im Nahostkonflikt nicht nur mit einem asymmetrisches Krieg zu tun. Auch die Berichterstattung ist asymmetrisch, zugunsten einer Partei und das ist Israel. Wir erleben das z.Bsp., wenn israelische Quellen immer unhinterfragt übernommen werden und palästinensische Quellen gleich den Hamas- oder Terroristenstempel aufgedrückt bekommen. Das ist fatal und schadet der Glaubwürdigkeit journalistischer Medien.“

Soweit die Mediensprecherin der SPÖ, Muna Duzdar, die darauf hofft, mittels Vorzugsstimmen wieder in den Nationalrat einziehen zu können.

Zum Thema Nahost bietet INTERNATIONAL zudem eine spannende Analyse von Helga Baumgarten mit dem Titel „Nakba: Die nicht enden-wollende Katastrophe“. Die Politologin beleuchtet brillant Hintergründe und Folgen des Nahostkonflikts anhand der dramatischen Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung von 1948 bis 2024.

Die Zeitschrift vermittelt außerdem im Detail die außenpolitischen Positionen der Parteien, im besonderen zu Neutralität und Friedenspolitik. Ein Themenkomplex, der im NR-Wahlkampf eine beschämend geringe Rolle gespielt hat.

Das jüngste Heft spannt inhaltlich und geografisch einen großen Bogen von Russland, Venezuela, dem Iran bis hin zur Lage in Somalia, Sambia und Aserbeidschan.

Kunst und Kultur sowie Lyrik für den Frieden komplettieren die jüngste Ausgabe IV / 2024.

Näheres unter www.international.or.at

Neutralität in kriegerischen Zeiten

Gut besuchte Podiumsdiskussion in Wien unter Mitwirkung der Vereinigung für Medienkultur

Udo Bachmair

„Neutralität in Zeiten von Krisen und Kriegen“ war das Thema einer viel beachteten Podiumsdiskussion* im Kultur- und Veranstaltungszentrum Amerlinghaus in Wien. Veranstaltet wurde der Diskussionsabend von den Gewerkschaftern gegen Atomenergie und Krieg sowie der Vereinigung für Medienkultur.

Bemerkenswerterweise war im Wahlkampf für die NR-Wahl das Thema „Krieg 8nd Frieden“ sowie die Rolle der österreichischen Neutralität kaum ein Thema. Dabei wäre Österreich als neutraler Staat und UNO-Standort prädestiniert dafür, als diplomatischer Mediator und Initiator von Gesprächen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aktiv zu werden. Doch eine einseitige Außenpolitik der schwarz-grünen Außenpolitik in den vergangenen Jahren – weit entfernt von Bruno Kreiskys nützlichen und erfolgreichen diplomatischen Aktivitäten – hat den Geist der Neutralität weitgehend untergraben.

Die Chance auf eine effektive friedensorientierte Außenpolitik ist ähnlich der Tatenlosigkeit der EU-Kommission sträflich vernachlässigt worden.
Darauf aufmerksam zu machen haben sich jüngst vor allem SPÖ-Chef Andi Babler und KPÖ-Vorsitzender Tobias Schweiger bemüht, allerdings weitgehend ignoriert von den heimischen Medien. Babler und Schweiger plädieren uneingeschränkt für die Sinnhaftigkeit und Aufrechterhaltung der Neutralität. Von Expertenseite sieht vor allem der renommierte Politikwissenschafter Heinz Gärtner die Neutralität Österreichs als Sicherheitsgarantie für unser Land.

Mitglieder der Initiative Engagierte Neutralität wie Bundesheer-General Günther Greindl, seinerzeit Oberbefehlshaber der österreichischen UNO-Truppe auf dem Golan, oder die beherzte Diplomatin und Ex-Botschafterin Gaby Matzner sowie der bei den Gewerkschaftern gegen Krieg besonders aktive Wilfried Leisch bekräftigten in der erwähnten Veranstaltung ihre klare Pro-Neutralitäts- und Anti-NATO-Position. Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur, gab u.a. zu bedenken, dass Politik und Medien nach der NR-Wahl Befürwortern eines NATO-Beitritt Österreichs mehr Raum für entsprechende Propaganda öffnen könnten.

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion im Amerlinghaus, genauer gesagt der Anfangsstatements, sind unter folgendem Link abrufbar:

www.youtube.com/watch?app=desktop&v=NixOIY2N8bQ