Archiv der Kategorie: Medien und Bildung / Religion

Wienerwald – Grüngürtel Wiens gerettet

Medientipp zur TV-Theke ORF III. : Der Offizier Josef Schöffel aus Mödling schrieb u.a. Pressekommentare. Kaiser Franz Josef löste 1872 den Vertrag über die Abholzung des Wienerwaldes. Wald als Erholungsgebiet-schon 1870 gesehen.

Wienerwald – Habsburgs grüne Sünde ORF III 2022

30. März, 02:40 Uhr (Wiederholung)30.03., 02:40 Uhr (Wh)
02. April, 08:40 Uhr (Wiederholung)02.04., 08:40 Uhr (Wh)
04. April, 02:10 Uhr (Wiederholung)04.04., 02:10 Uhr (Wh)

Über die Rettung des Wienerwaldes um 1870. Damals stand der Wienerwald knapp davor, abgeholzt zu werden. Das gesamte Areal könnte heute komplett zersiedelt und betoniert sein.

Das Kaiserhaus war hoch verschuldet und wollte die Kassen auffüllen. Das Finanzminsterium machte nicht davor Halt, die grüne Lunge Wiens und zugleich ein landschaftliches Juwel zur Abholzung freizugeben – den Waldgürtel um Wien.

Um schnell an Bargeld zu kommen, schloss man einen Monopol-Vertrag mit einem großen Holzhändler ab, der für wenig Geld weite Teile des Wienerwalds rund um den Anninger ohne Wiederaufforstung schlägern durfte. Doch er hatte nicht mit dem Aktivisten Josef Schöffel gerechnet – ein Mödlinger, der eine hartnäckige Medienkampagne gegen die Abholzung startete, wie es sie noch nie zuvor im Kaiserreich gegeben hatte. Die damals noch ganz neu eingeführte Pressefreiheit machte dies erstmals möglich.

Neuer Mähkopf als Insektenschutz

Gute Nachrichten im Magazin „stern“

Hans H ö g l

„Das sind ja mal gute Nachrichten“ lautet eine Spalte im Magazin „stern“. Und die Spalte verdient auch den Namen. So las ich in der Ausgabe vom 24.3.2022 beispielsweise den Kurztext „Mähwert“:

„Bislang wurden durch das Mähen etwa an Straßenrändern zwischen 29 und 87 Prozent der Insekten und Spinnen getötet. Ein neu entwickelter Mähkopf mit größerer Schnitthöhe schont nun die am Boden befindlichen Kleinlebewesen.“ Nähere Angaben fehlen. Auch die Wiener Stadtzeitung „Falter“ widmete sich kürzlich umfangreich den Bremsen, Käfern und Bienen (Falter 12/22).

Ähnliches ist über Bienensterben bekannt. Bei einer Führung in einem Alpengarten im Salzkammergut wurde ich für die Wichtigkeit der kleinen Insekten sensibilisiert. So wurden oft Feldraine, also unbebaute Grenzstreifen zwischen Feldern entfernt, und damit die Lebensräume wichtiger Insekten in Unkenntnis vernichtet.

Solche Informationen sind von Belang; denn es neigen Umweltaktivisten wie zuletzt beim Eröffnungsabend des Klima-Symposions in Dürnstein/Niederösterreich dazu, uns mit so vielen Negativinformationen gleichzeitig anzuschütten, denen zufolge das Publikum nicht mehr aus und ein weiß, was denn in welcher Abfolge getan werden kann, und es wird Verschiedenstes undifferenziert einer einzigen Kausalität zugeschrieben. Ähnliches erlebe ich bei Infos von Seiten eines apokalyptischen Aktivisten, sodass ich ihn schließlich fragte, ob ich mich nun alle 14 Tage oder erst jeden Monate umbringen soll.

„Krieg“ als vermiedenes Wort

Texte aus der Zeitschrift „Ja“ von Pater Udo /Stift Göttweig/ zum Ukraine-Krieg. Der Benediktinerpriester, ist bekanntgeworden als kirchlich progressiver Gegenspieler zum konservativen Bischof Krenn.

Zitate ausgewählt von Hans Högl

„Ausschließlich evangelische Worte“: Das Morden in der Ukraine darf in Russland nicht „Krieg“, sondern nur „Militäroperation“ genannt werden. Alles andere ist seit dem Zensurgesetz vom 4. März strafbar.

Papst Franziskus hat kürzlich die russische Invasion der Ukraine „Krieg“ genannt, allen Helfern gedankt, vor allem den vom neuen Gesetz bedrohten Journalisten.

Der orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill bezeichnet den Einsatz seiner Soldaten hingegen als Akt der „Nächsten-Liebe“. Nicht alle seiner Geistlichen folgen ihm. Etwa Ioann Burdin, Vorsteher der Auferstehungskirche von Karabanovo rund 300 Kilometer nordwestlich von Moskau. Nach einer Sonntags-Predigt vor zehn (!) Gläubigen wurde er von der Polizei verhört. Ihm werden im Polizeiprotokoll „öffentliche Handlungen, gerichtet auf die Diskreditierung der Streitkräfte Russlands“, vorgeworfen.

Budins Verteidigung: In seiner Predigt habe es keinerlei politische Aufrufe gegeben, sondern „ausschließlich evangelische Worte“. Diese seien 2.000 Jahre alt, einige noch älter, beispielsweise das alttestamentarische Gebot „Du sollst nicht töten“.

Er habe die Gläubigen aufgerufen, den Hass nicht in ihre Herzen zu lassen, denn das führe zu einem Teufelskreis. Seine Ablehnung des Tötens betreffe beide Seiten, für die Kirche sei egal, weswegen getötet werde. Die Sünde bleibe in jedem Fall eine Sünde. Derlei Biblisches ist dem obersten Kirchenführer in Moskau offenkundig fremd. So P. Udos Zeitschrift.
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In der Schweiz wird Ähnliches bestätigt: Die Uni Freiburg strafte russischen Kirchenfürsten ab: Hilarion, der «Aussenminister» der russisch-orthodoxen Kirche, darf sich nicht mehr Titularprofessor der Universität Freiburg nennen. Denn er hat sich geweigert, Putins Krieg öffentlich zu verurteilen.

Eventkultur und Osteuropa. Fotoausstellung

Fotojournalist zur Eventkultur und Osteuropa (Ukraine)

Hans Högl

Die bekannte Fotogalerie „Westlicht“- unweit vom Westbahnhof-(Kaiserstraße 49), zeigt bis 15. Mai 2022 Dokumentarfotos von Reiner Riedler, der auch im Centre Pompidou ausstellte.

Es wäre sehr verkürzt, zu sagen, diese Dokumentation handelt primär von Osteuropa (Ukraine und Albanien); denn dies ist nur ein Bruchteil der bemerkenswerten Ausstellung. Im Fokus sind Auswüchse der Eventkultur, Orte der Sehnsucht und Flucht aus dem Alltag, so auch ein ukrainisches Festessen und ein russischer Zirkus. Jedenfalls lohnt ein Besuch. Die Galerie „Westlicht“ bringt auch jedes Jahr die ausgezeichneten Pressefotos des Jahres.

Werben für gewaltlose Politik

Wer hätte das vor wenigen Wochen noch gedacht, dass Gewalt und Krieg in Europa wieder die Oberhand gewinnen würden.

Udo Bachmair

Es ist wahrlich unfassbar, nach einer langen Friedensphase nun zurückgeworfen zu sein auf kriegerische Konfliktlösung offenbar jenseits jeglichen zivilisatorischen Fortschritts, den man bis vor kurzem noch als existent und erreicht betrachtet hatte.

Der Aggressor im Ukraine-Krieg ist klar zu benennen. Es ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Doch seine völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine ist nicht zu verstehen ohne eine bereits jahrelang zuvor vom Westen und der NATO massiv betriebene Feindbildpflege. Russland ist von westlicher Propaganda in Politik und Medien beharrlich zum Feindbild Nummer 1 aufgebaut worden.

Die provokative NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands hat auch nicht gerade zur Besänftigung russischer Ängste beigetragen. Ganz im Gegenteil: Angesichts des aggressiven Charakters der NATO, wie die letzten 3 Jahrzehnte zeigen – Beispiele Irak über Jugoslawien bis Libyen – erscheint russische Besorgnis nicht unverständlich.

Machen wir uns nichts vor: Auf beiden Seiten eines Krieges wird Propaganda als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Unabhängig davon, ob Propaganda aus einem westlich demokratischen Bereich oder einem autoritär geführten Staat wie Russland kommt. Warum etwa US-Propaganda „wahrer“ sein sollte, Beispiel die Fakes zur Begründung des Angriffskrieges auf den Irak, entzieht sich jeder vernünftigen Beurteilung,

Was nun Gebot der Stunde ist, ist weitere Eskalation des Ukraine-Krieges, weitere Tote, weiteres Leid zu verhindern. Das kann nicht durch weitere Aufrüstung der Ukraine und den Einsatz tausender Söldner aus dem Ausland erreicht werden, sondern durch diplomatische Beweglichkeit. Diese aber lassen beide Kriegsparteien vermissen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wichtig und sinnvoll in Zeiten wie diesen sind besonnene Stimmen aus Politik und Medien mit unermüdlichem Werben für eine gewaltlose Politik. Eine dieser Stimmen ist die von Sepp Wall-Strasser, Theologe und Wirtschaftswissenschafter. Der SPÖ-Bürgermeister der oberösterreichischen Stadt Gallneukirchen hat eine entsprechende Botschaft via Facebook verbreitet:

„Viele fordern jetzt, Putin zu töten ( „Kopfgelder“ ; Timoschenko „er ist das absolute Böse, wir sind das Licht“ => das Böse muss ausgerottet werden; Forderung eines regime-change,…). Sollte dies passieren, müssen wir damit rechnen, dass dieses Riesenreich in unkontrollierbare Auseinandersetzungen, und, von nationalistischen, rechtsextrem und/oder religiös-fundamentalistisch motivierten Bewegungen und Parteien angetriebenen Kämpfen im kriegerischen Chaos endet. Ein Libyen oder Syrien von Moskau bis Wladivostok… Hirn-und strategieloser können solche Forderungen nicht sein. Es müssen JETZT Schritte für nichtkriegerische Lösungen gefunden werden.

Die Fortsetzung der Dämonisierung und Heroisierung verschlimmert die Lage von Tag zu Tag. Und was gewinnt die Welt dabei? Auch nach Millionen Toten muss irgendjemand zu verhandeln beginnen. Nur weiss niemand, wer bis dahin überlebt hat, und – falls es „Freiheit“ gibt- für wen? Bereits seit Jahren denkt Politik – sowohl „westliche“ wie „östliche“ lmmer mehr in militärischen Kategorien. Dies fällt uns jetzt auf den Kopf. Verhandeln, friedliche Koexistenz, empathische Politik, Zugestehen von historisch bedingten Ängsten und Interessen werden als Schwäche ausgelegt. So kommt es zu „Kränkungen“ und Demütigungen (die nach Haller regelmäßig ihren Ausweg in der Rache suchen). „Recht haben/kriegen“ klafft da auseinander/ kann zum Gegensatz werden zu einer Politik der klugen Lösungen.

Wie sehr sich die Stimmung seit der Nachkriegszeit geändert und die Politik verrannt hat zeigt das Beispiel Deutschland. Während man nach zwei Weltkriegen besorgt war, dass Deutschlands Politik in aller Zukunft auf Demilitarisierung ausgerichtet sei, musste es sich in den letzten Monaten in die Ecke treiben lassen, wieso es KEINE Waffen liefere. Und dann gab es standing Ovations für das größte Aufrüstungsprogramm ever… Dieser Krieg heute ist das Erbe von 30 Jahre unvernünftiger Politik. Wir können es kaum noch ändern. Aber die fatalen Entscheidungen dieser Tage legen die Grundsteine für die Katastrophen von morgen.

Wir sind immer großteils die Erben der Politiken der vergangenen Jahre. Daher müssen wir uns lösen von deren Fesseln und auf eine Politik der nichtkriegerischen und gewaltfreien Politik zurückkommen, wie sie in Ansätzen nach dem Trauma des 2. Weltkrieges doch größere Teile der Politik beherrscht hat. Heutiger Mainstream lässt Politiker wie Roosevelt, Palme, Brandt und Kreisky gar nicht mehr zu. Gesiegt haben die, die ihrem Land die Position „Number ONE“ versprechen, das „Kämpfen bis zum letzten Mann“, die Rettung der heiligen Heimaterde… Vielleicht kann uns eine neue Form der Friedensbewegung, die wir jetzt beginnen müssen, noch retten. Aber es wäre das erste Mal, dass so eine sich durchsetzt VOR der großen Katastrophe. Vielleicht rettet uns diesmal schlicht und einfach die banale Tatsache, dass Biden und den USA der Krieg mit Russland nicht reinpasst, weil sie sich auf die Konfrontation mit China eingestellt haben.“

Plädoyer für Deeskalation

Selten hat ein Zeitungsinterview derartig hasserfüllte Postings ausgelöst wie das heute erschienene STANDARD-Gespräch mit dem Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg zum Ukraine-Krieg.

Udo Bachmair

Der sinnlose und brutale russische Krieg gegen die Ukraine ist menschlich und völkerrechtlich unmissverständlich zu verurteilen. Dennoch sollte trotz aller berechtigten Empörung auch Platz sein für differenzierende Betrachtung von Ursachen und Hintergründen dieses Krieges. Dies hat jedoch in den Medien zurzeit kaum Platz. Und wenn, dann ausschließlich aus der Sicht von USA, EU und NATO.

Wohltuend jenseits von Kriegspropaganda und traditionell antirussischem Mainstream westlicher Berichterstattung sind Veröffentlichungen, die etwas gemäßigter und differenzierter ausfallen. So das erwähnte Interview, das STANDARD-Redakteur Ronald Pohl mit dem in Wien lebenden Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg geführt hat.

Nitzberg ist vor allem durch vielgelobte Neuübertragungen von Bulgakov-Romanen bekanntgeworden. So etwa durch die Übersetzung des weltberühmten Ukraine-Romans „Die weiße Garde“. Nitzberg, Sohn eines Künstlerpaares, rät angesichts des jetzigen Krieges zu Mäßigung und Deeskalation.

Im Folgenden das Gespräch mit Alexander Nitzberg im Wortlaut :

„STANDARD: Präsident Putin hat die Existenz einer ukrainischen Nation regelrecht in Abrede gestellt.

Nitzberg: Ich habe Putins Rede vom 24.2. auf Russisch gehört und eine solche Passage eigentlich nicht vernommen. Russlands Außenminister Lawrow hat erst unlängst gesagt, dass das russische Volk das ukrainische respektiere und als sein Brudervolk ansehe.

STANDARD: Hat Putin nicht explizit von „Denationalisierung“ gesprochen?

Nitzberg: Er sprach wörtlich von „Denazifizierung“. Putins Rhetorik zielt also auf eine Form des ukrainischen Nationalismus, die bis zum Nazismus reicht. Blicken wir auf die beiden Sprachen: Die Wissenschaft konzediert der ukrainischen Sprache eine eigenständige Entwicklung. Aus dem Altrussischen haben sich verschiedene Sprachen entwickelt, Russisch und Ukrainisch verhalten sich zueinander wie etwa Deutsch und Niederländisch. So etwas ist immer ein Politikum: Sobald Sie behaupten, Ukrainisch sei gar keine eigenständige Sprache, sondern ein Dialekt, bewirken Sie etwas. So etwas hängt von der Perspektive ab. Was wäre der sprachliche „Urmeter“, an dem Sie Maß nähmen? Man kann derartige Definitionen nicht der Sprache selbst entnehmen.

STANDARD: Wie kann man die Katastrophe jetzt beenden?

Nitzberg: Es muss ein Faktor der Menschlichkeit das Handeln leiten, und zwar in beide Richtungen. Ich meine damit eine aktiv gelebte Neutralität. Wenn uns Bulgakows Roman Die weiße Garde etwas lehrt, dann Folgendes: Völker werden zu Spielbällen unterschiedlicher Kräfte, gerade auch solcher, die man nicht sieht. Kämpfe werden aber auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, und die Menschen fahren einander schließlich an die Kehle. Grundfalsch wäre ein Schwarzweißmuster der Art: „Hier haben wir es mit dem Guten zu tun, dort mit dem Bösen“.

STANDARD: Hat Sie der 24. Februar überrascht?

Nitzberg: Nicht wirklich. Aber man könnte sich auch die Frage stellen: Wer kämpft hier gegen wen? Eine Antwort lautet: Russland gegen die Ukraine. Doch in Wahrheit halten sich sehr viel mehr „Spieler“ auf dem Spielbrett auf, darunter solche, die massive Eigeninteressen vertreten, wie die USA.

STANDARD: Reagiert der Westen zu emotional?

Nitzberg: Unter den Literaten und Übersetzern wird vielfach derart hysterisch reagiert, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt, gerade in Österreich und Deutschland. Manche Übersetzer geben sich ungemein martialisch. Jeder Versuch, etwas zu dämpfen, um in sich gehen zu können, um Distanz zu gewinnen, wird so verunmöglicht. Dabei wäre es die angemessene Haltung eines Intellektuellen. Kriegszeiten sind Zeiten der Propaganda. Jeder Misserfolg wird dem Gegner in die Schuhe geschoben. Wenn Sie in einem Hochhaus sitzen und einen Granateneinschlag beobachten – woher wollen Sie wissen, von welcher Seite das Geschoss stammt? Hier in Österreich schwingen sich manche Leute nach zwei, drei Tagen zu Akteuren auf. Dabei rühren sie die Kriegstrommel. Unser „Job“ als Intellektuelle ist es doch, Zurückhaltung zu üben.

STANDARD: Viele lassen sich mitreißen?

Nitzberg: Die Frankfurter Buchmesse hat Russland ausgeladen. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber: Der ukrainische PEN-Club fordert die Weltbevölkerung auf, die gesamte russische Literatur zu boykottieren. Mit der Begründung, es würden in der russischen Literatur immer wieder Elemente auftauchen, die die Ukraine beleidigen! Meine Mutter, Jahrgang 1935, hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sie hat als Kind Deutsch gelernt. Ich habe sie daraufhin gefragt: Wurde während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Literatur etwa von den Behörden verboten? Sie antwortete: im Gegenteil. Man hat Goethe, Schiller, Heine rauf und runter rezitiert. Die Sowjetlehrer argumentierten, Deutschland sei eine Kulturnation mit großartigen Schriftstellern. Hitler ist der Zerstörer. Aber die eigentliche Kultur muss verbreitet werden. Wir Menschen der Schrift haben doch eine Mission. Wir müssen die Menschen zusammenbringen, unabhängig von Ethnie und Ideologie.

STANDARD: Ideologische Einschreibungen werden häufig erst nachträglich vorgenommen.

Nitzberg: Man kann Weltliteratur nicht danach beurteilen, ob irgendwelche „problematischen“ Sätze fallen. Meine Position in all den Jahren ist die gelebte Neutralität. Literatur und Kultur gehören aus der Umklammerung durch die Politik herausgelöst. Ich möchte als Übersetzer stets zeigen, ob ich nun Bulgakow oder Charms ins Deutsche übertrage: Es ist immer eine Unart, ein großes Werk der Weltliteratur ausschließlich durch die politische Brille zu lesen. Es ist sinnlos zu fragen, ob ein Werk „für“ etwas oder „gegen“ etwas ist.

STANDARD: Fehlt uns Sinn für Ambivalenz?

Nitzberg: Es gibt nur noch richtig oder falsch, gleich ob es ums Klima geht, um das Geschlecht, um die „Rasse“. Ist man für Putin, gegen Putin? Das sind doch allesamt simplifizierende Haltungen. Ich habe in den vergangenen Jahren wiederholt mit jungen ukrainischen Künstlern Debatten geführt, die rasch „heiß“ wurden. Sie wurden von meinen Freunden gelegentlich sehr nationalistisch geführt. Solche Meinungen kamen von Menschen, die sich für gewöhnlich kosmopolitisch geben. Es finden sich solche Reflexe häufig bei ursächlich emanzipatorischen Bewegungen. Muss eine engagierte Feministin zwangsläufig eine Männerhasserin sein? Wenn Sie an den ukrainischen PEN denken: Was wäre der nächste logische Schritt? Dass wir die russische Literatur verbrennen?

STANDARD: Wir denken nicht dialektisch?

Nitzberg: Nehmen Sie die Causa Gergiev her. Er ist ein erstrangiger Dirigent und wird vor eine simple Frage gestellt: Er soll ein Lippenbekenntnis leisten, das ihm Zugang zur Arbeit gewährt. Er soll abschwören. Das ist unwürdig und dem konkreten Menschen gegenüber respektlos. Selbst wenn er nicht meiner Meinung ist, muss ich das akzeptieren. Es ist doch klar, dass eine Front mitten durch ihn hindurchläuft. Und mitten durch sein Herz.“

Alexander Nitzberg (52) ist gebürtiger Russe und lebt seit 2010 in Wien. Lyrische Werke, darunter der Suhrkamp-Band Farbenklavier (2012). Zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Michail Bulgakow und Boris Sawinkow.

Ukraine-Krieg ohne Ende ?

Vernunft und Wahrheit sind in Kriegszeiten meist völlig außer Kraft gesetzt. Das zeigt auch der Krieg in der Ukraine, für den kein baldiges Ende in Aussicht steht..

Udo Bachmair

Kriegspropaganda auf beiden Seiten von Konfliktparteien vernebeln nicht nur Rationalität und Realität, sie trägt auch bei zu noch intensiverer Feindbildpflege, die einhergeht mit Hass und Gewalt. Lösungsansätze zur Beendigung eines Krieges rücken somit in noch weitere Ferne, ganz zu schweigen von vernünftiger Strategie.

Man kann von Ex-US-Außenminister Henry Kissinger halten, was man will, eines muss man ihm zugestehen: Er war einer versiertesten Strategen globaler Politik. Und er hat bereits 2014 vor einer extremen Ausweitung der Ukraine-Krise gewarnt, indem er auch den Westen nicht von Fehleinschätzungen freigesprochen hat.

Leider sind Kissingers Analysen und Warnungen 2014 zu wenig beachtet worden, auch nicht von der US-Administration. Umso mehr sei im Folgenden Kissingers prophetischer Artikel in Erinnerung gerufen, der am 6. März 2014 in der „Washington Post“ erschienen ist :

Wie die Ukraine-Krise endet
von Henry A. Kissinger

The Washington Post
March 6, 2014

In der öffentlichen Diskussion über die Ukraine dreht sich alles um Konfrontation. Aber wissen wir denn, wohin wir gehen? In meinem Leben habe ich vier Kriege erlebt, die mit großem Enthusiasmus und öffentlicher Unterstützung begonnen wurden, von denen wir alle nicht wussten, wie sie enden sollten, und aus drei davon haben wir uns einseitig zurück¬gezogen. Der Test für die Politik ist, wie sie endet, nicht wie sie beginnt.

Viel zu oft wird die ukrainische Frage als Showdown dargestellt: ob sich die Ukraine dem Osten oder dem Westen anschließt. Doch wenn die Ukraine überleben und gedeihen soll, darf sie nicht der Vorposten der einen Seite gegen die andere sein – sie sollte als Brücke zwischen beiden Seiten fungieren.

Russland muss akzeptieren, dass der Versuch, die Ukraine in einen Satellitenstatus zu zwingen und damit die Grenzen Russlands erneut zu verschieben, Moskau dazu verdammen würde, seine Geschichte der sich selbst erfüllenden Zyklen gegenseitigen Drucks mit Europa und den Vereinigten Staaten zu wiederholen.

Der Westen muss verstehen, dass die Ukraine für Russland niemals nur ein fremdes Land sein kann. Die russische Geschichte begann in der so genannten Kiewer Rus. Von dort aus verbreitete sich die russische Religion. Die Ukraine ist seit Jahrhunderten Teil Russlands, und die Geschichte der beiden Länder war schon vorher miteinander verflochten. Einige der wichtigsten Schlachten für die Freiheit Russlands, angefangen mit der Schlacht von Poltawa im Jahr 1709, wurden auf ukrainischem Boden geschlagen. Die Schwarzmeerflotte – Russ¬lands Machtmittel im Mittelmeer – ist langfristig in Sewastopol auf der Krim stationiert. Selbst so berühmte Dissidenten wie Alexander Solschenizyn und Joseph Brodsky betonten, dass die Ukraine ein integraler Bestandteil der russischen Geschichte und sogar Russlands sei.

Die Europäische Union muss erkennen, dass ihre bürokratische Schwerfälligkeit und die Unterordnung des strategischen Elements unter die Innenpolitik bei den Verhandlungen über die Beziehungen der Ukraine zu Europa dazu beigetragen haben, dass aus den Verhandlungen eine Krise wurde. Außenpolitik ist die Kunst, Prioritäten zu setzen.

Die Ukrainer sind das entscheidende Element. Sie leben in einem Land mit einer komplexen Geschichte und einer polyglotten Zusammensetzung. Der westliche Teil wurde 1939 in die Sowjetunion eingegliedert, als Stalin und Hitler die Beute aufteilten. Die Krim, deren Bevölkerung zu 60 Prozent russisch ist, wurde erst 1954 Teil der Ukraine, als Nikita Chruschtschow, ein gebürtiger Ukrainer, sie im Rahmen der 300-Jahr-Feier eines russischen Abkommens mit den Kosaken zusprach. Der Westen ist weitgehend katholisch, der Osten weitgehend russisch¬-orthodox. Im Westen wird Ukrainisch gesprochen, im Osten überwiegend Russisch. Jeder Versuch eines Flügels der Ukraine, den anderen zu dominieren – wie es in der Vergangenheit der Fall war – würde letztendlich zu einem Bürgerkrieg oder zum Auseinanderbrechen des Landes führen. Die Ukraine als Teil einer Ost-West-Konfrontation zu behandeln, würde jede Aussicht, Russland und den Westen – insbesondere Russland und Europa – in ein kooperatives internationales System zu bringen, für Jahrzehnte zunichte machen.

Die Ukraine ist erst seit 23 Jahren unabhängig; zuvor stand sie seit dem 14. Jahrhundert in irgendeiner Form unter Fremdherrschaft. Es überrascht nicht, dass ihre Führer die Kunst des Kompromisses nicht gelernt haben, noch weniger die der historischen Perspektive. Die Politik der Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit zeigt deutlich, dass die Wurzel des Problems in den Bemühungen der ukrainischen Politiker liegt, widerspenstigen Teilen des Landes ihren Willen aufzuzwingen, erst von der einen, dann von der anderen Seite. Das ist der Kern des Konflikts zwischen Viktor Janukowitsch und seiner wichtigsten politischen Rivalin, Julia Timoschenko. Sie repräsentieren die beiden Flügel der Ukraine und waren nicht bereit, die Macht zu teilen. Eine kluge US-Politik gegenüber der Ukraine würde einen Weg suchen, wie die beiden Teile des Landes miteinander kooperieren können. Wir sollten eine Versöhnung anstreben, nicht die Vorherrschaft einer Fraktion.

Russland und der Westen, und am allerwenigsten die verschiedenen Fraktionen in der Ukraine, haben nicht nach diesem Prinzip gehandelt. Jeder hat die Situation verschlimmert. Russland wäre nicht in der Lage, eine militärische Lösung durchzusetzen, ohne sich in einer Zeit zu isolieren, in der viele seiner Grenzen bereits prekär sind. Für den Westen ist die Dämonisierung von Wladimir Putin keine Politik, sondern ein Alibi für das Fehlen einer Politik.

Putin sollte begreifen, dass eine Politik der militärischen Auferlegung ungeachtet seiner Missstände zu einem neuen Kalten Krieg führen würde. Die Vereinigten Staaten ihrerseits müssen vermeiden, Russland als einen Abweichler zu behandeln, dem man geduldig die von Washington aufgestellten Verhaltensregeln beibringen muss. Putin ist ein ernstzunehmender Stratege – unter den Prämissen der russischen Geschichte. Amerikanische Werte und Psychologie zu verstehen, ist nicht seine Stärke. Das Verständnis der russischen Geschichte und Psychologie war auch nicht die Stärke der US-Politiker.

Die führenden Politiker aller Seiten sollten sich wieder auf die Prüfung von Ergebnissen konzentrieren, anstatt sich in Posen zu ergehen. Hier ist meine Vorstellung von einem Ergebnis, das mit den Werten und Sicherheitsinteressen aller Seiten vereinbar ist:

1. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, auch zu Europa, frei zu wählen.
2. Die Ukraine sollte nicht der NATO beitreten, eine Position, die ich bereits vor sieben Jahren vertreten habe, als diese Frage das letzte Mal aufkam.
3. Die Ukraine sollte frei sein, eine Regierung zu bilden, die mit dem ausdrücklichen Willen ihres Volkes vereinbar ist.

Kluge ukrainische Führer würden sich dann für eine Politik der Versöhnung zwischen den verschiedenen Teilen ihres Landes entscheiden. Auf internationaler Ebene sollten sie eine Haltung einnehmen, die mit der Finnlands vergleichbar ist. Dieses Land lässt keinen Zweifel an seiner starken Unabhängigkeit aufkommen und arbeitet in den meisten Bereichen mit dem Westen zusammen, vermeidet aber sorgfältig eine institutionelle Feindschaft gegenüber Russland.

4. Es ist mit den Regeln der bestehenden Weltordnung unvereinbar, dass Russland die Krim annektiert. Es sollte jedoch möglich sein, die Beziehungen zwischen der Krim und der Ukraine auf eine weniger angespannte Grundlage zu stellen. Zu diesem Zweck würde Russland die Souveränität der Ukraine über die Krim anerkennen. Die Ukraine sollte die Autonomie der Krim durch Wahlen stärken, die im Beisein internationaler Beobachter abgehalten werden. Der Prozess würde auch die Beseitigung aller Unklarheiten über den Status der Schwarzmeerflotte in Sewastopol beinhalten.

Dies sind Grundsätze, keine Vorschriften. Wer sich in der Region auskennt, weiß, dass nicht alle von ihnen allen Parteien schmecken werden. Der Test ist nicht absolute Zufriedenheit, sondern ausgewogene Unzufriedenheit. Wenn eine Lösung, die auf diesen oder vergleichba¬ren Elementen beruht, nicht erreicht wird, wird sich das Abdriften in Richtung Konfrontation beschleunigen. Die Zeit dafür wird früh genug kommen.

Henry A. Kissinger was secretary of state from 1973 to 1977.
© 2014 Tribune Media Services

Russland u. Osteuropa. ORF III heute

Hans Högl: Rote Armee u. Osteuropa – ORF III heute

In dem TV-Mengenangebot sticht jenes von ORF III heute hervor:

20:15 Europas Osten nach dem 1. Weltkrieg
21:15 Russlands Rückkehr zur Supermacht
22:05 Die Rote Armee – Kalter Krieg
23:10 Die Rote Armee-Kampf gegen Hitler

Arabische Welt mit wenig Innovationen

Es steht zur Zeit nicht auf der internationalen Agenda und ist doch wichtig: Arabische Welt mit wenigen Innovationen

Hans Högl – aus internationalen Berichten

Die Bildung in der arabischen Welt ist in der Krise – der wichtigste Grund dafür ist der Mangel an Freiheit.

Die arabischen Länder bringen kaum Innovationen hervor, ihre Universitäten spielen international praktisch keine Rolle. Verantwortlich für die desolate Lage von Bildung und Forschung sind religiöser Extremismus und die autoritären Staaten.

Intensive „Denkanstöße 2022“ / Piper -TB

Erstaunliches Buch: Julian Assange u.Justizkritik // 1967-68 von Stefan Aust- früher SPIEGEL-Chefr.//Partner u. Kleinkind in uns

Hans H ö g l

Zum Bericht über den Whistleblower Assange: Erschütternd ist die demokratie- und justizkritische Analyse des Falles Assange. Verfasser: UNO-Folterberichterstatter Nils Melzer (S. 185-212).

Zum Beitrag: „Der Bindungseffekt. Wie frühe Erfahrungen unser Beziehungsglück beeinflussen…“ (S. 135-150). Partnerbezüge werden durch Einflüstern des „inneren Kindes“ gestört. Das innere Kleinkind in Partnern meldet sich kräftig zu Wort …

Stefan Aust (geb. 1946) war Spiegel-Chef. Sein Beitrag „Zeitreise“ (S. 111-132) beschreibt turbulente Jahre vor/nach 1968 u. Treffen mit Studentenführern. Aust schrieb in der linken Zeitschrift „konkret“ und wusste nicht, dass zuvor „konkret“ von der DDR mitfinanziert wurde. Als darin eine kritische Serie über den Arbeiter-und Bauernstaat war,“da stellte die SED den Geldhahn ab“.

Juni 1967. Der Schah von Persien kommt. Bei der Demo wird der Student Benno Ohnesorg erschossen – vom Westberliner Polizisten Karl-Heinz Karras. Dann radikalisiert sich die Studentenrevolte. Damals war nicht klar, dass der Polizist Karras „als Agent für den Osten arbeitete“. Ob sich im Wissen darum die 1968er Jahre hätten anders entwickelt? Die spätere Gewalt und der Terror der 68-Revolte nahm am 2. Juni 1967 ihren Ausgang.