Archiv der Kategorie: Medien und Politik / Wirtschaft

Zum Zustand von Politik und Medien

Walter Hämmerle, früher Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, jetzt Innenpolitik-Chef der „Kleinen Zeitung“, hat den Zustand von Österreichs Medien und Politik kritisch unter die Lupe genommen. Unter dem Titel „Die unreife Republik“ durchleuchtet er in der Serie der Leykam-Streitschriften (Nr. 11) die Schwächen unseres Kleinstaates in Mitteleuropa, die Neigung der Österreicher zu Schlamperei und Bequemlichkeit, den Hang zu Übertreibung und Aggression. Zugleich geht er mit den Medien hart ins Gericht.

Von Hermine Schreiberhuber *

Bei der Präsentation des Buchs im Presseclub Concordia fielen auf dem Podium klare Worte. Autor Hämmerle stellte einleitend fest: Das kleine Österreich sei reich und habe viel Potenzial. Doch: „Schlamperei ist in Österreich, besonders in Wien, sprichwörtlich.“ Zugleich konstatierte er „eine gewisse Hilflosigkeit“ zwischen den Möglichkeiten und dem, was getan werde. „Politik ist kein Spiel.“ Auch die Medien betrachteten Politik oft als Spielwiese, statt dem Bürger Einschätzungs- und Urteilsfähigkeit zuzuerkennen.

Politikberaterin Heidi Glück schlug ebenfalls kritische Töne an. „In Österreich herrscht das Mittelmaß. Wir orientieren uns an anderen, größeren Staaten, aus Bequemlichkeit.“ Schuld seien immer die anderen. „Trittbrettfahren ist Usus.“ Diese Charakterzüge ließen sich aus der Geschichte ableiten: „Seit der Monarchie sind wir Mitläufer.Wir beherrschen den institutionellen Kompromiß.“ In anderen Worten: Politisches und wirtschaftliches Durchwursteln sei an der Tagesordnung und führe zu einer Erosion des politischen Systems.

„Der intellektuelle Diskurs ist fast verschwunden“, beklagte Glück, ehemals Pressesprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Zugleich sei die Boulevardisierung der Presse in Österreich weit fortgeschritten. Die Politiker umgeben sich mit vielen PR-Beratern, auf der anderen Seite würden die Journalisten immer weniger. Daraus resultiere „eine Schieflage“. Es mangle an Wertschätzung zwischen Politikern und Journalisten. Hämmerle merkte zum politischen Diskurs an, die Medien liefen Gefahr, sich für eine Seite festzulegen. Vor „gutem Boulevard“ habe er aber Respekt.

Armin Thurnherr, Herausgeber des „Falter“, argumentierte, hierzulande gehe es nicht nur um Schlamperei, sondern auch um den“Unwillen zur politischen Analyse“. Was gut sei, werde oft nicht genügend „argumentativ unterfüttert“. Es gelte, das Handwerk der Politik zu lernen. Die Öffentlichkeit habe oft den Eindruck, von den Politikern „beschwindelt“ zu werden. In den Medien habe sich ein korruptes System etabliert. In diesem Kontext übte Thurnherr heftige Kritik an der Subventionierung des Boulevard nach Auflagenstärke. Außerdem müsse die Jugend kritischer an IT-Belange herangeführt werden.

In der Folge einige Textstellen aus der Streitschrift von Walter Hämmerle.

(Vom Vielvölkerstaat zum Kleinstaat) „Das Spiel mit der geringen Größe des Landes irritiert Außenstehende und Landsleute, die höhere Ansprüche stellen. Der Satz ‚Österreich ist ein kleines Land’ aus dem Mund heimischer Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ist zu oft keine Tatsachenbeschreibung, sondern eine Ausrede für den fehlenden Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen. Manchmal bietet die geringe Größe auch Schlawinern Deckung.“

(Zustand der Medien). „Ohnehin bringen Alarmismus und Empörung niemand irgendwohin, trotzdem sind sie allgegenwärtig… Journalismus im 24-Stunden-Hamsterrad trägt seinen Tel zu dieser Entwicklung bei. Atemlos werden Schlagzeilen produziert, selbst wenn wenig bis nichts passiert. Die Logik der Digitalisierung will es so. Headlines müssen Sensationelles versprechen, auch wenn im anschließenden Text maximal Unspektakuläres zu lesen ist. Der Drang und digitale Druck zur Zuspitzung haben ihren Preis. Diskussionen werden als Duelle, Gesprächsrunden als Showdowns in Szene gesetzt; und das auf allen Kanälen.“

„Die Welt der Nachrichten ist zum Kampfplatz geworden. Nicht alle Akteure setzen dabei auf Transparenz und Fairness. Statt dessen wird getarnt, getäuscht, verwischt – alles nur, um zu verwirren.“

Das Buch hat nur gut 100 Seiten, doch der Inhalt wiegt schwer: Historische Fakten über das Werden Österreichs, Einschätzungen von Literaten wie Karl Kraus, Stefan Zweig, Robert Musil, Joseph Roth. Reaktionen auf Aktuelles von der Pandemie bis zum Ukraine-Krieg. Der Autor ist überzeugt: Die Republik braucht eine neue Verantwortungskultur.

* Mag.a Hermine Schreiberhuber ist Journalistin und Vorstandsmitglied der Vereinigung für Medienkultur

Umgang mit knappen Ressourcen

Die Themen Wohnungsnot einerseits und Bodenversiegelung anderseits gehören zu den vordringlichsten Problemen der Gegenwart. Nur selten widmen sich Medien dieser Thematik so wie die jüngste Ausgabe des ORF-Wirtschaftsmagazins Eco.

Wolfgang Koppler *

Im gegenständlichen Eco-Beitrag ging es um zum einen um Abgaben für ungenutztes Bauland, die von einigen Bundesländern eingehoben werden, um die Grundeigentümer zum Verkauf statt zum Horten wertvoller Baugründe zu bewegen. Immerhin 21 % der als Bauland gewidmeten Gründe liegen brach, auch innerhalb von Siedlungsgebieten, während anderseits immer mehr Ackerflächen an der Peripherie in Bauland umgewidmet und dann aufwendig erschlossen werden. Was natürlich auch zu weiterer Zersiedelung und Bodenversiegelung führt. Und zu Wohnraumnot und einem weiteren Anstieg der Grundstückspreise. Die dann wiederum jenen zugute kommen, die mit ihrem Bauland spekulieren.

Abgaben von einigen Tausend Euro pro Jahr werden natürlich nicht alle zu einem Verkauf ihrer Grundstücke bewegen, aber einige vielleicht doch. In Innsbruck hat man noch eine andere Idee: Die Aktivierung eines Bundesgesetzes aus dem Jahre 1974 (des so genannten Bodenbeschaffungsgesetzes), das im Falle eines im Gesetz definierten Wohnungsnotstands sogar Enteignungen gegen Entschädigung ermöglicht. Das Land Tirol müsste dazu eine entsprechende Verordnung erlassen und sperrt sich natürlich, zumal das Eigentum ja geradezu als unantastbar gilt. Interessanter Weise haben sich auch SPÖ, Liste Fritz und sogar die Neos dem Ansinnen der Innsbrucker Grünen angeschlossen. Man wird sehen, ob sie es wirklich ernst meinen.

Im Standard ist dazu schon im Vorjahr ein bemerkenswerter Artikel erschienen, der ausnahmsweise einmal eine wirklich interessante und differenzierte Leserdiskussion auslöste. Da tauchten interessante Zahlen auf, wonach zwar die Zahl der Wohnungssuchenden das Angebot erheblich übersteigt, aber anderseits auch viele leerstehende Wohnungen gar nicht auf den Markt kommen. Zahlen, die zeigen, dass mit Abgaben auf Bauland allein dem Problem wohl nicht beizukommen ist: Es wird auch Leerstehungsabgaben und andere Lenkungsinstrumente benötigen. Wie etwa eine strengere Raumordnung ohne Möglichkeit zur Willkür von Bürgermeistern und Gemeinderäten. Und strengere Bestimmungen für Appartmentvermietungen, die dem Markt jedes Jahr Tausende Wohnungen entziehen.

Ein Tabu für unseren neoliberal geprägten Journalismus. Sozialbindung des Eigentums ? Verantwortungsvoller Umgang mit knappen Ressourcen ? Ökosoziale Marktwirtschaft ? Das war einmal. Solche Gedanken gelten ja inzwischen geradezu als kommunistisch.

https://www.derstandard.at/story/2000138276599/enteignungen-das-innsbrucker-experiment

* Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Szenario für den Frieden

Politik und Medien lassen Ideen und Konzepte, wie man den unheilvollen Ukrainekrieg beenden könnte, schmerzlich vermissen. Im Folgenden der Versuch eines Szenarios, das aus der Sicht unseres Gastautors zum erwünschten Ziel führen könnte.

Wolfgang Koppler*

Eine interessante Meldung vor kurzem in der Kleinen Zeitung : Unter dem Titel „Selenskyj spricht über eine Krimlösung“ deutet der ukrainische Präsident an, unter Umständen auf die Krim verzichten zu können: „Wenn wir an den Verwaltungsgrenzen sind, denke ich, kann man politisch die Demilitarisierung Russlands auf dem Gebiet der Halbinsel erwägen“.

Er vergibt sich damit nichts. Denn unter „Demilitarisierung der Krim“ könnte man sogar die Forderung nach einem Verzicht auf den Flottenstützpunkt Sewastopol verstehen, wozu Russland niemals bereits wäre. Aber „die Demilitarisierung Russlands auf dem Gebiet der Halbinsel“ bedeutet wohl, dass die staatliche Souveränität hinsichtlich der Krim Gegenstand von Verhandlungen sein könnte.

Dies nach den Worten Selenskyjs allerdings erst, wenn die ukrainischen Truppen an den „Verwaltungsgrenzen“, als an der Grenze zur Krim angelangt sind. Eine blutige Angelegenheit, bei der wahrscheinlich noch einmal mehr als 100.000 Soldaten sterben oder für ihr Leben gezeichnet werden. Und zahlreiche Zivilisten – Männer, Frauen und Kinder. Von den ungeheuren Zerstörungen und weltweiten Kollateralschäden einmal abgesehen.

Warum fasst man nicht endlich das ins Auge, was auf der Hand liegt ? Nämlich die im Mai 2022 bereits ziemlich weit verhandelte Neutralität der Ukraine mit Sicherheitsgarantien (wobei hier Briten und Amerikaner endlich dazu bereit sein müssten), Verzicht auf die Krim sowie eine Autonomie von Donbass und Luhansk bei gleichzeitiger Demilitarisierung dieser Gebiete. Damit könnte jede Seite ihr Gesicht waren. Kein Verzicht auf Staatsgebiet mit Ausnahme der Krim. Eine Sicherheitsgarantie allenfalls der USA, Großbritanniens und der Türkei, die wesentlich weniger Spannungen verursachen würde als ein NATO-Beitritt der Ukraine, aber wohl ähnlich oder sogar mehr Sicherheit bieten würde, zumal der militärische Status der Ukraine für Russland wesentlich mehr Bedeutung hätte als Gebietsgewinne. Wie schon aus den Forderungen Russlands vor Beginn des Krieges zu ersehen ist.

Und die Demilitarisierung von Donbass und Luhansk (sowie eventuell von Cherson und Saporischschja) würde eine Pufferzone schaffen, die in beiderseitigem Interesse läge. Die russischen Truppen könnten sich ebenso aus den umkämpften Gebieten zurückziehen wie die ukrainischen. Zusammen mit einem echten Friedensvertrag statt eingefrorener Waffenstillstandslinien.

Aber der in Wirklichkeit ziemlich sinnlose NATO-Beitritt der Ukraine ist wohl wichtiger. Und Gerechtigkeit und Durchsetzung von Interessen um jeden Preis. Aber wäre es nicht sinnvoller, Menschenleben zu retten und weitere Kollateralschäden zu verhindern ? In der Ukraine und vielen anderen Ländern, die mit dem Krieg nichts zu tun haben ?

Doch auch im Westen gilt nach wie vor: Wo wir sind, herrscht Chaos. Aber wir können nicht überall sein. Immerhin: In Libyen, in Afghanistan, im Irak haben wir schon allerhand erreicht. Also warum nicht auf diesem Weg weitermachen, wenn der von uns ebenfalls zu verantwortende ökologische Kollaps zu lange auf sich warten lässt ?

Dazu eine Schlagzeile aus dem Live-Ticker der heutigen Frankfurter Rundschau: Kiew erhält offenbar Zustimmung, die Krim zu vernichten. Besser lässt sich die auch von den Medien aufgeheizte Kriegsstimmung nicht mehr charakterisieren. Man möge sich vielleicht dazu noch das äußerst devot geführte Interview mit Podoljak in der Zib2 vom letzten Donnerstag in Erinnerung rufen.

https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-news-russland-moskau-kiew-gegenoffensive-kaempfe-ticker-zr-92484991.html

* Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

ORF-Glaubwürdigkeit

Diverse Unterstellungen, ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz würde einseitig berichten, sind unhaltbar. Seine Beiträge aus der Ukraine sind überwiegend positive Beispiele für differenzierenden Qualitätsjournalismus.

Udo Bachmair

Die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird weniger durch einen einmaligen Fehler eines insgesamt verdienstvollen Korrespondenten erschüttert, als vielmehr durch den Mangel an journalistischem Bemühen, den vom ORF-Gesetz auferlegten Objektivitätskriterien auch in der außenpolitischen Berichterstattung gerecht zu werden. Im Gegensatz zu manchen anderen Kollegen erfüllt Christian Wehrschütz diese Aufgabe auf vorbildliche Weise.

Er ist ein Journalist, der penibel recherchiert, sich bei Menschen vor Ort kundig macht, nicht nur (westliche) Agenturen abkupfert. Er ist einer, der sich ernsthaft bemüht, differenzierend beide Seiten eines Konflikts zu sehen. Auch in der komplexen Causa Ukrainekrieg erweist sich die Fähigkeit von Christian Wehrschütz, ein ausgewogenes Bild über Vorgänge und Entwicklung dieses unheilvollen Krieges zu vermitteln. Bisher schon einige Male unter Einsatz seines Lebens..

Wehrschütz geht wie alle, die nicht eine Schwarz/Weiß-Malerei und ein plattes Freund/Feind-Denken pflegen, davon aus, dass im Kriegsfall beide Kriegsparteien Kriegspropaganda betreiben, demnach auch die ukrainische Seite. Dies auszusprechen, oder auch Fehlentwicklungen in der Ukraine, wie Korruption, auszusprechen, reicht für viele bereits als Beleg, die profunden Beiträge von Christian Wehrschütz‘ als einseitig prorussische zu brandmarken.

Auch wenn es auf politischer Ebene nun vor allem die NEOS sind, ORF-intern Kollegen oder eine ehemalige Korrespondentin, die gegen Wehrschütz Stimmung machen, erscheint Eines sicher: Christian Wehrschütz wird, wie ich ihn kenne, trotz aller Attacken und Unterstellungen, seine seriöse journalistische Arbeit unbeirrt fortsetzen. Das kann letztlich die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur stärken.

Dieser Beitrag von Udo Bachmair ist auch in der heutigen Ausgabe der Zeitung Die Presse erschienen.

Christian Wehrschütz im Visier

Da Christian Wehrschütz, verdienstvoller ORF-Korrespondent, ausnahmsweise einmal ein Fehler passiert ist, versuchen manche gegen ihn mobil zu machen.

Udo Bachmair

Er ist jemand, der als Journalist penibel recherchiert, abwägt, differenzierend berichtet. Ein vorbildlicher Korrespondent, der versucht, ein ausgewogenes Bild auch über Vorgänge während des Ukraine-Kriegs zu vermitteln. Im Sinne des ORF-Gesetzes, das das öffentlich-rechtliche Unternehmen auch in der außenpolitischen Berichterstattung zu Objektivität verpflichtet. Christian Wehrschütz erfüllt diese Voraussetzungen in vorbildlicher Weise.

Dass einem ZiB-Beitrag von Wehrschütz über Korruption in der Ukraine eine falsche Bildsequenz unterlegt war, mindert insgesamt nicht die Kompetenz des mehrfach preisgekrönten Ukraine-Korrespondenten. Dieser von Wehrschütz eingestandene bisher einzige Fehler, wie er sagt, ist und war jedoch für seine Gegner ein willkommener Anlass, um gegen ihn Stimmung zu machen.

Manche ORF-KollegInnen, vor allem eine ehemalige Korrespondentin, die ihren Ex-Kollegen Wehrschütz online immer wieder attackiert, beneiden ihn offenbar wegen dessen großer Akzeptanz bei Medien-KonsumentInnen. Seitens der Politik haben sich nun die NEOS auf Christian Wehrschütz eingeschossen. Überzogene Kritik von NEOS-Mediensprecherin Henriette Brandstötter hat auf STANDARD-online eine Welle an Attacken auf Wehrschütz ausgelöst.

Dass nun ausgerechnet ein dem Boulevard zugerechnetes Blatt, wie die Kronenzeitung, die Angriffe gegen Wehrschütz auf faire Weise zurechtrückt, ist lobenswert. Im Gegensatz zu den in der Ukraine-Causa nahezu gleichgeschaltet wirkenden anderen westlichen Medien geht die Kronenzeitung davon aus, dass in einem Krieg beide Kriegsparteien Kriegspropaganda betreiben, demnach auch die ukrainische Seite. Eine wohl auch in der Bevölkerung mehrheitsfähige Erkenntnis.

Christian Wehrschütz dazu auf eine entsprechende Frage von Edda Graf in der Krone-Sonntagsausgabe:

„Es gibt übrigens auch die westliche Propaganda. Die darf man nicht übersehen. Etwa die sog. Berichte des britischen Geheimdienstes. Was der schon alles behauptet hat…
Was mich aber wirklich erschüttert – und das muss ich jetzt schon einmal sagen: Wo ist endlich eine wirklich entschlossene politische Lösungsabsicht? Wo ist die Friedensbewegung? Gibt es die noch?
Wer heute für Frieden ist, ist automatisch Putin-Freund. Ich komme mir vor wie bei Orwell und frage mich, ob wir nicht tatsächlich schon in einer totalen Verkehrung der Welt angekommen sind.
Das ist ja das wirklich Absurde – dieses Abfinden mit dem Krieg, dem Töten und der nuklearen Bedrohung“.

Für eine engagierte Neutralität

Auffällig ist in vielen Medien die Tendenz, die österreichische Neutralität als nicht mehr zeitgemäß darzustellen. Doch nicht alle Experten sehen dies so.

Udo Bachmair

Die österreichische Neutralität sei überholt und kein effektiver Schutz in Zeiten wie diesen. Mit dieser Botschaft sollen MedienkonsumentInnen offenbar Zug um Zug an den Gedanken eines NATO-Beitritts Österreichs gewöhnt werden, als eine sozusagen logische Konsequenz. Dies offen auszusprechen traut sich jedoch kaum jemand im Politik- und Medienbereich, auch nicht die NEOS, die die Neutralität besonders deutlich in Frage stellen. Sie träumen von einem eigenständigen EU-Verteidigungssystem, das letztlich, sollte es überhaupt jemals realisiert werden, wiederum voll unter die Domäne und den Einflussbereich der NATO käme.

Wie auch immer, kein Weg würde in weiterer Folge an der NATO vorbeiführen. Dass seitens der westlichen Militärallianz ein großes Interesse auch an einem Beitritt Österreichs bestünde, liegt auf der Hand. Umso mehr obliegt bzw. obläge es seriösen und beherzten Experten, Argumente pro Beibehaltung der in der Verfassung garantierten und bisher auch bewährten Neutralität einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Einer dieser Wissenschafter, nämlich der renommierte Politologe Heinz Gärtner, bringt Rolle und Bedeutung eines neutralen Staates wie Österreich besonders gut auf den Punkt, indem er klar festhält:

„Neutrale Staaten sind nicht wertneutral. Im Gegenteil, »engagierte Neutralität« bedeutet, Stellung zu nehmen zu schweren Menschenrechtsverletzungen, Genozid und Krieg. Neutrale Staaten sind aber nicht gezwungen, die Positionen von Großmächten oder Bündnissen zu übernehmen. Engagierte Neutralität ist also das Gegenteil von Abseitsstehen. Sie bedeutet Einmischen, wann immer möglich, und Heraushalten, wann immer nötig. Damit kann sie ein wertvoller Beitrag der Vermittlung und der Deeskalation in Zeiten immer schärfer werdender Konfrontationen sein. Somit behält sich der Neutrale einerseits die Macht, Weisungen von Bündnissen nicht auszuführen. Andererseits wird Status der Neutralität glaubhaft und nützlich.“

Auf Augenhöhe

Lob für ORF-Redakteurin Rosa Lyon für eine weitere einfühlsame Reportage aus Afghanistan.

Wolfgang Koppler *

Allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, egal woher sie kommen, wie sie aussehen oder welchen Status sie haben, ist der Grundsatz von Rosa Lyon. Man spürt das auch in ihren Reportagen und den Interviews, die sie ihren Kolleg:innen dazu gibt.

So wie jüngst in der ZiB2, als sie sich zur derzeitigen Situation in Afghanistan äußerte. Der zweite Jahrestag nach der (erneuten) Machtübernahme der Taliban nach dem eher chaotischen Abzug der US-Truppen hat das Land ja wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Westen begnügt sich ja weitgehend damit, Sanktionen zu verhängen und jeden Kontakt mit dem Regime der Taliban zu verweigern unter Verweis auf deren Menschenrechtsverletzungen. Das hat aber die Situation dort nicht verbessert. Weder die Stellung der Frauen noch das Lage jener, die um das nackte Überleben kämpfen. Ebenso wie Eike Gottschalk die Vertreterin der Welthungerhilfe spricht sich Rosa Lyon für einen Dialog mit den Taliban aus und vor allem für Projekte vor Ort, die das Leben der Menschen verbessern können. Auch ohne Anerkennung des Taliban-Regimes, mit dessen Vertretern Rosa Lyon ebenso gesprochen hat wie mit Frauenrechtlerinnen und einfachen Menschen am Land. Auf Augenhöhe.

Da Afghanistan anscheinend nur dann in den Medien vorkommt, wenn sich die Machtübernahme der Taliban gerade jährt, ein alter bis jetzt unveröffentlichter Artikel von mir zu einer Zib2- Sendung vom August 2022:

Wirken die Sanktionen ?

Freitag Abend ZiB2. Ein wunderbarer Beitrag von Rosa Lyon über die Situation der Frauen in Afghanistan, die sich zunehmend verschlechtert. Zuerst wurden die Frauen in den Städten gezeigt, die nur mehr getrennt von den Männern und mit Schleier arbeiten dürfen. Auch sonst ist der Kontakt mit Männern in der Öffentlichkeit verboten. Ein Zurückdrängen der Frauen in den häuslichen Bereich droht. Noch wird nicht gestraft.

Dann die Situation der Frauen auf dem Land. Ihnen ging es auch während der amerikanischen Militärpräsenz in Kabul nicht gut. Vor allem wirtschaftlich. Die Menschen dort draußen wurden schlechterdings vergessen.

Die Frau, die gezeigt wurde, eine Erntehelferin ohne eigenes Land, die ums Überleben kämpft, wurde einfühlsam porträtiert. Die wirtschaftliche Situation Afghanistans ist katastrophal. Dürre. Überschwemmungen. Hunger.

Dann schließlich das Interview der ZiB2-Moderatorin mit der Gestalterin des Beitrags. „Wirken die Sanktionen ?“ Genauso gut hätte die Moderatorin (der das natürlich nicht bewusst war) fragen können: Wann verhungern die Menschen endlich ? Rosa Lyon versuchte zu erklären, dass das Regime in Afghanistan für Kontakte mit dem Westen offenbar – noch – offen ist. Das man auf Hilfe aus dem Westen wartet, wie auch ein Transparent am verödeten Flughafen in Kabul zeigt. Sie sprach auch über den Hunger und dass sich die wirtschaftliche Lage durch die Isolation verschlechtert. Handel und Bankensystem sind weitgehend zusammen gebrochen. Aber humanitäre Organisationen erhalten durchaus Zugang. Auch in entfernten Provinzen.

Ich mache Marie Claire Zimmermann, die ich sonst sehr schätze, gar keinen Vorwurf. Bin ihr sogar dankbar. Sie zeigt auf, wie wir im Westen unsere Wertvorstellungen (und Interessen) in anderen Ländern mit Gewalt oder zumindest Druck implementieren wollen und dabei das genaue Gegenteil von Humanität erreicht wird . Unsere Gesellschaft ähnelt immer mehr der „animal farm“ von Orwell. Four legs good, too legs bad. Vielleicht sollte man statt dessen zu den ganz alten, eigentlich selbstverständlichen Weisheiten zurückkehren: Mit leerem Magen lässt sich schlecht über Moral reden.

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ORF Teletext vom 14.8.2023.

Mehr Pragmatismus mit Taliban ?

Die Welthungerhilfe spricht sich für einen pragmatischen Umgang mit den in Afghanistan herrschenden radikal-islamistischen Taliban aus.

Für die Bevölkerung „kann nur zusammen mit den Taliban etwas erreicht werden, nicht gegen sie“, sagt die Asien-Regionaldirektorin der Welthungerhilfe, Eike Gottschalk, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei versucht worden, Druck auf die Taliban auszuüben, ihre menschenverachtende Politik zu beenden. Diese hätten sich davon überhaupt nicht beeindrucken lassen, so Gottschalk. Die humanitäre Hilfe dürfe nicht politisiert werden.

https://www.news.at/a/rosa-lyon

* Gastautor Mag.Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Mainstream-Medien auf NATO-Linie ?

Immer deutlicher wird offenbar, dass österreichische Medien zunehmend auf kritischen Kurs gegenüber unserer Neutralität einschwenken bzw. bereits eingeschwenkt sind.

Fritz Edlinger *

Die Berichterstattung mancher österreichischer Medien über die von rund 70% der heimischen Bevölkerung geschätzten immerwährenden Neutralität lässt zunehmend Zweifel an den Absichten mancher Herausgeber und ihrer Journalisten entstehen. Vor allem die überregionalen Zeitungen – ich meine hier vor allem Kurier, Standard und Presse – bombardieren ihre Leserinnen und Leser mit neutralitätskritischen Analysen und Interviews.

Ganz zufällig haben sowohl der Kurier als auch der Standard elendslange Interviews mit dem als NATO-Propagandisten bekannten US-Professor Timothy Snyder veröffentlicht, der nicht nur die NATO-Ukraine-Politik ohne weitere Wenn und Aber unterstützt, sondern der sich auch noch die Freiheit nimmt, Österreich darauf hinzuweisen, dass seine Neutralität seit langem nicht mehr zeitgemäß sei.

Den sprichwörtlichen Vogel hat allerdings der langjährige ORF-Auslandskorrespondent und regelmäßiger Falter-Kommentator Raimund Löw, der in seinem Kommentar im Falter die Demolierung der Neutralität konstatiert und empfiehlt, dass sich Österreich ebenfalls dem „Schutz der NATO“ anvertrauen soll. Im ebenfalls einmal linksliberal positionierten Standard liest man es ähnlich. Die Zeitenwende hat ganz offensichtlich in den Hirnen vieler Menschen, vor allem auch solcher in Politik und Medien tätigen, zu einer radikalen Bewusstseins- und Meinungsveränderung geführt. Die deutsche Außenministerin ist da offensichtlich kein Einzelfall.

Dass Hopfen und Malz noch nicht gänzlich verloren sind, beweisen einige mutige Autoren, wie unser langjähriges Redaktionsmitglied Prof. Heinz Gärtner (siehe sein aktuelles Interview in der deutschen Zeitschrift Die Zeit und auch eines im Schweizer Rundfunk). Auch ein langes Interview mit Prof. Dieter Segert (übrigens ebenfalls Autor in der aktuellen Ausgabe von INTERNATIONAL) in den Salzburger Nachrichten zeigt, dass es doch noch nachdenkliche und friedenswillige Menschen gibt. Der langjährige ORF-Redakteur Udo Bachmair gehört ohne Zweifel ebenfalls zu dieser Gruppe, wie sein Kommentar in der Internet-Zeitschrift „Unsere Zeitung“ (siehe Link) beweist. Offensichtlich verbreiten sich gewisse meinungsändernde Viren in bestimmten – zumeist großstädtischen Blasen – stärker als in periphereren Milieus.

Ich möchte abschließend nochmals auf einige unserer jüngsten Videos zu Fragen der Neutralität und der Friedenspolitik verweisen. Wir werden weiterhin derartige nationale und internationale Positionen verbreiten, um die Möglichkeit zu geben, sich auch Informationen zu besorgen, die man in den meisten der heimischen Mainstreammedien kaum mehr findet. Dass Meinungsfreiheit und Pluralismus zu den Grundsäulen unserer „freiheitlich-demokratischen“ Grundordnung zählen, scheint immer weniger Menschen bewusst zu sein. Zumindest bei jenen, welche privilegierte Zugänge zu Medien haben.

Links:

www.international.or.at

www.unsere-zeitung.at/2023/07/15/neutralitaet-ade/

www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/hat-die-neutralitaet-ausgedient?partId=12417424

Die Zeit: „Diese Raketen sind nicht nur ein Schutz“- Prof. Heinz Gärtner

* Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL. Der Text ist aus dessen Newsletter entnommen.

100 nö. Gemeinden ohne Bankomat

Auf dem Land fehlen vielfach Bankomaten, besonders in Niederösterreich. Der dortige SPÖ-Chef Sven Hergovich fordert daher 100 neue.

Hans Högl

Schon vor ein paar Jahren schrieb ich einen Leserbrief an die NÖN, die maßgebliche Zeitung in NÖ, dass in Gemeinden des Weinviertels und anderswo Bankomaten fehlen und nicht nur ältere Menschen in ihrer Nähe keine Möglichkeit haben, Geld zu beheben. Die Raika-Sparkassen haben örtliche Filialen aus Kostengründen oft aufgelassen. Manchmal wie in Asperhofen bei Neulengbach ist eine Tankstelle eingesprungen und bietet die Möglichkeit, Geld zu beheben. Offensichtlich ist das Problem noch immer virulent. Ein Problem besteht darin, dass die Raika-Besitzanteile an der NÖN hat und solche Anliegen darum nicht aufgegriffen werden. In diesem Sinne ist es gut, dass auch die ORF-News darüber berichten.

In beinahe 100 Gemeinden habe man laut Hergovich keine Möglichkeit, Bargeld zu beheben. Nun fordert er, die Landesbank Hypo NOE zu beauftragen, dort Bankomaten zu installieren. Die Hypo kann dies nicht nachvollziehen.

„Wir brauchen in Niederösterreich Regionen der kurzen Wege“, erklärt Sven Hergovich (SPÖ) in einer Aussendung. Man brauche eine „Strukturoffensive“, zu der es auch gehöre, in allen Regionen Zugang zu Bankomaten zu haben, „damit die Orte dort wieder lebendiger und attraktiver werden“.

Medienkampagne gegen die Neutralität

In Berichten und Kommentaren mehren sich jene Stimmen, die Österreichs Neutralität als überholt betrachten. Experten, die dies anders sehen, sind in unseren Medien eher nicht willkommen. Doch es gibt Ausnahmen.

Udo Bachmair

Beim Medienkonsum der vergangenen Wochen fällt die zunehmende Tendenz in der Berichterstattung auf, die österreichische Neutralität als nicht mehr sinnvoll darzustellen. In der veröffentlichten Meinung dominieren Argumente, die letztlich zur Aufweichung der Neutralität führen sollen. Gleichzeitig fehlt den meisten Neutralitätsskeptikern der Mut, offen auszusprechen, dass die einzige Alternative zu der bei Österreichs Bevölkerung höchst populären Neutralität der Beitritt zur NATO wäre.

Während im Social Media-Bereich auch warnende Argumente vor einer Abkehr von Österreichs Neutralität und einem NATO-Beitritt zu finden sind, wird man diesbezüglich in Printmedien oder auch in ORF-Beiträgen kaum fündig. Es kommen nahezu ausschließlich neutralitätsskeptische und NATO-nahe Stimmen vor, die die Neutralität am liebsten über Bord werfen würden. Differenzierend argumentierende Persönlichkeiten, wie etwa der frühere Bundesheergeneral Wolfgang Greindl oder der besonders profunde Politikwissenschaftler Heinz Gärtner kommen hingegen kaum zu Wort.

Mit einer positiven Ausnahme überrascht hingegen die renommierte deutsche Wochenzeitschrift ZEIT. Sie hat ein höchst bedenkenswertes Interview mit Univ. Prof. Gärtner veröffentlicht.

Gärtner sieht im Beitritt Österreichs zur European Sky Shield Initiative rechtlich keine Neutralitätsverletzung, wenngleich das österreichische Bundesheer damit NATO-tauglicher gemacht werden solle. Der Politologe befürchtet aber Gefahren für unser Land. Raketen des künftigen Luftabwehrsystems könnten nicht nur ein Schutz, sondern auch zu einem „Magneten“ werden:

„Man weiß ja noch nicht genau, welche Waffen Österreich am Ende kaufen wird, aber die Rede bei Sky Shield ist zum Beispiel von solchen, die 20 bis 80 Kilometer weit fliegen können. Diese können nicht nur als Defensiv-, sondern auch als Offensivwaffen betrachtet werden – und damit zu einem Ziel werden. Ein potentiell feindlicher Staat könnte versuchen wollen, sie zu vernichten“

Prof. Gärtner hebt in dem ZEIT-Interview die Funktion des neutralen Staates als Vermittler in Konfliktsituationen hervor. Österreichs Außenpolitik hat sich ja von dieser noch zu Kreiskys Zeiten vorbildlichen Rolle Österreichs bereits sehr weit entfernt :

„Nach einem Ende des Krieges in der Ukraine sollte es einen Prozess geben – wie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki 1975. Die Nato-Staaten werden diese Funktion nicht übernehmen können. Österreich oder die Schweiz aber schon“

Und dann im Interview die erwartete und immer wieder in den Medien gestellte Frage: Ist die Neutralität noch zeitgemäß ? Heinz Gärtner dazu klar: „Ja, natürlich“:

Heinz Gärtner plädiert in dem Gespräch mit ZEIT-Redakteur Florian Gasser für das Konzept einer „engagierten Neutralität“, indem er ausführt:

„Wir müssen uns so viel wie möglich einmischen und so viel wie notwendig raushalten. Das ist etwas anderes als die traditionelle isolationistische Position, die etwa die FPÖ noch vertritt. Die wollen still sitzen und sich nirgendwo beteiligen. Das ist das Gegenteil einer engagierten Neutralität. Österreich sollte sich diplomatisch unbedingt stärker engagieren. Wir müssen uns wieder mehr einsetzen und uns auch wieder stärker bei Friedensmissionen der UN beteiligen.“

Auch im neutralen Irland läuft zu diesem Thema eine rege Debatte. Dort dürfte man jedoch im Widerstand gegen eine Aufweichung der Neutralität schon weiter sein als in Österreich. Als besonders laute und beherzte Stimme pro Neutralität erweist sich in Irland die linke EU-Abgeordnete Clare Daly. Sie ist als Hauptrednerin und Organisatorin einer Neutralitätskonferenz vehement gegen Versuche der irischen Regierung aufgetreten, Abstriche von der Neutralität zu machen.

Näheres zur Neutralitätsdebatte in Irland hat Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL zur Verfügung gestellt:

www.international.or.at/wp-content/uploads/2023/07/Reinisch_Irl-Neutraliaetsdebatte_International_2023-07-01.pdf