Archiv der Kategorie: Medien und Politik / Wirtschaft

Destabilisierung der politischen Fundamente

Fundamentalkritik: Hintergründe

Hans Högl

Die „Dämonen“ von Dostojewski hätten mehr Aussagekraft als die Botschaften von Karl Marx. Sicherlich: Eine sehr gewagte Aussage von Albert Camus. Das Wiener Burgtheater inszeniert den genannten Roman auf der Bühne. In Vorbereitung auf diese 4-stündige fordernde Dramatisierung griff ich auf die deutsche Übersetzung der „Dämonen“ zurück und befasste mich mit den Anarchisten am Ende des 19. Jahrhunderts im vorrevolutionären Russland. Ein Drahtzieher dieser Anarchisten, die Morde, Brandstiftungen und diverse Unruhen in einer Kleinstadt bei Petersburg in Szene setzten und sich in 5er-Komitees „verschwörten“ und die Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzten, wurde gefragt, warum sie das tun. Dieser antwortete „eilig und eifrig“:

„Zum Zwecke einer systematischen Erschütterung der Fundamente; zum Zwecke einer systematischen Zersetzung der Gesellschaft und aller Elemente; um alle zu entmutigen und aus allem einen Mischmasch zu machen und, wenn dann die Gesellschaft auf diese Weise ins Wanken gebracht, krank und matt, zynische und ungläubig geworden sei, sich aber grenzenlos nach einem leitenden Gedanken und nach Selbsterhaltung sehne, sie auf einmal selbst in die Hand zu nehmen, indem man die Fahne der Empörung erhebe und sich auf ein ganzes Netz von Fünferkomitees stütze, die unterdes gewirkt, geworben und praktisch alle Kunstgriffe und alle schwachen Stellen, die man in Angriff nehmen könne, ausprobiert hätten.“
Zitat aus: Fjodor Dostojewski: Die Dämonen. Insel Taschenbuch, 2. Aufl. 2019, p. 919.

Diese Zielsetzung einer systematischen Zersetzung unserer demokratischen Fundamente und der Gesellschaft ist unausgesprochenes Ziel einzelner aktueller politischer Bewegungen – in den Jahrzehnten nach 2000 und davor. Sie kritisieren alles nur Denkmögliche und verfolgen eben diese Ziele wie die Anarchisten im vorrevolutionärem Russland.

Journalistische Einseitigkeit inakzeptabel

Die Frage, ob und wie einseitig unsere Medien über den Ukraine-Krieg berichten, war Gegenstand einer bemerkenswerten Diskussionsrunde jüngst in „Links.Rechts.Mitte“ von Servus TV.

Udo Bachmair

Ist es gerechtfertigt, dass sich Journalisten auf eine Seite schlagen, nämlich auf die der Ukraine ? Fehlt es unseren Medien an Distanz ? Zwei der Fragen im Diskussionsformat „Links.Rechts.Mitte.“jüngst in Servus TV.

Gleich zu Beginn der Debatte stellte die TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann klar . „Russland ist unser Feind“. Daher trete sie auch für die mediale Unterstützung der Ukraine ein. Russland habe sämtliche Verträge gebrochen ( Kopfschütteln bei den Mitdiskutanten Christian Wehrschütz und der Historikerin Andrea Komlosy ) und sei zweifellos imperialistisch.

„Bei allem Leid“, entgegnete der besonders engagierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, seien Einseitigkeit und Parteilichkeit in der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg „völlig inakzeptabel“. Er habe den Eindruck, dass vor allem deutschsprachige Medien „in einem Gut/Böse-Schema sind“.

Wie Wehrschütz verurteilten auch die anderen Studiogäste den Krieg Russlands gegen die Ukraine. So auch Franz Schellhorn von der liberalkonservativen Agenda Austria. Er gab jedoch zu bedenken, dass wir weiterhin von russischen Rohstoffen abhängig seien.

Die Historikerin Andrea Komlosy fand es bedenklich, dass wir so tun, als würden wir selber Krieg gegen Russland führen. „Wir dürfen nicht länger einseitig eine Seite unterstützen“, sagte sie. Der Krieg müsse gestoppt werden, „die westlichen Waffenlieferungen schüren ihn aber“.

Christian Wehrschütz, bezüglich differenzierender Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet ein Vorbild für Qualitätsjournalismus, wünscht sich von seinen JournalistenkollegInnen „mehr rationalistische und weniger moralisierende Berichterstattung“. Westliche Medien würden „viele Grautöne außer acht lassen“, fügte Wehrschütz hinzu. So sei etwa die Tatsache, dass Supermachtinteressen eine große Rolle spielen, unterbelichtet. Das sei keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg, aber er gibt zu bedenken:

„Gut oder Böse gibt es in der Politik nur selten“.

Ein Veranstaltungstipp:

Um westliche Berichterstattung am Beispiel des Ukraine-Kriegs geht es auch in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion u.a. mit Heinz Gärtner und Christian Wehrschütz (angefragt) am

24. Jänner ab 18.30 Uhr im Presseclub Concordia, Bankgasse 8, A-1010 Wien

Moderation : Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur

Verbales Tauziehen um Zwingli

Eine missbräuchliche Verwendung des Namens Zwingli im STANDARD erregt Verwunderung. Mit Zwingli titulierte der Autor des „Einserkastls“ den neuen alten Kommunikationschef der ÖVP.

Udo Bachmair

Der Meister der Message Control, Gerald Fleischmann, sattsam bekannt in Redaktionen des Landes für seine Intervenitis zugunsten seines Intimus Sebastian Kurz, werkt nun also wieder als ÖVP-Kommunikationschef. Was als Signal nach innen verständlich erscheint, um die Kurz-Nostalgie innerhalb der Partei zu befriedigen, hat nach außen eine fatale mediale Wirkung.

Nahezu alle Medien haben die Rückkehr des umstrittenen Medienmannes äußerst kritisch kommentiert. Sie wissen, warum, nämlich aus leidvoller eigener Erfahrung, wie mir auch Ex-Kollegen aus dem ORF die zahllosen Interventionen Fleischmanns zugunsten von Kurz bestätigen.

Auch der STANDARD hat in seinem „Einserkastl“ die leidige Causa ganz unverblümt kommentiert. Autor Christoph Winder hat sich jedoch mit der für Fleischmann verwendeten Bezeichnung „Zwingli“ erwartbare Kritik vor allem seitens der Evangelischen Kirche H.B. eingehandelt.

Zunächst ein Zitat aus dem erwähnten STANDARD-Kommentar :

Der neue alte Zwingli der ÖVP heißt seit kurzem wieder Gerald Fleischmann. Ihm traut man zu, dass er die ganze kommunikative Palette von „Das sagen wir lieber nicht“ bis „Halt sofort die Goschen“ draufhat und zudem süße Erinnerungen an die goldene türkise Zeit wachhält.
Bleibt nur zu hoffen, dass ihn die Staatsanwaltschaft nicht zu häufig bei der Arbeit stört. Die lässt sich das Goschenhalten nämlich nur ungern anschaffen.

(Christoph Winder im STANDARD-Einserkastl)

Der Verfasser der Glosse hätte wissen müssen, dass vor allem auch die Evangelische Kirche helvetischen Bekenntnisses die missbräuchliche Verwendung des Wortes „Zwingli“ klar ablehnen würde.

Landessuperintendent Thomas Hennefeld dazu in einem Brief an den STANDARD:

Als Vertreter einer kleinen konfessionellen Minderheit bin ich daran gewöhnt, dass die meisten Menschen mit dem Namen „Zwingli“ nicht viel anfangen können. Dass ich aber den Namen des Reformators im Zusammenhang mit dem neuen alten ÖVP-Kommunikationschef lesen muss, macht mich sprachlos. Zwingli hatte auch seine Schattenseiten, aber er steht in unserer Evangelischen Kirche H.B. in Österreich bis heute für das Aufbrechen verkrusteter Strukturen, für die weitgehende Beseitigung der Armut und für die Befreiung der Menschen von Tyrannei und Willkür. Ulrich Zwingli wetterte gegen die Profitgier der Reichen und prangerte das damals herrschende korrupte System an. Er richtete sich auch auf der Kanzel gegen Verlogenheit, Doppelmoral und Heuchelei. Die Kirche, in der ich als Gemeindepfarrer tätig bin, heißt übrigens Zwinglikirche.
(Mag. Thomas Hennefeld, Gemeindepfarrer und Landessuperintendent der Evangelischen Kirche H.B. in Österreich)

Wiener Zeitung ohne Überlebenschance

Diese Woche läuft die Begutachtungsfrist des neuen Medienförderungsgesetzes ab. Damit wird auch die Rettung des „Kulturguts“ Wiener Zeitung immer unwahrscheinlicher.

Stellvertretend für viele Stimmen des Protests gegen diese Maßnahme der schwarz/grünen Bundesregierung folgende ( von Udo Bachmair ausgewählte ) Zitate:

Die in medienpolitischen Dingen komplett indolente und skandalös agierende Regierung, der auch die Grünen angehören, zuckt nicht einmal mit dem Ohrwaschel, um etwas zur Rettung dieser Zeitung zu unternehmen, obwohl es ihre verdammte Pflicht wäre.

( Armin Thurnher, FALTER )

In einer Zeit, in der Qualitätsmedien weltweit einen Überlebenskampf gegen Banalität und Trivialisierung führen müssen – und ihn zu oft auch verlieren –, ist jede Würdigung und Auszeichnung für diese aus vielen Gründen außergewöhnliche österreichische Zeitung ein wichtiger Beitrag, um das Fortbestehen der Wiener Zeitung auch in Zukunft abzusichern.

( Aus einem Brief von Hugo Portisch und Heinz Nussbaumer aus dem Jahr 2019, als die ÖVP/FPÖ-Koalition unter Kanzler Kurz den Todesstoß für die Wiener Zeitung androhte. Nun wird das Ende des Qualitätsblatts auch von den Grünen unterstützt…)

Hintergrundwissen über Journalismus

Wertvoller „Falter-Beitrag“ für Interessierte und Medienkunde-Lehrende

Hans Högl

Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ greift umfassend am 16. Nov. auf, „Was Sie schon immer über den Journalismus wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“(S. 22-26). Es lohnt der Kauf des Magazins für Medienkunde-Lehrkräfte und allgemein Interessierte der Medienkultur. Ein paar Gustostückerl: In Deutschland gibt es keine Inserate der Regierung für gute und schöne Berichte.

Fragen im „Falter“ : Was heißt „Off record?“ Was sind autorisierte Interviews? Warum wird Österreichs Presseförderung nach Verkaufszahlen, nicht nach Qualität vergeben? „Weil das bisher im Gesetz nicht vorgesehen ist“ (Ein falsches Spiel mit Erwartungen!). Was ist ein Redaktionsstatut? Warum Gratiszeitungen in Wiener Linien aufliegen dürfen: weil „Heute“ und „Österreich“ „sehr gute Kontakte zur Stadt Wien“ haben. Was sind die größten (privaten) Medienhäuser Österreichs? Was ist journalistische Sorgfaltspflicht?

Während ein ORF-Direktor vom parteipolitischen Stiftungsrat mit einfacher und nicht geheimer Wahl bestimmt wird, erfolgt die Wahl eines ZDF-Intendanten (Intendantin) anders:
a) geheim b) ferner muss er/sie von drei Fünftel der Verwaltungsmitglieder gewählt werden
und c) von drei Fünftel der 60 Fernsehrats-Mitglieder.

NB. Das ORF-Gesetz sieht vor, dass quasi Österreichs (Groß) Parteien (in) direkt Zugriff auf den ORF haben (wenn er sich das bieten lässt), und a l l e (Groß) Parteien nützen dies ausnahmslos. Es gibt auch Nicht-Privilegierte, die im ORF Karriere machen, aber viel schwieriger.

Fragwürdige grüne Medienpolitik

Der Vorstoß der grünen Regierungspartei für eine zentrale ORF-Finanzierung aus dem Bundesbudget lässt demokratie- und medienpolitische Alarmglocken schrillen.

Udo Bachmair

Nach der FPÖ und anderen, die den ORF stärker an die Kandare nehmen wollen, sind nun auch die Grünen dafür, dass der ORF aus dem Budget des Bundes finanziert wird. Mit entsprechenden Äußerungen gegenüber KURIER und STANDARD schlägt die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger all jene Bedenken in den Wind, die von der Gefahr einer verstärkten Regierungsabhängigkeit des ORF ausgehen.

Die ORF-Führung müsste demnach jedes Jahr zum Finanzminister pilgern und darum betteln, die Finanzierung des ORF ( mit entsprechendem Wohlverhalten ? ) weiter garantiert zu bekommen. Der Vorschlag Blimlingers, ein derartiges Finanzierungsmodell könnte ja durch eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat abgesichert werden, kann jedoch Befürchtungen rund um einen drohenden Verlust der Unabhängigkeit des ORF kaum entkräften.

Der ORF gehört gleichsam dem Publikum und nicht der Regierung. Blimlinger sei daran erinnert, dass einige den Grünen durchaus nahestehende Persönlichkeiten und Initiativen etwa bei der „Alternativen Medienenquete“ 2019 einer Finanzierung des ORF via Bundesbudget eine klare Absage erteilt haben, nicht zuletzt aus demokratiepolitischen Gründen. Wären die Grünen in Opposition, würden sie gegen derartige Pläne Sturm laufen..

Ebenso würden sie konsequent daran arbeiten, die ORF-Gremienreform, wie die Entpolitisierung des Stiftungsrates, vehement voranzutreiben. Dazu treffend Daniela Kraus vom Presseclub Concordia, die im Gegensatz zu ÖVP-Medienministerin Raab in Medienfragen als hoch kompetent gilt, im KURIER : „Detaillierte Vorschläge liegen auf dem Tisch, allein es fehlt der politische Wille der Parteien-spätestens wenn sie an der Macht sind“.

Und weil sie an der Macht sind, finden die Grünen auch nichts dabei, dem schon von Sebastian Kurz erwünschten Ende der renommierten Wiener Zeitung als täglich erscheinendes Blatt zuzustimmen. Der Widerstand auch in den eigenen grünen Reihen gegen ein Aus für ein teils regierungskritisches Medium hat bisher nichts gefruchtet. Ein „Kulturgut“ ist damit verloren gegangen und die Medienlandschaft ist weiter verarmt.

Globaler Süden verstärkt in Medien ?

Es scheint, als würden sich mehr Medien doch stärker für Themen des globalen Südens erwärmen.

Ilse Kleinschuster *

Dass die Klimakrise „eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit ist und ganz besonders Schutzlose trifft“, das ist heute zu lesen in einen Gastkommentar einer politischen Referentin bei „Ärzte ohne Grenzen“ in der Wiener Zeitung – https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2168113-Echte-Klimagerechtigkeit.html Bis jetzt habe ich ähnliche Berichte aus dem globalen Süden eher in den Broschüren der Ärzte ohne Grenzen oder medico international gelesen, daher weiß ich schon länger von der lebensbedrohlichen Lage von zig-Millionen von Menschen, die in der südlichen Hemisphäre durch Hitzewellen von mittelschwerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Ich wunderte oder ärgerte mich daher auch nicht sehr über die teils ignoranten Kommentare dazu.

Schlagzeilen und Berichte in Tageszeitungen des globalen Nordens sahen bisher meist anders aus. Ja, ich finde, der globale Süden wurde und wird höchst stiefmütterlich in unseren Zeitungen behandelt. Dass solche Berichte jetzt öfter unsere Augen und Ohren öffnen werden, haben wir wohl der Aktualität der Weltklimakonferenz, der COP27, zu verdanken. Wie lange wird das Interesse bleiben? – Nun, jetzt bietet sich ja auch noch Katar an!

Umso mehr freute ich mich heute über einen Bericht von Ladislaus Ludescher im Sudwind-Magazin, der meint: „Berichte über den Globalen Süden rangieren offensichtlich weit hinten auf den Prioritätenlisten der Redaktionen. Dass in der Tagesschau den Sportergebnissen mehr als 13mal so viel Zeit eingeräumt wurde wie dem Hungerthema, gibt zu denken.“ https://www.suedwind-magazin.at/das-verschwinden-der-85-prozent/

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist in der Zivilgesellschaft aktiv sowie auch engagiertes Mitglied der Vereinigung für Medienkultur

Medien/Politik-ein unheilvolles Verhältnis

Einflussnahme auf Medien hat es immer gegeben. Ja, aber in den letzten Jahren hat sich da eine neue „Qualität“ entwickelt.

Udo Bachmair

„Das war früher auch nicht anders“–so lautet die Mehrheitsmeinung zur speziell in Österreich besonders ausgeprägten „Kultur der Verhaberung“ zwischen Politik und Medien.

Versuche von Einflussnahmen seitens der Politik auf die Medien und umgekehrt Liebedienerei von Medien gegenüber Polit-Eliten hat es freilich früher auch schon gegeben.

Während jedoch seinerzeit vor allem politische und ideologische Deutungshoheit im Vordergrund gestanden ist, so dominiert heute weitgehend inhaltlos reines Machtstreben.

Eine Entwicklung hin zu inhaltlicher Leere, die vor allem der massive Einsatz von „Message Control“ in der Zeit von Kanzler Sebastian Kurz „salonfähig“ gemacht hat.

Im Gegensatz etwa zu Bruno Kreisky, Alois Mock oder Franz Vranitzky, die für Inhalte gestanden sind, haben sich Kurz/Co. als pure Machttechnokraten erwiesen.

Gut auf den Punkt gebracht hat das heute eine Analyse der Tageszeitung Der Standard. Hier ein Zitat:

„Wer keine Inhalte hat, muss sich auf Inszenierung verlassen. Und auf Mikromanagement bis in die Redaktionen hinein. Bei Sebastian Kurz merkte man als erfahrener Journalist bald die Leere. Dabei bot er einerseits selbst den Medien erstaunliche Nähe und Zugang an, intervenierte aber gleichzeitig in die Medien hinein- mit Drohung und / oder Bestechung. Er fand bei manchen willige Helfer, das wirkt jetzt nach.“

Im Kampf gegen die Klimakrise

Die Welt-Klimakonferenz in Ägypten plädiert für große und kleine Schritte im Kampf gegen die Klimakrise. Zum Thema ist ein interessantes Buch erschienen.

Hans Högl

Buch-Rezension: Deepa Gautam-Nigge: Ecosystem Innovation. Mit Innovationen unsere Zukunft sichern, Freiburg (Haufe Group), 2022.

Zum idealen Zeitpunkt der internationalen Klimakonferenz erscheint ein Öko-start-up Buch. Doch noch kleinere Öko-Schritte zählen, so bringt die Grazer „Kleine Zeitung“ täglich links oben S. 2, sehr gut positioniert, kurze Ökotipps und einen Beitrag über Studierende, die für Anfängerstudien mit 333 € belohnt wurden. Ja- dies sind weltweit Bagatellen, aber Realschritte. Das ökologische Anliegen bekommt Wurzeln und ist mehr als politisches Trara.

Nun zur Rezension des mit vielen Fotos einladenden, schön gegliederten Sammelbandes, zu dem man gerne greift. Umfang: 299 Seiten. Der Name der Autorin überrascht: Sie hat eine Zuwandererbiografie, ihre Eltern kamen aus Nepal, landeten 1972 am Frankfurter Flughafen – mit zwei Koffern und 250 DM und als Mediziner. Sie ließen sich auf eine neue Kultur und Sprache ein (S. 30 f). Unter Migranten sind es Macher, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und Risikos einzugehen. Die Autorin, Rheinländerin, studierte BWL mit Fokus auf Technologie- und Innovationsmanagement und lebt mit ihrer Familie in München.

Vor mehr als zehn Jahren wurde ein Projektleiter gesucht. Thema: Ecosystem Innovation. Deepa meldete sich. Vorgaben keine, Erwartungen unklar. Sie stellt ein interdisziplinäres Team mit bisher Unbekannten zusammen – acht Köpfe aus dem Marketing, Produkt- und Personalmanagement. Die Aufgabe: Man nehme eine fast fertig ausgereifte Innovation, die noch nicht den Weg zur breiten Kommerzialisierung gefunden hat und motiviere Menschen, diese Technik anzuwenden. Das Ergebnis: überwältigend (S.18).

Beim Buchprojekt ging es ähnlich zu: Es betraf mehr Vernetzung bei Innovationen. Wolf Lotter, Gründer des Wirtschaftsmagazins „brand eins“, wurde zur breiten, deutschen Skepsis versus neuer Technologien befragt. Lotter: Das politische System blieb seit Bismarck relativ autoritär, und es fehlt, was in Frankreich, England und in den USA selbstverständlich ist, an Citoyens, selbstbewussten Bürger:innen, die sagen: Das nehme ich in die Hand (S. 38). So findet sich im Buch wiederholt die Frage, was der Staat tun könne. (Auch in Österreich wird immer wieder nach dem Staat als einzigen Problemlöser gefragt – trotz Politik(er)-Verdrossenheit…).

Deepa Gautam-Nigge beschäftigt sich seit zwei Dekaden – mit der Markeinführung von Eco-Innovationen. Und sie zählt sich zu den 20 Prozent der Menschen, die Neues suchen (S. 18). Unternehmen mit Diversität an Belegschaft haben eine bis 20 Prozent höhere Innovationsrate. In den USA sind die Hälfte aller Unicorns, die mit mindestens 1 Milliarde $ bewertet sind, von Migranten oder deren Kinder gegründet worden. In Deutschland sei das Willkommen versus ausländischen Arbeitskräften kühl: Bei der Bewertung, wie einfach es ist, sich einzuleben, kommt Deutschland erst auf Platz 56 von 65 Ländern (S. 32). Doch in Berlin und München sind Arbeitsteams international stark aufgestellt.

Auf der Suche nach dem optimalen Start-up-Ökosystem geht der Blick ins Silicon Valley. Als Hauptzutaten für den Erfolg werden gemeinhin genannt: Technologien, Talent, Kapital (S. 82). Deepa: Wir dürfen, wenn wir über Defizite sprechen, die vielen positiven und mutmachenden Beispiele, die Erfolgsgeschichten deutscher start-ups, nicht aus dem Auge verlieren (S. 28). „Lieber einmal weniger darüber nachdenken, was alles schief laufen könnte… (wie dies Medien gern tun), „sondern optimistisch davon ausgehen, dass es gut gehen wird“ (S. 33). Innovation gelingt an den Schnittstellen diverser Netzwerke. Deutschland hat auch innovative Zentren- so die RWTH Aachen mit Prof. Günther Schuh, und die vielen Mitautoren belegen es. Faktum ist, dass Unternehmen auch mit Ökologie gut verdienen können – so ein Betrieb in meiner Wohnumgebung.

Das Buch will Zukunft gestalten. Deutschlands Abstand zu den Innovationsspitzenreitern Schweiz, Singapur und Belgien ist groß. Es liegt auf Platz 17 der 60 wettbewerbstüchtigsten Ländern (S. 19f.).

Anbiederung an Machteliten

Angesichts der Chataffären rund um „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und ORF-TV-Chefredakteur Matthias Schrom hat „Reporter ohne Grenzen“ eine Liste mit Vorschlägen erstellt, um die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Österreich zu stärken.

Udo Bachmair

Der mittlerweile beurlaubte ORF-Chefredakteur Schrom beruhigt 2019 in einem SMS den damaligen Vizekanzler und FPÖ-Chef Strache: „Die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden im ORF weniger“.
„Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak bittet Thomas Schmid, den früheren Generalsekretär und Vertrauten von Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz, sich für ihn als künftigen ORF-Generaldirektor einzusetzen.
ÖVP-Großspender Alexander Schütz bezeichnet ORF und APA als „rotes Zeckenparadies“, in dem „aufgeräumt“ gehöre.

Ein nur kleiner Ausschnitt aus nun bekanntgewordenen bedenklichen Chats, in denen Chefredakteure und „Sponsoren“ sich mit Politikern über Personal, Inhalte, Kollegen unterhalten.

Vor dem Hintergrund dieser neuen Enthüllungen ist auch der renommierten Organisation „Reporter ohne Grenzen“ der Geduldsfaden gerissen. Der engagierte neue Vorsitzende von RSF, Univ.Prof. Fritz Hausjell, hat mit sofortiger Wirkung eine Internet-Plattform für Medienschaffende eingerichtet, die die Möglichkeit bieten soll, Verstöße aufzuzeigen, „wenn nötig anonym“.

Um die Unabhängigkeit der Berichterstattung in Österreich zu stärken, hat „Reporter ohne Grenzen“ auch eine Liste an rasch zu realisierenden Vorschlägen erstellt:

>>Gründung einer Aufklärungskommission, die in Machtmissbrauchsfällen unabhängig ermittelt.
>>Stärkung von Redaktionsräten als Kontrollorgan, durch das journalistische Unabhängigkeit garantiert werden kann.
>>Compliance-Regeln mit klaren Richtlinien u.a. in Bezug auf Grauzonen.

Prof. Fritz Hausjell (Mitglied des Beirats der Vereinigung für Medienkultur) gegenüber der APA wörtlich :

„Die klare Distanz von Journalist*innen zu Machteliten in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen ist eine wesentliche Voraussetzung für unabhängigen Journalismus. Dieses Selbstverständnis muss in Österreich bei einem Teil der handelnden Akteur*innen im Journalismus nachgeschärft werden. Die Medienkritik in den Medien selbst hat bisher zu wenig konsequent als Watchdog gegenüber den eigenen Reihen gearbeitet“