In der jüngsten ZiB2 des ORF war der umstrittene ehemalige NATO-Chef Rasmussen zu Gast. Allzu kritische Fragen brauchte er sich nicht gefallen lassen. So konnte er seine Kriegsrhetorik weitgehend ungebremst verbreiten.
Wolfgang Koppler *
Dass der ORF den ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen zu einem Interview ins ZiB2-Studio einlud, ließ schon angesichts der Vergangenheit Rasmussens Schlimmes befürchten. Als dänischer Ministerpräsident hatte er eine Teilnahme eines dänischen Kontingents am Irakkrieg befürwortet und zudem – trotz offenbar gegenteiliger Geheimdienstberichte – das Vorhandensein irakischer Massenvernichtungswaffen behauptet. Was etwa Tony Blair das Amt kostete. Man kann dies alles problemlos den seinerzeitigen Medienberichten entnehmen. In der ZiB2 wurde nur erwähnt, dass Rasmussen die ukrainische Regierung berät..
Das gestrige von Armin Wolf geführte Interview mit Rasmussen übertraf allerdings auch die Erwartungen von an immer mehr zugespitzter Kriegsrhetorik bereits gewöhnten Zusehern. Da wurde die erfolgreiche Abwehr des iranischen Drohnenangriffs auf Israel mit Unterstützung Großbritanniens und der USA zum Anlass genommen, ein entsprechendes Eingreifen des Westens auch in der Ukraine zu fordern. Wolf fragte zwar nach, ob dies nicht zu einer weiteren Eskalation und zu einer direkten Konfrontation NATO-Russland führen könne, verließ sich aber dann auf Rasmussens substanzlose Bestreitung einer derartigen Gefahr.
Auch eine Einladung zu einem NATO-Beitritt der Ukraine wurde von Rasmussen befürwortet, weil alles andere Putin nur zu einer Weiterführung des Krieges verlocken würde. Auch wenn Rasmussen nur von „Einladung“ sprach, klang es für einen unbefangenen Zuseher sogar danach, als ob die Ukraine schon während des Krieges beitreten sollte. Was gegen den Nordatlantikvertrag verstoßen und schon per se zu einer unmittelbaren Konfrontation führen würde. Was Wolf zwar erwähnte, sich aber auch hier mit einer substanzlosen Bestreitung Rasmussens begnügte. Gefordert wurde natürlich auch noch der Einsatz von Langstreckenwaffen und wurden die diesbezüglichen Bedenken von Deutschen und Amerikanern gerügt.
Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus kommen einem da in den Sinn. Was macht der Krieg aus den Menschen ?
Dass Rasmussen Macrons Ansicht, man solle auch den Einsatz von NATO-Bodentruppen nicht ausschließen, unterstützte, ist angesichts der obigen Äußerungen nur mehr selbstverständlich. Beängstigend, wenn die Industriellenvereinigung einen solchen Mann nach Wien einlädt. Noch beängstigender, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines neutralen Landes in einer solch aufgeheizten und gefährlichen weltpolitischen Situation diesem auch noch Gelegenheit biet, derart problematische und selbst in Brüssel und Washington umstrittene Ansichten zu propagieren.
Das gegenständliche ZiB2-Interview war jedenfalls das genaue Gegenteil von Deeskalation.
* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.
Die Politik ist gefordert, um die Existenz von Qualitätsmedien und deren Vielfalt zu gewährleisten.
Ilse Kleinschuster *
Am Tag der Pressefreiheit, am 3. Mai 2023, hat der FURCHE-Redakteur Otto Friedrich in seinem Artikel bedauert, dass es weder Plan noch Vision für den ORF gäbe. Das neue Gesetz zum ORF, das die Bundesregierung vorgelegt habe, sei mitnichten ein Produkt des Diskurses über Medien im Land, sondern es sei der Verfassungsgerichtshof gewesen, der eine Neuaufstellung der Finanzierung der größten Medienanstalt verlangte. Und vor kurzem lese ich da, wieder in der Furche, dass die Debatte über ORF-Spitzengehälter von den dringlichsten medienpolitischen Aufgaben ablenke. Ja sicher, diesbezüglich seien wohl vor allem Interessen vonseiten der Politik ein grundlegender Faktor für die Problematik einer Reform hin zu politisch unabhängigen Medien – speziell das Interesse der Regierung am öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Bald jährt sich wieder der Welttag der Pressefreiheit!
Unabhängige und freie demokratische Länder sollen die Öffentlichkeit unabhängig und zutreffend über aktuelle Entwicklungen informieren, Missstände aufzeigen und durch Kritik und vielfältige Diskussion zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Um diese erfüllen zu können, muss die Medienlandschaft eines Landes frei, vielfältig und unabhängig von wirtschaftlicher oder politischer Beeinflussung sein.
Tja, klar, die digitale Transformation wie sie die Medien aller Art zurzeit erleben und erleiden, würden eine politische wie gesellschaftliche Diskussion der Sonderklasse verlangen. Denn Medienbetreiber müssen existieren und JournalistInnen von etwas leben können. Weil jedoch klassische Erlösmodelle weggebrochen sind – die Werbung von den internationalen Technologiegiganten abgesaugt wird – bleiben Alternativen im demokratischen Graubereich.
Es soll z.B. das neue Gesetz zum ORF, das die Bundesregierung vorgelegt hat, mitnichten ein Produkt des Diskurses über Medien im Land gewesen sein, sondern es wurde erzwungen aufgrund der Forderung des Verfassungsgerichtshofs nach einer Neuaufstellung der Finanzierung der größten Medienanstalt. Erst, weil etwas zu reparieren war, handelte die Regierung.
Tja, freie Meinungsäußerung ist wohl zentral für eine funktionierende kritische Öffentlichkeit.
Sie ist auch notwendig, wenn es darum geht, die UN-Menschenrechte zu verteidigen oder sich für eine gerechte und vernünftige Gesetzgebung in einer gewaltenteilenden, rechtsstaatlichen Demokratie einzusetzen. Erst wenn wir das erreicht haben, werden wir von einem Fortschritt der Menschheit reden können.
Es gibt seit vielen Jahren die Forderung der UNO nach nachhaltiger Entwicklung und es gibt auch einen globalen Plan, wie klimafreundliches Handeln (die ‚Große Transformation‘) zur Regel werden könnte (https://unric.org/de/17ziele/), aber nur sehr zögerlich finden sich die Mainstream-Medien bereit, darüber konstruktiv zu berichten.
Schon seit vielen Jahren wird von kompetenten Leuten „Transformativer Journalismus“ eingefordert. Als engagierte Umwelt- und Klimaaktivistin treibt mich das Thema um, weil ich glaube, dass klimafreundliches Handeln erst zur Regel werden kann, wenn Medienförderung an die Einhaltung ethischer Grundsätze gebunden wird.
Appell für Nachwuchsausbildung im Bereich transformativer Journalismus!
Es ist jetzt schon wieder 5 Jahre her, dass ich in der „Wiener Zeitung“ gelesen habe, dass sie zusammen mit dem Kuratorium für Journalistenausbildung Praktikantinnen und Praktikanten in journalistischen Grundlagen geschult hat. In ihrem Ausbildungsprogramm werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Profis in den Grundelementen des journalistischen Handwerkzeugs unterrichtet. Dazu vergab die Wiener Zeitung Praktikumstellen in ihren Ressorts (www.kfj.at/kooperationen-events/journalismuslernen). So weit, so gut! Aber, wie wird das heute gehandhabt? Ich fürchte, es gibt da wieder eine Bezahlschranke. Traurig, wo es doch vor allem junge, oft noch mittellose Menschen betrifft, die sich vielfach bereits als die „letzte Generation“ gerieren. Sie schreiben auch gegen die Verhältnisse an, aber zumeist in einschlägigen Medien. Ich frage daher, sollte nicht gerade diese Generation journalistisch ausgebildet und für die drängenden Fragen der Zukunft fit gemacht werden?
Mein Vorschlag: Strukturen schaffen, in denen eine Kooperation mit diversen Initiativen im NGO-Bereich, die es bereits aus ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement heraus zu einem gewissen Expertentum gebracht haben, niedrigschwellig möglich sind. Freiwillige aus den Reihen der initiativen Zivilgesellschaft könnten dort ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben, was, hopefully, in einer Art Bürger-Journalismus münden würde. Nach und nach könnten Bürgerinnen und Bürger zu „Meistern“ werden, die in „Werkstätten“ (seinerzeit nannte ich die Wiener Zeitung als eine mögliche) eine Art Praktikantenausbildung zur Verfügung stellen. Ich dachte, das wäre ein nicht zu unterschätzender Ansatz, um endlich Bürgerbeteiligung aus der Wissenschaft in die Medienwelt zu übertragen: Theorie- und Praxisgruppen zusammenzuführen, Medienentwickler, Netzwerker und Campaigner auf der Theorie-Seite und Neu-Journalisten in der Praxis. Sozusagen, eine Werkstatt für Transformation, die sich um transformativen Journalismus kümmert. Dazu braucht es nur noch einen Kümmerer, sozusagen einen Redakteur, bzw. ein Redaktionsteam!
Darüber hinaus ginge es darum, gemeinsam mit Nachhaltigkeits-Expert*innen und relevanten Vertretern aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft dieses Know-how aus der Vielfalt von Pilotprojekten für ein internationales Roll-out verfügbar zu machen. Denn: Spätestens mit der Umsetzung der NFI-Richtlinie in Österreich hat sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht nur als Pflicht großer Unternehmen etabliert, sondern findet auch als Kür kleinerer und mittlerer Unternehmen immer weitere Verbreitung. Wenn nun aber dabei bereits auch internationale Regelwerke wie das der Global Reporting Initiative (GRI) angewendet werden, so bleibt der Beitrag zu echter Nachhaltigkeit immer noch verschwindend gering. Unternehmen/Organisationen, die sich strengen Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet fühlen, fällt es immer schwerer, sich von der Masse der „berichtenden“ Unternehmen abzuheben. Zählen und erzählen im Sinne der demokratischen Transformation wären dafür die richtigen Kommunikationsinstrumente.
Diese Ideen stammen aus dem Konzept der Cooppa-Genossenschaft https://cooppa.at/ die nach fünf jährigem Bestehen wahrscheinlich, mangels Finanzierbarkeit, bald zu Grabe getragen werden muss.
* Gastautorin Ilse Kleinschuster engagiert sich in mehreren Bereichen der Zivilgesellschaft
Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.
Fritz Edlinger *
Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:
„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).
„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).
Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.
So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.
Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten
Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.
Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.
In die Endlosschleife der Interviews zu den russischen Präsidentschaftswahlen hat sich ein weiteres mit ähnlichem Inhalt eingereiht: In der ZiB2 kam jüngst Rüdiger Fritsch zu Wort, deutscher Ex-Botschafter in Moskau. Der Erkenntnisgewinn des von Armin Wolf geführten Gesprächs war überschaubar.
Wolfgang Koppler *
Solche Interviews sind meist entbehrlich, zumal man gerade bei einem Konservativen wie dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau sich die Antworten ausrechen konnte. Trotzdem kann man – wenn man eine Art Vogelperspektive einnimmt und sowohl die russischen als auch die westliche Ansicht zu Putin, Russland und dem Ukrainekrieg unbefangen und unemotional zu beurteilen sucht – vielleicht zu neuen Schlüssen gelangen. Die russische und die westliche Seite sind einander nämlich nicht gar so unähnlich. Und wirken eigentlich wie Kleinkinder, die an einer Puppe ziehen und sie entzwei reißen.
Der Westen ist der Ansicht, dass der Krieg unbedingt gewonnen werden müsste. Alles andere wäre ein Katastrophe für die freie Welt. Auch Putin möchte den Krieg gewinnen (wobei ihm angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die auch Fritsch erwähnte, insgeheim vielleicht Verhandlungen doch lieber wären, wie einige Signale aus den letzten Monaten zeigen). Seine Rhetorik im Hinblick auf Forderungen nach einem Sturz der ukrainischen Regierung oder gar eine Wiedereingliederung ins russische Reich oder das Spiel mit der atomaren Bedrohung nimmt selbst im Westen in Wirklichkeit niemand ernst. Dass er sich mit dem Angriff auf die Ukraine verschätzt hat, ist nichts Neues und wiederum eine Endlos-Rhetorik des Westens, die zu nichts führt.
Nicht ganz uninteressant waren Fritschs Hoffnungen auf einen Sturz Putins und seine Unsicherheit, wer dem 71-jährigen russischen Staatschef nachfolgen könnte. Er hatte natürlich – so wie wir alle – keine Ahnung, wer das sein könnte bzw. wie die Zukunft Russlands aussehen könnte. Als Alternative fiel ihm eigentlich nur Nawalny ein. Dieser ist erstens tot und wäre wahrscheinlich auch kein echter Hoffnungsträger gewesen. Sowohl von seinen ziemlich chauvinistischen Ansichten als wohl auch von seinen Fähigkeiten her. Das hat jetzt nichts mit unserem Mitgefühl und unserer Empörung über Haft und Tod Nawalnys zu tun.
Tatsächlich fällt so gut wie allen politischen Kommentatoren, wenn es um Alternativen zu Putin und die Zukunft Russlands geht, immer nur ein: Nicht-Putin, alles ist besser als Putin. Ein westlicher Experte sprach das sogar vor einigen Monaten ganz offen aus.
Auch mir ist klar, dass die Putin-Ära, die ich keineswegs beschönigen will, sich in nicht allzu ferner Zukunft ihrem Ende zuneigen wird. Da wir aber alle nicht wissen, was dann kommen wird und was sich im Hintergrund der Nomenklatura abspielt, sollte man mit Wünschen nach einem Umsturz eher vorsichtig sein. Zumal der Zerfall einer Atommacht und die Transformationsprozesse in einem seit Jahrhunderten autoritär geführten Staat unabsehbare Folgen haben können. Nicht nur für Russland selbst.
Auch aus diesem Grund sollte man sich auf Verhandlungen im Ukrainekrieg einlassen. Denn die Wahrscheinlichkeit eines friedlichen Machtwechsels in die Nach-Putin-Ära würde sich nach einem für beide Seiten tragbaren Frieden zumindest erhöhen. Denn gekränktes Nationalgefühl ist gefährlich. Gerade bei den diesbezüglich eher empfindlichen Russen- Mit denen man wieder ins Gespräch kommen sollte. Ganz ohne westliche Selbstgefälligkeit. Zumal es auch bei uns mit der Meinungsfreiheit nicht gar so weit her ist. Wie man gerade am Ukrainekrieg sieht.
* Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.
Kriegsberichterstattung und Propaganda, Neutralität und Streben nach Frieden: einige der Aspekte, die das Spannungsfeld von Politik und Medien mehr denn je charakterisieren.
Udo Bachmair *
Kriegsrhetorik in Politik und Medien greift immer weiter um sich. Vor diesem Hintergrund mutiert Frieden zunehmend zu einem negativ geladenen Begriff. Er wird vorwiegend in Kombination mit Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat verwendet. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit aller militärischen Lösungen. Das veranschaulichen die aktuellen Beispiele der Kriege in der Ukraine und Gaza besonders deutlich.
Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts.
Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine.
Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung vieler unserer Medien, besonders aber der deutschen, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als faktenbasierte Inhalte präsentiert werden, gemischt mit einem sich weiter radikalisierenden Wording. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern.
Am Anfang des Ukraine-Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit auch „unsere westlichen Werte“. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption oder Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt.
Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Putin von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren.
Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung.
Eine Forderung, die kürzlich auch der Papst erhoben hat – und er musste sich vom traditionell antirussischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung:
„Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet“
In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten:
„Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“.
Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten.
Beispiel der Druck auf Kanzler Olav Scholz, unbedingt schwere Panzer an Kiew zu liefern, eine Forderung, der er nach einigem Zögern schließlich doch nachgekommen ist.
Oder jüngst: Noch zögert Scholz, die weit reichenden gegen Russland gerichteten Taurus-Raketen zu liefern. Er trotzt damit dem Druck der konservativen Opposition sowie vor allem auch dem Boulevard, wie der allmächtigen BILD-Zeitung.
Eine Frage der Zeit, bis Scholz wieder in die Knie geht..?
Schließlich kommt Druck auch aus seiner Ampelkoalition, aus der FDP, allen voran seitens der mittlerweile als hartnäckige Kriegstreiberin kritisierten Chefin des außenpolitischen Bundestagsausschusses, Strack -Zimmermann. Besonders auch seitens der Grünen, allen voran der im Selbstverständnis nach wie vor grünen Außenministerin Annalena Bärbock. Sie hat sich in den Augen von Beobachtern als kriegsbegeisterte militaristische Hardlinerin entpuppt. Sie scheint vergessen zu haben, dass die Grünen sich früher einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben – eine Absurdität, ein Hohn sondergleichen, wenn man ihre aktuelle Haltung betrachtet.
Ganz zu schweigen von der EVP-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die ebenfalls den Eindruck einer militaristischen Einpeitscherin erweckt, ohne auch nur einen einzigen Lösungsvorschlag präsentieren zu können.
Jedenfalls muss Frau Von der Leyen auch jene fahrlässige Untätigkeit der Europäischen Union insgesamt bezüglich Bemühungen um eine diplomatische Lösung und eine Beendigung des Blutvergießens angelastet werden. Im Sinne der Waffenlobby und im Interesse von NATO und USA fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und zumindest zu versuchen, mit Moskau diplomatisch oder persönlich in Kontakt zu treten. Optimismus über eine wohlwollende Gesprächsbereitschaft Putins hält sich zurzeit freilich in Grenzen.
Aber Versuche wären’s doch wert !
Putin machts natürlich seinen Gegnern mit seiner völkerrechtswidrigen Aggression in der Ukraine leicht – und so läge es auch an ihm, erneut Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens und der gefährlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheint dafür zu fehlen, sich auch in den Kriegsgegner Russland hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte und aus Sicht Moskaus ernstzunehmende Bedrohung durch die NATO-Erweiterung ebenfalls als bloße Propaganda abgetan.
Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheinen besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe sind.–
Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend Experten und Expertinnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins.-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. So werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.
Die meisten JournalistInnen-KollegInnen fühlen sich im Strom des antirussischen Mainstreams wahrscheinlich wohler, einzelne, die Waffenstillstandsverhandlungen oder Friedensgespräche fordern, werden als Putinversteher gebrandmarkt, die angeblich nur dem Kriegsherrn in Moskau in die Hände spielen wollen. Sie geben ihren Widerstand gegen den Mainstream meist bald auf.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren, Christian Wehrschütz, wird sich auch nicht mehr lange halten können, denn leider wird nicht nur in Kiew, sondern auch hierzulande gegen ihn Stimmung gemacht und ihm dadurch der Weg in die Pension erleichtert.
Es ist ja nicht so, dass pauschal alle JournalistInnen sich nicht zumindest bemühen würden, auch in heiklen außenpolitischen Fragen einigermaßen objektiv und seriös zu berichten. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der Devise: Die Einen sind gut, die Anderen nur böse.
Davon lebt freilich der Boulevard, leider aber auch sogenannte seriöse Medien wie der ORF oder der Standard etc.
So ist und bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland unverrückbar. –
Ein Grundproblem besteht u.a. darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch die im ORF, personell ausgedünnt worden sind, sodass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Verwendung auch ausreichend alternativer Quellen. So bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten.
Die andere Seite der Propaganda, die der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch interessant und aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.
Umso lauter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In Kommentaren etwa der Zeitungen Standard oder Kurier wird mehr oder weniger unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO.
Dabei hätte Österreich hätte als neutrales Land große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre prädestiniert dafür.
Nur: Österreichs Neutralität hat Schaden gelitten durch eine österreichische Außenpolitik, die den Namen nicht verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils relativ einseitig positioniert.
Nicht nur in der Ukrainefrage – etwa wenn das Parlament Selenskyj zu einer seiner Propagandareden einlädt – oder wenn auf dem Gebäude des Bundeskanzleramts ausschließlich die israelische Fahne gehisst und nicht auch Empathie für das Leid der palästinensischen Bevölkerung symbolisiert wird –
All das ist freilich nicht ein formaler Verstoß gegen die immerwährende bewaffnete Neutralität, jedoch gegen den Geist der Neutralität gerichtet.
Sollte eine weitere Aushöhlung der Neutralität erfolgen oder gar ein NATO-Beitritt Österreichs Realität werden, wäre eine mediative und friedensstiftende Rolle Österreichs wie zu Zeiten Bruno Kreiskys jedenfalls endgültig verspielt.
Werden wir nicht müde, da klar dagegenzuhalten !
* Der Beitrag entspricht einer leicht gekürzten Textgrundlage für ein Referat, das Udo Bachmair bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg“ am 13.3.2024 im Amerlinghaus in Wien gehalten hat
Hier die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung :
Die Zukunft von Medien angesichts wachsender Probleme und fehlerhafter Entwicklungen ist eine der drängendsten Fragen, die nicht nur seitens der Politik einer Lösung harren.
Ilse Kleinschuster *
Noch immer, also genau neun Monate nach der „völlig unnötigen Einstellung der der Republik gehörenden Wiener Zeitung“ (Fritz Hausjell) – ‚meiner‘ abonnierten Tageszeitung, vermisse ich sie. Gerne denke ich an die Zeit zurück, in der ihre tägliche Lektüre mir geholfen hat, die Welt in ihrer Schönheit aber auch mit all ihren Widersprüchen besser verständlich zu machen.
Die Frage, die sich Clemens Pig stellt „Muss es denn wirklich eine Vision bleiben, dass Journalismus dazu dient Welterklärungen zu demokratisieren und nicht als Einbahnstraße zu begreifen“ bewegt auch mich (Clemens Pig, u.a. geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA) und Autor von „Hat die Wa(h)re Nachricht eine Zukunft?“. Er sieht die APA als „Gedächtnis der Nation und andererseits als medialen Pulsschlag der Republik.“ Er wünscht sich jedoch mehr Selbsterkenntnis im Journalismus, um die Bedürfnisse und Erwartungshaltung der Menschen in Bezug auf die Medien zu verstehen und darauf entsprechend einzugehen. Als Politikwissenschafter und kritischer Journalist ist er Mitbegründer von Media-Watch – Institut für Medienanalysen GmbH, das von der APA 2001 erworben wurde. Dort gibt es seither ein eigenes Ressort für Fact-Checking, d.h. dort werden Versuche unternommen, so nahe als möglich an normative Konzepte wie Wahrheit und Objektivität heranzukommen.)
Nun aber, wo unsere Welt in den letzten Jahren im Zuge der Globalisierung immer komplexer wird, fühlen sich viele Menschen abgehängt. Die Komplexität zu simplifizieren wird immer schwieriger und es erfordert dafür Meister des journalistischen Handwerks. Zeitungen mit Redaktionen, die sich unabhängig nennen, setzen sich unweigerlich einem mörderischen Wettlauf zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit aus. Am Ende sollte sich natürlich immer die Richtigkeit durchsetzen. Wenn nun aber Fakten-Check aus Zeitmangel wegfällt, kommt es unweigerlich zu Massenmedien mit „medialer Einigkeit“ – was die Demokratie gefährdet (siehe Richard David Precht und Harald Welzers Buch „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“).
Wenn es also bei uns in Österreich nicht zu einem totalen Verfall der APA als unabhängiger Nachrichtenagentur kommen soll, dann muss sich diese neue Geschäftsfelder erschließen. Das kann das multimediale Verbreiten von Pressemeldungen sein, aber auch professionelle Medienbeobachtung und damit in Zusammenhang die Erstellung von Qualitätskriterien für neue Medienförderung. Dafür sollte es aber mehr staatliche Unterstützung geben, denn unabhängiger Agenturjournalismus ist ein wesentlicher Baustein für eine freie Medienwelt und damit für eine liberale Demokratie.
In seinem Gastkommentar „Visionen für analogen Journalismus!“ (DIE FURCHE vom 29. Februar 2024) schreibt Fritz Hausjell: „Wie weit nach unten soll die tagesaktuelle Medienvielfalt noch gehen, bis endlich spürbar von Medienwirtschaft und Medienpolitik gegengesteuert wird? Neugründungen von tagesaktuellen journalistischen Digitalmedien sind Mangelware oder aus unterschiedlichen Gründen (Partei- und andere Interessensnähe, journalistische Substandards), sehr mangelhafte Ersatzangebote für die Verluste im Printbereich.“ Nun, Fritz Hausjell ist ein angesehener Medienhistoriker und Medienwissenschaftler an der Universität Wien und ich vertraue seiner Kritik an Österreichs Printmedien: „Die Branche hat kaum in Forschung und Entwicklung investiert. Und Versuche, Journalismus in der digitalen Welt auf eine ausreichend finanzierte Basis zu stellen, blieben bescheiden.“
Offensichtlich, so schließe ich daraus, sind es schwere Versäumnisse im Bereich der Medien-Politik, die zu einem verhängnisvollen Vertrauensverlust in die gesamte Politik geführt haben.
Es seien daher Medienmanager gewarnt,
wenn sie ihre journalistische Tätigkeit nach wie vor gerne als Vierte Gewalt im Staate sehen wollen, dann sollten sie alle Möglichkeiten wahrnehmen und erweitern, um ihre Aufgabe als Watchdogs besser erfüllen zu können. Hier und jetzt – in Anbetracht der Notlage, so denke ich -, wäre es ihre noble Aufgabe im Namen des Gemeinwohls als verantwortungsvolle Whistleblower zu fungieren, d.h. als Verhinderer einer zunehmenden Infragestellung der demokratischen Bedeutung von Parlamenten.
Ich meine, erst wenn Journalisten imstande sind, unseren Volksrepräsentanten zu helfen, Alarm zu schlagen, sich mehr um die Lösung langfristiger Probleme zu bemühen, diese nicht durch kurzfristiges Denken in Wahlzyklen in den Hintergrund zu verdrängen, werden sie verdienterweise als die Vierte Gewalt im Staat und als Meister öffentlicher Machtüberwachung anerkannt werden.
Es wird jetzt von verantwortungsvollen Politikern die Zivilgesellschaft oft zur Hilfe gerufen, wenn es darum geht, vertrackte Probleme ins Visier zu nehmen, wie z.B. in Hinblick auf Künstliche Intelligenz, Steuerparadiese, Umweltverschmutzung, Seuchen, Menschen auf der Flucht, unregulierter Waffenhandel und endlose Zermürbungskriege.
Warum braucht es jetzt immer öfter für jedes Problem außerparlamentarische Initiativen und warum werden Bürgerräte angefordert – statt den Ruf nach Qualitätsjournalismus, nach konstruktivem Journalismus lauter werden zu lassen? Ich glaube, erst wenn diesem Ruf auf breiterer Basis Folge geleistet wird, müsste uns um die demokratische Bedeutung von Parlamenten nicht mehr so bange sein. Dann könnten wir vielleicht eher wieder Demokratie ‚neu‘ denken. Bestenfalls aus der Perspektive von Bürgern, die sich emanzipieren wollen, weil sie darin eine Garantie sehen – die Garantie für ihre Freiheit vor räuberischer Macht in all den abstoßenden Ausprägungen, einschließlich ‚unseres‘ rücksichtslosen Umgangs mit der ERDE, auf und von der wir leben.
* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und engagierte Akteurin der Zivilgesellschaft. Sie lebt in Wien
Ex-Politiker Peter Westenthaler sitzt erneut für die FPÖ im obersten Gremium der ORF. Als ehemaliger Ö1-Moderator sind mir seine Interventionsversuche noch gut in Erinnerung.
Udo Bachmair *
Peter Westenthaler, früherer FPÖ-Klubobmann, später BZÖ-Politiker, bevor er dann neuerlich zum FPÖ-Sympathisanten mutierte, zieht also wieder in das höchste Gremium des ORF, in den Stiftungsrat, ein. Ausgerechnet in jenes Unternehmen, das er bei jeder Gelegenheit anprangert und attackiert. Schon zur Jahrtausendwende war er Mitglied dieses Aufsichtsorgans, des damaligen ORF-Kuratoriums.
Ist es vertretbar, dass ein Mitglied des Aufsichtsrates eines Konzerns sein eigenes Unternehmen und dessen Mitarbeiter in der Öffentlichkeit immer wieder heruntermacht und beschimpft? Genau das hat Westenthaler als Dauergast im ORF-kritischen Fellner-Sender Oe24 immer wieder getan. Er ist dort gleichsam zum Anti-ORF-Polemiker vom Dienst geworden.
Auch weitere Bedenken, dass laut ORF-Gesetz ein Mitglied des Stiftungsrates keiner Beschäftigung in einem Konkurrenzunternehmen nachgehen darf, rührt Westenthaler nicht. Im Gegenteil: Er droht mehr oder weniger damit, den ORF aufmischen zu wollen. Sein neues Naheverhältnis zu Herbert Kickl kann da durchaus dienlich sein, spätestens in Zeiten eines möglichen „Volkskanzlers“. Natürlich bestehen hin und wieder auch Gründe für berechtigte Kritik an so mancher ORF-Berichterstattung, wie etwa an der außenpolitischen Schlagseite in oft wenig differenzierenden Analysen zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza.
Verallgemeinerndes Hinhauen auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, dem eine demokratiepolitisch wichtige Rolle zukommt, entbehrt aber jeder Grundlage und Sachlichkeit. Diese lässt Westenthaler in seinen manchmal hasserfüllt wirkenden Verbalattacken weitgehend vermissen. Auch aus diesem Grund erscheint er vielen als denkbar ungeeignetster Mann für die verantwortungsvolle Funktion eines Stiftungsratsmitglieds. Nicht zuletzt angesichts bevorstehender ORF-Reformen kann sich das Unternehmen keinen Aufsichtsrat leisten, der nicht uneingeschränkt seriös agiert.
ORF-intern sattsam bekannt
Westenthaler ist ORF-intern sattsam bekannt für seine Interventionsversuche zugunsten der FPÖ in seiner früheren Funktion im höchsten ORF-Gremium. Als ORF-Redakteur und Ö1-Journal-Moderator hatte ich selbst damals einschlägige Erfahrung mit Anrufen Westenthalers bis hinein ins Studio. Seine beharrlichen Beeinflussungsversuche in der Zeit der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung waren zu seinem Leidwesen allerdings kaum erfolgreich. Wer Westenthaler kennt, kann davon ausgehen, dass seine Interventionitis nach einigen Jahren Unterbrechung einmal mehr prolongiert und damit die insgesamt gute Arbeit der ORF-RedakteurInnen wiederholt gestört wird.
Westenthaler sieht im ORF generalisierend eine „reine Propagandamaschinerie“. Armin Wolf unterstellt er „politische Agitation“. Vorwürfe, die meiner Erkenntnis und persönlichen Erfahrung nach ziemlich haltlos sind. Wolf gehört zu jenen Journalisten, die sich ernsthaft und penibel recherchierend auf jede Moderation und jedes Interview vorbereiten und nicht müde werden, konstruktiv kritisch zu hinterfragen.
Der ORF-Redakteursrat weist zu Recht auf Bestimmungen des ORF-Gesetzes hin, wonach ein Stiftungsratsmitglied ausschließlich im Interesse des Unternehmens zu agieren habe und nicht im Auftrag einer politischen Partei.
* Der Beitrag ist heute in der Tageszeitung Die Presse als Gastkommentar erschienen und hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst
Es sei wieder einmal an den ORF-Publikumsrat erinnert, die Hörer- und Sehervertretung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Sitzungen sind frei zugänglich.
Hans Högl
Damit das ORF-Publikum eine Mitsprache hat, wurde der Publikumsrat eingerichtet. Darin sind viele Organisationen Österreichs vertreten. Es lohnt eine Teilnahme an diesen Plenarsitzungen, um zu sehen und selbst zu erfahren, wie dies abläuft. Diese Sitzungen sind öffentlich zugänglich- leider nur im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg (Wien 13). Der ORF lässt auch selber Studien durchführen, auch qualitative und ist gut über die Zugriffe informiert.
Abgesehen von Positiva, sollte auch negative Kritik zum Ausdruck kommen, allerdings schärfer als der Biss einer Weinbergschnecke, wie ein Beobachter der „Wiener Zeitung“ einmal schrieb. Wünschenswert wäre sicherlich, wenn es solche Sitzungen auch regional gäbe, z.B. in Salzburg und Graz. In der Schweiz ist eine regionale Verteilung Realität.
Sitzungstermine 2024
Donnerstag, 14. März 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 6. Juni 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 19. September 2024, 10.00 Uhr
Donnerstag, 21. November 2024, 10.00 Uhr
Reaktionen (sie sind meist leider überwiegend negativ) können auch an den ORF-Kundendienst gerichtet werden oder direkt an den Publikumsrat oder an kundendienst@orf.at oder Tel. 01 870 70-30 oder direkt an Journalisten/innen: vorname.familienname@orf.at
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„Bertelsmann. Ein globales Medienimperium macht Politik“ lautet der Titel eines im Anders Verlag erschienenen Buches von Thomas Barth. Das Werk stammt zwar aus dem Jahr 2006, es erscheint aber nach wie vor aktuell.
Hans Högl
Ein treffliches Buch habe ich „ausgegraben“ und analysiert. Es bleibt höchst aktuell,obwohl 2006 publiziert. Es besticht durch eine klare parteipolitische Analyse, ist aktuell bis heute 2024, und zeigt Besitzverhältnisse deutscher Medien auf. Auch wer die latenten Ziele des Buches nicht teilt, es ist anzuerkennen, dass darin die öffentliche Argumentation zur Sozial-und Wirtschaftspolitik sehr pointiert zum Ausdruck kommt. (Mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssels Diktum „Mehr Privat weniger Staat“ haben wir eine österreichische Parallele).
Das Buch ist Ergebnis eines dreitägigen Anti-Bertelsmann-Kongresses bereits 2005, an dem Widerstandsmöglichkeiten gegen den Bertelsmann-Verlag diskutiert wurden. Es nahmen teil: Gewerkschaften, NGOs wie Attac….Finanziert wurde er von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Hamburgs Hochschulen. Der Tagungsband wurde mit Mitteln des Günther Anders Institutes für Medienethik und Technikphilosophie erstellt (Barth 6 f.). Mit anderen Worten: Das Buch hat eine eindeutige Linksperspektive. Ob die Linke alles defacto besser realisiert (oder nur einen klingenderen Diskurs führt), auch wenn Ziele wie soziale Gerechtigkeit moralisch gut und theoretisch sehr einleuchtend klingen, ist deren konkrete Umsetzung oft mehr als fraglich – man sehe doch bis heute die wirtschaftlichen Schwächen und den Jammer in den Transformation-Staaten Osteuropas und die „neue Klasse“ in damals realsozialistischen Ländern. Wirtschaft zu kritisieren ist eine Sache, sie erfolgreich zu führen eine andere. Das Beispiel Venezuela mit Sozialismus hat erschreckend negative Folgen für die Menschen. Auch der linke „Le Monde Diplomatique“ ist von Venezuelas linker Politik nicht überzeugt.
Doch nun zum inhaltlichen Kern des Buches. Der Bertelsmann Medienkonzern gehört zu den mächtigsten der Welt (hinter Time Warner, Disney, Viacom und Rupert Murdoch ). Unter Reinhard Mohr entwickelte sich der mittelständische Buchverlag zu einem internationalen Medienkonzern mit 600 Firmen und über 75.000 Beschäftigten weltweit, der in Märkten für Bücher, Zeitschriften, Musik und TV alle anderen deutschen und europäischen Medienunternehmen weit hinter sich ließ (37). Die Stiftung sichert die Kontinuität des Konzerns.
Zum Bertelsmann-Verlag (in Gütersloh) gehören ganz oder teilweise: die TV- und Radio Sender RTL-Gruppe, die Zeitschriften Gruner+Jahr (mit stern, Capital, Geo) , Brigitte, Gala; Verlag Random House; ferner Anteile von VOX-TV, Anteile von n-tv (3). Verflechtungen bestehen mit dem Spiegel und der ZEIT-Stiftung (also dem linksliberalen Mediensegment).
(Zum Axel-Springer Konzern gehören „Bild“, die „Welt“ und die „Berliner Zeitung“ (BZ). Zum Holtzbrinck- Konzern gehören DIE ZEIT, der „Südkurier“(mit Monopol für Bodenseeregion), die Lausitzer Rundschau, die Saarbrücker Zeitung. Von Essen kommt der WAZ-Konzern (der Anteile an der „Krone“ hält).
Die Bertelsmann-Stiftung ist der größte private Thinktank Deutschlands, beschäftigt 300 hochqualifizierte Mitarbeiter (36). Bertelsmann vertritt „neoliberale“ Lobgesänge auf den freien Markt: der Haushaltsnotstand droht, alle Bundesländer müssen Haushalt kürzen, Bürokratieabbau. Motto: Weg mit dem Staat, die Kassen sind leer. Es geht um den Sturmangriff auf den Sozialstaat, um Reduzierung der Lohn- u. Staatsquote. Der Sozialstaat soll ausbluten zu Gunsten von Steuersenkung. So soll Arbeitslosigkeit bekämpft werden (11). Die Erfolge von Keynes mit Schuldenmachen werden klein geredet. Bertelsmann Medien trommeln für Deregulierung, Privatisierung, Kommerzialisierung. Studiengebühren sollen eingeführt werden. Die „Initiative neue Soziale Marktwirtschaft“ stammt von der Arbeitgeberseite.(15). Die rot-grüne Regierung (Schröder) bewirkte in diesem Sinne Sozialabbau (Hartz IV).(15).
Auch Wikipedia bestätigt: Stimmen in den Medien (s.u.) sehen die Stiftung als wirtschaftsnahe PR-Initiative, ähnlich der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) oder der Stiftung Marktwirtschaft, insbesondere da personelle Verflechtungen mit der INSM bestehen. Zur Veröffentlichung ihrer Botschaften dienen ihr die zum Bertelsmann-Konzern gehörenden TV-Sender RTL und Vox und zahlreiche Zeitschriften von Gruner und Jahr. Auch am Spiegel und Financial Times Deutschland ist Bertelsmann beteiligt.
Interessant für Bürgerinitiativen ist eine Nebenbemerkung im zitierten Buch, dass der SPIEGEL eine Geringschätzung für demokratische Initiativen von unten (von Bürgerinitiativen) habe (27). Die Nichtbeteiligung an direkt überschaubaren kommunalpolitischen Entscheidungen werde geschwächt. Von Medien würden grundsätzlich Interna von Arbeitswelt vernachlässigt.
In einer KURIER-Analyse vom 22.2.2024 werden Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit der Fälle Assange und Nawalny in Frage gestellt. Diese Position gilt es zu hinterfragen.
Udo Bachmair
„Was Nawalny passiert ist, kann auch Julian passieren“ äußerte sich Assanges Ehefrau Stella zu Recht besorgt. Westliche Politik und Medien bemühen sich nun hartnäckig, diese These zu falsifizieren. Als ein Beispiel von mehreren sei Caroline Ferstls Analyse „Assange, der Nawalny des Westens“ jüngst im KURIER herausgegriffen.
Die Autorin kritisiert an der Äußerung von Stella Assange, diese würde damit das US-Justizsystem mit dem im autoritären Russland gleichsetzen. Man fragt sich sehr wohl, wo denn da im Gefängnisalltag der große qualitative Unterschied zu russischen Straflagern liegen soll. Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es da wie dort Berichte über Folter.
Und warum erscheint der Autorin die Einschätzung, dass auch Assange politischer Gefangener ist, so weit hergeholt? Diese Charakterisierung liegt ja klar auf der Hand. Assange hat sich mit seinen Recherchen über brutale Einsätze in Angriffskriegen der USA natürlich den Zorn und Hass der US-Führung zugezogen, die ihn nun lebenslänglich ausschalten will.
Es fällt auf, dass in dieser KURIER-Analyse kein einziges Mal das Wort „Kriegsverbrechen“ vorkommt, die Julian Assange mutig aufgedeckt hat. Das Wording „Kriegsverbrechen“ und „Kriegsverbrecher“ scheint nur für Russland oder Putin reserviert zu sein, nicht jedoch für die USA oder George Bush. Der schon sattsam bekannte außenpolitische Einheitsbrei westlicher Medien lässt Letzteres freilich nicht zu.
Ja, und woher will denn die Autorin der Analyse so genau wissen, dass die Anklagepunkte gegen Assange „strafrechtlich haltbar“ sind? Müsste diese Schlussfolgerung nicht auch für den Fall Nawalny gelten? Denn auch dem russischen Regimegegner werden Spionage und Geheimnisverrat vorgeworfen. Dies stellt ebenfalls eine Vergleichbarkeit der beiden Fälle dar.
Eine weitere Ähnlichkeit ist die der Existenzbedrohung. So ist zu befürchten, dass der „freie und menschenrechtsorientierte“ Westen, im Besonderen die USA, Assange sehenden Auges einem Mord auf Raten im harten US-Strafvollzug ausliefern werden. „Was Nawalny passiert ist, kann auch Assange passieren.“ So falsch kann diese These also nicht sein.
Kommt hinzu, dass ein negativer Ausgang der Causa Assange, sprich ein aus den Motiven Hass und Vergeltung resultierendes lebenslanges Wegsperren eines politisch unliebsamen Investigativjournalisten kein unwesentliches Kriterium für die Chancen künftiger Meinungs- und Pressefreiheit sein wird.