Archiv der Kategorie: Medienkompetenz

Gazakrieg: Mediale Schlagseite

Die Nahost-Berichterstattung der meisten Medien, vor allem der deutschen und österreichischen, lässt eine deutliche Schlagseite zugunsten des rechtsgerichteten israelischen Regimes erkennen. Das unermessliche Leid der palästinensischen Bevölkerung von Gaza, das die brutale Kriegsführung Israels erzeugt, wird weitgehend ausgespart. In diesen Mainstream reiht sich immer wieder auch der ORF ein. Das hat den engagierten Welser Politik- und Medienbeobachter Dr. Öfferlbauer zur folgenden öffentlichen Stellungnahme motiviert (Mod-Text Udo Bachmair)

Peter Öfferlbauer

Werte ORF-Abteilung Religion:

sind Sie nicht etwas einseitig auf die jüdischen Leiden fokussiert und damit das Leiden der Palästinenser unterbelichtet lassend?

Selbstkritische jüdisch-israelische Stimmen hört man bei Ihnen fast nie, etwa von Haaretz oder Jewish Voice for Peace.
Zum Beispiel jüngst v. 6.11. auf ICN Independent Catholic News: „JVP Rabbis: „Israel is committing the holocaust of our time“ *

Warum sehen Sie sich nicht zu Ausgeglichenheit verpflichtet, wenn heute sogar der US-Außenminister zitiert wird:
„Waffen müssen Tage, nicht nur Stunden schweigen…humanitäre Hilfe deutlich auszuweiten..“

Sie kennen vielleicht noch das scholastische Axiom: qui nimis probat, nihil probat – wer zu einseitig, zu dick aufträgt, erreicht womöglich das Gegenteil!

* www.indcatholicnews.com/news/51028

Europa im Blick von Christopher Clark

Der Qualitätssender 3sat (ARD, ORF, SRG) darf nicht geopfert werden! Entsprechende Pläne, ihn aufzulösen und seine Programmanteile anderen Medien einzuverleiben, werden hoffentlich nicht realisiert. Das ist umso wünschenswerter, als gerade in letzter Zeit wieder besonders sehenswerte Dokus programmiert waren.(Mod-Text Udo Bachmair)

Hans Högl *

Wer im Fernsehen auch einen Bildungsauftrag sieht, der kam mit 3-sat Sendungen mit dem Namen „Europa-Saga“ voll auf die Rechnung. Sie wurden von Prof. Christopher Clark (Univ. Cambridge) konzipiert und geleitet. Christoper Clark ist der in Australien geborene Historiker, der an der Universität Cambridge lehrt. Er wurde bekannt durch das Buch „Schlafwandler“- über die Anfänge des 1. Weltkrieges.

Die Sendungen wurden gestern Dienstag, den 12. November 2024, ab 14.05 ausgestrahlt. Ich habe mit großem Interesse die Einzelsendungen von Anfang bis Ende gesehen.

Die Sendungen wären für den Bereich „Politische Bildung“ außerordentlich geeignet. Vielleicht vermag eben ein australischer Historiker die Leistungen der verschiedenen Länder wie von Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Österreich für Europa und die Welt so fair und ausgeglichen darstellen.

Mit großer Kenntnis hebt Clark die wichtigsten Ereignisse Europas – vom Mittelalter beginnend hervor – und verweist auf den Unterschied zum Großreich China, das niemals seine Grenzen so ausgedehnt hat wie Europa.

Clark sucht persönlich die wichtigsten Orte und Quellen selbst auf. Durch Amsterdam fährt er typischerweise mit dem Fahrrad wie eben Niederländer. Er konsultiert und zeigt die Originaldokumente wie das vom Westfälischen Frieden 1648 und die des Wiener Kongresses 1815.

Für Clerk ist das Zustandekommen der Europäische Union eine der größten Errungenschaften der Weltgeschichte.

* Prof. Dr. MMag. Hans Högl ist Soziologe, Buchautor, Vizepräsident und Finanzreferent der Vereinigung für Medienkultur und lebt in Wien und Bad Mitterndorf

Dominanz militaristischen Denkens

Höchst aufschlussreich war das jüngste ZiB2-Interview mit dem Militäranalytiker Franz-Stefan-Gady. Es zeigte, wie eiskaltes militaristisches Denken inzwischen unsere gesamte Gesellschaft erfasst hat. Und somit auch die Medien.

Wolfgang Koppler *

Gady lenkte zunächst geschickt vom Verhandlungsunwillen Selenskyjs ab (welcher diesbezügliche Gespräche erst nach einem vollständigen Abzug der russischen Truppen – also nach einem Sieg der Ukraine in Erwägung zieht), indem er sich – ebenso wie die westlichen Politiker auf den Standpunkt zurückzieht, dass Putin den Krieg ja jederzeit beenden könnte. Wobei er natürlich genau weiß, dass dieser damit sein Gesicht verlieren würde und solches daher völlig illusorisch ist. Putin hat angefangen – Punkt. Immerhin gestand der zu, dass die ukrainische Armee der russischen derzeit durchaus standhalten könne, zumal genug Munition zur Verfügung stünde. Die Unterstützung des Westens dürfe halt nicht nachlassen.

Auch Trumps Präsidentschaft sieht der Militäranalytiker nicht unbedingt als Katastrophe für die Ukraine an, zumal Trump ja auch den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan gestoppt hätte, als die Gespräche mit den Taliban nicht so erfolgreich verliefen wie erwartet. Er würde wohl auch die Ukraine nicht völlig im Stich lassen.

Aber die Russen machten doch Fortschritte und man müsste die Ukrainer durch weitere militärische Unterstützung in eine vorteilhaftere Position für allfällige Verhandlungen bringen. Auch dies hat man in den zweieinhalb Jahren Krieg schon all zu oft gehört. Damit wird der Krieg mit seinem ewigen Hin und Her zu einer Endlosschleife. Zumal man sich immer wieder einredet, dass es nur Putin sei, der nicht verhandeln wolle. Während Selenskyj immer wieder dezidiert Verhandlungen ablehnt und die Russen – wenn auch mit Kriegsrhetorik und Maximalforderungen – immer wieder Signale ausgesandt haben.

Schließlich wird von Gady auch noch die Angst geschnürt, Putin könnte nach einem Kompromissfrieden nochmals angreifen. Man brauche Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Dass der Westen in den Verhandlungen zu Beginn des Krieges solche abgelehnt und die Gespräche damit zum Scheitern gebracht hat, verschweigt der ORF-Studiogast. Dafür fordert er eine Erhöhung der westlichen Militärbudgets auf 3 – 4 % des BIP. Woher das Geld angesichts überlasteter Budgets kommen soll, sagt er natürlich nicht.

Gegen Ende des Interviews wird schließlich der „Personalmangel“ der ukrainischen Armee beklagt. Sie brauche neue Kräfte. Das Verheizen von Menschenleben derart zynisch zu versachlichen, ist denn doch irgendwie neu.

Zu all dem natürlich keinerlei Widerspruch von ZiB2-Moderator Martin Thür.. Wo soll das noch enden ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Eine medienpolitische Schande

In Deutschland kursieren Pläne, den Sender 3sat mit ARTE zu verschmelzen und damit abzuschaffen. Der Widerstand dagegen wächst.

Udo Bachmair

3sat verteidigt zurecht den Ruf eines anspruchsvollen gemeinsamen Kultur- und Informationsprogramms Österreichs, Deutschlands und der Schweiz. Gerade in Österreich würde das Aus für 3sat seriöse öffentlich-rechtliche Inhalte – noch dazu im Umfeld einer ausufernden Boulevardisierung der Medienlandschaft – spürbar schwächen.

Sollte das Aus für den renommierten TV-Senders 3sat tatsächlich ernsthaft in Erwägung gezogen und realisiert werden, wäre dies wahrlich eine medienpolitische Schande.

Widerstand gegen die umstrittenen Pläne könnte jedoch erfolgreich sein. Bereits mehr als 130.000 Personen haben laut einer Meldung der Salzburger Nachrichten die Petition „Rettet 3sat!“ unterschrieben: www.innn.it

Im Petitionstext heißt es dazu unter anderem:
„Wir brauchen 3sat als Plattform für kritische Debatten, als Bühne für kreative Vielfalt und als Stimme der europäischen Kultur“.
Die Kulturgewerkschaft younion hält die Sender 3sat und ARTE für „unverzichtbare Medien, die aus kultur- und demokratiepolitischen Gründen nicht in Frage gestellt werden dürfen“.

Auch die IG Autorinnen Autoren meldete sich bereits vor Tagen zu Wort und kritisierte, dass u.a. der Bachmann-Wettbewerb seinen Sendeplatz und seine Senderanbindung verlieren könnte.
„Höchst fraglich ist auch, ob ein sich so kritisch mit innerdeutschen und österreichischen Verhältnissen auseinandersetzendes Kulturmagazin wie ‚Kulturzeit‘ in einem solchen anderen Senderzusammenhang überhaupt Platz finden kann“, so die Interessensgemeinschaft. Der Rückbau sei „jedenfalls vollkommen unverständlich“.

Nochmals der Link zur Petition : www.innn.it

Palästina-Botschafter als Feindbild

Ein vom ZiB2-Anchor Armin Wolf korrekt moderiertes Streitgespräch hat in Politik und Medien dennoch für ziemliches Aufsehen gesorgt. Allen voran polemisierte der scheidende ÖVP-Spitzenpolitiker Wolfgang Sobotka gegen den ins ORF-Studio eingeladenen palästinensischen Botschafter und schwang die sattsam bekannte Antisemitismus-Keule.

Wolfgang Koppler *

Der TV-Aufreger der Woche war wohl die ZiB2-Konfrontation des palästinensischen Botschafters mit dem Sprecher der israelischen Armee, die einander nichts schuldig blieben. Sogar Nationalratspräsident Sobotka schaltete sich ein und witterte Antisemitismus. Er sah wohl eine letzte Chance, sich vor seinem Abgang noch schnell zu profilieren. Angesichts seiner schlechten Umfragewerte wohl nicht ganz unverständlich.

Tragisch, dass der kurz vor einem Flächenbrand stehende Nahostkrieg – und als solchen muss man die immer blutigeren Auseinandersetzungen zwischen Hamas, Hisbollah und Israel inzwischen wohl bezeichnen – in einem neutralen Staat wie Österreich derart missbraucht wird. Und noch tragischer, dass manche Politiker und Journalisten Österreichs problematische Vergangenheit, die neben historischer Aufarbeitung eigentlich zu einem besonderen Verantwortungsbewusstsein für Menschenrechtsverletzungen gleich welcher Art führen müsste, dazu nutzen, sich dadurch in Szene zu setzen, dass sie Netanjahu und der israelischen Rechten eine Art Blankoscheck ausstellen. Um eine ganze Region ins Unglück und das eigene Land ins Verderben zu stürzen.

Hamas und Hisbollah müssen vernichtet werden. Koste es, was es wolle. Selbstverständlich war der blutige Überfall der Hamas am 7. Oktober des Vorjahres ein Terrorakt. Aber je blutiger und risikoreicher dieser Antiterrorkrieg wird, desto mehr verblassen die Geschehnisse des 7. Oktober in den Köpfen vieler Menschen, vor allem bei jenen, die ums nackte Überleben kämpfen und mit diesem Terrorakt nichts zu tun haben. Und selbst wenn man um den Preis zigtausender Toter die Hamas aus dem Gazastreifen vertreiben könnte, würde sie woanders weiterexistieren und vielleicht würde an ihre Stelle eine noch radikalere Organisation treten. Da sind sich zahlreiche Experten einig.

Man kann das Böse nicht mit unlauteren Mitteln bekämpfen, ohne sich selbst ins Unrecht zu setzen und damit dem Gegner in die Hände zu spielen. Wir sind nicht Gott. Und auch Jahwe musste seinen Zorn letztlich bändigen. Um jenem Volk eine Chance zu geben, das er liebte und auserkoren hatte. Das gilt nicht inzwischen nicht nur für Israel, sondern für uns alle. Wir sind Menschen und keine Götter, Gerieren wir uns als solche, werden wir zum Teufel. Was selbstverständlich auch für andere Kriege gilt.

https://www.derstandard.at/story/3000000240388/nach-zib-2-mit-palaestina-botschafter-orf-chef-weist-kritik-sobotkas-zurueck

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Friedensfreunde als „Kriegstreiber“?

„Putin ist ein Krimineller, ein Mörder“ – bekräftigt der oppositionelle russische Politiker und Journalist Wladimir Kara-Mursa in nahezu jedem der zahlreichen Interviews für westliche Medien. Im jüngsten ZiB2-Interview prognostizierte Kara-Mursa einen möglicherweise kurz bevorstehenden Sturz des Putin-Regimes.

Wolfgang Koppler *

Regimewechsel in Russland kämen plötzlich, sowohl das Zarenregime als auch die Sowjetunion seien plötzlich untergegangen. Niemand wäre darauf vorbereitet gewesen. Und so würde es auch das nächste Mal sein. Niemand würde wissen, wann, wo und unter welchen Umständen Vladimir Putin seine Macht verlöre. Aber es werde geschehen, meint Putins schärfster Kritiker Kara-Mursa im gestrigen ORF-ZiB2-Interview.

Da ist wohl etwas dran. Allerdings entstand weder aus dem Untergang des Zarenreichs noch aus dem der Sowjetunion eine dauerhafte Demokratie. Nach Zar Nikolaus kamen nach einem kurzen bürgerlichen Intermezzo Lenin und Stalin an die Macht. Und nach der Wende und Boris Jelzin kam Vladimir Putin an die Reihe. Jener Zar Putin, den Kara-Mursa nun so heftig bekämpft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass nach dem Ende der Putin-Ära in Russland eine wirklich dauerhafte und stabile Demokratie entsteht, ist also eher gering. Wobei sogar unsere Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Auch unter den Belastungen des Ukrainekriegs, die die Spaltung unserer Gesellschaften weiter vorantreiben.

Dass Kara-Mursa dann am Ende des Interview alle jene, die „Verständnis für Valdimir Putin und seine Positionen“ hätten, also im Endeffekt alle, die nicht für eine Fortsetzung des Krieges ohne jegliche Verhandlungen sind, als „Kriegstreiber“ bezeichnet, spricht Bände.

Bei allem Verständnis für sein persönliches Schicksal. Hier geht es nicht um Sympathien oder Antipathien, auch nicht um die Sanktionen, sondern um einen Krieg, der bis jetzt wohl mehr als halbe Million Menschen das Leben gekostet hat, um unzählige Versehrte und Traumatisierte und um Kollateralschäden in allen Teilen der Welt, wie etwa den zunehmenden Hunger, für dessen Linderung nicht einmal mehr genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Im Gegensatz zum Ukrainekrieg, der bis jetzt weit mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet hat.

Dass dies von Kara-Mursa nicht erwähnt wird, spricht Bände. Und sein Statement inmitten einer zunehmend aufgeheizten Stimmung ist höchst problematisch.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Rotraud Perner. Eine Würdigung

Der unverzichtbare Sender ORF III hat einen besonders sehenswerten Film über das Leben und Werk von Rotraud Perner produziert. Gesendet wird die Doku allerdings an einem wenig attraktiven Sendungstermin, nämlich am 6.10. um 9.55 Uhr in ORF III.

Udo Bachmair

Sie ist Psychoanalytikerin, Juristin, evangelische Theologin, Hochschuldozentin, Autorin von 67 Büchern u.v.m.. Eine besonders engagierte, gescheite, selbstbestimmte, und liebenswürdige Frau. Eine charismatische Persönlichkeit: Rotraud Perner. Sie wird nun endlich auch in einer längeren ORF-Dokumentation gewürdigt, die gestern Abend in Wien einem interessierten Publikum vorab präsentiert wurde.

Der für ORF III produzierte Film der jungen Regisseurin Paula-Marie Pucker zeigt einfühlend und kompetent Perners buntes, kreatives und vielseitiges Leben und Schaffen. Unter besonderer Berücksichtigung der Perner begleitenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche. Die Dokumentation zeichnet in Interviews mit der Gewürdigten selbst sowie deren WegbegleiterInnen das Bild einer Frau, die sich trotz Rückschlägen nie entmutigen hat lassen.

Ein Wehrmustropfen: Diese hervorragende Dokumentation aus Anlass des 80. Geburtstages von Rotraud Perner wird am 6. Oktober am Vormittag um 9.55 Uhr gesendet (Wiederholung am 11.10. um 8.40 Uhr!) und damit mehr oder weniger „versteckt“. Doch es besteht hoffentlich noch der Wille der Führung von ORF III, diese Fehlplanung zu korrigieren. Das ist eine Doku auch im besten öffentlich-rechtlichen Sinn und gehört ins reichweitenstärkere Hauptabendprogramm!!!

„Die da oben“ und „die da unten“

Ratlosigkeit beherrscht die politische Szenerie. Das Wahlergebnis war angesichts der Umfragen zwar nicht wirklich überraschend. Aber ein so deutlicher Abstand zwischen FPÖ und ÖVP und erst zur SPÖ war doch überraschend, für viele auch eine herbe Enttäuschung. das Wahlergebnis beflügelt zudem den Disput um „die da oben“ und „die da unten“.

Wolfgang Koppler *

Die Selbsttäuschung vieler über die Ursachen dieses auch in anderen westlichen Ländern sich abzeichnenden politischen Wandels, der vereinfachend als ein Abdriften nach rechts oder gar in Rechtsradikalismus gesehen wird, hält aber nach wie vor an. Immer noch werden solche Wahlergebnisse, aber auch die diesen zugrunde liegende Stimmung als Protest gegen „die da oben“ abgetan, dem gar keine wirklichen Missstände oder ein Fehlverhalten von Politik, Wirtschaft und Medien zugrunde lägen. Man müsse einfach politische und wirtschaftliche Vorgänge und Entscheidungen besser erklären bzw. kommunizieren, heißt es immer. wieder.

Den Ausdruck „die da unten“ verwendet man hingegen nicht. Obwohl sich Politik, Wirtschaft und Medien von Wählern, Konsumenten und Lesern bzw. Zusehern tunlichst abschotten. Kontakt erfolgt nur über Mails, die von dazu geschulten Personen gelesen und beurteilt werden und die Politiker, Unternehmer und Journalisten im Regelfall gar nicht zu Gesicht bekommen. Selbst dann, wenn sich ein ein Wissenschafter oder ein Mensch meldet, der Wissen und Erfahrungen aus der Praxis mitbringt und vielleicht echte Missstände aufzeigen könnte.

Und so lebt unsere „Elite“ – oder wie immer man Politiker, Journalisten und Manager bezeichnen mag – und selbst ihre Umgebung in einer Art Blase. Nicht viel anders als der Stammtisch. Nur eben in einer anderen Vorstellungs- und Erlebniswelt. Wobei es oben und unten dann noch verschiedene Arten von nebeneinander bestehenden Blasen gibt. Bestimmte Redaktionen fühlen sich als etwas Besonderes, ebenso wie Manager verschiedener Großunternehmen sich hie und da besser dünken als ihre Kollegen.

Trotzdem: Bildung, Geld und Macht als das, was bei uns offenbar erst den wirklich „wertvollen“ Menschen ausmacht, scheidet unsere Gesellschaft in die da oben und die da unten.

Und da wir im Westen zur Egozentrik neigen, zu einem sich selbst vergöttlichenden Wesen mit wenig Selbstkritik, dünkt sich unsere Elite oft als mehr oder weniger unfehlbar. Oder verdrängt zumindest Fehlverhalten. Sich zu entschuldigen oder gar in sich zu gehen kommt nicht in Frage. Sie können das gerne ausprobieren, indem sie einen Journalisten auf einen klar ersichtlichen Fehler hinweisen. Eine Entschuldigung oder gar ein Umdenken wird kaum einmal erfolgen.

Der Wahlkampf ist ein Kindergarten, heißt es treffend im Werbespot eines Möbelhauses. Ein wunderbares Bild für jenen infantilen Narzissmus, dem gerade unsere Eliten immer wieder zum Opfer fallen. Ohne dass sie es merken.

Und so werden Migranten zum Opfer der Politik. Auf beiden Seiten. Menschen mit Migrationshintergrund werden nämlich auch von der linken Seite benutzt. Indem sich Intellektuelle zu ihren Schutzgeistern erklären, die wenig mit der Lebensrealität von Zuwanderern zu tun haben. Sondern nur das große Wort führen; Migranten als billige Arbeitskräfte sehen und Angst vor Rechtsextremismus genauso schüren wie manche Politiker der rechten Seite die Angst vor dem Islam.

Und so werden Migranten zum Spielball der rechten als auch der linken Seite. Das aktuelle Wahlergebnis spricht Bände. Und sollte zu Selbstkritik führen, Auf allen Seiten.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Gescheiterte Koalition

Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte die politische Situation in Österreich 3 Tage vor der Nationalratswahl in einer Analyse. Im Folgenden eine gekürzte Fassung von

Hans Högl

„Das Zeugnis für die österreichische Regierungskoalition wird bei der Wahl diesen Sonntag katastrophal ausfallen. Nun droht dem Land ein politischer Neustart. Die Stimmung in Österreich ist schlecht, bei der Wahl am Sonntag wird die Regierung deshalb massive Verluste hinnehmen müssen.
… Sebastian Kurz sah sich.. als internationaler Taktgeber, als er nach seinem fulminanten Wahlsieg vor fünf Jahren die erste konservativ-grüne Regierung Österreichs bildete. Das könne eine Vorbildfunktion auch für Deutschland haben, meinte er ..2020 am Weltwirtschaftsforum Davos…

Es kam bekanntlich anders. In Deutschland regiert eine Ampelkoalition, und auch in Österreich könnte nach der Wahl vom Sonntag ein Dreierbündnis nötig werden, um die rechtspopulistische FPÖ von der Macht fernzuhalten. Die schwarz-grünen Jahre werden dagegen als vorerst gescheitertes Experiment in die Geschichte eingehen.

Beide Regierungsparteien dürften laut Umfragen massiv an Wähleranteilen verlieren, eine Mehrheit ist rechnerisch nicht mehr vorstellbar. Das Vertrauen in die Regierung stürzte auf den tiefsten je gemessenen Wert ab. Die Wirtschaft steckt in der längsten rezessiven Phase der Nachkriegszeit, Ökonomen sprechen von fünf verlorenen Jahren.

«Koste es, was es wolle» war das Motto – über die Krise hinaus. Das Zeugnis fällt damit katastrophal aus. Die eigentliche Bilanz dieser Regierung ist allerdings gar nicht so schlecht. Denn so turbulent die Amtszeit auch war mit zwei Kanzlerwechseln und den grössten externen Krisen der Zweiten Republik, so ist doch zu berücksichtigen: Die beiden Koalitionspartner regierten trotz ihrer Gegensätzlichkeit eine ganze Legislaturperiode durch, was in Österreich eher die Ausnahme ist. Zudem gelangen wichtige Reformen, die zuvor jahrzehntelang versprochen und nie umgesetzt worden waren – die Abschaffung der kalten Progression etwa oder die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.

Eine Harmonie, wie Kurz sie einst mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zelebriert hatte, war nie zu erwarten. Dafür liegen die beiden Parteien inhaltlich zu weit auseinander. Es kam sogar zu schweren Zerwürfnissen: Die Grünen erzwangen vor drei Jahren wegen Korruptionsvorwürfen den Rücktritt von Kurz, und die ÖVP zeigte im Juni die grüne Umweltministerin nach ihrer eigenmächtigen Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz wegen Amtsmissbrauchs an. Aber das schwarz-grüne Bündnis funktionierte bis auf die letzten Monate überraschend reibungsarm, nachdem zuvor die schwarz-blaue Koalition nach nur anderthalb Jahren zerbrochen war.

Das folgte auch aus purer Not: Bald machten die schlechten Umfragewerte vorgezogene Neuwahlen für beide Parteien nicht erstrebenswert. Aber es bewährte sich das Prinzip, das Kurz bei der Präsentation des Regierungsprogramms mit dem «Besten aus beiden Welten» beschrieben hatte. Die Regierungspartner liessen bei den jeweiligen Kernthemen gegenseitig Erfolge zu, nachdem es früher in den grossen Koalitionen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten oft genug darum gegangen war, Prestigeprojekte der anderen Partei zu verhindern.

Vor allem die Grünen nutzten diesen Spielraum und setzten das populäre Klimaticket für den öffentlichen Verkehr sowie milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz durch. Ein echter Meilenstein ist auch die ökologische Steuerreform, mit der ein CO2-Preis eingeführt wurde, auch wenn er noch zu tief angesetzt ist. Die ÖVP konnte dafür ohne viel koalitionsinternen Widerstand ihre harte Linie in der Migrationspolitik propagieren, erhielt eine Senkung der Körperschaftssteuer, die dringend nötige Aufrüstung des Bundesheers und den Beitritt zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield – für Österreich ist das durchaus eine kleine Zeitenwende.

Die Liste zeigt allerdings, dass es vor allem enorme Geldsummen waren, die den Kitt dieser Koalition bildeten. «Koste es, was es wolle» war das Motto, das Kurz während der Corona-Pandemie ausgerufen hatte, und es sollte auch darüber hinaus gelten. Für jedes Problem eilte der Staat herbei, der Zuschüsse und Boni mit der Giesskanne verteilte. Das Subventionsvolumen explodierte, selbst bereinigt um die Massnahmen gegen Pandemie und Teuerung. Ob die Gelder zielgerichtet eingesetzt wurden, spielte keine Rolle, das ins Koalitionsabkommen geschriebene Ziel eines ausgeglichenen Haushalts auch nicht. Österreich verfehlt die EU-Fiskalregeln deutlich, Brüssel verlangt für das nächste Jahr erhebliche Einsparungen.

Überhaupt ist die Wirtschaftslage düster. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Wohlstand. Seit zwei Jahren stagniert oder schrumpft die Wirtschaft. Obwohl die Bevölkerung wächst, sinkt das Arbeitsvolumen. Die Folge ist unter anderem eine hartnäckig hohe Inflation, die durch die expansive Ausgabenpolitik des Staates angeheizt wird. Reformen, die hier ansetzen, konnte die Koalition nicht durchsetzen. Für die Wirtschaftspartei ÖVP, die in dieser Legislaturperiode mit einer so grossen Mehrheit regierte, wie sie es wohl lange nicht mehr tun wird, ist das blamabel.

Die Krisen und ihre Folgen liessen das Vertrauen erodieren.Die zweite Schwäche dieser Regierung war ein teilweise erratischer Umgang mit den beiden Krisen dieser Legislaturperiode, der Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In ihrem Kampf gegen das Coronavirus schwankte die Regierung zwischen Alarmismus und Selbstlob, zwischen bis ins Detail geregelten Lockdowns und gefeierten Öffnungen. Das Hin und Her gipfelte darin, dass Österreich als einzige europäische Demokratie eine Impfpflicht beschloss. Sie wurde zwar nie umgesetzt, spaltete die Bevölkerung aber tief.

Ähnlich unentschlossen wirkt Österreich gegenüber Russland. Zwar verurteilt die Regierung die verbrecherische Aggression und trägt auch die Sanktionen mit. Gleichzeitig finanziert das Land die russische Kriegsmaschinerie mit, indem es nach wie vor fast seine gesamten Erdgasimporte aus Russland bezieht – obwohl es inzwischen die Möglichkeit zum Ausstieg hätte. Bundeskanzler Karl Nehammer war neben Ungarns Regierungschef Viktor Orban der einzige westliche Spitzenpolitiker, der den Kremlherrn Wladimir Putin seit der Grossinvasion in Moskau besucht hat. Erst im August konnte sich die Regierung dazu durchringen, die Strategie der nationalen Sicherheit zu ändern, in der Russland noch als «strategischer Partner» bezeichnet worden war.

Die Krisen und vor allem ihre Folgen mit hohen Energiepreisen und Teuerung liessen das Vertrauen in die Regierung erodieren, wie es in anderen Ländern auch geschah. Hier endet aber mehr als nur eine besonders herausfordernde Legislaturperiode. Die Wahl ist auch ein Schlussstrich unter die Ära von Sebastian Kurz, der den Konservativen einen Höhenflug beschert hatte und den stetigen Niedergang der beiden staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ kurzzeitig stoppen konnte.

Bestätigen sich die Umfragen, wird die ÖVP unter Nehammer so schwere Verluste hinnehmen müssen, dass auch ein Bündnis mit der SPÖ keine Mehrheit mehr hätte. Dagegen dürfte die FPÖ die grosse Wahlsiegerin sein. Das wäre gleich eine doppelte Zäsur für das Land: Die Rechtspopulisten könnten erstmals zur stärksten Kraft werden. Und die grosse Koalition, diese quasi natürliche Regierungsform der Zweiten Republik, die diese aufgebaut hat und nach wie vor bis in den hintersten Winkel prägt, wäre keine Option mehr. Der Journalist Georg Renner bezeichnet das in einem kürzlich erschienenen Buch zu Recht als politische Kontinentalverschiebung, die einem Ende dieser Zweiten Republik gleichkommt.

Was auf sie folgt, ist völlig offen. Das schwarz-grüne Experiment war schon vor fünf Jahren nicht das Vorzeigemodell, als das Kurz es bewarb, sondern ein Zweckbündnis aus Mangel an Alternativen. Die inhaltlich viel naheliegendere Koalition mit der FPÖ war an der Ibiza-Affäre gescheitert – ein Ende nach kurzer Zeit und im Chaos, wie bisher bei jeder Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Die klassische grosse Koalition mit der SPÖ war für Kurz undenkbar, stand sie in ihrer letzten Phase doch für Stillstand, während er «Zeit für Neues» ankündigte.

Fünf Jahre später steht eine extremere FPÖ als damals vor dem Wahlsieg. Deren Chef Herbert Kickl strebt offen eine Orbanisierung Österreichs an, und man möchte sich die radikalen Impfskeptiker und Kreml-Freunde um ihn nicht erneut an den Schalthebeln der Macht vorstellen. Die Partei hat ihre Regierungsunfähigkeit schon mehrmals bewiesen. Gleichzeitig wird vermutlich nur noch ein heterogenes Dreierbündnis einen weiteren Versuch verhindern können, und der Blick nach Deutschland stimmt dafür nicht zuversichtlich. Das Scheitern von Schwarz-Grün bedeutet deshalb vorerst eine Dritte Republik ohne zukunftsträchtige Optionen.“

Zu ergänzen möchte ich, Hans Högl, dies mit einem Kommentar des Spitzendiplomaten Peter Launsky-Tieffenthal, der meint, dass die vielkritisierte Migrationspolititk von Kurz bis Nehammer nun in der EU konsensfähig geworden sei (Kurier, 29.9.2014,S. 26).

Mutige Äußerungen

Auch die jüngste Ausgabe von INTERNATIONAL, der renommierten Zeitschrift für internationale Politik, ist wieder gespickt mit höchst interessanten Beiträgen. Darunter auch ein Gespräch mit mutigen Äußerungen einer Nationalratsabgeordneten zu Österreichs umstrittener Außenpolitik.

Udo Bachmair

Sie ist die erste heimische Politikerin palästinensischer Herkunft : Muna Duzdar. Die SPÖ-Parlamentarierin scheut nicht davor zurück, auch heikle weltpolitische Themen offen anzusprechen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, in dem Zusammenhang nicht zuletzt auch die mediale Berichterstattung. Duzdar dazu gegenüber INTERNATIONAL:

„Die Berichterstattung heimischer Medien hat dabei versagt, das Leid und die Perspektive der Palästinenser ausreichend darzustellen. Wir haben es im Nahostkonflikt nicht nur mit einem asymmetrisches Krieg zu tun. Auch die Berichterstattung ist asymmetrisch, zugunsten einer Partei und das ist Israel. Wir erleben das z.Bsp., wenn israelische Quellen immer unhinterfragt übernommen werden und palästinensische Quellen gleich den Hamas- oder Terroristenstempel aufgedrückt bekommen. Das ist fatal und schadet der Glaubwürdigkeit journalistischer Medien.“

Soweit die Mediensprecherin der SPÖ, Muna Duzdar, die darauf hofft, mittels Vorzugsstimmen wieder in den Nationalrat einziehen zu können.

Zum Thema Nahost bietet INTERNATIONAL zudem eine spannende Analyse von Helga Baumgarten mit dem Titel „Nakba: Die nicht enden-wollende Katastrophe“. Die Politologin beleuchtet brillant Hintergründe und Folgen des Nahostkonflikts anhand der dramatischen Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung von 1948 bis 2024.

Die Zeitschrift vermittelt außerdem im Detail die außenpolitischen Positionen der Parteien, im besonderen zu Neutralität und Friedenspolitik. Ein Themenkomplex, der im NR-Wahlkampf eine beschämend geringe Rolle gespielt hat.

Das jüngste Heft spannt inhaltlich und geografisch einen großen Bogen von Russland, Venezuela, dem Iran bis hin zur Lage in Somalia, Sambia und Aserbeidschan.

Kunst und Kultur sowie Lyrik für den Frieden komplettieren die jüngste Ausgabe IV / 2024.

Näheres unter www.international.or.at