Einen Kommentar von Heide Schmidt im Standard** nimmt unsere Gastautorin zum Anlass für weitergehende Überlegungen zum Thema „Demokratie als Charakterfrage“.
Ilse Kleinschuster*
Heide Schmied, die ehemals Jörg Haider und seiner FPÖ den Rücken gekehrt und das Liberale Forum gegründet hat, war auch eine Anhängerin des Projekts Weltethos und hat sich für das Konzept eines Bedingungslosen Grundeinkommens interessiert. Es scheint mir daher gut nachvollziehbar, dass sie ob der Aussage der FPÖ „MIT EUCH GEGEN DAS SYSTEM“ schockiert ist, denn: ist nicht ‚unser System‘ Demokratie?
Ich bin keine Juristin, aber soviel weiß ich auch, dass es für unsere demokratische Halt(er)ung eine Grundlage gibt, die „Österreichische Bundesverfassung“, die „denjenigen die Hände bindet, die sich an sie halten, denjenigen aber fast alles ermöglich, die es nicht ehrliche mit ihr meinen“ – ein Satz von Vaclav Havel, den Heide Schmidt gerne zitiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass Demokratie nicht nur eine Frage das Systems ist, sondern auch eine Frage der Haltung und damit auch des Charakters der handelnden Personen.
Nun entwickelt sich doch Haltung/Charakter im Laufe unseres Lebens und ich meine, es hängt doch sehr von den Umständen ab, unter denen diese Entwicklung stattfindet. Bereits als Kind habe ich mich – immer, wenn es um Ungerechtigkeit ging – sehr aufgeregt. Spät erst im Laufe meines Lebens habe ich begriffen, wie sehr es auch einer vernünftigen Gesetzgebung zu verdanken ist, soll es in der Gesellschaft halbwegs gerecht und friedlich zugehen.
In der heutigen Zeit eines multiplen Wandels ist es nicht mehr verwunderlich, dass sich auch die Politik wandelt. Wie sehr es an Politiker*innen fehlt, die sich in den Dienst der Rechtsordnung stellen, hat uns die Hochachtung für die verstorbene Kanzlerin Brigitte Bierlein gezeigt, die in schweren Zeiten der Bitte nachkam, „die taumelnde Republik aus Verantwortungsgefühl zu führen“ (Doris Helmberger, Chefredakteurin der FURCHE).
War die Mittelschicht bislang demokratietragend, fiel sie langsam der Globalisierung und der Schwerpunktverschiebung von Real- zur Finanzwirtschaft zum Opfer, was wohl die Frustrierten und Zurückgelassenen (rechte/linke) Populisten wählen lässt. Der Mangel an einer qualitätsvollen und zukunftsorientierten Spitzenpolitik wird immer offenkundiger. Der weltweite Populismus ist also Symptom, nicht aber Ursache der ‚Demokratie-Krise‘.
Und noch eines: Hat ein zugespitzter Stil in der Berichterstattung den Vertrauensverslust in die Politik nicht auch gefördert? Ich frage mich: Könnte mich darin vor allem die Berichterstattung zu den EU-Wahlen bestätigt haben? – Mehr Aufmerksamkeit als nötig wurde meiner Meinung nach dem Stimmenzuwachs für rechts-extreme Parteien gezollt. Ein Relevanzverlust der Medien schlägt sich nieder und vernebelt die ohnedies schon sehr verunsicherte Mittelschicht.
In Redaktionen, in denen gespart wird, fehlt es an Wissenschaftsjournalisten, die eine Gatekeeper-Funktion übernehmen könnten. Nicht Zuspitzung, sondern lösungsorientierte Kritik wäre jetzt wichtig, ausgeübt durch gebildete, verantwortliche Persönlichkeiten, deren Umfeld Selbstreflexion zulässt und fördert. -So schreibt Otto Friedrich in der FURCHE über die „Medien und ihre Selbstverzwergung“ zu den Vorwahl-Turbulenzen um Lena Schilling: „Ich ordne die Causa auch als Lehrbeispiel fürs Schlagwort overnewsed but underinformed ein“ und er stellt fest, dass sich für ihn keinerlei Relevanz in Bezug auf die Zukunft Österreichs oder Europas erkennen lasse.
Mehr noch aber als die Relevanz in Bezug auf die Zukunft Österreich und Europas fehlt mir heute jene in Bezug auf die Zukunft der ‚Menschheit‘. Was für eine vernachlässigte, globale Verantwortungsherausforderung für uns alle, die wir sowohl biologisch als auch in unseren Identitäten, Lebensrealitäten und Überzeugungen derart unterschiedlich sind! Wie sollen wir von einer Menschheit schreiben, für die wir Verantwortung tragen (wollen), wenn wir die aus der Natur des Menschen begründbaren, allgemeinen Menschenrechte täglich missachten?
Eine ERDE für Alle – EARTH FOR ALL – der neue Bericht an den CLUB OF ROME, 50 Jahre nach „Die Grenzen des Wachstums“ – könnte eine Antwort geben! Es bietet eine konkrete, bahnbrechende Vision, wie das Wohlergehen aller – in jedem Land – auf unserem begrenzten Planeten sichergestellt werden kann. Das wäre eine wichtige Lektüre auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die das Motto Eine Erde für Alle! lebt.
** Gastautorin Ilse Kleinschuster ist eine wichtige Stimme der Zivilgesellschaft. In ihrem Beitrag bezieht sie sich unter anderem auf einen STANDARD-Kommentar von Heide Schmidt:
„Eine Reise zu den Wurzeln des Hasses in der Slowakei“ unternimmt Michael Schmölzer in der Wiener Zeitung vom Samstag.
Wolfgang Koppler *
Michael Schmölzer untersucht das aufgeheizte politische Klima in der Slowakei, das zu dem Attentat auf Robert Fico mit beigetragen haben mag und geht dessen Ursachen nach. Er erwähnt den Verbalradikalismus auf Seiten Ficos, aber auch jenen der Opposition. Er beklagt die Vergiftung der politischen Atmosphäre und dass es in der Slowakei keine politische Mitte mehr gäbe. Die Ursachen sieht er vor allem im nicht gänzlich überwundenen, autoritären System des Kommunismus, dem auch Fico entstamme. Und einer „missglückten Transformation“ nach der sogenannten Wende, zumal in der Slowakei eine gewisse Ostalgie vorhanden sei und sich manche nach der scheinbaren Sicherheit der damaligen Zeit zurücksehnten.
Man muss dem Autor zugestehen, dass er sich um Sachlichkeit bemüht und versucht, nicht Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen. Sodass er sowohl Ficos Anhänger als auch dessen Gegner zu Wort kommen lässt. Was die Ursachen des Konflikts und der gegenwärtigen Unversöhnlichkeit betrifft, greift er aber meines Erachtens zu kurz. Nicht an allem ist der Kommunismus schuld. Der manchmal übertriebene Nationalismus und Konservativismus – vor allem außerhalb der urbanen Zentren – hat sicher weitreichende historische Wurzeln. Die Slowakei stand lange Zeit unter der Vorherrschaft Ungarns, war anderseits in den urbanen Zentren (wie etwa in Bratislava) lange Zeit von einer deutschsprachigen Mehrheit dominiert und ging nach dem Zusammenbruch der Monarchie in der Tschechoslowakei auf. Zwischen 1939 und 1945 existierte dann ein nur pro forma eigenständiger Staat von Hitlers Gnaden, an den fast nahtlos die realsozialistische Tschechoslowakei anschloss. Die Slowakei in ihrer heutigen Form gibt es erst seit 1993.
Die Wende 1989 und der EU-Beitritt bedeutete für weite Teile der Bevölkerung nur vordergründig wirtschaftlichen Aufschwung. Zwar gab es Investitionen aus dem Westen. Der Preis dafür waren Löhne, die noch nach der Jahrtausendwende für viele nicht mehr als 500 Euro monatlich für einen Vollzeitjob ausmachten. Bei Lebenshaltungskosten, die nicht allzu sehr unter jenen im Westen lagen. Anderseits wurde Brüssel – nicht nur in wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Fragen – als allzu dominant empfunden, was wohl auch bei manchen uralte Reflexe gegenüber Westeuropa auslöste. Diese sind sicher auch in anderen ehemaligen Ostblockländern spürbar. In der Slowakei, welche in ihrer Geschichte meist von Ungarn, Deutschen und Tschechen dominiert wurde, sind Panslawismus, Nationalismus, aber auch Konservativismus nicht ganz unverständlich. Was die Anlehnung an Russland als Schutzmacht zumindest erklärt. Und angesichts der missglückten und allzu radikalen wirtschaftlichen und politischen Transformation nach der Wende ist auch eine gewisse „Ostalgie“ durchaus nachvollziehbar.
Und was die Spaltung der Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager und zunehmende Radikalisierung betrifft, so ist die Slowakei damit wohl nicht alleine. Ob Liberals und Trump-Anhänger in den USA, ob Rechtspopulisten und so genannte Lifestyle-Linke (wie sie Sahra Wagenknecht zu nennen pflegt) in vielen europäischen Ländern, eine gewisse Ähnlichkeit mit der slowakischen Gesellschaft ist nicht zu leugnen. Auch die Auseinandersetzung zwischen Politik, Justiz und Medien, die Versuche der Politik, dritte und so genannte vierte Gewalt in den Griff zu bekommen, aber auch der gelegentliche Anschein einer Instrumentalisierung von Justiz und Medien – es handelt sich nicht um auf die Slowakei beschränkte Phänomene. Das gilt erst recht für die allgegenwärtige Korruption. Auch wenn die Tendenz zur „illiberalen“ Demokratie in manchen Staaten aufgrund bestimmter geschichtlicher Erfahrungen vielleicht etwas stärker ausfallen mag. Und der Mainstream und erst recht die Regierung bei uns in der Wortwahl meist etwas vorsichtiger sind. Aber auch bei uns droht die politische Mitte abhanden zu kommen. Man denke etwa an Gaza und den Ukrainekrieg.
Ein bisschen mehr Verständnis für die jeweils andere Seite, sei es der innenpolitische Gegner oder eine vom Mainstream (ob zu Recht oder zu Unrecht) scheel angesehene Regierung eines fremden Staates, würde so manchen Dialog vielleicht wieder in Gang bringen. Dann brauchen wir vielleicht nicht mehr den Kommunismus, Putin oder sonst jemanden als ständiges Feindbild. Und könnten uns unseren eigenen blinden Flecken widmen.
Laut Bibel sollten wir eigentlich das Salz der Erde sein. Aber unsere Medien bevorzugen anscheinend salzlose Kost.
Wolfgang Koppler *
Da können sich viele Menschen am freien Markt keine Wohnung mehr leisten, Ausmietfirmen treiben ihr Unwesen, der Klimawandel wird nur halbherzig bekämpft und der globale Süden stöhnt angesichts des Ukrainekriegs unter der Last stark gestiegener Lebensmittelpreise, während Israel trotz Protesten seinen Gazakrieg unerbittlich vorantreibt. Die mediale Kritik dazu fällt äußerst verhalten aus.
Und welche Meldungen dominieren derzeit im Internet, worüber sorgt sich unser Journalismus? Dass Unbekannte ein 1,20 m tiefes Loch in Schäubles letzte Ruhestätte gegraben haben. Sogar der deutsche Staatsschutz wurde eingeschaltet, wie sogar Qualitätsmedien wie FAZ und Standard zu berichten wissen.
Aber man kann es genauso gut in Gratiszeitungen wie OE24 nachlesen.
Wozu brauchen wir eigentlich noch Qualitätsjournalismus? Als Baldrian der Erde?
Kein Wunder, wenn die Leser in die sozialen Medien abwandern und sich gegenseitig aufhetzen. Aber nicht einmal Kritik an den sozialen Medien und dem schrankenlosen Gewinnstreben der Internetgiganten scheint mehr möglich. Macht nichts, man kann sich immerhin noch für eine Erhöhung der Presseförderung einsetzen. Ob das unsere Printmedien retten wird ?
Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien
Langsam wird es unerträglich. Jeder Versuch, eine sachliche Debatte über den Krieg Israels gegen Gaza zu führen, wird abgewürgt von der sattsam bekannten Antisemitismus-Keule.
Udo Bachmair
Jede noch so berechtigte Kritik an der gewaltsamen Überreaktion Israels auf das ebenfalls zu verurteilende grausame Massaker der Hamas gilt als antisemitisch. Sogar ein gemäßigter humanistischer Intellektueller wie der jüdische Philosoph Omri Boehm, der gestern auf dem Judenplatz besonders versöhnliche Worte fand, wird als antisemitisch verunglimpft. Vor dem Hintergrund eines indirekten Gewaltaufrufs seitens des früheren Chefs der israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Musicant, Eier auf den Redner zu werfen. Dabei will Boehm nichts anderes als einen gemeinsamen Staat mit Gleichberechtigung für Israelis und Palästinenser, um damit der ewig scheinenden Gewaltspirale ein Ende zu setzen.
Das interessierte eine kleine Schar proisraelischer AktivistInnen nicht, die mit Transparenten, die die Sicht auf den Redner verstellten sowie Fernsehjournalisten an ihrer Arbeit hinderten, von der Rede Boehms abzulenken versuchten. Man stelle sich umgekehrt vor, jemand hätte mit palästinensischen Losungen eine Veranstaltung und journalistische Arbeit gestört, die Polizei wäre sofort eingeschritten.. Es ist wahrlich unerträglich, jeglicher Kritik am brutalen militärischen Vorgehen Israels in Gaza, das mittlerweile weit über 30.000 Todesopfer gefordert hat, mit der Keule des Antisemitismus zu begegnen.
Vor diesem Hintergrund sind besonnene und differenzierende Stimmen gerade in hoch emotionalisierten Zeiten wie diesen nötiger denn je. Stellvertretend dafür ein Facebook-Eintrag des Politikwissenschafters und Kulturanthropologen Univ. Prof. Thomas Schmidinger kürzlich auf Facebook:
Derzeit zeigt sich sehr deutlich, dass aus der Shoah und den anderen Verbrechen der Nazis sehr unterschiedliche Lehren gezogen werden können. Einerseits kann man daraus die universalistische Konsequenz ziehen, dass man immer und überall gegen Unterdrückung und Verfolgung ethnischer, religiöser, sozialer oder sexueller Gruppen auftritt und weltweit für die Menschenrechte aller Menschen konsequent eintritt. Andererseits kann man daraus die partikularistische Konsequenz ziehen, dass der jüdische Staat Israel immer und überall Recht hat und die Handlungen der Regierung dieses Staates jedenfalls zu verteidigen sind. Der politische Mainstream in Österreich und Deutschland hat sich offensichtlich parteiübergreifend für letzteres entschieden und geht dabei so weit, auch die Versuche der israelischen Rechtsregierung, Kritik an deren Politik grundsätzlich mit dem Verdacht des Antisemitismus abzuschmettern, zu übernehmen.
Wenn auch gemäßigte jüdische KritikerInnen der israelischen Kriegsführung in Gaza bereits delegitimiert werden und von österreichischen und deutschen PolitikerInnen unter Antisemitismusverdacht gestellt werden, dann läuft meines Erachtens in dieser Debatte etwas gewaltig schief. Dieser deutsch-österreichische Sonderweg scheint mir nichts anderes als ein identitätspolitischer Versuch zu sein, sich seiner eigenen historischen Verantwortung durch Externalisierung des Antisemitismusvorwurfes zu entledigen.
Der ORF wäre verpflichtet, auch in der außenpolitischen Berichterstattung auf Ausgewogenheit und Differenzierung Bedacht zu nehmen. Wenn es ums Thema Ukrainekrieg geht, gelingen diese Vorgaben nur selten. Eines der Beispiele dafür ist ein Beitrag mit besonderer Schlagseite von Markus Müller jüngst im Ö1-Mittagsjournal, Gegenstand des folgenden offenen Briefes an die Ö1-Information:
An die Redaktion des Radiosenders Ö1
von Sylvia Stuckenberg *
ORF-Redakteur Markus Müller-Schinwald beschuldigt den Neutralitätsforscher Pascal Lottaz im Mittagsjournal von Ö1 vom 19.4.2024 Kreml-Propaganda zu betreiben. Als Grund werden dessen Äußerungen zu den Friedensverhandlungen im März 2022 in Istanbul herangezogen. Lottaz sagt, dass die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vom Westen torpediert worden seien.
Und das sei der Beweis, dass er im Dienste Moskaus stünde, so der Journalist.
Schauen wir uns das einmal genauer an. Als Vermittler bei den Friedensverhandlungen in Istanbul traten Erdogan (türkischer Staatspräsident), Bennett (damaliger israelischer Premierminister) und Gerhard Schröder (ehemaliger deutscher Bundeskanzler) auf. Alle drei waren sich am Ende der Verhandlungen einig, dass die russischen und die ukrainischen Unterhändler einer umfassenden Friedenslösung sehr Nahe gekommen waren.
Die Ukraine würde einem Neutralitätsstatus zustimmen und auf eine Aufnahme in die Nato verzichten und im Gegenzug dafür Sicherheitsgarantien von einem wesentlichen Teil der westlichen Staaten ( sogenannte Garantiestaaten) erhalten. Und Russland erklärte sich bereit die Integrität der Ukraine mit Ausnahme der Krim zu gewährleisten. Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit, Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.
Bennett weiter: …die Ukrainer haben den Frieden nicht vereinbart, weil sie es nicht durften. Die mussten bei allem, was sie berieten, erst bei den Amerikanern nachfragen. Auch Mevlüt Cavusoglu , damaliger türkischer Außenminister, äußerte sich in ähnlicher Weise. In einem Interview mit der CNN Türk am 20.4.2022 sagte er:“ Einige Nato Staaten wollten, dass der Ukraine Krieg weitergeht, um Russland zu schwächen.“
Im Rahmen der Verhandlungen wurde von der ukrainischen Delegation am 29. März 2022 ein Positionspapier vorgelegt, das zum Istanbuler Kommunique wurde. Die ukrainischen Vorschläge wurden von der russischen Seite in einem Vertragsentwurf umgesetzt. Michael von der Schulenburg, der ehemalige UN Assistant Secretary-General (ASG) in UN Friedensmissionen schreibt, dass “die Nato bereits am 24.März 2022 auf einem Sondergipfel beschlossen hätte, diese Friedensverhandlungen (zwischen der Ukraine und Russland) nicht zu unterstützen“. Nach von der Schulenburg hatte es sich bei den russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen um eine historisch einmalige Besonderheit gehandelt, die nur dadurch möglich war, weil sich Russen und Ukrainer gut kennen und die „gleiche Sprache sprechen“
Die Washington Post berichtet am 5.4., dass in der Nato die Fortsetzung des Krieges gegenüber einem Waffenstillstand und einer Verhandlungslösung bevorzugt wird:“ Für einige in der Nato ist es besser, wenn die Ukraine weiterkämpfen und sterben als einen Frieden zu erreichen, der zu früh kommt oder zu einem zu hohen Preis für Kiew und das übrige Europa“ Selenskyj solle“ so lange weiterkämpfen, bis Russland vollständig besiegt ist“.
Am 9.4. traf Boris Johnson unerwartet in Kiew ein und wies laut dem britischen Guardian vom 28.4. den ukrainischen Präsidenten Selenskyj an „keine Zugeständnisse an Putin zu machen“ Er brachte die Botschaft mit nach Kiew, dass selbst, wenn Selenskyj bereit wäre gegen Sicherheitsgarantien eine Verhandlungslösung mit Russland zu finden, es der Westen nicht ist!
Auch die NZZ meldet am 12.4., dass die britische Regierung unter Johnson auf einen militärischen Sieg der Ukraine setzt. Der Guardian Kolumnist Simon Jenkins warnte, dass „Liz Trust riskiert, den Krieg in der Ukraine für ihre eigenen Ambitionen anzufachen“
Die US Zeitschrift Responsible Statecraft zitiert die Zeitschrift „Foreign Affairs“: diese schreibt am 2.9.22:“ Laut mehreren ehemaligen hochrangigen US-Beamten, mit denen wir gesprochen haben, schienen sich russische und ukrainische Unterhändler im März 2022 auf die Umrisse einer vorläufigen Zwischenlösung geeinigt zu haben……..aber der Westen ist nicht zu einem Ende des Krieges bereit.“
Eine tragfähige Lösung von beiden Seiten, Ukraine und Russland, ein ausverhandelter Vertragsentwurf war finalisiert und im letzten Augenblick von den USA und Großbritannien torpediert worden. Alle anwesenden Diplomaten berichten über diesen Verlauf.
Wie kommt nun Herr Müller-Schinwald dazu, diese Darstellung als russische Propaganda zu bezeichnen? Hat er nur nicht sorgfältig recherchiert oder steht eine Absicht dahinter?
Sehr erstaunlich ist die Tatsache, dass Herr Müller-Schinwald als einzige Referenz für seine Behauptung ein Mitglied einer Nato-Denkfabrik zitiert. Herr Kalensky vom Zentrum für hybride Bedrohung diskreditiert Herrn Pascal Lottaz. Diese Zentren werden auch als Exzellenzzentren bezeichnet. Sie wurden 2003 von der Nato als zivile Einrichten für Schulungen u.a. gegründet. Bis heute gibt es 26 solcher Zentren, die auch eine Einbindung von nicht Nato-Staaten vorsehen. Es ist die einzige Nato/EU Institution. Das Konstrukt ist sehr undurchsichtig, wäre es aber Wert, genau beleuchtet zu werden.
Ich denke seriöser Journalismus sieht anders aus. In kürzester Zeit hätte Herr Müller-Schinwald unendlich viele Quellen aus der ganzen Welt zusammentragen können und damit die Aussage von Pascal Lottaz bestätigen können. Aber es muss wohl die Frage gestellt werden, warum gerade jetzt ein seriöser Neutralitätsforscher als russischer Spion „enttarnt“ wird, oder bestenfalls wie Herr Müller Schinwald meint als „nützlicher Idiot“ einzustufen sei.
Als öffentlich rechtlicher Rundfunk sind Sie verpflichtet mit Sorgfalt und ausgewogen zu berichten. Im übrigen gebietet dies auch die journalistische Ethik.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Wenn ich als Ärztin mit einer Problemstellung überfordert bin, wird der Patient an einen Fachkollegen zugewiesen. Da fange ich nicht an herumzupfuschen. Das gilt auch für den Journalismus. Auch dort werden mit solch unprofessionellen Berichten Existenzen aufs Spiel gesetzt.
* Dr. Sylvia Stuckenberg ist Journalistin und Medizinerin und lebt in Lochau in Vorarlberg. Zitate in ihrem offenen Brief stammen aus der Berliner Zeitung, vornehmlich aus der Analyse „Wie die Chance für eine Friedensregelung vertan wurde“ (erschienen 19.11.2023).
Die jüngste ORF-Diskussion „Im Zentrum“ trug den Titel: Verwirrt, frustriert, resigniert – Warum noch wählen?
Wolfgang Koppler *
Ein bisschen beklemmend wirkte der zugeschaltete Beitrag zu Beginn der Sendung, in dem man unsere Spitzenpolitiker von Maurer über Edtstadler bis Nehammer auf TikTok in den dort üblichen Posen und mit kurzen Slogans bewundern konnte. Diskussionsteilnehmer Prof. Filzmaier erklärte das schlüssig damit, dass man zunächst mit den potentiellen Wählern (in diesem Fall Jugendliche) dort Kontakt aufnehmen müsste, wo sie sich meist aufhalten bzw. erreichbar sind. Das könne aber nur ein erster Schritt sein. Dann müssten weitere folgen, um Inhalte nahezubringen und einen Diskurs zu führen, Interesse zu wecken.
Die anwesenden Jugendpolitiker sahen das naturgemäß etwas weniger realistisch. Sie beklagten etwa den durch den Mainstream eingeschränkten Diskurs (was interessanterweise von manchen Populisten brachial ausgenutzt wird, indem diese nur mehr auf Emotionen und nicht auf Sachargumente setzen, sodass allzu viel political correctness zum Gegenteil dessen führt, was sie beabsichtigt),sie beklagten aber auch die eingeschränkten Möglichkeiten der Politik durch vorgegebene rechtliche und wirtschaftliche Erfordernisse.
Und hier hätte es interessant werden können. In der unmittelbar vorangegangenen ZiB2 kam zumindest im Rahmen eines kurzen Straßeninterviews der EU-Spitzenkandidat der KPÖ, Hopfgartner, zu Wort. Neben dem Einsatz für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg will sich die KPÖ ja auch für leistbares Wohnen auch auf EU–Ebene einsetzen. Und da stellte er einen interessanten Vergleich an: Während die Wirtschaft jederzeit gegen Wettbewerbshindernisse vorgehe, also ihre „Rechte“ problemlos durchsetzen kann, stehen Grundrechte des Einzelnen meist nur auf dem Papier. Wie etwa das Recht auf Wohnen (auch wenn es sich nur in der UN-Menschenrechtsdeklaration vom 1948 findet).
Menschenwürde ist in unseren Gesellschaften offenbar ein Lippenbekenntnis und Menschenrechte werde oft als weit weniger bedeutsam erachtet als der freie Wettbewerb und das Recht auf weitgehend schrankenlosen Gewinn. Auch wenn das vielen Leuten vielleicht nicht so ganz bewusst ist. Ob es den Mangel an leistbarem Wohnraum (bei leerstehenden Bürobauten und Luxuseigentumswohnungen), die zugrunde gehenden Kleinunternehmer, den Klimawandel oder unseren Dreck an afrikanischen Küsten betrifft. An dem angeblich nur der Konsument schuld ist. Und nicht primär die schrankenlose und umweltschädigende Überproduktion. Sowie die ständige Expansion von Großunternehmen.
Und Menschen, die Derartiges hinterfragen, sind meist Miesmacher oder gefährliche Radikale. Oder werden zumindest schnell vom dringend erforderlichen Diskurs über unsere Werte ausgeschlossen.
Was vielleicht auch ein Grund für die vielen Nicht- und Protestwähler ist.
Und unsere Medien: Die beschäftigen sich mit so wichtigen Dingen, wie dem Schutz von Wölfen, die längst keine gefährdete Tierart mehr sind. Wie die Coverstory des jüngsten Profil. Kein Wunder, wenn sich viele von Politik und Medien abwenden. Mit einer gesunden und freien Diskussionskultur könnte man vielleicht den einen oder die andere wiedergewinnen.
* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien
Hinhauen auf den ORF hat Tradition. Trotz aller auch berechtigten Kritik ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber allein schon aus demokratiepolitischen Gründen unverzichtbar.
Udo Bachmair *
Anti-ORF-Bashing war schon früher beliebt, jetzt feiert es angesichts neuer Entwicklungen -Beispiele Gagen sowie Haushaltsabgabe – fröhliche Urständ‘. Für konstruktive Kritik am ORF hingegen liegen durchaus Gründe vor. Nicht jedoch für dessen Zerschlagung, die sich manche vor allem aus dem FPÖ-Dunstkreis wünschen.
Freilich ist die Optik der veröffentlichten Spitzeneinkommen einer Minderheit im ORF denkbar schlecht. Viele fühlen sich zu Recht provoziert, wenngleich sich die hohen ORF-Gagen verglichen mit Managergehältern in der Privatwirtschaft im Rahmen des Üblichen in einer freien Marktwirtschaft bewegen, auch wenn einem darob übel werden könnte.
Extreme Einkommensunterschiede sind auch innerhalb des ORF selbst gewaltig und sorgen für Unmut. So besteht etwa zwischen teils kärglich verdienenden freien MitarbeiterInnen und Höchstverdienenden, deren Einkommen oft nicht ihrer Leistung entsprechen, ein eklatantes Missverhältnis.
Neben der Empörung über die Spitzengagen steht der ORF auch in Bezug auf die (schlecht kommunizierte) Haushaltsabgabe weiter im Visier der Kritik. Der auch medial aufgeheizte Unmut richtet sich dabei paradoxerweise gegen eine Abgabe, die im Vergleich zur früheren GIS-Gebühr niedriger ausgefallen ist.
Darüber hinaus findet sich der ORF seit jeher- nicht ganz zu Unrecht- wegen des Vorwurfs parteipolitisch motivierter Postenbesetzungen immer wieder in den Schlagzeilen. Besonders nervend nicht zuletzt für unabhängige ORF-JournalistInnen waren und sind traditionelle Einflussversuche von außen. Besonders hervorgetan hat sich bereits vor 20 Jahren der damalige FPÖ Politiker Peter Westenthaler. Er sitzt seit kurzem abermals im höchsten ORF-Gremium. Von ihm wird ORF-intern neuerliche Interventionitis befürchtet. Aber auch dieses Mal werden sich ORF-RedakteurInnen bei ihrer insgesamt guten Arbeit nicht stören lassen.
Westenthaler gefällt sich dennoch weiter darin, ungebremst in Servus-TV-Talkshows-sowie als Dauergast bei Oe24 Attacken gegen den ORF und dessen MitarbeiterInnen zu reiten. Das Anti-ORF-Bashing von außen wird damit gleichsam durch eines von innen ergänzt. So ist der ORF für Westenthaler generalisierend eine „Propagandamaschinerie“. Dem ZiB2-Anchor Armin Wolf unterstellt er „politische Agitation“. Vorwürfe, die nach meiner persönlichen Erfahrung als einer von Wolfs Ex-ORF-Kollegen haltlos sind.
Als ORF-Redakteur und Ö1-Journal-Moderator hatte ich selbst einschlägige Erfahrung mit Anrufen Westenthalers bis hinein ins Studio in der Zeit der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung. Es ist fraglich, ob jemand als Aufsichtsratsmitglied eines Unternehmens, das er in aller Öffentlichkeit angreift, tatsächlich geeignet ist. Als einem Stiftungsratsmitglied des ORF stünde es jedenfalls gut an, dessen Interessen zu vertreten und nicht die einer politischen Partei.
Kritik am ORF ist legitim, gerade auch, wenn er manchmal Objektivitätsgebote im Zusammenhang mit Reizthemen wie Neutralität/NATO, Ukraine- oder Gazakrieg verletzt. Verallgemeinerndes Hinhauen auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, dem eine demokratiepolitisch wichtige Rolle zukommt, entbehrt aber jeder Grundlage und Sachlichkeit.
* Dieser Beitrag von Udo Bachmair, Ex-ORF-Redakteur und verantwortlich für die Vereinigung für Medienkultur, ist auch als Gastkommentar im KURIER (Ausgabe 20.4.2024) erschienen.
In der jüngsten ZiB2 des ORF war der umstrittene ehemalige NATO-Chef Rasmussen zu Gast. Allzu kritische Fragen brauchte er sich nicht gefallen lassen. So konnte er seine Kriegsrhetorik weitgehend ungebremst verbreiten.
Wolfgang Koppler *
Dass der ORF den ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen zu einem Interview ins ZiB2-Studio einlud, ließ schon angesichts der Vergangenheit Rasmussens Schlimmes befürchten. Als dänischer Ministerpräsident hatte er eine Teilnahme eines dänischen Kontingents am Irakkrieg befürwortet und zudem – trotz offenbar gegenteiliger Geheimdienstberichte – das Vorhandensein irakischer Massenvernichtungswaffen behauptet. Was etwa Tony Blair das Amt kostete. Man kann dies alles problemlos den seinerzeitigen Medienberichten entnehmen. In der ZiB2 wurde nur erwähnt, dass Rasmussen die ukrainische Regierung berät..
Das gestrige von Armin Wolf geführte Interview mit Rasmussen übertraf allerdings auch die Erwartungen von an immer mehr zugespitzter Kriegsrhetorik bereits gewöhnten Zusehern. Da wurde die erfolgreiche Abwehr des iranischen Drohnenangriffs auf Israel mit Unterstützung Großbritanniens und der USA zum Anlass genommen, ein entsprechendes Eingreifen des Westens auch in der Ukraine zu fordern. Wolf fragte zwar nach, ob dies nicht zu einer weiteren Eskalation und zu einer direkten Konfrontation NATO-Russland führen könne, verließ sich aber dann auf Rasmussens substanzlose Bestreitung einer derartigen Gefahr.
Auch eine Einladung zu einem NATO-Beitritt der Ukraine wurde von Rasmussen befürwortet, weil alles andere Putin nur zu einer Weiterführung des Krieges verlocken würde. Auch wenn Rasmussen nur von „Einladung“ sprach, klang es für einen unbefangenen Zuseher sogar danach, als ob die Ukraine schon während des Krieges beitreten sollte. Was gegen den Nordatlantikvertrag verstoßen und schon per se zu einer unmittelbaren Konfrontation führen würde. Was Wolf zwar erwähnte, sich aber auch hier mit einer substanzlosen Bestreitung Rasmussens begnügte. Gefordert wurde natürlich auch noch der Einsatz von Langstreckenwaffen und wurden die diesbezüglichen Bedenken von Deutschen und Amerikanern gerügt.
Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus kommen einem da in den Sinn. Was macht der Krieg aus den Menschen ?
Dass Rasmussen Macrons Ansicht, man solle auch den Einsatz von NATO-Bodentruppen nicht ausschließen, unterstützte, ist angesichts der obigen Äußerungen nur mehr selbstverständlich. Beängstigend, wenn die Industriellenvereinigung einen solchen Mann nach Wien einlädt. Noch beängstigender, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines neutralen Landes in einer solch aufgeheizten und gefährlichen weltpolitischen Situation diesem auch noch Gelegenheit biet, derart problematische und selbst in Brüssel und Washington umstrittene Ansichten zu propagieren.
Das gegenständliche ZiB2-Interview war jedenfalls das genaue Gegenteil von Deeskalation.
* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.
Spannungsgeladene Zeiten wie diese mit drohender Steigerung des Gefahrenpotentials erinnern fatal an die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Politik und Medien halten kaum dagegen.
Fritz Edlinger *
Der bei globalbridge veröffentlichte Kommentar von Stefano di Lorenzo hat mich dazu verführt, eines der wichtigsten historischen Werke der letzten Jahre wieder in die Hand zu nehmen und zu schmökern: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. (Dt. Verlagsanstalt 2012). Es ist – meiner Ansicht völlig zurecht – bereits früher darauf hingewiesen worden, dass die Situation in Europa in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg große Ähnlichkeiten mit den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 25.2.2022 aufweist. Um es zu vereinfachen: In beiden Fällen hat es genügend Hinweise auf vorhandene, aber in ihrem Gefahrenpotential (mehr oder minder bewusst) zu wenig beachtete Interessenskonflikte gegeben. Ich darf mir erlauben, aus der Einleitung des mit 895 Seiten äußerst umfangreichen Werkes des in Cambridge lehrenden australischen Historikers zu zitieren:
„Seit Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge an Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich „Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mmit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ (S. 15).
„Das vorliegende Buch…. befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam.“ (S. 17).
Vor allem das zweite Zitat erinnert mich auch an den völlig unsinnigen und polemischen Vorwurf an manche Analysten und Kommentatoren, sie seien „Putinversteher“. Wie bereits des öfteren festgestellt, bedeutet Verstehen nicht Akzeptieren und Unterstützen sondern einfach Entwicklungen und Situationen zu analysieren, eben zu verstehen. Dies ist meines Erachtens viel zu wenig getan worden und wird auch weiterhin sträflich vernachlässigt, sodass Europa 2022 in einen Konflikt getaumelt ist, der schon 1914 katastrophale Folgen gehabt hat und dies auch diesmal tun wird. Bei etwas mehr Kenntnis der Probleme und der unterschiedlichen Interessen und bei größerem politischen Willen, eine neuerliche Katastrophe unermesslichen Ausmaßes verhindern zu wollen, wäre dies vielleicht doch zu vermeiden gewesen.
So droht also Europa innerhalb von einem Jahrhundert bereits zum dritten Male zum Auslöser und großteils auch zum Schauplatz eines Weltkrieges zu werden. Aber eines ist meines Erachtens unbestritten: Trotz der durch nichts zu rechtfertigenden Tatsache, dass Russland diesen schrecklichen Krieg ausgelöst hat, so konnte man die Zeichen an der Wand sehr wohl bereits in den Jahren zuvor erkennen, konnte und/wollte dies aber nicht tun. Somit ist die Mitverantwortung mancher europäischer Staaten, vor allem aber auch der USA, nicht von der Hand zu weisen.
Doppelstandards als Prinzip der geopolitischen Realitäten
Im Ukrainekonflikt kommt auch ein weiteres Element der Geopolitik, welches in krassem Gegensatz zu den formellen nach 1945 vereinbarten völkerrechtlichen Spielregeln (Charta der Vereinten Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) steht, wieder einmal zum Vorschein: Doppelstandards. Es ist ganz offensichtlich, dass es nach dem Prinzip von „Quod licet Iovi not licet bovi“, weltweit und global zweierlei Recht gilt. Dass die Schöpfer der 2. Weltkriegsnachordnung selbst gewisse legale Umgehungsmöglichkeiten nicht vermeiden wollten oder konnten beweist z.B. die Regelung, dass im völkerrechtlich entscheidenden Gremium der UNO, dem Sicherheitsrat, fünf Mitgliedern (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion/Russland, China) Vetorechte eingeräumt worden sind. Damit konnten diese fünf Mächte ihnen nicht genehme verbindliche Beschlüsse verhindern. Dass es darüber hinaus vor allem von diesen Fünf auch immer wieder zur Umgehung des Sicherheitsrates gekommen ist, erinnert uns daran, dass es noch immer genügend Bedarf zu globaler Gleichberechtigung gibt.
Um mit einem kleinen Prinzip Hoffnung zu schließen: Die USA, welche seit 1945 dieses Vetorecht wohl am häufigsten angewandt haben, könnten im Hinblick auf den Angriff Israels auf den palästinensischen Gazastreifen jenen Staaten, welche seit vielen Jahren auf eine Veränderung der Machtstrukturen bei den Vereinten Nationen hinarbeiten, indirekte und nicht-gewollte Schützenhilfe geben. Die Stimmenthaltung bei der jüngsten Resolution, welche unter anderem zu einem sofortigen Waffenstillstand in Gaza aufgerufen hat, könnte durchaus den Bemühungen um die dringend benötigte Reform der UNO neue Dynamik verleihen. In diesem Sinne verweise ich auf den verlinkten Bericht von Al Jazeera.
Kriegsberichterstattung und Propaganda, Neutralität und Streben nach Frieden: einige der Aspekte, die das Spannungsfeld von Politik und Medien mehr denn je charakterisieren.
Udo Bachmair *
Kriegsrhetorik in Politik und Medien greift immer weiter um sich. Vor diesem Hintergrund mutiert Frieden zunehmend zu einem negativ geladenen Begriff. Er wird vorwiegend in Kombination mit Begriffen wie Diktatfrieden oder Friedensdiktat verwendet. In der veröffentlichten Meinung dominiert die ausschließliche Sinnhaftigkeit aller militärischen Lösungen. Das veranschaulichen die aktuellen Beispiele der Kriege in der Ukraine und Gaza besonders deutlich.
Grundsätzlich erscheint klar: Kriegspropaganda betreiben immer beide Seiten eines Konflikts.
Gleichgeschaltet wirkende westliche Medien und auch zahllose PolitikerInnen gehen davon aus, dass nur Russland Kriegspropaganda betreibt, nicht aber auch die Ukraine.
Daraus resultiert jener durch diverse Studien bereits mehrfach belegte Eindruck, dass in der Kriegsberichterstattung vieler unserer Medien, besonders aber der deutschen, ukrainische Kriegsrhetorik und Propaganda oft als faktenbasierte Inhalte präsentiert werden, gemischt mit einem sich weiter radikalisierenden Wording. Friedensrhetorik hingegen wird als naiv abgetan, eine solche würde Aggressoren, wie Putin, nur weiter ermuntern.
Am Anfang des Ukraine-Krieges war noch die territoriale Integrität der Ukraine oder Hilfe vor Ort im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Danach wurde medial zunehmend vermittelt, dass ein Sieg der Ukraine unbedingt nötig sei, die Existenz und der Fortbestand ganz Europas würden ansonsten auf dem Spiel stehen. Damit auch „unsere westlichen Werte“. Aber man fragt sich, ob denn die Ukraine diesbezüglich tatsächlich als Vorbild dienen könne, ein Staat, der hinsichtlich Korruption oder Pressefreiheit weltweit die hintersten Ränge belegt.
Ungeachtet dessen wird ein Sieg gegen Putin von Politik und Medien gleichsam zur Pflicht erkoren.
Damit entfällt folgerichtig jede Verpflichtung zu Bemühungen für Waffenstillstandsgespräche und eine baldige friedliche Lösung.
Eine Forderung, die kürzlich auch der Papst erhoben hat – und er musste sich vom traditionell antirussischen Standard-Journalisten Hans Rauscher umgehend als Unterstützer eines Aggressors rügen lassen u.a. mit der Äußerung:
„Der Heilige Vater weiß nicht, wovon er da redet“
In derselben Zeitung feuerte Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie die Rüstungskonzerne an mit den Worten:
„Die Rüstungsindustrie könnte durchaus mehr produzieren!“.
Speziell in Deutschland verdichtet sich der Eindruck, dass die meisten Medien, ausgerechnet auch die öffentlich-rechtlichen, die zur Objektivität auch der außenpolitischen Berichterstattung verpflichtet wären, die Politik vor sich hertreiben, immer mehr und immer weiter aufzurüsten.
Beispiel der Druck auf Kanzler Olav Scholz, unbedingt schwere Panzer an Kiew zu liefern, eine Forderung, der er nach einigem Zögern schließlich doch nachgekommen ist.
Oder jüngst: Noch zögert Scholz, die weit reichenden gegen Russland gerichteten Taurus-Raketen zu liefern. Er trotzt damit dem Druck der konservativen Opposition sowie vor allem auch dem Boulevard, wie der allmächtigen BILD-Zeitung.
Eine Frage der Zeit, bis Scholz wieder in die Knie geht..?
Schließlich kommt Druck auch aus seiner Ampelkoalition, aus der FDP, allen voran seitens der mittlerweile als hartnäckige Kriegstreiberin kritisierten Chefin des außenpolitischen Bundestagsausschusses, Strack -Zimmermann. Besonders auch seitens der Grünen, allen voran der im Selbstverständnis nach wie vor grünen Außenministerin Annalena Bärbock. Sie hat sich in den Augen von Beobachtern als kriegsbegeisterte militaristische Hardlinerin entpuppt. Sie scheint vergessen zu haben, dass die Grünen sich früher einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstanden haben – eine Absurdität, ein Hohn sondergleichen, wenn man ihre aktuelle Haltung betrachtet.
Ganz zu schweigen von der EVP-Politikerin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen, die ebenfalls den Eindruck einer militaristischen Einpeitscherin erweckt, ohne auch nur einen einzigen Lösungsvorschlag präsentieren zu können.
Jedenfalls muss Frau Von der Leyen auch jene fahrlässige Untätigkeit der Europäischen Union insgesamt bezüglich Bemühungen um eine diplomatische Lösung und eine Beendigung des Blutvergießens angelastet werden. Im Sinne der Waffenlobby und im Interesse von NATO und USA fehlt offenbar jeglicher Wille, weiterer intensiver Aufrüstung abzuschwören und zumindest zu versuchen, mit Moskau diplomatisch oder persönlich in Kontakt zu treten. Optimismus über eine wohlwollende Gesprächsbereitschaft Putins hält sich zurzeit freilich in Grenzen.
Aber Versuche wären’s doch wert !
Putin machts natürlich seinen Gegnern mit seiner völkerrechtswidrigen Aggression in der Ukraine leicht – und so läge es auch an ihm, erneut Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, auch wenn ihm der Westen noch so sehr die kalte Schulter zeigt.
Zuviel Porzellan wurde auch seitens des Westens und der gefährlichen Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands zerschlagen. Jede Bereitschaft und Fähigkeit scheint dafür zu fehlen, sich auch in den Kriegsgegner Russland hineindenken zu können. So wird die subjektiv gefühlte und aus Sicht Moskaus ernstzunehmende Bedrohung durch die NATO-Erweiterung ebenfalls als bloße Propaganda abgetan.
Einseitigkeit in Bezug auf die Beurteilung des Ukrainekrieges bzw. der Mangel an differenzierten und differenzierenden Betrachtungsweisen in Politik und Medien erscheinen besonders schmerzlich dann, wenn sie in einem neutralen Staat wie Österreich gang und gäbe sind.–
Leider muss sich da auch mein altes Unternehmen ORF manche Kritik gefallen lassen. So werden überwiegend Experten und Expertinnen in Ö1-Journale, ZiB 2-Sendungen oder Punkt.Eins.-Sendungen eingeladen, die undifferenziert proukrainisch und militaristisch argumentieren. So werden auch die zahlreichen Hintergründe, die mit zum Ausbruch des Krieges 2014 bzw. 2022 geführt haben, weitgehend ignoriert.
Die meisten JournalistInnen-KollegInnen fühlen sich im Strom des antirussischen Mainstreams wahrscheinlich wohler, einzelne, die Waffenstillstandsverhandlungen oder Friedensgespräche fordern, werden als Putinversteher gebrandmarkt, die angeblich nur dem Kriegsherrn in Moskau in die Hände spielen wollen. Sie geben ihren Widerstand gegen den Mainstream meist bald auf.
Einer der vorbildlichen Ausnahmen unter den ORF-Redakteuren, Christian Wehrschütz, wird sich auch nicht mehr lange halten können, denn leider wird nicht nur in Kiew, sondern auch hierzulande gegen ihn Stimmung gemacht und ihm dadurch der Weg in die Pension erleichtert.
Es ist ja nicht so, dass pauschal alle JournalistInnen sich nicht zumindest bemühen würden, auch in heiklen außenpolitischen Fragen einigermaßen objektiv und seriös zu berichten. Vielen ist einfach nicht bewusst, dass sie sich für eine Seite (pro Ukraine, pro Israel) vor den Karren spannen lassen. Unter der Devise: Die Einen sind gut, die Anderen nur böse.
Davon lebt freilich der Boulevard, leider aber auch sogenannte seriöse Medien wie der ORF oder der Standard etc.
So ist und bleibt das bereits lange aufgebaute Feindbild Russland unverrückbar. –
Ein Grundproblem besteht u.a. darin, dass die außenpolitischen Ressorts, auch die im ORF, personell ausgedünnt worden sind, sodass oft weder Zeit noch Energien mehr bestehen für die Verwendung auch ausreichend alternativer Quellen. So bekommen MedienkonsumentInnen zu einem großen Teil serviert, was die beiden großen westlichen Agenturen mit ihrem speziellen Wording und ihrer US-orientierten Sicht der Welt vermitteln und vorbeten.
Die andere Seite der Propaganda, die der russische TV-Kanal „Russia today“ betreibt, ist der westlichen Zensur zum Opfer gefallen und nicht mehr empfangbar. Demokratiepolitisch und im Sinne der Meinungsvielfalt problematisch. Dabei wäre es doch interessant und aufgeklärten MediennutzerInnen zumutbar, auch die andere Seite zu hören, auch wenn Propagandainhalte überwiegen.
Umso lauter polemisieren manche PolitikerInnen und heimische Medien gegen die Nützlichkeit der Neutralität Österreichs. In Kommentaren etwa der Zeitungen Standard oder Kurier wird mehr oder weniger unverhohlen Stimmung aufbereitet für einen Beitritt Österreichs zur NATO.
Dabei hätte Österreich hätte als neutrales Land große Chancen, Vertreter der Kriegsparteien an einen Tisch zu holen. Wien als UNO-Standort, Wien als Austragungsort internationaler Konferenzen, wäre prädestiniert dafür.
Nur: Österreichs Neutralität hat Schaden gelitten durch eine österreichische Außenpolitik, die den Namen nicht verdient, die sich bei globalen Konflikten jeweils relativ einseitig positioniert.
Nicht nur in der Ukrainefrage – etwa wenn das Parlament Selenskyj zu einer seiner Propagandareden einlädt – oder wenn auf dem Gebäude des Bundeskanzleramts ausschließlich die israelische Fahne gehisst und nicht auch Empathie für das Leid der palästinensischen Bevölkerung symbolisiert wird –
All das ist freilich nicht ein formaler Verstoß gegen die immerwährende bewaffnete Neutralität, jedoch gegen den Geist der Neutralität gerichtet.
Sollte eine weitere Aushöhlung der Neutralität erfolgen oder gar ein NATO-Beitritt Österreichs Realität werden, wäre eine mediative und friedensstiftende Rolle Österreichs wie zu Zeiten Bruno Kreiskys jedenfalls endgültig verspielt.
Werden wir nicht müde, da klar dagegenzuhalten !
* Der Beitrag entspricht einer leicht gekürzten Textgrundlage für ein Referat, das Udo Bachmair bei einer Veranstaltung der „GewerkschafterInnen gegen Atomenergie und Krieg“ am 13.3.2024 im Amerlinghaus in Wien gehalten hat
Hier die Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung :