Archiv der Kategorie: Studien / Rezensionen

Verletzung des Völkerrechts nur in China?

Erstaunliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen des Westens

Hans Högl: Buchrezension. Nils Melzer (2021): Der Fall Assange. Geschichte einer Verfolgung, München. Piper, 1. Aufl.

Bei der Olympiade wird auf Verletzungen der Menschenrechte in China hingewiesen. Mit Recht. Aber wir im Westen sollten auch selbstkritisch sein. Nils Melzer ist Völkerrechtsprofessor, ernannt zum UNO- Sonderberichtserstatter für Folter, ein unbezahltes Ehrenamt. Der gebürtige Schweizer Melzer befasst sich schon 20 Jahre mit dem Kriegsvölkerrecht (p.14) und hat auf vier Kontinenten Gefangene, Häftlinge und Angehörige besucht.Er war Rot-Kreuz-Delegierter in Kriegsgebieten.

Das Buch „Der Fall Assange“ (2021) berichtet auf 336 Seiten von der Untersuchung dieses Falles. Anfangs wollte Melzer dies nicht – weil negativ voreingenommen durch Medienberichte, in denen Assange als „Vergewaltiger, Hacker, Spion und Narzist“ punziert wurde (p. 30). Doch dann untersuchte er den Fall Assange zwei Jahre und rund 10.000 Seiten Verfahrensakte und Korrespondenz.

„Ich schreibe dieses Buch, weil ich bei meiner Untersuchung des Falles Julian Assange auf konkrete Hinweise von politischer Verfolgung, schwerer Justizwillkür und vorsätzlicher Folter und Misshandlung gestoßen bin. Die betroffenen Staaten weigern sich aber, bei der Aufklärung dieser Hinweise mir mir zu kooperieren und die völkerrechtlich verlangten Untersuchungsmaßnahmen einzuleiten.“ (p. 14).

„Ich habe allen vier direkt involvierten Staaten – Großbritannien, Schweden, Ecuador und den USA…mehrfach meine Bedenken kundgetan, Klarstellungen verlangt und konkrete Maßnahmen empfohlen. Keine der vier Regierungen war bereit, sich auf einen konkreten Dialog einzulassen.“ (p. 14f). „Auch innerhalb der UNO-Systems erhielt ich – abgesehen von …Einzelpersonen- kaum Unterstützung“(p.14f.) -auch nicht von der Hochkommissarin für Menschenrechte. Da er innerhalb des Systems nicht weiterkam, entschloss er sich zu diesem Buch.

Seine Folgerung: An Assange soll ein Exempel statuiert werden- zur Abschreckung aller, die die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen ans Licht bringen wollen. Die Bedeutung des Falles Assange macht ein Systemversagen sichtbar, das die Integrität demokratisch-rechtsstaatlicher Institutionen „in schwerer Weise untergräbt“( p. 15f) Für Melzer ist der Fall Assange „die Geschichte schwerster Justizwillkür in westlichen Demokratien, die sich im Bereich des Menschenrechtsschutzes sonst gerne als Vorzeigestaaten darstellen“ (p. 16).

Olympiade und Englands Geschichte

Party-G`schichterln oder Geschichte Englands

Hans Högl: Buchrezension

Es dient dem Völkerverständnis, sich mit Landeskunde zu befassen, so auch mit England und nicht nur mit Party – G`schichterln. Dem kommt nach – und zwar hervorragend – das Taschenbuch „Die kürzeste Geschichte Englands“ von James Hawes, Berlin 2021. Der Autor erschließt uns sein Land, zeigt Hintergründe und weithin unbekannte Details. Ich las das Buch nicht nur quer, wie manche Rezensenten, und deute Inhalte an:

— dass wir von der genetischen Herkunft der Briten erfahren;
—dass am englischen Hofe 400 Jahre französisch gesprochen wurde;
— dass schon seit 1589 der süd-englische Akzent Privilegien erfuhr und Autoren das Nord-Englisch meiden. Spannung und Kluft von Süd-zu Nordengland bis Heute.

… dass Karl Marx in England die Extremversion des Marktliberalismus erfuhr, und er schuf – in Kenntnis eines weltumspannenden britischen Imperiums – die Fantasie einer weltumspannenden sozialistischen Revolution (S. 236);

– dass wegen der deutschen Kriegsflotte die Zeitung „Daily Mail“ schon im Jahr 1906 (!)- also 8 Jahre vor dem Ausbruch des 1.Weltkrieges – den Fortsetzungsroman „Die Invasion von 1910“ brachte – mitsamt Zeitungsverkäufern in preußischen Uniformen und falschen Landkarten und mit Argumenten für die allgemeine Wehrpflicht (S. 273);

Und erinnern wir uns: 1920 waren Deutschland, Österreich, Ungarn und die Türkei infolge des Ersten Weltkriegs zu den Olympischen Spielen nicht eingeladen. Der Hintergrund: die Schuld am 1. Weltkrieg…..

Erschreckende Überwachung

Prägnante Aussagen zur Überwachung von Personen durch Algorithmen

Hans Högl

Wer es ausführlicher dazu wünscht, lese hunderte Seiten in den Büchern von dem außergewöhnlichen Autor Yuval Harari. Hier aber eine Kürzestversion, die alles auf einen Punkt bringt.

Indem wir Computer und Smartphones nutzen, liefern wir zahlreiche Informationen über uns ins Netz. Daraus entsteht ein detailliertes Profil über unsere Handlungen, Wünsche und Bewegungen. Algorithmen und künstliche Intelligenz filtern aus den Daten Zusammenhänge heraus, was immer genauere Rückschlüsse auf unser Verhalten ermöglicht. Diese Programme wissen oft mehr über uns, als uns selbst bewusst ist. Sie können voraussagen, wie wir handeln, und so unsere Entscheidungen, etwa beim Online-Einkauf und bei Wahlen, beeinflussen. Haben wir überhaupt noch eine Privatsphäre? Für «NZZ Format» hat unser Autor Reto Caduff Sicherheitsexperten, Datenspezialistinnen und Hacker gefragt, wie man sich schützen kann. Zum Video. (Quelle.Nzz online 29.1.2022)

Unverständliche Wissenschaftssprache

Was ist die dialektisch-enigmatische Theorie und neodekonstruktiver Rationalismus?

Hans Högl (zur „pluralistischen Unwissenheit“ auf Basis eines aus R.Bregmans „Im Grunde gut“ entnommenen Textes)

Ein Exempel an Unverständlichkeit in einem Hörsaal an der Duke-Universität: Der Psychologe Dan Ariely gab eine Einführungsvorlesung und machte ein Experiment mit seinen Studierenden. Er verwendete komplizierte Begriffe wie dialektisch-enigmatische Theorie und neodekonstruktiver Rationalismus. Minutenlang lauschten die Studierenden an einer der besten Universitäten diesen Unfug, niemand lachte, niemand stellte eine Frage. In Wirklichkeit hatte der Psychologe mit einem Knopfdruck auf einem Generator eine Reihe zufälliger Wörter und Sätze aneinandergefügt. Aber niemand im Hörsaal gab zu, etwas nicht verstanden zu haben.

Dies wird von Rutger Bregman als pluralistische Unwissenheit bezeichnet. Jede/r Studierende fand das unverständlich, aber jede/r sah auch seine Kommilitonen aufmerksam zuhören. Also glaubten alle, dass es nur an ihnen liegen könne und niemand stellte eine Frage (R.Bregman -2020- „Im Grunde gut“, S. 288 f.).

NB. Als ich das Buch eines prominenten deutschen Professors las, stellte ich mir die Frage, ob dieser nicht auch mit seinem Publikum sein Spielchen mit unnötiger Kompliziertheit treibt und hunderte Seiten schreibt, ohne viel zu sagen. Und manchmal trifft Ähnliches auch auf Massenmedien zu, wenn uns unnötige Fremdworte um den Kopf geworfen werden.

Verzerrte Weltsicht durch Negativ-News

Das Gute in Menschen dominiere, so argumentiert ein niederländischer Journalist und Historiker. Er sieht kritisch die Nachrichtenselektion- auch in Facebook, Google, Twitter.

Hans Högl: Zitate aus dem Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregman

„Es gibt unzählige informative Formen des Journalismus, die einem helfen, die Welt besser zu verstehen.“

Doch der Autor sieht die nebensächlichen und sensationellen Kurznachrichten kritisch. „Acht von zehn Erwachsenen in der westlichen Welt konsumieren täglich Nachrichten. Im Schnitt verwenden wir eine Stunde pro Tag darauf. Das entspricht insgesamt drei Jahren in einem Menschenleben“.

Die Menschen sind anfällig für die Trostlosigkeit der Nachrichten -für „negativity bias“. Wir werden mit Geschichten von Flugzeugkatastrophen, Kinderschändern, etc. bombardiert, die man nicht so schnell aus dem Kopf bekommt, und das führt zu einer verzerrten Weltsicht (S. 32).

Und in Plattformen werden die extremen Seiten der Nachrichten noch weiter angeheizt.—Die Leute hinter Facebook, Twitter und Google wissen, worauf man klickt, was man am schockierendsten und gemeinsten findet. Sie wissen, wie man ihre Aufmerksamkeit fesselt, um ihnen dann die lukrativsten Anzeigen aufzutischen.

Schweiz: Ja zur Medienförderung ?

Die Hintergründe für die Abstimmung über ein in der Schweiz vorgelegtes Medienförderungspaket sind vielfältig.

Hans Högl- ( Text dem Schweizer „Tages-Anzeiger“ etwas gekürzt entnommen )

„Am 13. Februar stimmt die Schweiz über das sogenannte Medienförderungspaket ab. Bei einem Ja, erhalten die Medien während 7 Jahren Fördergelder von jährlich 151 Millionen Franken. Ein Referendumskomitee bekämpft das Gesetz, es spricht von einem «staatspolitischen Sündenfall».

Umstritten ist, ob die Subventionen das richtige Mittel sind, um eine Entwicklung der Medienlandschaft aufzuhalten… Die Medienvielfalt hat stark abgenommen. Geld mit redaktionellen Inhalten zu verdienen, wird immer schwieriger.

Die verschwundenen Zeitungen: Seit 2003 sind in der Schweiz über 70 Zeitungstitel verschwunden. Es handelt sich dabei um Tages- und Wochenzeitungen, Gratiszeitungen.

Nicht abgebildet werden Zeitungen, die in sogenannte Mantelsysteme integriert wurden. In diesem Fall erscheint eine Zeitung zwar unter ihrem angestammten Namen. Große Teile ihrer Berichte, zum Beispiel aus den Bereichen Inland, Ausland, Wirtschaft, Kultur und Sport, werden aber von einer zentralen Redaktion des Verlags geliefert. Dieser sogenannte Mantelteil erscheint in identischer Form auch in anderen Zeitungen desselben Verlags. Die Redaktion Tamedia, zu der diese Zeitung gehört, funktioniert ebenfalls nach diesem Prinzip. So erschien 2020 jeder vierte Artikel in der Deutschschweiz in mehreren Zeitungen gleichzeitig. Im Jahr 2017 war es erst jeder zehnte Artikel. Die höchste inhaltliche Konzentration besteht dabei in der Politikberichterstattung.

Schwund bei Abos: Dass es zunehmend weniger lukrativ ist, eine Zeitung herauszugeben, hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass immer weniger Haushalte gedruckte Zeitungen abonnieren. Insbesondere junge Menschen informieren sich vermehrt auf Social Media – oder sie konsumieren gar keine Informationsmedien mehr. Von 2003 bis 2020 ist die Zahl der abonnierten Zeitungen in der Schweiz deshalb von 3,39 Millionen auf 1,61 Millionen gesunken.“

( „Tages-Anzeiger“, Zürich 18.1.2022 )

Wer hat Angst vor dem Strafgerichtshof?

Die USA sowie China und Russland haben das Statut für den Internationalen Strafgerichtshof nicht ratifiziert.

Hans Högl mit einer Buchrezension zu: Carla Del Ponte „Ich bin keine Heldin“ Frankfurt 2021. Quelle Südwind-Magazin 9-10/2021 (Wien) :

Der internationale Strafgerichtshof wurde anfangs noch maßgeblich von den USA initiiert und finanziert, es ließ deren Begeisterung im Laufe der Jahrzehnte nach. Zu groß ist die Angst, dass US-amerikanische Staatsbürger*innen vor einer internationalen Institution zur Verantwortung gezogen werden könnten. Konkreter Anlass waren Vorermittlungen im Jahr 2018 wegen Foltervorwürfe gegen US-amerikanische Soldaten, die Gefängnisse in Afghanistan bewachten.

Schon Präsident George W. Bush hatte gegen die Internationale Strafjustiz gehetzt. Zudem gehören die USA, ebenso wie Russland und China. zu den Staaten, die das für den Internationalen Strafgerichtshof grundlegende Rom-Statut nicht ratifiziert haben -so geschehen durch die Vetos Chinas und Russlands für Syrien.

Bildungsangebote für Politik und Medien ?

Erwachsenenbildung -Enge des Programmes

Hans Högl

Im Halbjahresprogramm der Erwachsenenbildung fand ich schöne Worte zum beiläufig ausgewiesenen Bereich Umwelt: Beruf/ Gesellschaft/ Ökologie/ Politik-

„So wie die Rückseite des Mondes, die man nicht sieht, gibt es die andere Seite unserer herkömmlichen Darstellung der Geschichte von Macht und Krieg und Herrschaft. Diese andere Dimension läuft immer mit, um die dürfen wir wissen, sie führt uns nach oben.“ Predigtworte: P. Gustav Schörghofer SJ

Diese Worte sind mehrdeutig. Ich greife e i n Verständnis auf, dass Medien wie der Mond nur die Vorderseite von Geschehen bieten. Doch in Bildungshäusern könnte Basis- und Hintergrundwissen geboten werden, auch über die Medienwelt und vertieft Zeitgeschehen. Was ist aber das Angebot? Kurse zur persönlichen Entwicklung, Gesundheit, Partnerschaft und Erziehung, Literatur und Kreativität -nichts von politischem Geschehen oder Medien. Ein Buchtitel von Kurt Remele drückt die Interessen vortrefflich aus: „Tanz um das goldene Selbst? Therapiegesellschaft, Selbstverwirklichung und Gemeinwohl“.

Gedenken an Opfer Stalins unerwünscht

Menschenrechte gelten universell – sowohl für Westmächte, die dagegen verstoßen (vgl.Geo Epoche Nr.67,S. 162-181), wie für die frühere Sowjetunion. Das Verbot der NGO „Memorial“ in Russland ist äußerst bedenklich.

Hans Högl

Auch Radio Oe1 berichtete heute im Morgenjournal, dass „Memorial“ in Moskau aufgelöst wurde: Die älteste Bürgerrechtsorganisation des Landes befasst sich mit der Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte und gibt M i l l i o n e n Opfern, auch in der Ukraine, eine Stimme. Jetzt wird sie faktisch verboten – unter einem Vorwand, weil ihre Gesinnung den heutigen Mächtigen widerstrebt. Es ist ein schwerer Schlag für die russische Zivilgesellschaft.

Wer erinnert sich nicht an die früher so mächtige französische Linke und die kommunistische Partei? Wenn etwas in Frankreich ein Umdenken brachte, war dies das „Schwarzbuch des Kommunismus“, herausgegeben von Stéphane Courtois 1997 (Piper 1998, 987 Seiten mit Personregister). „Die Linke will nicht trauern“, hat Jorge Semprún erklärt. Das gilt auch für Österreich. Das Buch liefert eine wissenschaftlich fundierte, grausliche Bilanz des Kommunismus.

Darin zeigt sich die Gefahr von Tunnelblick-Menschen, von dogmatisch fixierten und auch oft von ursprünglichen Idealisten, denen Toleranz für andere Weltbilder fehlt. Das gilt für die Inquisition wie für Robespierre wie für Stalin und für Öko-Terroristen. Dass es darin nie Vereins-, Meinungs- oder gar Pressefreiheit geben konnte, also Prämissen für die „Medienkultur“, ist evident.

Klimawandel und Nachrichten-„Wert“

Worte der „radikalen“ Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb

Hans Högl

Erstaunt fand ich zum Klimawandel ungewöhnliche Aussagen im Buch: Helga Kromp-Kolb/Herbert Formayer: „Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten“.

Während Frau Kromp-Kolb in Medien bekannt ist, trifft dies nicht für den Mitautor zu, auf Herbert Formayer, Prof., Meteorologe in Wien.

Beide Autoren fordern zum Handeln auf. Ihre Hauptaussage: „Es gibt keinen Zweifel mehr, dass der Klimawandel real ist und seine Ursachen bekämpft werden müssen, weil die Folgen ungebremsten Klimawandels für alles katastrophal sein werden.“ Das umzusetzen, lässt zu wünschen – auch in Österreich. Doch Klimawandel ist ein
Z e i c h e n für das Übernutzen von Rohstoffen der Erde (S. 202).

Ungewöhnliche Aussagen im Buch, bewusst ausgewählt:

– Klima-„Leugner“ sind es im Kern nicht, sie sind gegen nötige Staatseingriffe.

– Zu Hochwasser an Flüssen: Ob dies der Klimawandel bewirkt, „kann man derzeit nicht abschätzen.“ S. 28. (Ich erinnere an Gespräche, wo alles der Klimawandel „macht“- ähnlich den Spekulationen, wie Krebs entsteht. Wer weiß es wirklich?).

– Kromp-Kolb S. 28: In Medien ist viel von Wetteränderungen die Rede. Liegt es am Klimawandel oder daran, dass erlebte Ereignisse als besonders dramatisch dargestellt werden? Da spielen die kommerzialisierte Medien und die sozialen Medien eine Rolle.

„Je dramatischer ein Ereignis dargestellt werden kann, umso höher ist der Nachrichtenwert.“

– Ängste machen Menschen unflexibel. „Das ständige Zeichnen von Bedrohungsszenarien durch Politik und Medien – egal ob Flüchtlinge, Wirtschaftskrise oder Klimawandel – wirkt daher den notwendigen Systemänderungen entgegen; manchmal meine ich, das sei beabsichtigt.“ (S. 166).

– Kromp-Kolb: Einzelne Menschen, Organisationen, Firmen und Gemeinden handeln vorbildlich.