Udo Bachmair
„Freiheit und Verantwortung“ – das ist die Losung des Reformationsjubiläums 2017. 500 Jahre nach dem Thesenanschlag Martin Luthers. Ein Motto, dem sich Evangelische hierzulande besonders verpflichtet fühlen. Dabei wird Verantwortung nicht als Gegensatz zur Freiheit gesehen. Im Gegenteil: Nur ein freier Mensch kann Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Und umgekehrt wäre Freiheit, ohne mit Verantwortung gepaart zu sein, ethisch kaum vertretbar.
Freiheit und Verantwortung erscheinen auch unabdingbar für guten Journalismus. Dieser wird neben handwerklicher und inhaltlicher Qualität zusätzlich dann optimiert, wenn er auch medienethischen Kriterien genügt. Werden Medien und Journalistinnen und Journalisten ihrer großen Verantwortung genügend bewusst ? Eine der Fragen, die sich auch Marco Uschmann stellt, Chefredakteur der evangelischen Zeitschrift SAAT. Hier sein Beitrag:
Freiheit und Verantwortung – die 4. Macht im Staat
Marco Uschmann
Es geschah im Leitmedium Österreichs – dem ORF. In der ZIB 2, eine der meistgesehenen Nachrichtensendungen im Land, wird der scheidende Landeshauptmann Erwin Pröll am 27. März von Armin Wolf gefragt, ob er einen absolutistischen Arbeitsstil gepflegt hat. Pröll antwortet: „Mittlerweile sind wir Gott sei Dank in der Republik so weit, dass man nicht mehr alles und jedes glaubt, was in den Schreibstuben und Redaktionsstuben in Wien alles ausgekocht wird.“ Mit anderen Worten: Journalisten in Wien denken sich Geschichten aus. Pröll bezog sich auf die Berichte der Zeitung „Falter“ über Förderungen für eine Privatstiftung. Inzwischen klagen einander ÖVP und Falter über die Produktion und vermeintliche Verbreitung von „Fake News“ – also Falschmeldungen.
Es gibt weit dramatischere Beispiele dafür, wie sich die 4. Macht im Staat, also die Presse, ihrer Verantwortung bewusst geworden ist und sich nicht einschüchtern ließ: Herausragender Fall ist wohl die Watergate-Affäre. Sie ist geradezu ein Fanal und steht für den Triumph der Pressefreiheit, weil Journalisten Amtsmissbräuche Präsident Richard Nixons gegen seine politischen Gegner enthüllten. Berühmt wurde in diesem Zusammenhang vor allem die 1973 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Berichterstattung der Washington Post und ihrer beiden Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein. Schließlich trat Nixon zurück, der einzige amerikanische Präsident – bisher.
Erinnern sie sich noch an die Lucona-Affäre? Der Frachter Lucona wurde 1976 von Udo Proksch, dem damaligen Prokuristen des Wiener Kaffeehauses Demel, gechartert. Das Schiff wurde in Chioggia in Oberitalien angeblich mit einer Aufbereitungsanlage für Uranerz beladen. Die Ladung wurde für 212 Mio. Schilling (etwa 15 Mio. Euro) versichert. Adressat der Lieferung war ein Strohmann Prokschs. Das Schiff wurde am 23. Januar 1977 in der Gegend der Malediven im Indischen Ozean versenkt. Dabei wurde der Tod der zwölfköpfigen Besatzung in Kauf genommen, sechs Menschen kamen tatsächlich ums Leben. Aufgedeckt haben die Affäre zwei Journalisten: Gerald Freihofner und Hans Pretterebner.
Die 4. Macht im Staat – alles klar, möchte man meinen. Selbstverständlich folgen jetzt einige Geschichten, die das ganze Gegenteil beweisen. Vorher seien aber die ersten drei Gewalten im Staat genannt: Judikative (Gerichtsgebende), Exekutive (Ausführende) und Legislative (Gesetzgebende). Hört sich schlüssig an, ist es aber nicht. Denn im Gegensatz zur Presse sind diese laut Verfassung definiert und gewählte bzw, bestellte Organe. Die 4. Gewalt ist das nicht. Die Presse, das sind Unternehmen.
Journalisten haben im Vietnamkrieg unzensierte Bilder direkt in die Wohnzimmer der Amerikaner und der ganzen Welt geliefert. Und das waren schreckliche Bilder. Sie haben auf diese Weise dazu beigetragen, dass sich die Meinung in den USA zum Vietnam Krieg dramatisch veränderte. Demonstrationen waren die Folge, die öffentliche Meinung schlug um, junge Männer verbrannten ihre Einberufungsbescheide – die Regierung hat den Kampf um die Meinungshoheit im Land verloren. Weil die Bevölkerung umfassend informiert war. So weit, so gut. Dann aber kam der Sündenfall der so genannten 4. Gewalt: Im nächsten größeren Konflikt der USA war dementsprechend damit Schluss: Im Irak-Krieg berichteten nur noch sogenannte Embedded Journalists, die in US-Einheiten eingebettet waren und nur noch Bilder bekamen, die der Regierung genehm waren. Die gesamte Kommunikation nach außen wurde einer PR-Agentur übertragen. So gab es diese Bilder mit den grünen Streifen der Raketen am Nachthimmel, die schaurig-schön ihr Ziel fanden. Wie in einem Video-Spiel. Außerdem wurde der gesamt Krieg überhaupt erst von der PR ermöglicht, weil nämlich die öffentliche Meinung manipuliert wurde.
Ein großer Sprung: Auf der Flucht vor Bildjournalisten rasten Lady Di – immer noch die meistfotografierte Frau der Welt – und ihr Lebensgefährte Dodi Al Fayed in den Tod. Das Fahrzeug zerschellte mit weit überhöhter Geschwindigkeit am 31. August 1997 in Paris in einem Tunnel, – dicht gefolgt von Journalisten auf Motorrädern, die auf der Jagd waren nach Fotos von Lady Di und dem neuen Mann an ihrer Seite.
Nach jener Silvesternacht in Köln 2015 auf 2016 musste sich das ZDF massive Kritik gefallen lassen, weil es am Tag danach zwar im „heute journal“ um 21.45 Uhr, nicht aber in der heute-Sendung um 19 Uhr über die Attacken gegen Frauen berichtete. Ein Fehler, den die Journalisten wenig später offen einräumten. Elmar Theveßen, stellvertretender ZDF-Chefredakteur, schrieb auf Facebook: „Es war ein Versäumnis, dass die 19-Uhr-heute-Sendung die Vorfälle nicht wenigstens gemeldet hat. Die heute-Redaktion entschied sich jedoch, den geplanten Beitrag zu verschieben, um Zeit für ergänzende Interviews zu gewinnen. Dies war jedoch eine klare Fehleinschätzung.“
Hier sind wir bei einem wichtigen Punkt, denn jetzt spricht der Qualitätsjournalismus. Diesen Begriff führt der Medienethiker Alexander Filipović ein. Qualitätsjournalismus ist ein gewichtiger Teil der 4. Macht im Staat. Und die unterliegt ganz klar und eindeutig Kriterien. Als erstes ist da zu nennen: Wir belügen nicht unser Publikum – das 8. Gebot. Dann: Wir legen unsere Quellen offen und sagen, woher unsere Informationen kommen. Dann: Wir betreiben keine Meinungsmanipulation, sondern tragen im Gegenteil zur Meinungsbildung bei – so bringt es Filipović auf den Punkt. Es sei Aufgabe und Verantwortung des Journalismus, Öffentlichkeit herzustellen und Information zu verbreiten. Er nennt es: „Was im Dunklen liegt ans Licht zu bringen.“ Demzufolge kann die Gesellschaft nicht darauf verzichten, dass es gut ausgebildete Journalisten gibt. Denn sie sitzen in den Redaktionsräumen und verschaffen den Menschen Zugang zur Welt. Das ist äußerst wichtig für die Demokratie. Denn in der Demokratie ist ja das Volk der Souverän –trifft also die Entscheidungen. Das geht aber nur, wenn das Volk umfassend, fair und ausgewogen informiert ist. So hat der Journalismus eine lebensnotwendige Funktion für die Demokratie. Daher gibt es ganz eindeutige ethische Kriterien für die Presse, die in einer Selbstverpflichtung, etwa im Österreichischen Pressekodex definiert sind. Dort heißt es in der Präambel im ersten Satz: „Journalismus bedingt Freiheit und Verantwortung. Zeitungsherausgeber/innen, Verleger/innen, Hörfunk- und Fernsehverantwortliche sowie Journalisten und Journalistinnen tragen in besonderer Weise Verantwortung für die in einer Demokratie lebensnotwendige Freiheit der Massenmedien. Die Freiheit in Berichterstattung und Kommentar, in Wort und Bild ist integrierender Bestandteil der Pressefreiheit. Das Sammeln und Verbreiten von Nachrichten und Kommentaren darf nicht behindert werden. Und weiter: Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Wiedergabe von Nachrichten und Kommentaren sind oberste Verpflichtung von Journalisten.“
Nur dann ist nämlich gewährleistet, dass Menschen Informationen bekommen, um sich ihre Meinung zu bilden. Dies setzt also eine handwerkliche und eine ethische Kompetenz der Medienschaffenden voraus. Hier zieht Filipović den Philosophen Immanuel Kant zu Rate. Kant schreibt in seinem Aufsatz Was ist Aufklärung?
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit . (Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung).
Es handelt sich dabei – und das ist wichtig – um eine eigenständige Bewegung heraus aus der Unmündigkeit und hinein in Freiheit und damit Selbstbestimmung. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Publizität und Aufklärung – also Freiheit. Die freie Gesellschaft braucht Öffentlichkeit, um zu Informationen zu kommen. Hier liegt die Aufgabe des Journalismus.
Und wieder Kant, nämlich sein Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das ist für den Philosophen Immanuel Kant das grundlegende Prinzip der Ethik. Beides gilt für den Journalismus. Hier liegt der Anspruch, den die Medienrezipienten, als wir LeserInnen, HörerInnen und KonsumentInnen an den Qualitätsjournalismus stellen sollten, stellen müssen.
So weit, so gut. Heute aber kann jeder publizieren, und zwar weltweit. Und sehr sehr viele Menschen tun dies auch. Das bedeutet, dass Medienethik nicht mehr nur Thema professioneller Medienschaffenden ist. Medienethik ist jetzt nicht mehr Professionsethik. So betrifft etwa der Umgang mit Persönlichkeitsrechten jeden, der publiziert. Jeder hat den Schutz der Privatsphäre zu achten. Das gilt für jeden, der ein Smartphone hat und Bilder ins Netz stellt. Die Plattformen, in denen Social Media funktionert, sind nun aber kommerzielle Unternehmen. Sie wollen Geld verdienen und erreichen dies durch das Abgreifen und Verkaufen von Daten beispielsweise. Nur weil ein Facebook-account gratis ist, kostet er ja nicht nichts. Er kostet mich meine Daten. So werden Nachrichtenproduzenten im Internet – also User – selbst zu Produkten von Social-Media-Unternehmen. Denn ein Facebook-Account ist ja ein Produkt von Facebook. Und während sich Journalisten an der Medienethik orientieren, trifft dies für die vielen privaten Produzenten von Nachrichten und Bildern im Internet nicht zu. Diese Freiheit geht aber auch hier einher mit Verantwortung für die Inhalte, die publiziert werden. Und so gilt auch hier der Kategorische Imperativ Kants: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Denn hier greift das der Satz von der 4. Macht im Staat mit seinen Qualitätskriterien einfach nicht mehr.
Das Phänomen von Social Media aber hat nun massiven Einfluss auf den oben skizzierten Qualitätsjournalismus. So gibt es laut Medienethiker Filipović kein Monopol mehr auf gute Recherche, auf Wahrheit, auf Qualität der öffentlichen Kommunikation. Er nennt es die „Vergesellschaftung der Kommunikationsmittel“ – aber ist diese Kommunikation noch handhabbar von der Gesellschaft? Ist diese Kommunikation noch kontrollierbar von der Gesellschaft? Soll sie denn überhaupt kontrollierbar sein? Denn was ist dann mit der Freiheit? Vielleicht gelingt eine Art Kontrolle über Finanzierung von Qualitätsjournalismus. Wenn ich zu jeder Zeit die ganze Welt in der Tasche habe, dann brauche ich keine überregionale Tageszeitung mehr zu kaufen. Auch kommt der Qualitätsjournalismus gegen die Geschwindigkeit von Blogs – also privaten Internettagebüchern – nicht an. Dieser Kampf ist hoffnungslos.
Was ist Qualitätsjournalismus? Etwas, das sich massiv verändert derzeit. Und das muss er auch: Gefragt sind viel mehr Hintergrundberichte, Analysen und gute Recherchen. Also all das, was Qualitätsjournalismus ausmacht und was sonst keiner kann. Das aber kostet Geld, viel Geld. Und wie sollte es anders sein, das Geld wird immer knapper: Zunächst einmal gehen die Printausgaben massiv zurück BILD -10.1 % in einem Jahr, Spiegel ebenfalls – 10 %. In Österrreich Krone – 2,4 % in einem Jahr. So müssen teuer neue Produkte entwickelt werden wie etwa Digitalabos oder Internetauftritte. Kein Medium kann darauf heutzutage verzichten. Im Internet aber sind wir es gewohnt, Inhalte gratis zu bekommen. Erst in den vergangenen ein/zwei Jahren geschieht es langsam, dass Inhalte im Netz etwas kosten. Ein Glück. Denn mit sinkender Auflage und sinkender Reichweite brechen natürlich auch die Einnahmen der Medienhäuser weg. Und das sind ja diejenigen, die den Qualitätsjournalismus gewährleisten. Wir müssen uns klar sein, dass die Medienhäuser ja auch kommerzielle Unternehmen sind, die Geld verdienen wollen und müssen. Denn sonst verschwinden sie. Schon immer haben Zeitungen und flüchtige Medien, also Fernsehen, Radio und auch Internet, einen Großteil ihrer Einnahmen aus Werbeerträgen lukriert. Das kann zu Schwierigkeiten führen. Hier können Abhängigkeiten entstehen, aufseiten der Publikationen, indem sie ihre Berichterstattung den Kundenwünschen anpassen. Aufseiten der Inseratenkunden sehe ich Abhängigkeiten, indem Inserate geschaltet werden, um die Berichterstattung positiv zu beeinflussen. Was hilft? Medienförderungen? Zwangsabgaben wie die GIS-gebühr? Presse- und Publistikförderung gibt es ja längst. Aber das ist bestenfalls eine Teillösung. Der Staat, also wir, sichert über Förderungen Qualitätsjournalismus und Pressevielfalt. Aber begeben sich die Verlagshäuser dann nicht in Abhängigkeiten gegenüber der Politik? Und was ist von einer Sendeanstalt zu halten, dessen Aufsichtsrat – also dem Stiftungsrat – politischen Parteien mit sogenannten Freundeskreisen zugeordnet ist?
Medien agieren in der Gesellschaft und für die Gesellschaft. Sie sind Teil der Gesellschaft. Betrachte ich nun die gesellschaftliche Großwetterlage, so lässt sich ein Dreischritt feststellen. So jedenfalls diagnostiziert es Jörg Sadrozinski, Leiter der renommierten Deutschen Journalistenschule: „Zur Finanzkrise kommt eine Wirtschaftskrise und die führt zu einer Glaubwürdigkeitskrise.“ Ohne zu weit in die Politik abzuschweifen: Es hat ja seinen Grund, warum Populismus – egal welcher Coloeur – zunehmend Raum gewinnt im gesellschaftlichen Diskurs. Auch die Politik und das sogenannte Establishment leiden unter einer Glaubwürdigkeitskrise. Der Begriff „Lügenpresse“ hängt damit sicherlich zusammen. Bei einer Untersuchung von „Breitbartnews“ hat sich herausgestellt, dass diese Internetplattform in den USA nicht nur sogenannte „Fake News“ produziert und damit Themen setzt, sondern auch noch seriöse Medien dazu veranlasst, diese Themen ebenfalls zu bringen. Das funktioniert so: „Was die anderen haben, das müssen wir auch haben“ oder „Was die anderen bringen, das wird schon stimmen“. Ein Phänomen, unter dem besonders der Boulevard-Journalismus leidet – der ja die Geschichten bringt, die die Menschen interessieren. Sonst hätte das Kleinformat nicht diese enorme Auflage und Reichweite. Und so verselbstständigen sich Themen und Meldungen, die aus dem Nichts gekommen sind und deren Wahrheitsgehalt nicht überprüft wurde.
Innerhalb des Journalismus ist der Boulevard ja noch einmal eine Spezialität. Hier finden sich mit Abstand die höchsten Auflagen und größten Reichweiten. So hat die Kronenzeitung eine verbreitete Auflage von 790.000 (Mo – Fr), heute (aus demselben Haus kommend) 621.000 (Mo – Fr), Österreich 555.000 (Mo – Fr) und die Krone am Sonntag kommt auf 1.240.000 verbreitete Auflage. „Es ist die Kunst, das Wichtige und Interessante auf den Punkt zu bringen“ sagt der Boulevard von sich selbst. Das beste Beispiel und eine der besten Überschriften überhaupt stammen von der größten Boulevardzeitung Deutschlands – der Bildzeitung. Sie titelte, als Benedikt zu Papst gewählt wurde: „Wir sind Papst“. Das hat sprachschöpfend gewirkt. Hier findet sich die die große Kunst des Boulevards. Aber hier zeigen sich auch die dunklen Schattenseiten des Journalismus. Nirgendwo sonst werden Menschen so rücksichtslos vorgeführt, der Öffentlichkeit und der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Boulevard ist eine Macht und er weiß darum, nicht umsonst heißt es ja: Gegen die Kronenzeitung kann man nicht regieren. Dass das die Politiker auch wissen, haben sie oft genug bewiesen. Erst jüngst ist die Kronen-Zeitung gegen die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel, immerhin Publikumspreisträgerin des Bachmann-Preises 2016, zu Felde gezogen. Sargnagel, selbstverständlich ein Künstlername, hat mit zwei anderen Journalistinnen eine Reise unternommen nach Marokko. Von dort schrieben sie satirische Artikel, in denen Sätze wie „Die Nacht von Köln hat zu viel versprochen, die Marokkanischen Männer spielen nur eingeraucht Uno“. Auch schrieb Sargnagel davon, eine Babykatze in die Seite getreten zu haben. Die Kronenzeitung nun ist darauf aufmerksam geworden und hat sich vor allem daran gestört, dass die drei mit staatlicher Förderung nach Nordafrika gefahren sind (je 750 Euro). Was folgte, war ein Shitstorm, inklusive Morddrohungen gegen die Schriftstellerin. Ich denke, man kann hier durchaus von einer Hetze der Kronenzeitung sprechen. Es bleibt die Frage: Warum erhält ein Medium staatliche Presseförderung, das gezielte Kampagnen gegen Einzelpersonen lostritt und damit mitverantwortlich ist für Mord- und Vergewaltigungsdrohungen? Fällt das noch unter Pressefreiheit? „Wer die ‚Krone‘ mit öffentlichen Geldern und Inseraten alimentiert, muss sich dafür rechtfertigen, Menschenhatz zu fördern“, bringt es STANDARD-Autorin Lisa Mayr in einem Kommentar auf den Punkt. Ich meine: Das Verhalten der Kronenzeitung ist keinesfalls kompatibel mit den ethischen Richtlinien des Presserates und der ethischen Selbstverpflichtung – kleines Detail: Die Krone ist auch nicht Mitglied. Soweit zu dieser „Sargnagel-Affäre“, die ich hier nur in sehr groben Zügen geschildert habe. In der Folge aber erwächst ein Dilemma für die Evangelische Kirche: Denn es gibt etliche Kolleginnen und Kollegen, die in der Kronenzeitung schreiben, auch gibt es ein Naheverhältnis von Kärntner Pfarrern zur Kärntner Krone, die sich in der Sargnagel-Affäre besonders hervorgetan hat. Was tun? Nicht mehr schreiben in der Krone? Das bedeutet, einen sehr weitreichenden Kanal zu den Menschen im Land zu verlieren. Keine gute Entscheidung. Versuchen, auf die Krone Einfluss zu nehmen? Ich denke nicht, dass das gelingt. Weitermachen wie bisher? Ein klassisches Dilemma.
Zurück zum Qualitätsjournalismus und seiner harten Währung, dem Vertrauen. Nicht umsonst hat sich das ZDF so beeilt, sich zu entschuldigen nach den Versäumnissen nach der Nacht von Köln. Hier stand für das ZDF nichts anderes als das Vertrauen seiner Nutzer auf dem Spiel. Das gilt für alle Medien: Ist das Vertrauen weg, sind die Leser weg. Und so sind wir bei uns NutzerInnen angelangt: Auch hier ist Medienkompetenz gefordert, deren Kernfrage lautet: Was für einen Journalismus wollen wir haben? Achten wir darauf, woher wir unsre Informationen beziehen? Sind wir bereit zu bezahlen für Qualitätsjournalismus? Der Journalistenlehrer Sadrozinski fragt in diesem Zusammenhang, was fehlt, wenn es den Qualitätsjournalismus nicht mehr gibt: Wenn niemand mehr von den Flüchtlingsschicksalen berichtet, ertrinken dann keine Menschen mehr im Mittelmeer? Wenn niemand mehr schreibt über den Krieg in Syrien, herrscht dann Frieden? Wenn es keine Artikel mehr gibt über Unterdrückung in der Türkei, haben wir dann Demokratie dort? Darüber zu berichten kostet Geld und Mut – und manchmal auch das Leben von Journalisten (Demir Yücel von der Welt sitzt seit Monaten in türkischer Gefangenschaft). Geschulte Journalisten brauchen Zeit und Geld – unser Vertrauen – um Geschichten zu recherchieren und aufzubereiten.
Und so haben nicht nur die Medien Freiheit und Verantwortung in der Ausübung ihres Berufes. Heute haben auch die Nutzer der Medien große Vielfalt und Freiheit, die Medien zu wählen. Und dazu gehört eindeutig die Verantwortung, sich breit zu informieren. Hinaus zu gehen aus den eigenen Echoräumen und bewusst ein Medium aus einer anderen Ecke zu konsumieren. Das ist durchaus ein Schritt hinaus aus der Unmündigkeit hin zur Mündigkeit (Kant). So genießen wir große Freiheit und tragen große Verantwortung – für die Gesellschaft und damit für uns selbst.