Gefälschte Reportagen. Spiegel-Skandal

Gastbeiträge aus dpa/Neuer Zürcher

Hans Högl: Die Qualität und Verlässlichkeit von Medien ist zentrales Anliegen der "Medienkultur". Wir sind geneigt, Boulevard der  Qualitätspresse gegenüberzustellen. Das trifft in der Regel auch zu,  leider n u r  in der Regel. In diesem Fall hat die Selbstkontrolle des "Spiegels" funktioniert. Leider sind solche Ereignisse Anlass dafür -selbst für Akademiker (!)- zu sagen, sie glauben Medien überhaupt nichts mehr. Dennoch ist zu fragen, inwiefern in Medien oft nur solche Reportagen gebracht werden, die der redaktionellen Linie des Mediums entsprechen?!!!Damit wird der Sinn der Reportage als tatsachenbetontes Format ins Gegenteil verkehrt. Und dies ist der Grund, warum Medien oft als gleichgeschaltet erscheinen. Und dies gilt nicht nur für den rechten Boulevard.

dpa) Der ehemalige «Spiegel»-Reporter Claas Relotius, der zugegeben hat, zahlreiche seiner Texte gefälscht zu haben, will nach eigenen Angaben keine Spendengelder veruntreut haben. Dies liess Relotius am Donnerstag über seinen Anwalt der Tageszeitung «Die Welt»mitteilen.

Der Journalist bestreitet demnach, von ihm gesammelte Spenden für sich persönlich verwendet zu haben. Die syrischen Kinder, für die Leser der von ihm verfassten «Spiegel»-Reportage «Königskinder» Geld gaben, existierten aber nicht. Beim E-Mail-Kontakt mit Lesern und in Mitteilungen zu den Spenden habe der Autor «die Illusion über die reale Existenz des geschilderten Geschwisterpaars aufrechterhalten», teilte die Anwaltskanzlei Unverzagt von Have im Namen von Claas Relotius mit.

Relotius hatte demnach nach diversen Zuschriften spendenbereiter Leser angeboten, Spendengelder über sein privates Konto zu sammeln und weiterzuleiten. «Zu keinem Zeitpunkt hat er jedoch beabsichtigt, Spenden selbst zu vereinnahmen. Eine solche Verwendung ist auch nie erfolgt», so die Anwaltskanzlei weiter. Tatsächlich habe ihr Mandant den bis dahin auf seinem Konto eingegangenen Spendenbetrag von insgesamt 7000 Euro aus eigenen Mitteln auf 9000 Euro aufgestockt und im Oktober 2016 an die Diakonie Katastrophenhilfe für ein Projekt zur Unterstützung von kriegsflüchtigen Kindern im Irak überwiesen.

Hilfswerk bestätigt Empfang von Geldern

«Unser Mandant entschuldigt sich hiermit ausdrücklich bei allen hilfsbereiten Spendern, die sich in ihrer Intention, an die von ihm geschilderten syrischen Geschwister zu spenden, getäuscht fühlen müssen», teilte die Kanzlei mit. Er werde allen Spendern ihr Geld vollständig zurückerstatten. Die Diakonie Katastrophenhilfe bestätigte, 2016 das Geld von Relotius erhalten zu haben.

Der «Spiegel» hatte am Wochenende berichtet, dass ihr damals noch freier Mitarbeiter 2016 nicht nur eine Geschichte über angebliche syrische Waisenkinder in der Türkei in grossen Teilen erfunden, sondern auch privat Spendenaufrufe an Leser verschickt habe.

«Unser Mandant hat bereits eingeräumt, dass er bei seinen Reportagen – im Wesentlichen im Magazin ‹Der Spiegel› – über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden hat», teilte die Kanzlei am Donnerstag weiter mit. «Spiegel Online» veröffentlichte die Mitteilung der Anwälte als Nachtrag in seinen Beitrag «Reporter täuschte Leser offenbar mit Spendenaufruf».

Der Presse schweren Schaden zugefügt

Der Kanzlei zufolge ist Relotius bewusst geworden, dass er durch sein Verhalten dem Ansehen des «Spiegel» und der Presse insgesamt schweren Schaden zugefügt habe. «Er bedauert dies zutiefst und wird sich bemühen, diesen Schaden soweit wie möglich zu begrenzen.»

Das Nachrichtenmagazin hatte den Fälschungsskandal Mitte Dezember öffentlich gemacht. Der Reporter hat seinen Vertrag beim «Spiegel» gekündigt. Von ihm waren dem Magazin zufolge seit 2011 knapp 60 Texte im Heft und bei «Spiegel Online» erschienen. Relotius war zunächst freier Mitarbeiter und wurde dann festangestellter Redaktor des Nachrichtenmagazins.

Bereit zu verzeihen

(bso.) Der Fälschungsskandal hat weit über deutschsprachige Länder hinaus für Schlagzeilen gesorgt.

Eine Stadt in Minnesota, die der ehemalige «Spiegel»-Reporter fünf Wochen lang besuchte, um dann ein Porträt über sie zu schreiben, das wenig mit der Wahrheit zu tun hatte, wehrte sich zunächst gegen das Bild, das dieser von Fergus Falls gezeichnet hatte – dem Text nach ein rückwärtsgewandtes Nest voller eifernder Waffennarren und Fans von US-Präsident Donald Trump, die es kaum je über die Ortsgrenzen hinaus geschafft haben.

In der «New York Times» sagten einige Bewohner der Kleinstadt, sie seien bereit zu verzeihen. Ein anderer Reporter des «Spiegel» hat Fergus Falls ebenfalls besucht und Wahrheit und Fiktion verglichen. «Entschuldigung angenommen!» ist das erste, was der Bürgermeister zu ihm sagt.

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