Friedensfreunde als „Kriegstreiber“?

„Putin ist ein Krimineller, ein Mörder“ – bekräftigt der oppositionelle russische Politiker und Journalist Wladimir Kara-Mursa in nahezu jedem der zahlreichen Interviews für westliche Medien. Im jüngsten ZiB2-Interview prognostizierte Kara-Mursa einen möglicherweise kurz bevorstehenden Sturz des Putin-Regimes.

Wolfgang Koppler *

Regimewechsel in Russland kämen plötzlich, sowohl das Zarenregime als auch die Sowjetunion seien plötzlich untergegangen. Niemand wäre darauf vorbereitet gewesen. Und so würde es auch das nächste Mal sein. Niemand würde wissen, wann, wo und unter welchen Umständen Vladimir Putin seine Macht verlöre. Aber es werde geschehen, meint Putins schärfster Kritiker Kara-Mursa im gestrigen ORF-ZiB2-Interview.

Da ist wohl etwas dran. Allerdings entstand weder aus dem Untergang des Zarenreichs noch aus dem der Sowjetunion eine dauerhafte Demokratie. Nach Zar Nikolaus kamen nach einem kurzen bürgerlichen Intermezzo Lenin und Stalin an die Macht. Und nach der Wende und Boris Jelzin kam Vladimir Putin an die Reihe. Jener Zar Putin, den Kara-Mursa nun so heftig bekämpft.

Die Wahrscheinlichkeit, dass nach dem Ende der Putin-Ära in Russland eine wirklich dauerhafte und stabile Demokratie entsteht, ist also eher gering. Wobei sogar unsere Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Auch unter den Belastungen des Ukrainekriegs, die die Spaltung unserer Gesellschaften weiter vorantreiben.

Dass Kara-Mursa dann am Ende des Interview alle jene, die „Verständnis für Valdimir Putin und seine Positionen“ hätten, also im Endeffekt alle, die nicht für eine Fortsetzung des Krieges ohne jegliche Verhandlungen sind, als „Kriegstreiber“ bezeichnet, spricht Bände.

Bei allem Verständnis für sein persönliches Schicksal. Hier geht es nicht um Sympathien oder Antipathien, auch nicht um die Sanktionen, sondern um einen Krieg, der bis jetzt wohl mehr als halbe Million Menschen das Leben gekostet hat, um unzählige Versehrte und Traumatisierte und um Kollateralschäden in allen Teilen der Welt, wie etwa den zunehmenden Hunger, für dessen Linderung nicht einmal mehr genug Geld zur Verfügung gestellt wird. Im Gegensatz zum Ukrainekrieg, der bis jetzt weit mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet hat.

Dass dies von Kara-Mursa nicht erwähnt wird, spricht Bände. Und sein Statement inmitten einer zunehmend aufgeheizten Stimmung ist höchst problematisch.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Rotraud Perner. Eine Würdigung

Der unverzichtbare Sender ORF III hat einen besonders sehenswerten Film über das Leben und Werk von Rotraud Perner produziert. Gesendet wird die Doku allerdings an einem wenig attraktiven Sendungstermin, nämlich am 6.10. um 9.55 Uhr in ORF III.

Udo Bachmair

Sie ist Psychoanalytikerin, Juristin, evangelische Theologin, Hochschuldozentin, Autorin von 67 Büchern u.v.m.. Eine besonders engagierte, gescheite, selbstbestimmte, und liebenswürdige Frau. Eine charismatische Persönlichkeit: Rotraud Perner. Sie wird nun endlich auch in einer längeren ORF-Dokumentation gewürdigt, die gestern Abend in Wien einem interessierten Publikum vorab präsentiert wurde.

Der für ORF III produzierte Film der jungen Regisseurin Paula-Marie Pucker zeigt einfühlend und kompetent Perners buntes, kreatives und vielseitiges Leben und Schaffen. Unter besonderer Berücksichtigung der Perner begleitenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche. Die Dokumentation zeichnet in Interviews mit der Gewürdigten selbst sowie deren WegbegleiterInnen das Bild einer Frau, die sich trotz Rückschlägen nie entmutigen hat lassen.

Ein Wehrmustropfen: Diese hervorragende Dokumentation aus Anlass des 80. Geburtstages von Rotraud Perner wird am 6. Oktober am Vormittag um 9.55 Uhr gesendet (Wiederholung am 11.10. um 8.40 Uhr!) und damit mehr oder weniger „versteckt“. Doch es besteht hoffentlich noch der Wille der Führung von ORF III, diese Fehlplanung zu korrigieren. Das ist eine Doku auch im besten öffentlich-rechtlichen Sinn und gehört ins reichweitenstärkere Hauptabendprogramm!!!

„Die da oben“ und „die da unten“

Ratlosigkeit beherrscht die politische Szenerie. Das Wahlergebnis war angesichts der Umfragen zwar nicht wirklich überraschend. Aber ein so deutlicher Abstand zwischen FPÖ und ÖVP und erst zur SPÖ war doch überraschend, für viele auch eine herbe Enttäuschung. das Wahlergebnis beflügelt zudem den Disput um „die da oben“ und „die da unten“.

Wolfgang Koppler *

Die Selbsttäuschung vieler über die Ursachen dieses auch in anderen westlichen Ländern sich abzeichnenden politischen Wandels, der vereinfachend als ein Abdriften nach rechts oder gar in Rechtsradikalismus gesehen wird, hält aber nach wie vor an. Immer noch werden solche Wahlergebnisse, aber auch die diesen zugrunde liegende Stimmung als Protest gegen „die da oben“ abgetan, dem gar keine wirklichen Missstände oder ein Fehlverhalten von Politik, Wirtschaft und Medien zugrunde lägen. Man müsse einfach politische und wirtschaftliche Vorgänge und Entscheidungen besser erklären bzw. kommunizieren, heißt es immer. wieder.

Den Ausdruck „die da unten“ verwendet man hingegen nicht. Obwohl sich Politik, Wirtschaft und Medien von Wählern, Konsumenten und Lesern bzw. Zusehern tunlichst abschotten. Kontakt erfolgt nur über Mails, die von dazu geschulten Personen gelesen und beurteilt werden und die Politiker, Unternehmer und Journalisten im Regelfall gar nicht zu Gesicht bekommen. Selbst dann, wenn sich ein ein Wissenschafter oder ein Mensch meldet, der Wissen und Erfahrungen aus der Praxis mitbringt und vielleicht echte Missstände aufzeigen könnte.

Und so lebt unsere „Elite“ – oder wie immer man Politiker, Journalisten und Manager bezeichnen mag – und selbst ihre Umgebung in einer Art Blase. Nicht viel anders als der Stammtisch. Nur eben in einer anderen Vorstellungs- und Erlebniswelt. Wobei es oben und unten dann noch verschiedene Arten von nebeneinander bestehenden Blasen gibt. Bestimmte Redaktionen fühlen sich als etwas Besonderes, ebenso wie Manager verschiedener Großunternehmen sich hie und da besser dünken als ihre Kollegen.

Trotzdem: Bildung, Geld und Macht als das, was bei uns offenbar erst den wirklich „wertvollen“ Menschen ausmacht, scheidet unsere Gesellschaft in die da oben und die da unten.

Und da wir im Westen zur Egozentrik neigen, zu einem sich selbst vergöttlichenden Wesen mit wenig Selbstkritik, dünkt sich unsere Elite oft als mehr oder weniger unfehlbar. Oder verdrängt zumindest Fehlverhalten. Sich zu entschuldigen oder gar in sich zu gehen kommt nicht in Frage. Sie können das gerne ausprobieren, indem sie einen Journalisten auf einen klar ersichtlichen Fehler hinweisen. Eine Entschuldigung oder gar ein Umdenken wird kaum einmal erfolgen.

Der Wahlkampf ist ein Kindergarten, heißt es treffend im Werbespot eines Möbelhauses. Ein wunderbares Bild für jenen infantilen Narzissmus, dem gerade unsere Eliten immer wieder zum Opfer fallen. Ohne dass sie es merken.

Und so werden Migranten zum Opfer der Politik. Auf beiden Seiten. Menschen mit Migrationshintergrund werden nämlich auch von der linken Seite benutzt. Indem sich Intellektuelle zu ihren Schutzgeistern erklären, die wenig mit der Lebensrealität von Zuwanderern zu tun haben. Sondern nur das große Wort führen; Migranten als billige Arbeitskräfte sehen und Angst vor Rechtsextremismus genauso schüren wie manche Politiker der rechten Seite die Angst vor dem Islam.

Und so werden Migranten zum Spielball der rechten als auch der linken Seite. Das aktuelle Wahlergebnis spricht Bände. Und sollte zu Selbstkritik führen, Auf allen Seiten.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Gratis-Behandlung im Spital

Ein kirchliches Krankenhaus in Wien nimmt jährlich an die 15000 Menschen ohne Krankenversicherung auf. Zeit, dies auch einmal medial zu würdigen.

Hans Högl

Mit einer gewissen Vorliebe werden Fehler in der Katholischen Kirche medial breit getreten und immer wieder aufgegriffen. Dies sei Anlass, einmal darauf hinzuweisen, dass das Spital der „Barmherzigen Brüder“ in Wien im 2. Bezirk im vergangenen Jahr rund 177.000 Patienten und Patientinnen in den Aufnahmezentren und Ambulanzen versorgt.

Unter ihnen waren in etwa 14. 500 mittellose oder nicht versicherte Menschen. Die Gründe für eine fehlende Krankenversicherung sind vielfältig, häufig ist es ein persönlicher Schicksalsschlag.

Eines ist aber für alle gleich: Eine fehlende Krankenversicherung bedeutet, keinen Anspruch auf medizinische Leistungen und Gesundheitsversorgung zu haben.

Das kirchliche Krankenhaus der „Barmherzigen Brüder“ behandelt jedoch, wie gesagt, auch Menschen ohne Krankenversicherung

Gescheiterte Koalition

Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte die politische Situation in Österreich 3 Tage vor der Nationalratswahl in einer Analyse. Im Folgenden eine gekürzte Fassung von

Hans Högl

„Das Zeugnis für die österreichische Regierungskoalition wird bei der Wahl diesen Sonntag katastrophal ausfallen. Nun droht dem Land ein politischer Neustart. Die Stimmung in Österreich ist schlecht, bei der Wahl am Sonntag wird die Regierung deshalb massive Verluste hinnehmen müssen.
… Sebastian Kurz sah sich.. als internationaler Taktgeber, als er nach seinem fulminanten Wahlsieg vor fünf Jahren die erste konservativ-grüne Regierung Österreichs bildete. Das könne eine Vorbildfunktion auch für Deutschland haben, meinte er ..2020 am Weltwirtschaftsforum Davos…

Es kam bekanntlich anders. In Deutschland regiert eine Ampelkoalition, und auch in Österreich könnte nach der Wahl vom Sonntag ein Dreierbündnis nötig werden, um die rechtspopulistische FPÖ von der Macht fernzuhalten. Die schwarz-grünen Jahre werden dagegen als vorerst gescheitertes Experiment in die Geschichte eingehen.

Beide Regierungsparteien dürften laut Umfragen massiv an Wähleranteilen verlieren, eine Mehrheit ist rechnerisch nicht mehr vorstellbar. Das Vertrauen in die Regierung stürzte auf den tiefsten je gemessenen Wert ab. Die Wirtschaft steckt in der längsten rezessiven Phase der Nachkriegszeit, Ökonomen sprechen von fünf verlorenen Jahren.

«Koste es, was es wolle» war das Motto – über die Krise hinaus. Das Zeugnis fällt damit katastrophal aus. Die eigentliche Bilanz dieser Regierung ist allerdings gar nicht so schlecht. Denn so turbulent die Amtszeit auch war mit zwei Kanzlerwechseln und den grössten externen Krisen der Zweiten Republik, so ist doch zu berücksichtigen: Die beiden Koalitionspartner regierten trotz ihrer Gegensätzlichkeit eine ganze Legislaturperiode durch, was in Österreich eher die Ausnahme ist. Zudem gelangen wichtige Reformen, die zuvor jahrzehntelang versprochen und nie umgesetzt worden waren – die Abschaffung der kalten Progression etwa oder die Einführung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung.

Eine Harmonie, wie Kurz sie einst mit dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zelebriert hatte, war nie zu erwarten. Dafür liegen die beiden Parteien inhaltlich zu weit auseinander. Es kam sogar zu schweren Zerwürfnissen: Die Grünen erzwangen vor drei Jahren wegen Korruptionsvorwürfen den Rücktritt von Kurz, und die ÖVP zeigte im Juni die grüne Umweltministerin nach ihrer eigenmächtigen Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz wegen Amtsmissbrauchs an. Aber das schwarz-grüne Bündnis funktionierte bis auf die letzten Monate überraschend reibungsarm, nachdem zuvor die schwarz-blaue Koalition nach nur anderthalb Jahren zerbrochen war.

Das folgte auch aus purer Not: Bald machten die schlechten Umfragewerte vorgezogene Neuwahlen für beide Parteien nicht erstrebenswert. Aber es bewährte sich das Prinzip, das Kurz bei der Präsentation des Regierungsprogramms mit dem «Besten aus beiden Welten» beschrieben hatte. Die Regierungspartner liessen bei den jeweiligen Kernthemen gegenseitig Erfolge zu, nachdem es früher in den grossen Koalitionen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten oft genug darum gegangen war, Prestigeprojekte der anderen Partei zu verhindern.

Vor allem die Grünen nutzten diesen Spielraum und setzten das populäre Klimaticket für den öffentlichen Verkehr sowie milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz durch. Ein echter Meilenstein ist auch die ökologische Steuerreform, mit der ein CO2-Preis eingeführt wurde, auch wenn er noch zu tief angesetzt ist. Die ÖVP konnte dafür ohne viel koalitionsinternen Widerstand ihre harte Linie in der Migrationspolitik propagieren, erhielt eine Senkung der Körperschaftssteuer, die dringend nötige Aufrüstung des Bundesheers und den Beitritt zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield – für Österreich ist das durchaus eine kleine Zeitenwende.

Die Liste zeigt allerdings, dass es vor allem enorme Geldsummen waren, die den Kitt dieser Koalition bildeten. «Koste es, was es wolle» war das Motto, das Kurz während der Corona-Pandemie ausgerufen hatte, und es sollte auch darüber hinaus gelten. Für jedes Problem eilte der Staat herbei, der Zuschüsse und Boni mit der Giesskanne verteilte. Das Subventionsvolumen explodierte, selbst bereinigt um die Massnahmen gegen Pandemie und Teuerung. Ob die Gelder zielgerichtet eingesetzt wurden, spielte keine Rolle, das ins Koalitionsabkommen geschriebene Ziel eines ausgeglichenen Haushalts auch nicht. Österreich verfehlt die EU-Fiskalregeln deutlich, Brüssel verlangt für das nächste Jahr erhebliche Einsparungen.

Überhaupt ist die Wirtschaftslage düster. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Wohlstand. Seit zwei Jahren stagniert oder schrumpft die Wirtschaft. Obwohl die Bevölkerung wächst, sinkt das Arbeitsvolumen. Die Folge ist unter anderem eine hartnäckig hohe Inflation, die durch die expansive Ausgabenpolitik des Staates angeheizt wird. Reformen, die hier ansetzen, konnte die Koalition nicht durchsetzen. Für die Wirtschaftspartei ÖVP, die in dieser Legislaturperiode mit einer so grossen Mehrheit regierte, wie sie es wohl lange nicht mehr tun wird, ist das blamabel.

Die Krisen und ihre Folgen liessen das Vertrauen erodieren.Die zweite Schwäche dieser Regierung war ein teilweise erratischer Umgang mit den beiden Krisen dieser Legislaturperiode, der Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In ihrem Kampf gegen das Coronavirus schwankte die Regierung zwischen Alarmismus und Selbstlob, zwischen bis ins Detail geregelten Lockdowns und gefeierten Öffnungen. Das Hin und Her gipfelte darin, dass Österreich als einzige europäische Demokratie eine Impfpflicht beschloss. Sie wurde zwar nie umgesetzt, spaltete die Bevölkerung aber tief.

Ähnlich unentschlossen wirkt Österreich gegenüber Russland. Zwar verurteilt die Regierung die verbrecherische Aggression und trägt auch die Sanktionen mit. Gleichzeitig finanziert das Land die russische Kriegsmaschinerie mit, indem es nach wie vor fast seine gesamten Erdgasimporte aus Russland bezieht – obwohl es inzwischen die Möglichkeit zum Ausstieg hätte. Bundeskanzler Karl Nehammer war neben Ungarns Regierungschef Viktor Orban der einzige westliche Spitzenpolitiker, der den Kremlherrn Wladimir Putin seit der Grossinvasion in Moskau besucht hat. Erst im August konnte sich die Regierung dazu durchringen, die Strategie der nationalen Sicherheit zu ändern, in der Russland noch als «strategischer Partner» bezeichnet worden war.

Die Krisen und vor allem ihre Folgen mit hohen Energiepreisen und Teuerung liessen das Vertrauen in die Regierung erodieren, wie es in anderen Ländern auch geschah. Hier endet aber mehr als nur eine besonders herausfordernde Legislaturperiode. Die Wahl ist auch ein Schlussstrich unter die Ära von Sebastian Kurz, der den Konservativen einen Höhenflug beschert hatte und den stetigen Niedergang der beiden staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ kurzzeitig stoppen konnte.

Bestätigen sich die Umfragen, wird die ÖVP unter Nehammer so schwere Verluste hinnehmen müssen, dass auch ein Bündnis mit der SPÖ keine Mehrheit mehr hätte. Dagegen dürfte die FPÖ die grosse Wahlsiegerin sein. Das wäre gleich eine doppelte Zäsur für das Land: Die Rechtspopulisten könnten erstmals zur stärksten Kraft werden. Und die grosse Koalition, diese quasi natürliche Regierungsform der Zweiten Republik, die diese aufgebaut hat und nach wie vor bis in den hintersten Winkel prägt, wäre keine Option mehr. Der Journalist Georg Renner bezeichnet das in einem kürzlich erschienenen Buch zu Recht als politische Kontinentalverschiebung, die einem Ende dieser Zweiten Republik gleichkommt.

Was auf sie folgt, ist völlig offen. Das schwarz-grüne Experiment war schon vor fünf Jahren nicht das Vorzeigemodell, als das Kurz es bewarb, sondern ein Zweckbündnis aus Mangel an Alternativen. Die inhaltlich viel naheliegendere Koalition mit der FPÖ war an der Ibiza-Affäre gescheitert – ein Ende nach kurzer Zeit und im Chaos, wie bisher bei jeder Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen. Die klassische grosse Koalition mit der SPÖ war für Kurz undenkbar, stand sie in ihrer letzten Phase doch für Stillstand, während er «Zeit für Neues» ankündigte.

Fünf Jahre später steht eine extremere FPÖ als damals vor dem Wahlsieg. Deren Chef Herbert Kickl strebt offen eine Orbanisierung Österreichs an, und man möchte sich die radikalen Impfskeptiker und Kreml-Freunde um ihn nicht erneut an den Schalthebeln der Macht vorstellen. Die Partei hat ihre Regierungsunfähigkeit schon mehrmals bewiesen. Gleichzeitig wird vermutlich nur noch ein heterogenes Dreierbündnis einen weiteren Versuch verhindern können, und der Blick nach Deutschland stimmt dafür nicht zuversichtlich. Das Scheitern von Schwarz-Grün bedeutet deshalb vorerst eine Dritte Republik ohne zukunftsträchtige Optionen.“

Zu ergänzen möchte ich, Hans Högl, dies mit einem Kommentar des Spitzendiplomaten Peter Launsky-Tieffenthal, der meint, dass die vielkritisierte Migrationspolititk von Kurz bis Nehammer nun in der EU konsensfähig geworden sei (Kurier, 29.9.2014,S. 26).

Schlechtreden schadet

Der Zürcher Tagesanzeiger hat das angeblich „überbordende Schlechtreden der Deutschen“ kritisiert. Dies schade dem Land. Ein Zitat aus dem Artikel ausgewählt von

Hans Högl

„Das Land bräuchte dringend mehr Zuversicht. Deutsche neigen zu masslosem Schlechtreden in der Krise und zu Überheblichkeit im Erfolg.

Nützlicher wäre Realismus, gepaart mit Entschlusskraft und Mut. Deutschland ist in der Krise, ja, dennoch ist die Lage erheblich besser als die Stimmung. Oder umgekehrt: Der überbordende Missmut ist mittlerweile womöglich ein ernsteres Problem als die anstehenden politischen und wirtschaftlichen Aufgaben. Im Moment sei es vor allem die negative Stimmung, die Konsum und Investitionen – und damit die Konjunktur – lähme, schrieb gerade die OECD.“ (soweit der Tagesanzeiger wortwörtlich).

Weiter unten wird auf Länder wie Haiti oder Somaliland verwiesen, wo es wirklich große Probleme gibt.

Mutige Äußerungen

Auch die jüngste Ausgabe von INTERNATIONAL, der renommierten Zeitschrift für internationale Politik, ist wieder gespickt mit höchst interessanten Beiträgen. Darunter auch ein Gespräch mit mutigen Äußerungen einer Nationalratsabgeordneten zu Österreichs umstrittener Außenpolitik.

Udo Bachmair

Sie ist die erste heimische Politikerin palästinensischer Herkunft : Muna Duzdar. Die SPÖ-Parlamentarierin scheut nicht davor zurück, auch heikle weltpolitische Themen offen anzusprechen wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, in dem Zusammenhang nicht zuletzt auch die mediale Berichterstattung. Duzdar dazu gegenüber INTERNATIONAL:

„Die Berichterstattung heimischer Medien hat dabei versagt, das Leid und die Perspektive der Palästinenser ausreichend darzustellen. Wir haben es im Nahostkonflikt nicht nur mit einem asymmetrisches Krieg zu tun. Auch die Berichterstattung ist asymmetrisch, zugunsten einer Partei und das ist Israel. Wir erleben das z.Bsp., wenn israelische Quellen immer unhinterfragt übernommen werden und palästinensische Quellen gleich den Hamas- oder Terroristenstempel aufgedrückt bekommen. Das ist fatal und schadet der Glaubwürdigkeit journalistischer Medien.“

Soweit die Mediensprecherin der SPÖ, Muna Duzdar, die darauf hofft, mittels Vorzugsstimmen wieder in den Nationalrat einziehen zu können.

Zum Thema Nahost bietet INTERNATIONAL zudem eine spannende Analyse von Helga Baumgarten mit dem Titel „Nakba: Die nicht enden-wollende Katastrophe“. Die Politologin beleuchtet brillant Hintergründe und Folgen des Nahostkonflikts anhand der dramatischen Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung von 1948 bis 2024.

Die Zeitschrift vermittelt außerdem im Detail die außenpolitischen Positionen der Parteien, im besonderen zu Neutralität und Friedenspolitik. Ein Themenkomplex, der im NR-Wahlkampf eine beschämend geringe Rolle gespielt hat.

Das jüngste Heft spannt inhaltlich und geografisch einen großen Bogen von Russland, Venezuela, dem Iran bis hin zur Lage in Somalia, Sambia und Aserbeidschan.

Kunst und Kultur sowie Lyrik für den Frieden komplettieren die jüngste Ausgabe IV / 2024.

Näheres unter www.international.or.at

Aggressiver Journalismus

Wenn Journalisten und Journalistinnen aggressiv werden, spürt man geradezu ihre und des gesellschaftlichen Mainstreams Unsicherheit. Nämlich dann, wenn Dinge gesagt werden, die eigentlich selbstverständlich sind, die man aber nicht aussprechen darf. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit.

Wolfgang Koppler *

Da Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der neuen deutschen Linkspartei BSW, mit größter Ruhe Dinge ausspricht, die uns allen einleuchten müssten (und im tiefsten Innersten wohl auch dem Wagenknecht-kritischen „Moderator“ Lanz und seinen Kollegen), werden manche Journalisten im Gespräch mit ihr immer wieder aggressiv. Oder sagen wir mal, höhnisch oder empört. Und ebenso die Printmedien, wie der gegenständliche Artikel in Focus-online zeigt. Dummerweise lässt sich die selbstbewusste und authentische Wagenknecht nicht provozieren, und sie sieht in ihrem eher konservativen Outfit auch nicht aus wie eine Revoluzzerin.

Dass erst einmal die Waffen schweigen müssen, um Verhandlungen im Ukrainekrieg zu ermöglichen, sollte eigentlich jedem klar sein. Wer Verhandlungen erst nach einem Sieg der eigenen Seite beginnen möchte, will in Wirklichkeit keine. Und eine solche Position zu unterstützen, ist Kriegstreiberei – auch wenn der Krieg von der anderen Seite begonnen wurde.

Ich darf darauf verweisen, dass der Westen auch schon vor dem russischen Einmarsch substantielle Verhandlungen über zumindest diskutierbare russische Forderungen abgelehnt hat – etwa was einen neutralen Status der Ukraine und den Verzicht auf eine weitere Ausdehnung der NATO betrifft. Interessanterweise wurde dann nach dem Einmarsch der Russen sehr wohl verhandelt. Es scheiterte an den Sicherheitsgarantien für eine ukrainische Neutralität. Während Biden überlegte, legte sich „Mini-Churchill“ Boris Johnson quer und brachte auch die USA zu einer Ablehnung.

Während Putin (dem die Belastungen Russlands durch den Krieg inzwischen sehr wohl bewusst sein dürften) immer wieder Verhandlungssignale aussandte (wenngleich mit Maximalforderungen, die aber meist am Beginn von Verhandlungen stehen), stellte Selenskyj klar, dass Verhandlungen erst nach einem ukrainischen Sieg in Betracht kämen.

Wenn Wagenknecht hier von einer Erhöhung der Kriegsgefahr durch den Westen spricht (wobei sie selbstverständlich den russischen Angriffskrieg ablehnt und den Ausdruck Kriegstreiberei erst auf mehrmalige Nachfrage von Lanz verwendete), so ist dies nachvollziehbar. Denn ein solcher Justamentstandpunkt kann den Krieg nur verlängern, auch dann wenn ihn der Gegner begonnen hat.

Übrigens: Bushs Angriffskrieg im Irak wird trotz erfundener Kriegsgründe bis heute nicht verurteilt. Obwohl er Jahrzehnte langes Chaos und den Aufstieg des IS zur Folge gehabt hat.

Im Übrigen wird auch eine formal rechtmäßige Verteidigung oder Rechtsdurchsetzung irgendwann unverhältnismäßig. Weil die Durchsetzung von Recht sehr oft zu neuem Unrecht führt. Kleist hat das in seinem Michael Kohlhaas wunderbar aufgezeigt. Das sieht man auch im Gazakrieg, wo der eine oder andere ORF-Journalist diesen gelegentlich als Geiselbefreiungsaktion zu verharmlosen sucht. Obwohl bis jetzt nicht nur mehr als 40.000 Menschen gestorben sind, eine unabsehbare Eskalation im Libanon droht und das Leben der Geiseln wohl eher gefährdet als gerettet wird.

* Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Neutralität in kriegerischen Zeiten

Gut besuchte Podiumsdiskussion in Wien unter Mitwirkung der Vereinigung für Medienkultur

Udo Bachmair

„Neutralität in Zeiten von Krisen und Kriegen“ war das Thema einer viel beachteten Podiumsdiskussion* im Kultur- und Veranstaltungszentrum Amerlinghaus in Wien. Veranstaltet wurde der Diskussionsabend von den Gewerkschaftern gegen Atomenergie und Krieg sowie der Vereinigung für Medienkultur.

Bemerkenswerterweise war im Wahlkampf für die NR-Wahl das Thema „Krieg 8nd Frieden“ sowie die Rolle der österreichischen Neutralität kaum ein Thema. Dabei wäre Österreich als neutraler Staat und UNO-Standort prädestiniert dafür, als diplomatischer Mediator und Initiator von Gesprächen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aktiv zu werden. Doch eine einseitige Außenpolitik der schwarz-grünen Außenpolitik in den vergangenen Jahren – weit entfernt von Bruno Kreiskys nützlichen und erfolgreichen diplomatischen Aktivitäten – hat den Geist der Neutralität weitgehend untergraben.

Die Chance auf eine effektive friedensorientierte Außenpolitik ist ähnlich der Tatenlosigkeit der EU-Kommission sträflich vernachlässigt worden.
Darauf aufmerksam zu machen haben sich jüngst vor allem SPÖ-Chef Andi Babler und KPÖ-Vorsitzender Tobias Schweiger bemüht, allerdings weitgehend ignoriert von den heimischen Medien. Babler und Schweiger plädieren uneingeschränkt für die Sinnhaftigkeit und Aufrechterhaltung der Neutralität. Von Expertenseite sieht vor allem der renommierte Politikwissenschafter Heinz Gärtner die Neutralität Österreichs als Sicherheitsgarantie für unser Land.

Mitglieder der Initiative Engagierte Neutralität wie Bundesheer-General Günther Greindl, seinerzeit Oberbefehlshaber der österreichischen UNO-Truppe auf dem Golan, oder die beherzte Diplomatin und Ex-Botschafterin Gaby Matzner sowie der bei den Gewerkschaftern gegen Krieg besonders aktive Wilfried Leisch bekräftigten in der erwähnten Veranstaltung ihre klare Pro-Neutralitäts- und Anti-NATO-Position. Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur, gab u.a. zu bedenken, dass Politik und Medien nach der NR-Wahl Befürwortern eines NATO-Beitritt Österreichs mehr Raum für entsprechende Propaganda öffnen könnten.

Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion im Amerlinghaus, genauer gesagt der Anfangsstatements, sind unter folgendem Link abrufbar:

www.youtube.com/watch?app=desktop&v=NixOIY2N8bQ

Vom Ego zum Selbst

Mitunter findet sich auch in Boulevardblättern Interessantes. Etwa das, was NEOS-Gründer und Ex-NR-Abgeordneter Matthias Strolz zu seinem nunmehr endgültigen Rückzug aus der Politik getwittert hat.

Wolfgang Koppler

Ob Matthias Strolz sich nun wirklich für immer aus der Politik oder gar aus der Öffentlichkeit zurückzieht, ist hier nicht so wichtig. Auch nicht, ob ihm das, was er hier zu dem, was man in der zweiten Lebenshälfte anpeilen sollte, schildert, wirklich gelingt. Aber die Richtung, die er hier für unsere Persönlichkeitsentwicklung in einer besonders egoistischen und egozentrischen Kultur vorgibt, das Wesentliche worauf es ankommt, wäre für uns alle interessant. Besonders für Angehörige der so genannten Eliten aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Zunächst beschreibt Strolz jene Egozentrik, die seiner Ansicht nach die erste Lebenshälfte prägt. Das Streben nach meist materieller Selbstverwirklichung, das die Presse vor einigen Monaten treffend als Flucht (vor dem Wesentlichen, wie etwa den Anforderungen der Gemeinschaft) bezeichnete. Strolz, der selbst nicht ganz frei von Egozentrik ist, hat da wohl auch seine eigenen Erfahrungen geschildert. Strolz nennt es etwas beschönigend, den Versuch, sich an Projekte und Menschen zu binden. Der mE wohl meist in Verlorenheit und Einsamkeit endet. Strolz meint zu Recht, dass viele dieser (materiellen Selbstverwirklichungs-)Logik bis zum Lebensende anhaften.

Und spricht Strolz unter Bezugnahme auf C.G. Jung von der Einladung in der zweiten Lebenshälfte vom Ego zum Selbst zu reifen, zur eigenen Personenmitte vorzustoßen. Was nur gelingt, wenn wir dabei „unsere Schattenseiten integrieren“. Die nachstehenden Ausführungen sind manchen vielleicht zu philosophisch oder zu esoterisch – aber das ist hier nicht so wichtig. Aber zu uns selbst, zu unseren Abgründen und dann vielleicht – wenn uns davor schaudert – zu unserer positiven Intuition vorzustoßen, das ist wohl allgemeingültig.

Und könnte für jede und jeden, vor allem aber für Politiker, Unternehmer und Journalisten wichtig sein, Um sich nicht allzu sehr in Egozentrik und Feindbildern zu verlieren, ob es der ach so unvernünftige „Pöbel“, Putin oder sonst jemand ist. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung in Medien, Wirtschaft und Politik. Und würde auch die Klagswut bei einigen eindämmen. Und die Eigenständigkeit fördern. Anstelle von Echokammern.

https://x.com/matstrolz/status/1838489030524117379?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1838489030524117379%7Ctwgr%5E8dea7ae1fa63f195f297926abff25dc48bbfe3fa%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.heute.at%2Fs%2Fpolit-knall-neos-comeback-von-strolz-abgeblasen-120060730

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien