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Diskursverweigerung? Vermeiden, mit Andersdenkenden zu reden?

Hans Högl

Gestern trafen sich diverse NGOs. Und es entstand eine Streitfrage. Meiner „Initiative Zivilgesellschaft“ (IZ) machte die Sprecherin S von einer öko-sozialen NGO einen massiven Vorwurf. S machte folgende Erfahrung: Bei einer Tagung der IZ referierte Professor X, der in der Anti-Atombewegung verankert war, ferner den Finanz-Dschungel kritisiert und im Sinne der Landwirtschaft den EU-Austritt befürwortet, und Professor X ist neuestens islamophob.

Auch uns in der IZ fiel die Fremdenfeindlichkeit auf, und so erwogen wir selbstkritisch unser Verhalten zu Prof. X. Ein IZ-Vorstandsmitglied argumentierte: In der ATTAC wird es abgelehnt, mit solchen Leuten in eine Diskussion zu treten. Ich vertrat die Position, Prof. X solle sich erklären. Dies im Sinne von wechselseitigem Verständnis.

Gestern erneuerte Sprecherin S den Vorwurf, in der IZ rede man mit einem Ausländerfeind und S deutete an, ihre NGO kappe den Kontakt zu unserer IZ. S präsentiert einen breiteren Trend: den der Dialogverweigerung mit politisch Andersdenkenden. Darum sei es hier Thema. Ich wundere mich: Es ist doch soviel von Inklusion und Integration die Rede.

Ich argumentierte im Sinne von Jürgen Habermas (H.) für einen konstruktiven Diskurs. Für H. sind alle Menschen als gleich und frei und als zum vernünftigen Miteinander fähige Subjekte zu betrachten. Er prägte Begriffe, die zu Diskursmarkierungen wurden: Ihm rutschte das Wort „Linksfaschismus“ aus – gerichtet gegen einen gewalttätigen Flügel der studentischen Linken von 1968, ferner prägte er das Wort der neuen „Unübersichtlichkeit“ und in der EU sah er eine „post- und transnationale Konstellation“. Für uns ist hier der Begriff des „herrschaftsfreien Diskurses“ von näherem Interesse.

Habermas meint das Gespräch zwischen Menschen, die sich um eine gesellschaftliche Ordnung bemühen, und es darf kein Gesprächspartner von vornherein als „unwürdig“ ausgeschlossen werden. Es gibt nach Habermas eine Ebenbürtigkeit von Menschen. Diese Position vertrat ich versus S. Ein einziges Gespräch wird zwar nicht die Welt ändern, aber wir sollten miteinander reden und nicht von vornherein andere ignorieren bzw. verächtlich machen.

NGOs als Avantgarde. Staat hinkt hinterher

Hans Högl
Wir – die Vereinigung für Medienkultur – sind Mitglied des Dachverbandes Initiative Zivilgesellschaft.  In diesem Kontext erhielten wir folgendes Schreiben von
Doris Brandel und Franz Nahrada :
               „Die Zivilgesellschaft hat sich zunächst als Feuerwehr der Gesellschaft verstanden, überall dort intervenierend, wo die Not groß und das staatliche System träge oder tatenlos schien. So entstand die Armenhilfe, die private Fürsorge (besser: Sozialarbeit!). So entstand die Bewegung gegen den Hunger in der Welt und für Entwicklungsprojekte. Dann kam die Umweltbewegung, zugleich dann die wahrscheinlich kurzfristig größte der Bewegungen, die Friedensbewegung.
            Im Lauf dieser Interventionen entdeckte die Zivilgesellschaft schrittweise ihre Kraft und auch ihre Ohnmacht. Organisationen wie Amnesty entstanden, die Augenmerk auch nach innen, auf die zunehmend wahrgenommenen Schatten in unserer Gesellschaft, richten. Es wurde zunehmend klarer dass wir uns den Spielregeln dieser Welt zuwenden müssen – es genügte nicht mehr, Löcher zu stopfen. Organisationen wie ATTAC entwarfen neue Regeln für das Finanzsystem, die Gemeinwohlökonomie für das Wirtschaften.
       Doch wir stehen jetzt an einer neuen Schwelle: Wir müssen feststellen, dass auch der Prozess der Zielfindung in unserer Gesellschaft selbst erodiert und mangelhaft ist. Wir müssen uns dem Feld der Politik zuwenden. Es geht jetzt nolens volens – ums Ganze!“ Eine derartige Geschichte der Zivilgesellschaft zu schreiben wäre eigentlich notwendig, wenn wir die Dynamik und Entwicklung wirklich verstehen wollen …“
(Gastbeitrag von Doris Brandel und Franz Nahrada)

Wege zum Ende der Steueroasen. Panama Papers als Buch

Hans Högl

Staatshaushalte der westlichen Länder sind überaus verschuldet, und durch Steueroasen fehlen Einnahmen, oder Staatsgelder wurden außer Landes verschoben. An den anonym verratenen Panama-Papers recherchierten 200 Journalisten aus 65 Ländern und publizierten im Frühjahr 2016 35 Spuren zu Staatschefs (S. 174). Zwei Autoren der „Süddeutschen Zeitung“, Bastian Obermayer und Frederik Obermaier publizierten dazu ein Buch. Ihr Anliegen ist von bleibender Relevanz. Die „Medienkultur“ greift es wieder auf.

Die Münchner „Süddeutsche Zeitung“ scheut nicht, den Münchner Konzern Siemens (S. 148 ff.) und deutsche Großbanken beim Namen zu nennen. Über viele Jahre halfen sie ihren Kunden bei deren Offshore-Versteckspiel (S. 257). Die „Süddeutsche“ zahlt Whistleblowern prinzipiell für Informationen kein Geld (S. 10).

Der Gründer der Kanzlei Mossack Fonseca in Panama ist Jürgen Mossack, geboren 1946 in Fürth. Er und sein Bruder Peter wanderten mit der Familie in den 60-iger Jahren nach Panama aus. Ihr Hauptsitz koordinierte 2013 fast 100 Gesellschaften und 100 (Schein) Firmen in 50 Büros in 30 Ländern.

Erstaunen erregen gewisse Kunden: Sozialisten und Anhänger von Hugo Chaves (S. 174), ein Cellist und Taufpate von Putins Tochter. Ihre Firmen haben den Wert einer halben Milliarde, Putins Cousin Igor ist einer der reichsten Männer Russlands (S. 175). Ein Gutteil der 100 reichsten Chinesen sind Kunden (S. 241), die über ein Vermögen von 450 Milliarden Dollar verfügen. Personen aus allen Kontinenten – auch der Hochadel – waren treue Kunden in Panama.

Die Autoren sehen in einem weltweiten  automatischen Informationsaustausch über Bankkonten und in einem weltweit transparenten Unternehmensregisters eine Lösung. Darin sind die  wahren Eigentümer von Firmen und Stiftungen zu erfassen: mit Namen, Geburtsdatum, Geschäftsadresse (S. 311-313). Der Franzose Gabriel Zucman erhellt in seinem Buch „Steueroasen“ die Methode.

Auch für Deutschland wurde ein solches Register der wahren Eigentümer und Teilhaber schon lange gefordert – von Attac, Transparency Deutschland und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit.

Barack Obama brachte 2007 als Senator gegen den Missbrauch von Offshore einen Gesetzesentwurf in den Senat ein. Bis heute wurde er nicht angenommen (S. 314). Die USA haben ihre Festland-Steueroasen in Nevada und Delaware. Auch Großbritannien verfügt über diverse Steueroasen.

Absurd ist für die Buchautoren, dass das offene Unternehmensregister mit den wahren Eigentümern schon beim G 8-Gipfel 2013 in Nordirland „beschlossen“, aber nicht konsequent realisiert wurde (S. 315). Wird es der Politik gelingen, die Steueroasen zu schließen? Die Autoren erhoffen es aufgrund des öffentlichen Drucks.

Obermayer Bastian/Obermaier Frederik: Panama Papers. Die Geschichte einer weltweiten Enthüllung, Köln 2016. 350 Seiten. € 17,50.

 

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