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EU-Kritik verpönt

Andreas Babler, Kandidat für den SPÖ-Vorsitz, ist wegen seiner vor 3 Jahren getätigten kritischen Äußerungen zu EU und NATO ins Visier fast aller Medien geraten.

Wolfgang Koppler *

Andreas Babler hat etwas Ungeheuerliches getan: Er hat die EU kritisiert und ihren Reformbedarf aufgezeigt. Das Rauschen im Blätterwald war die unausweichliche Folge dieses Sakrilegs. Denn die EU ist eine Art Gottersatz. Für die Medien und die von ihnen produzierte öffentliche Meinung. So wie es vorher die Nation und noch früher der durch das Gottesgnadentum sanktionierte Herrscher war. Den man genauso wenig kritisieren durfte wie heutzutage NATO und EU. Denn an Gott, tätige Nächstenliebe oder so etwas Ähnliches haben ja immer nur die wenigsten geglaubt. Darum haben wir die Religion meist vergötzt. In Form irgendwelcher Bilder, die wir den anderen vorhielten.

Jetzt müssen wir halt an die EU glauben. Und dürfen nicht einmal auf ihre Widersprüchlichkeiten, Struktur- und Wertemängel hinweisen. Auch wenn diese auf der Hand liegen:

1. Militarismus: Die EU wird zunehmend zu einem Militärbündnis. Das angeblich den Frieden sichern soll. Von dem wir ziemlich weit entfernt sind. Und das nicht nur wegen Putin und dessen anachronistischem Weltbild. Sondern auch wegen des Vorrückens von NATO und EU bis ans Schwarze Meer. Was irgendwann mit den russischen Interessen kollidieren musste. Der russische Angriffskrieg hat wohl auch, aber nicht nur mit Putins Ehrgeiz zu tun. Was Politiker wie Kissinger und Macron längst begriffen haben. Nur leider sonst niemand. Ich darf den Ausspruch eines ehemaligen Bundeskanzlers anlässlich des Beitritts von Rumänien und Bulgarien in einer Fernsehdiskussion in Erinnerung rufen: Die EU steht jetzt am Schwarzen Meer. Kommentar überflüssig.

2. Demokratiedefizit: In der EU ist immer soviel von freiheitlich-demokratischen Werten die Rede. Tatsächlich werden inzwischen weit mehr als 60 % der nationalen Gesetze von jenem Rahmen beeinflusst, den die EU und ihre Organe vorgeben. Also durch EU-Richtlinien und Verordnungen. Das EU-Parlament hat diesbezüglich keinerlei Initiativrecht. Dieses liegt bei der von finanzstarken Lobbys beeinflussten Kommission. Zusätzlich gibt es auch noch – ganz offiziell – den European Round Table, welcher der „EU-Gesetzgebung“ beratend zu Seite stehen soll, aber in Wirklichkeit – wie Untersuchungen von NGOs gezeigt haben – ganz entscheidend mitmischt. Dort drin sitzen – erraten ! – die Vertreter europäischer Großkonzerne. Für die Finanzwirtschaft gibt es ein ähnliches Gremium. Und so kommen im Sozial- genauso wie im Umweltbereich – wieder richtig geraten -meist Alibimaßnahmen heraus, die Industrie und Finanzwirtschaft nicht wirklich weh tun.

3. Wertedefizit: Und damit sind wir bei den Werten, die unser Leben und unser System bestimmen. In erster Linie das Geld. Nicht das, was wir als Zahlungsmittel verwenden. Sondern das, was in unserer Gesellschaft den Wert von Menschen ausmacht. Und jene Wirtschaftsdaten, die das Handeln unserer Eliten bestimmen. Sie halten das für linken Schmafu ? Gut, dann fragen Sie sich einmal, weshalb jedes Jahr eine Liste der reichsten Menschen erstellt wird. Und zwar nicht nur für die Regenbogenpresse. Bill Gates, Elon Musk und Jeff Bezos strengen sich ja schließlich nicht umsonst so an, ihr Geld zu vermehren. Sondern weil man mit Geld mehr „wert“ ist. Und die Politik hat dafür zu sorgen, dass dieser wundersamen Geldvermehrung keine Steine in den Weg gelegt werden. Und den Reichen der Weg zu mehr noch mehr Reichtum geebnet wird. Dahinter steht die uralte puritanische Ethik, dass man damit prädestiniert für den Himmel sei. Nur halt zunehmend ohne Religion und Moral. Dass dabei die uralten immateriellen Werte von Weisheit, Mäßigung und gesellschaftlicher Gerechtigkeit ebenso wie die eigentliche Menschenwürde auf der Strecke bleiben, ist klar.

Und dass jemand, der die Zivilcourage hat, dies aufzuzeigen, von Politik und Medien attackiert wird, ist ebenfalls klar. Denn es sind unsere eigenen europäischen Lebenslügen, an denen wir nur allzu gern hängen: Wir als Verbreiter von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Statt von Elektronikschrott und Textilmüll an Afrikas Stränden. Im Namen unserer (wirtschaftlichen und persönlichen) Freiheit.

Andreas Babler hat eine andere Freiheit in Anspruch genommen. Die des Gewissens.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Kurz und Nietzsche

Der Bundeskanzler der Republik hat sich vom ihn befragenden Richter provoziert gefühlt.

Udo Bachmair

Die erst Wochen später bekanntgewordene Einvernahme des Kanzlers hat für einiges Rauschen im Blätterwald gesorgt. Die veröffentlichten Zitate aus der richterlichen Befragung haben verschiedene Medien schlussfolgern lassen, dass dem Richter die mögliche Devise des jungen Politstars „Wissen Sie denn nicht, wer ich bin ?“ offenbar keinen Respekt abgenötigt habe. Reinald Deppe, Chef eines bekannten Wiener Veranstaltungslokals, hat dazu folgende Assoziationen beigesteuert:

Reinald Deppe *

Am Anfang war das Wort :

»Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot.«

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) während der Einvernahme (September 21)
wegen mutmaßlicher Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss zur ÖBAG-Causa

»Oh, ihr armen Schelme in den großen Städten der Weltpolitik, ihr jungen, begabten, vom Ehrgeiz gemarterten Männer,
welche es für ihre Pflicht halten, zu allen Begebenheiten — es begibt sich immer Etwas — ihr Wort zu sagen!
Welche, wenn sie auf diese Art Staub und Lärm machen, glauben, der Wagen der Geschichte zu sein!
Welche, weil sie immer horchen, immer auf den Augenblick passen, wo sie ihr Wort hineinwerfen können, jede echte Produktivität verlieren!«

Friedrich Nietzsche: Morgenröte
Gedanken über die moralischen Vorurteile (1881)

Reinald Deppe, engagierter Politbeobachter, ist Verantwortlicher des renommierten Wiener Jazzclubs Borgy und Bess : www.porgy.at