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Korrektur am Bild Ost-Europas

Der renommierte Osteuropa-Experte Ivan Krastev, ein Bulgare, sieht Ost-Europas Politik anders als üblicherweise im Westen.

Hans Högl

Ost-Europa sucht Anerkennung und seine Würde – so sieht es Ivan Krastev, Forscher am Instituts der Wissenschaft vom Menschen (IWM) in Wien – so in seinem Buch: „The Light That Failed. Why the West Is Losing the Fight for Democracy“ (2020). 1989 nach dem globalen Triumph des Westens über den Kommunismus hatte der westliche Liberalismus keinen Rivalen, und die liberale Demokratie wurde oft das Modell. Länder der ganzen Welt ahmten Institutionen und Lebensweise des Westens nach, vor allem der USA.

Das Ergebnis war ein kollektiver Stress (in den 90-iger Jahren), eine eiternde Verstimmung und Ärger („festering resentment“), der in einem Rückschlag des Liberalismus gipfelte, vgl.Rezension in „Foreign Affairs“ March 2020. Ich selbst erfuhr dies in Aussagen bei einem Bulgarienaufenthalt, indem von dem Elend der Pensionisten auf dem Lande nach der Transformation erschütternd berichtet wurde. Hier und anderswo wurde brutal das neoliberale US-Modell umgesetzt und nicht die Marktwirtschaft mit dem Sozialmodell Kontinentaleuropas.

Laut Krastev hat die Politik in Ungarn und Polen weniger zu tun mit einer neuerlichen, uranfänglichen und illiberalen Identität als vielmehr mit dem Bedarf in diesen und anderen osteuropäischen Ländern nach Unabhängigkeit, Anerkennung und Würde („independence, recognition and dignity“).

Osteuropa tickt anders. Sicht eines Politologen

Hans Högl:

Ivan Krastev ist Politologe am angesehenen „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ (IWM) in Wien, und er leitet das Zentrum für Liberale Studien in Sofia und schreibt für die „New York Times“. In Österreichs Medien ist er marginal präsent, doch „Datum“, eine Zeitschrift mit sehr geringer Auflage, brachte ein längeres Interview. Aber generell wird er in unseren Medien de facto inhaltlich nicht rezipiert. Auch für deutsche Feuilletons w ä r e n seine Analysen von großer Relevanz… sie wären es.

Hier ein kurzer Ausschnitt aus „Le Monde Diplomatique“ von Ivan Krastev:

„In Zentraleuropa erleben wir den Aufstieg der verunsicherten Mehrheit zum politischen Hauptakteur. Hier fühlen sich die Menschen weniger durch Migranten bedroht – die ja gar nicht in ihren Ländern leben wollen – als vielmehr durch das Vakuum, das die massenhafte Emigration der letzten zehn Jahre hinterlassen und ein Gefühl kollektiven Verlusts erzeugt hat.

Das verweist auf den Unterschied zwischen der nationalistischen Mobilisierung im Westen und im Osten. Im Westen wollen die Nationalisten keinen einzigen Fremden reinlassen. Im Osten wollen sie, dass niemand wegzieht und einige der Ausgewanderten zurückkommen.“

Wer diese Position fundierter zu erfassen sucht, dem sei empfohlen, den Essay zu lesen: Ivan Krastev: Europadämmerung (Suhrkamp TB). Meine Schlussfolgerung: Ein Gutteil der Kommentatoren und Entscheidungsträger im westlichen EU-Europa war bei der Migrationskrise nicht fähig, nicht willens oder schlechthin ignorant, die spezifische Situation unserer östlichen Nachbarländer mit Empathie zu verstehen und deren prekäre, sozial-wirtschaftliche Welt und ihre Probleme mit Minderheiten wahrzunehmen. Und da rühmen sich nicht wenige, Weltbürger zu sein.

Bulgarien – Land im medialen Windschatten

Hans Högl. Sachlicher Reisebericht und Reflexionen

Nur wenige Länder in Europa bleiben medial so unbeachtet wie Bulgarien. Dies trifft auf Deutschland zu und auch auf Österreich – obgleich es ein Tor zum Osten ist, erfahren wir selten etwas über Rumänien und fast nie wirklich Substantielles mit Recherche über Bulgarien. Meine Reise mag dienen, diese Medienlücke ein wenig zu schließen.

2007 tritt Bulgarien der EU bei. Autobahnen und Schnellstraßen sind von der EU kofinanziert. Sie sind besser, als die Bulgaren selbst meinen. Gehsteige sind potenziell fußbrecherisch, Stromleitungen verwickelt und manchmal bis auf Kopfhöhe herunterhängend – so in der anmutigen Kleinstadt Balchik am Schwarzen Meer. Sofia, die Hauptstadt, putzt sich perfekt westlich heraus.

Sichtbar ist der Wunsch von Bulgaren und Bulgarinnen nach mehr Konsumgütern, so hat der Besitz von deutschen Spitzenautos hohes Prestige. Es sind ihrer gar nicht so wenige. Immerhin – es erstaunt- die Hälfte der Haushalte hat ein Auto, meist gebrauchte, berichtet ein osteuropäischer Report. Es gibt gute Hotels und Restaurants. Orts- und Straßenamen sind in kyrillischer und oft in lateinischer Schrift. Junge Bulgaren sprechen Englisch, manche Deutsch. An der Schwarzmeerküste leben insgesamt und dauerhaft 60.000 -vor allem englische Rentner, auch deutsche. Und Skandinaviern schmeckt preisgünstiger Alkohol. 

Während in Westeuropa das Jahreseinkommen Ende der 1990er Jahre noch 4-mal höher war als in Bulgarien, war es 2010 nur zweieinhalb mal so hoch. Darum sind viele Konsumpreise um die Hälfte billiger. Namhafte westliche Firmen haben Filialen. Also: da wird Cash erwartet.
Bulgarien ist heute ein noch armes Land, aber die Situation bessert sich allmählich, schreibt ein Osteuropa-Report, und der Lebensstandard erscheint höher als erwartet. Die Leute sind westlich gekleidet, doch in Begegnungen sagen sie: „90 Prozent der Bevölkerung sind arm“. 

Wir erfahren im Gespräch, dass die Menschen ihre raffinierten politischen Eliten zu duldsam hinnehmen und sich darum über ihre Landsleute wundern und anerkennend auf den Mut der Rumänen sehen. Angesichts der Flüchtlingsdebatte ist zu bedenken: Bulgarien hat seit 1990 mehr als 1,6 Millionen seiner 8,7 Mio. Einwohner verloren – wegen Abwanderung. Also: Jeder fünfte Bulgare ist ausgewandert. Ein Viertel der bulgarischen Zuwanderer in Deutschland sind Akademiker, aber im Land selbst fehlen Fachkräfte, viele Häuser stehen leer, Junge sind weggezogen und ältere Menschen fristen ihr Dasein mit beschämend kleinen Renten. Zum Glück hilft die mittlere Generation. 

Die Abwanderung lässt die Bulgaren um die Existenz ihres Landes fürchten, schreibt der bulgarische Autor Ivan Krastev im Buch „Europadämmerung“.- Selbst die bleierne Zeit des Kommunismus konnte Traditionen und den orthodoxen Glauben nicht zu Fall bringen. Doch darüber in einer Folge.

Es lohnt, dieses kulturell reiche Land zu besuchen: die Welt der Klöster und Ikonen, bedeutend Museen mit Goldschätzen von und vor den Thrakern. Berühmte Bulgaren sind die Schriftsteller Elias Canetti und Trojanow und der Künstler Christo, der Gebäude wie den Berliner Reichstag 1995 ver- und enthüllte.

Bulgarien: Aufdecker-Journalisten festgenommen

Hans Högl

Gastbeitrag. Bulgarisches  “ Wirtschaftsblatt“

Bulgarien ist für westliche Medien ein Niemandsland. Diese Lücke möchte ich schließen.
Der Journalist der Webseite BIVOL , Dimitar Stoyanov, und sein rumänischer Kollege Atila Biro von RISE Project sind von der bulgarischen Polizei  vor einiger Zeit, wie jetzt bekannt wird,  verhaftet worden. Dies geschah, nachdem sie über die Vernichtung von Dokumenten  über erhebliche Missbräuche mit Mitteln aus den europäischen Förderfonds Alarm geschlagen hatten, schreibt das „Wirtschaftsblatt“in der Online-Ausgabe.  Die Journalisten enthüllten,  wie sich das große Bauunternehmen GP Group  Aufträge verschaffte. Das kam durch ein kompliziertes Netzwerk  zustande. Ihre   Büros befanden sich im selben Gebäude wie diese von GP Group. Alle Dokumente, die Bivola untersuchte, führten zu GP Group, die mit dem vertrauten Freund des Premiers Boyko Borisov, dem Chef von Lukoil Bulgaria Valentin Zlatev, verbunden ist, sowie zu russischen Oligarchen, die ein Geschäft in Bulgarien betreiben. Der Aufstieg von GP Group ging Hand in Hand mit dem Business von Lukoil, weil das Unternehmen Auftragnehmer all ihrer Projekte war. Ebenso war die Firma an den Projekten im Familienunternehmen von Zlatev beteiligt. Ihr Eintritt in den Bereich des Infrastrukturbaus geschah  während der ersten Premier-Amtszeit von Borisov.  Im September 2012 kam zu den drei Aktionären von GP Group ein neuer hinzu – Stefan Filipov Totev. Nach den Worten der Parteiführerin der Bewegung 21 Tatyana Doncheva ist das „der Zahnarzt des Premiers“. Sei es zufällig oder nicht, fiel der Einstieg von Totev in die GP Group mit einem Zeitraum zusammen, in dem das Unternehmen Aufträge für Hunderte von Millionen an Land zu ziehen begann. Die meisten von denen wurden im Rahmen von europäischen Programmen vergeben – es handelte sich dabei um den Bau von U-Bahn-Strecken, Straßen, Sporthallen, um Wasserprojekte  usw.
Die beiden Reporter wurden festgenommen, nachdem sie einen Bericht über die Vernichtung von Dokumenten im Rahmen des von ihnen untersuchten Falls erstattet hatten. Darin wurde beschrieben, wie das komplizierte Korruptionsschema zur Abzapfung von EU-Mitteln bis hin zur höchsten Verwaltungsebene reichte. Dank der blitzschnellen Reaktion des rumänischen Botschafters waren die Journalisten einige Stunden, nachdem sie festgenommen worden waren, befreit.