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Österreich im Konflikt über Coudenhove-Kalergi

Hans Högl

Ein Münchner Pan-Europäer las meinen Beitrag1 über Richard Coudenhove-Kalergi (RCK) und wunderte sich, dass er in Österreich wie ein ferner Schatten ist – abgesehen von politisch gut Informierten. Faktum ist: In den 1950-iger Jahren wurde RCK`s Wirken in Schulbüchern gewürdigt, später verschwand darin sein Name. Keine Straße in Wien erinnert an ihn.

Aber auf RCK verweist kurz Anton Pelinkas neues Buch: Die gescheiterte Republik. Kultur und Politik in Österreich 1918 -1938, Wien 2017. Das Bild von RCK wird von dem prominenten Politikwissenschafter eher reserviert bis negativ und ambivalent gezeichnet.

Meine Rezension greift Pelinkas Kritikpunkte (S. 101-106) an RCK auf : RCK`s Anliegen sieht er als „Flucht in ein (welches?) Europa“ und seine Europaideen sieht Pelinka  als chancenlos. „Die nach 1945 real einsetzende Integration Europas hatte mit Coudenhove-Kalergis Wunschdenken herzlich wenig gemein“. Und RCK`s politische Position sei ambivalent. War er Demokrat? Warum diese Nähe zum Dollfußregime? Wir sehen auf die Hintergründe von Anton Pelinkas Darstellung.

Nach 1960 gab es in Österreich um Otto von Habsburg einen innenpolitisch brisanten Konflikt. Dieser suchte, in Österreich einzureisen. Die Volkspartei wollte es gestatten, dagegen waren die Sozialdemokraten. 1966 erlangte Otto v. Habsburg die Einreiserlaubnis. Er folgte RCK als Präsident der Paneuropa-Union, und so wurde diese als monarchistisch punziert und in diesem Konnex verweigerte die SPÖ-regierte Stadt Wien, den Platz beim Westbahnhof nach R. Coudenhove zu benennen.

Der Konflikt liegt schon weiter zurück: Mit Ende der der Monarchie spaltet sich Restösterreich in drei konträre politische Lager: in die habsburgfreundlichen Christlich-Sozialen, in die habsburg-kritischen Sozialdemokraten und Deutsch-Nationalen (heute: FPÖ- die „Freiheitlichen“). Liberale waren kaum präsent. Restösterreich zweifelt an seiner Existenzfähigkeit, und die politische Polarisierung führt unter Dollfuß zu einem tödlichen Bürgerkrieg, und die Sozialdemokratie wird verboten. Pelinka wagt hier, ideelle Brücken zu bauen, stellt diese höchst strittige Phase fair und lesenswert dar. Faktum ist, dass RCK das Dollfuß-Regime gegenüber Nazi-Deutschland stützt.2

Dieser Hintergrund dürfte Anton Pelinka zur ambivalent-negativen Bewertung von RCK veranlasst haben, und er löst sich darin nicht von einem Denkschema. Ferner zitiert er nicht die große Studie über RCK von Anita Ziegerhofer-Prettenthaler. Kaum erwähnt wird, dass RCK den Antisemitismus und das Nazi-Regime massiv ablehnte und 50 Jahre seines Lebens realistisch- zeitvariabel konkrete Pläne für Europa entwarf und sich beim Aufenthalt in den USA für Europa einsetzte. Dies ist alles andere als Flucht in die Vergangenheit.

1. Hans Högl: Richard Coudenhove. Pan-Europa versus Hitler. In: soziologie heute (Linz) April 2015, S. 6-8.

2.Im Prinzip ist die Paneuropäische Union überparteilich. Sogar der junge Bruno Kreisky war Mitglied (ab 1970 SPÖ-Bundeskanzler).

Für Bruno Kreisky war Richard Coudenhove-Kalergi würdig für den Nobelpreis

Hans H ö g l

Leserbrief zum „Standard-Beitrag“ über R. Coudenhove-Kalergi am 19. Oktober (Vgl. unten neue Ausstellung zu R. Coudenhove-Kalergi)

 Der Gastbeitrag im „Standard“ ist Impuls, sich mit diesem Visionär Europas näher zu befassen, der sich 50-Jahre für die Europa-Idee einsetzte, die Europa-Hymne und Europafahne anregte und den  Bruno Kreisky sehr schätzte. Übrigens: Bruno Kreisky war  Jugend-Funktionär der Paneuropäischen Union. Der „Standard-Beitrag“ bezieht sich auf die 30iger Jahre. Mein Beitrag in der  Zeitschrift „soziologie heute“ (April 2015)  „Richard Coudenhove. Pan-Europa versus Hitler“ macht deutlich, dass der „Standard“-Beitrag Coudenhove politisch unangemessen  punziert. Und dies aufzuzeigen, kann Aufgabe der“Medienkultur“ sein. 

 Lacy Milkovics (früher: Paneuropa- Generalsekretär)  nahm Stellung zum „Standard“-Beitrag: Coudenhove  begab sich 1933 erstmals zu Gesprächen mit Mussolini, der damals als der mächtigste Garant der Unabhängigkeit Österreichs galt. Er versuchte Mussolini für ein paneuropäisches Verteidigungssystem gegen die nationalsozialistische Gefahr zu gewinnen.  Nach vier Gesprächen  scheiterte die Initiative Coudenhoves, als sich Mussolini 1937 für die Achse Rom – Berlin entschied. Vgl. L. Milkovics / W. Pav: „50 Jahre Pan-Europa“ (1972).

RCK hatte auch Kontakte mit der SPÖ. Beim historischen Handschlag   von  Bruno Kreisky mit Otto von Habsburg 1972 sagte Kreisky zu Couden-hove: Eigentlich müssten Sie für die unermüdlichen Bemühungen den Friedensnobelpreis bekommen. „Ich glaube aber, es ist ehrenvoller, den Nobelpreis verdient, aber nicht erhalten zu haben, als ihn erhalten, aber nicht verdient zu haben“. So ORF-Chefredakteur Horst F. Mayer in einem Buch.

Eine AUSSTELLUNG UND ein FACHGESPRÄCH ÜBER  R. COUDENHOVE-KALERGI findet in der VHS Alsergrund – Galileigasse 8   1090 Wien am 8. November um 18:30  statt. Eröffnung durch Martina Malyar, Bezirksvorsteherin. Rund- gang durch die Ausstellung und anschließend ein Gespräch des Autors Dr. Walter Göhring  mit dem Zeitzeugen Lacy Milkovics, früher: Generalsekretär von Paneuropa. Moderation Karl Heinz Wingelmaier, Vorstandsmitglied der Vereinigung für Medienkultur.

Keine Anmeldung nötig, kein Beitrag. Ausstellungsdauer: 9.-15.Nov. werktags 9-21 Uhr.

 

 

 

 

Neues Buch über Visionär Europas: Richard Coudenhove-Kalergi

H a n s   H ö g l

Das neue Buch von Walter Göhring über Richard Coudenhove-Kalergi stellt diesen ins Zentrum. Er widmete dem Thema Europa 50 Jahre seines Lebens. Doch davon verliert die EU-Broschüre Die Gründerväter der EU kein Wort. Dagegen hebt Walter Göhring über Richard Coudenhove-Kalergi (=RCK) hervor: „Diesem stillen und zähen Wirken RCKs während der Kriegsjahre 1940 – 1945 ist es größtenteils zu danken, dass die leitenden Staatsmänner Amerikas sowie dessen öffentliche Meinung vertraut wurden mit dem Wesen und Zielen der Paneuropa-Idee“ (p. 146).

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte RCKs Paneuropa-Idee eine Renaissance. 1947 gründete er die Europäische Parlamentarier-Union (EPU), deren Generalsekretär er wurde. Der Kongress in Gstaad 1947, organisiert von RCK, wird „zur Initialzündung zur Gründung der Europäischen Union“, und die Ideen dieser Pioniere finden sich bei der Gründung des Europarates 1949 wieder (p. 155 ff.). 1949 konnte die EPU die Einrichtung einer Parlamentarischen Versammlung durchsetzen – der europäische Parlamentarismus war geboren.

RCK bahnte die Begegnung von de Gaulle und Adenauer in Reims an und inspirierte so den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 (p. 1 u. 192 f.), und RCK wurde als einziger  Nicht-Politiker zu den Versöhnungsfeierlichkeiten in Reims eingeladen.

Auch EU-Symbole regte RCK an: als Europahymne die „Ode an die Freude“ aus Beethovens IX. Symphonie) (p. 185) und die Europafahne mit 12 Sternen auf blauem Hintergrund (p. 187). Zwischen 1960 -1968 gibt es einen Aktivitäten-Marathon RCKS. Alleine wegen dieser Fakten hätte es RCK verdient, in die genannte EU- Broschüre aufgenommen zu werden.

Walter Göhring hebt hervor, wie sein Friedenspublizist Alfred Hermann Fried den jungen RCK beeinflusste: „Das Lehrbuch für ihn (RCK), mit dem er sich genauestens auseinandergesetzt hat, ist Alfred Hermann Frieds Panamerika.“ Zu breit geriet dem Autor die Verwurzelung von RCK im Freimaurertum.

Zur Unparteilichkeit der Paneuropäischen Union: Der Autor zeigt den Bezug von Österreichs Sozialdemokraten zur Paneuropäischen Union auf, so war der junge Bruno Kreisky ein frühes Mitglied. Dargelegt werden auch Bezüge von RKC zu Seipel (p.76 ff.). Und es ist Dollfuß, der die Amtswohnung des Bundeskanzlers in der Hofburg der Paneuropäischen Union zur Verfügung stellt (p. 83). RCK durchschaut anfangs nicht klar die schrittweise Umsetzung von Hitlers Konzept der „Lebensraumerweiterung“ (p. 127).

Die Kriegsjahre verbringt RCK überwiegend in den USA. Historisch bedeutend sind die Phasen nach dem 2. Weltkrieg mit intensiver, internationaler Hintergrundarbeit und unermüdlichem Wirken von RCK. Auch dem großen Beitrag der Frauen im Umfeld von RCK wird Aufmerksamkeit geschenkt.

In das Werk schlichen sich einige Fehler und Verwechslungen ein, so bei den Bildunterschriften und bei den Frauen, die im Leben von RCK von Bedeutung sind. Heinrich Drimmel legte 1967 seine Tätigkeit bei Paneuropa zurück. Dafür werden unterschiedliche Gründe angegeben: Zum einen seien es Ereignisse, die insbesondere mit Karl Renner zu tun (p. 199) hatten, zum anderen sei es „wegen Otto Habsburg“ (p. 212) gewesen.  Unklar ist, warum der Autor dem Projekt „Groß-Europa“ von Herbert Kraus (p. 254-264) so breite Aufmerksamkeit schenkt.

Den Dank für die überaus intensive Mitarbeit des Zeitzeugen und Vertrauten von RCK, nämlich Lacy Milkovics, drückt der Autor sehr knapp schriftlich aus (p. 270). Es fehlt dessen Erwähnung im Namensregister, und es irritierte die fehlende Begrüßung bei der Buchpräsentation. Auch der Coudenhove-Festakt 2013 im Haus des Europäischen Parlaments, initiiert von der Vereinigung für Medienkultur, wurde nicht erwähnt (Vgl. Science@orf.at   23.10.2013). Dieser motivierte den Autor, sich auch mit RCK zu beschäftigen – abgesehen von Alfred Fried.

Nicht erwähnt wird, dass Jörg Haider einige Jahre Vize-Präsident der Paneuropäischen Union war.

Aufschlussreich sind im Werk die Kästchen, in denen Positionen von Parteien und Personen zur Paneuropa-Idee gegenübergestellt werden (p. 104), und recht übersichtlich sind die unterschiedlichen Perspektiven auf ein neues Europa in der Mitte der 1950er Jahre – von RCK, Charles de Gaulle und von Schuman, Spaak, Monnet (182). Alles in Allem rückt das Werk RCK  wieder in den Blick, und dies in einem angenehm flüssigen Stil.

RCK war Europäer par excellence: Altösterreicher von Geburt, dann tschechischer Staatsbürger (er bekam von Präsident Masaryk einen Diplomatenpass) und wurde Franzose und erhielt eine Pension im Range eines Botschafters, stillschweigend veranlasst durch Präsident De Gaulle.

Göhrings Buch bietet eine Reihe neuer Erkenntnisse, und das Werk ist eine zeitgeschichtliche Fundgrube. Walter Göhring ist Historiker, Publizist und Erwachsenbildner, und es entstanden parallel zum Buch pädagogisch wertvolle Ausstellungstafeln.

Walter Göhríng: Richard Coudenhove-Kalergi. Ein Leben für Paneuropa (Wien 2016, Verlag Kremayr & Scheriau). Quellenangaben und Namensregister, 288 Seiten.