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Brodelndes Wien 1913

Das jüngst im Molden Verlag erschienene Buch von Günther Haller „Café Untergang. Stalin, Hitler, Trotzki, Tito 1913 in Wien“ bietet spannende Lektüre.

Hans Högl

Der Historiker Günther Haller erörtert in sorgfältiger Recherche das brodelnde Wien kurz vor dem Ausbruch des 1.Weltkrieges im Jahr 1913, wo Stalin, Hitler, Trotzki und Tito leben und nur zwei sich begegnen. Hitler und Stalin kommen aus der Peripherie ihrer Staaten und steigen zu Diktatoren auf. Schon v o r Juni 1914 – dem Attentat an Erzherzog Franz Ferdinand- bestehen massive politische Spannungen zwischen der K.u.k-Monarchie mit Serbien. Maßgebliche Personen drängen Kaiser Franz Josef zum Krieg mit Serbien bereits v o r dem Attentat.

Wer in diesem Buch liest – voll in Spannung gehalten – staunt über die Details. Es gab in Wien damals so viele Russen wie in einer Kleinstadt. Der Autor suchte sogar die Meldezettel heraus, und schildert Näheres über die berühmten Migranten, Adressen, wo sie wohnten, so Stalin in einer bequemen Pension in der Schönbrunnerstraße 30. Eine Gedenktafel erinnert bis heute daran. In anderen Staaten wurden solche Erinnerungstafeln entfernt (S. 178 f.). Stalin nennt sich Stavros Papadopoulos und trägt manchmal in Verkleidung eine zaristische Uniform (S. 19).

Stalin und Trotzki schätzen einander nicht. Der weltmännische Trotzki (S. 44) spricht fließend Deutsch und Französisch, trägt schwarze Anzüge und weiße Manschetten. 1905 wurde er bei einem misslungenen Aufstand in Petersburg verhaftet. Auf dem Weg in die sibirische Verbannung gelang ihm die Flucht. Von 1907 bis 1914 lebte Trotzki in Wien, er wuchs in einem ukrainischen Dorf nicht weit von Cherson auf (S. 79). In Wien hielt er sich mit journalistischen Arbeiten über Wasser.

Nicht nur Trotzki, sondern auch Stalins Helfer in Wien bei der Nationalitätenfrage, Nikolai Bucharin, werden eines Tages durch Stalin vernichtet. Bucharin – ein Gegenpol zu Stalin- wurde nach einem Schauprozess am 13. März 1938 ermordet (S. 178).

Josip Broz alias Tito werkt als Schlosser in Wr. Neustadt und wohnt in der Hauptstraße 8. Oft geht er zu Fuß am Wochenende nach Wien. Er wuchs im Nordwesten Kroatiens an der Grenze zu Slowenien auf, als siebtes Kind einer kleinbäuerlichen kroatisch-slowenischen Familie im Dorf Kumrovec bei Zagorlje (S. 36). In Österreich erkannte er, dass die Südslawen zusammenhalten sollten.

Ausführlich wird Trotzkis Person und Leben geschildert. Er verkehrt oft im Café Central in der Herrengasse, und es war Victor Adler, der Einiger von Österreichs Sozialdemokraten, der russischen Migranten Geld zusteckte. Österreichs Polizei verhielt sich zu Migranten zurückhaltend, dazu drängten sie die Wiener Touristiker. So waren hier politische Revolutionäre sicherer als in Deutschland. Verwaltet wurde dieses Land von der „besten Bürokratie“ Europas, so Robert Musils Urteil über Kakanien, über jenen Staat, „der in vielem ohne Anerkennung vorbildlich gewesen ist “ (S. 1231). Im Buch wird die Monarchie im allgemeinen kritischer dargestellt als bei Stefan Zweigs „Welt von gestern“ .

Stalin kam im Auftrag Lenins nach Wien. Er soll die Nationalitätenfrage studieren. Und Stalin verfasste dazu eine Schrift, aber bei ihm blieb vom Begriff Nationalität wenig übrig. Was sollte er damit anfangen? Sein Fazit: „Es gibt keine Nationen, es gibt nur die internationale Gemeinschaft der Arbeiter.“ Für das Fortschreiten der Weltrevolution erschienen die Interessen der kleinen Nationen und Völker bald nur noch hinderlich“ (S. 147). „Der Marxismus setzt an die Stelle jeglichen Nationalismus den Internationalismus, die Verschmelzung in einer höheren Einheit“, hieß es bei Lenin. Damit war der Weg quasi zu einem zentralistischen Einheitsstaat gebahnt. Der Georgier Stalin dekonstruierte den Begriff Nationalität auf Null. Die Nation galt ihm als Erfindung der kapitalistischen Klassen, das „Vaterland“ als Instrument der Bourgeoisie zur Ausbeutung der Arbeiterschaft, die Religion als Mittel zur Verblödung des Volkes, die Moral als Zeichen dummer Schafsgeduld. „Es gab rein gar nichts, was nicht in den Kot einer entsetzlichen Tiefe gezogen wurde“.so Günther Haller (S. 177).

Der Staatsrechtler Edmund Bernatzig schrieb zur Nationalitätenfrage 1912: Man könne sehr gut fordern, „dass jede Nation alle ihre Angehörigen in einem souveränen Staat vereinigen können soll. Doch sei das in modernen Staaten mit ihrer Gemengelage verschiedener Nationalitäten unmöglich.“ Also müsste Politik Staat und Nationalität miteinander in Einklang bringen. In Österreich gebe es acht Nationalitäten…. Bernatzig hielt den Ausgleich von 1867 insofern „als unbegreiflichen Fehler“, weil Deutsch nicht als Amtssprache festgelegt wurde. Die Lösung sah er in „nationaler Autonomie“, wobei das Gleichheitsprinzip und die gemeinsame Verständigungssprache gewahrt werden (S. 122 f. ). Doch die Slawen lehnten eine Assimilation in der Monarchie ab. Das allgemeine, gleiche Wahlrecht wurde 1907 eingeführt. Doch Kaiser Franz Joseph konnte sich „zeit seines Lebens nie mit der Institution des Parlaments anfreunden“ (S. 127).

Fernsehen macht blöd. Nein – so einfach ist es nicht! Doku über England

Der Kultur–Sender ORF III verglich in drei Dokumentationen die großen Rivalen Churchill und Hitler, und deren Qualität ist alleine ein Beweis, wie wertvoll Fernsehen sein kann. Viele von uns tun dies zeitversetzt.

Hans Högl

Bemerkenswert geschickt stellte ORF III Fotos von Churchill und Hitler gegenüber – beginnend von der Kindheit. Beide liebten es, Landschaften zu malen, beide waren schon im 1. Weltkrieg verwickelt.- Nach dem Sieg über Frankreich unterbreitete Hitler am 19. Juli 1940 England öffentlich ein Friedensangebot. Dies wurde abgelehnt. Am 8. Mai 1945 war Kriegsende. Churchill war einer der großen Sieger, doch keine drei Monate später war er nicht mehr im Amt. Er hatte den Krieg gewonnen, den Frieden verloren. Es siegte der als farblos geltende Clement Attlee von der Labour Partei.

Wie kam es dazu? Der Hochadelige und Konservative W. Churchill war zwar ein Kriegsheld, hatte aber keinen Sinn für einfache Menschen. Das traf schon in den 30-iger Jahren zu, er verstand die Anliegen der (Berg) Arbeiter nicht. Noch 1945 missbilligte er das Unabhängigkeitsstreben in den Kolonien. Aufgewachsen auf einem Schloss wurde der junge Churchill rundherum bedient. Er war hilflos, als er ein einziges Mal in der U-Bahn fuhr.

Die Briten hatten im Krieg sehr gelitten und hatten 1945 Sehnsucht nach bescheidenem Wohlstand. Dem kam Attlee entgegen, wurde Premierminister und reformierte das Gesundheitswesen. In Mitteleuropa ist uns die englische Klassengesellschaft und diese Variante von Konservatismus fremd. In England wird dann verstaatlicht, wenn Labour regiert und privatisiert, wenn die Tories dran sind. Die Bedeutung des Wortes „konservativ“ ist in England eine andere als in Zentraleuropa, wo nach 1945 beide Großparteien sozialpartnerschaftlich agierten – im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft. Dies in Differenz zu England.

NB: Im Zentrum von London kann jener Bunker besucht werden, wo Churchill mit seinen Generälen die Kriegspläne entwarf

Österreichs Visionär Europas

Hans H ö g l

Der Gastkommentator  im „Standard“ irrte,  als er in Richard Coudenhove-Kalergis Verhalten  Faschismus-Nähe ortete. Dies sei klarer gesagt als in meinem Leserbrief. Der folgende, sehr abgewogene  Leserbrief wurde nicht veröffentlicht. Richtig ist, es wurde ein anderer, der ähnlich argumentierte, publiziert.  

Für Bruno Kreisky war Richard Coudenhove-Kalergi würdig für den Nobelpreis    

 Der „Standard-Beitrag“ ist Impuls, sich mit diesem österreichischen Visionär Europas näher zu befassen, der sich 50-Jahre für die Europa-Idee einsetzte, die Europa-Hymne und die Europafahne anregte und Generalsekretär der Europäischen Parlamentarier Union war und den  Bruno Kreisky würdig für den Nobelpreises erachtete. Übrigens Bruno Kreisky war in seiner Jugend Funktionär der Paneuropäischen Union.

Der „Standard-Beitrag“ bezieht sich im Kern auf die 30iger Jahre. In der Zeitschrift „soziologie heute“ erschien im April 2015 mein Beitrag „Richard Coudenhove. Pan-Europa versus Hitler“. 1929 erkannte R. Coudenhove, dass Hitler das Potential hatte, die unbefriedigte Masse, also in der Situation der Weltwirtschaftskrise, zu manipulieren, und Hitler nannte RCK einen „Allerweltsbastard“.

Zum Konnex R. Coudenhove – Mussolini interviewte ich Lacy Milkovics, den langjährigen Generalsekretär von R. Coudenhove. Seine Stellungnahme:  Coudenhove  begab sich 1933 erstmals zu Gesprächen mit Mussolini, der damals als der mächtigste Garant der Unabhängigkeit Österreichs galt. Er versuchte Mussolini für ein paneuropäisches Verteidigungssystem gegen die nationalsozialistische Gefahr zu gewinnen und sprach sich für einen Ausgleich Italiens mit Frankreich aus. Nach vier Unterredungen scheiterte die Initiative Coudenhoves, als sich Mussolini 1937 für die Achse Rom – Berlin entschied. Vgl. L. Milkovics / W. Pav: „50 Jahre Pan-Europa“ (1972).

RCK hatte als liberaler Republikaner auch Kontakte mit Sozialdemokraten. Zum historischen Handschlag von Bundeskanzler Bruno Kreisky mit Otto von Habsburg am 4. Mai 1972 im Wiener Konzerthaus war auch R. Coudenhove-Kalergi eingeladen. Und Kreisky sagte zu ihm:  Eigentlich müssten Sie für die unermüdlichen Bemühungen den Friedensnobelpreis bekommen. „Ich glaube aber, es ist ehrenvoller, den Nobelpreis verdient, aber nicht erhalten zu haben, als ihn erhalten, aber nicht verdient zu haben“. Dies schrieb ORF-Chefredakteur Horst F. Mayer in einem Buch.  

 

 

Für Bruno Kreisky war Richard Coudenhove-Kalergi würdig für den Nobelpreis

Hans H ö g l

Leserbrief zum „Standard-Beitrag“ über R. Coudenhove-Kalergi am 19. Oktober (Vgl. unten neue Ausstellung zu R. Coudenhove-Kalergi)

 Der Gastbeitrag im „Standard“ ist Impuls, sich mit diesem Visionär Europas näher zu befassen, der sich 50-Jahre für die Europa-Idee einsetzte, die Europa-Hymne und Europafahne anregte und den  Bruno Kreisky sehr schätzte. Übrigens: Bruno Kreisky war  Jugend-Funktionär der Paneuropäischen Union. Der „Standard-Beitrag“ bezieht sich auf die 30iger Jahre. Mein Beitrag in der  Zeitschrift „soziologie heute“ (April 2015)  „Richard Coudenhove. Pan-Europa versus Hitler“ macht deutlich, dass der „Standard“-Beitrag Coudenhove politisch unangemessen  punziert. Und dies aufzuzeigen, kann Aufgabe der“Medienkultur“ sein. 

 Lacy Milkovics (früher: Paneuropa- Generalsekretär)  nahm Stellung zum „Standard“-Beitrag: Coudenhove  begab sich 1933 erstmals zu Gesprächen mit Mussolini, der damals als der mächtigste Garant der Unabhängigkeit Österreichs galt. Er versuchte Mussolini für ein paneuropäisches Verteidigungssystem gegen die nationalsozialistische Gefahr zu gewinnen.  Nach vier Gesprächen  scheiterte die Initiative Coudenhoves, als sich Mussolini 1937 für die Achse Rom – Berlin entschied. Vgl. L. Milkovics / W. Pav: „50 Jahre Pan-Europa“ (1972).

RCK hatte auch Kontakte mit der SPÖ. Beim historischen Handschlag   von  Bruno Kreisky mit Otto von Habsburg 1972 sagte Kreisky zu Couden-hove: Eigentlich müssten Sie für die unermüdlichen Bemühungen den Friedensnobelpreis bekommen. „Ich glaube aber, es ist ehrenvoller, den Nobelpreis verdient, aber nicht erhalten zu haben, als ihn erhalten, aber nicht verdient zu haben“. So ORF-Chefredakteur Horst F. Mayer in einem Buch.

Eine AUSSTELLUNG UND ein FACHGESPRÄCH ÜBER  R. COUDENHOVE-KALERGI findet in der VHS Alsergrund – Galileigasse 8   1090 Wien am 8. November um 18:30  statt. Eröffnung durch Martina Malyar, Bezirksvorsteherin. Rund- gang durch die Ausstellung und anschließend ein Gespräch des Autors Dr. Walter Göhring  mit dem Zeitzeugen Lacy Milkovics, früher: Generalsekretär von Paneuropa. Moderation Karl Heinz Wingelmaier, Vorstandsmitglied der Vereinigung für Medienkultur.

Keine Anmeldung nötig, kein Beitrag. Ausstellungsdauer: 9.-15.Nov. werktags 9-21 Uhr.