Hans Högl. Ein Medientipp
Sehr informativ fand ich die Lektüre der deutschen Zeitschrift „Cicero“. Gelungen sind längere Beiträge, so jener über Russland im Juni-Heft 2018. Auch anderes ist originell, so jener Beitrag über Stephan Weil, den zur Zeit erfolgreichsten SPD-Poliiker; jener über Dominik Frei, den jüngsten
Abgeordneten im tschechischen Parlament; jener über die wechselseitige Indifferenz im deutsch-amerikanischen Verhältnis, dann der Artikel über die zupackende dänische EU-Wettbewerbs-Kommissarin Margrethe Vestager – eine mögliche Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker.
Sehr beeindruckten mich die Russland-Beiträge S.14-31 – mit Interviews, Geschichtlichem, Fotos). Der Focus westlicher Medien ist Außenpolitik. Dieser Beitrag verweist auf doppelte Standards: der Einmarsch der USA und Englands in den Irak wird entschuldigt, die Rückholung der Krim unter Bruch der europäischen Ordnung wird sanktioniert.
Besonders beeindruckten in dem langen Russland-Essay einige Daten: Die Hälfte der Russen ist der Meinung, Russland gehöre nicht zu Europa.
– In Russland halten 60 Prozent Demokratie für wichtig, in Deutschland 90 %, in Russland wünscht sich knapp die Hälfte einen „starken Führer“, in Deutschland 15 %.
– Die Haltung zur Homosexualität ähnelt der in Deutschland vor 25 Jahren. Russland schützt die traditionelle Familie und stellte 2013 Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen unter Strafe. Dazu traf ein Fremdenführer bei meinem Moskau-Besuch die Äußerung, es gehe im Gesetz um Anleitung Jugendlicher zu homosexuellen Verhalten. „Im Übrigen – wir Russen wissen sehr wohl, dass viele Künstler Homosexuelle waren, aber darum geht es im Gesetz nicht.“
Worüber im Westen wenig berichtet wird, ist die Lage der Bevölkerung : Pro Kopf lag das Bruttoinlandsprodukt in Russland im Jahr 2000 bei 1.700 US-Dollar, Ende 2016 waren es 8.700 Dollar. Auch die Realeinkommen sind seit 2000 um mehr als das zweieinhalbfache gewachsen. Die Arbeitslosigkeit sank in 18 Jahren von 10 auf 5 Prozent.
Alles andere als beiläufig ist, dass Russen heute halb soviel Alkohol trinken wie vor einem Jahrzehnt.
Ferner sei nicht übersehen, so meine ich, dass schon wenige Kilometer außerhalb von Moskau und Petersburg sich die Lebenssituation der Menschen völlig anders darstellt als in Großstädten. Es wäre Aufgabe der Korrespondenten, darüber Reportagen zu verfassen.
Nachdenklich stimmt die Äußerung des Putin Vertrauten Wladimir Jakunin, dass im Jahr 2002, von der er sprechen kann, 46 % des russischen BIP in der Hand von acht Familien lag. Da habe Putin doch Akzente dagegen gesetzt (S. 29).