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155 Tote, und niemand ist schuld ?

Dieser Tage jährt sich zum 20. Mal die Brandkatastrophe von Kaprun, bei der im Tunnel der Bahn auf das Kitzsteinhorn im November 2000 155 Menschen qualvoll ums Leben gekommen sind. Die engagierte Journalistin Iris Rahlek hat ein akribisch recherchiertes Buch über Hintergründe, Ungereimtheiten und Spätfolgen der Katastrophe geschrieben.

Udo Bachmair

Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn“ – so der Titel des jüngst erschienen Werks von Iris Rahlek. Es ist an Dichte und Spannung kaum zu überbieten. Es deckt teils himmelschreiende Ungereimtheiten und Vertuschungen auf, die sich im Spannungsfeld von Politik, Justiz, Wirtschaft und Medien mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt haben. Auch wenn Fakten und Fiktion zu einem Roman verwoben sind, ist der dokumentarische Wert von Rahleks nicht zu unterschätzen. Penible Recherchen und neue Erkenntnisse zeichnen Rahleks Werk aus.

Die Opfer der Brandkatastrophe von Kaprun stammten aus 8 Nationen, die meisten aus Deutschland und Österreich. Die Autorin des Buchs stellt unter anderem die Schuldfrage. Kann und darf es denn tatsächlich sein, dass niemand für die „Fahrt in den Tod“ mit 155 verbrannten und an Rauchgasvergiftung verstorbenen Menschen und zahlreichen Verletzten verantwortlich sein soll ? Alle Angeklagten im Kaprun-Prozess, vor allem der Gletscherbahnen-AG wurden damals freigesprochen.

Dabei war menschliches Versagen als Ursache für die Katastrophe für die meisten Experten bald klar : Ein defekter Heizlüfter im Führerstand der Standseilbahngarnitur „Kitzsteingams“ hatte den Brand ausgelöst. Doch keinem der Beschuldigten der Gletscherbahnen Kaprun konnte eine direkte Schuld an der größten zivilen Katastrophe der Zweiten Republik nachgewiesen werden. Man verwies auf die damalige Rechtslage, die einen Schuldspruch für die gesamte Aktiengesellschaft nicht vorgesehen hätte.

Der Freispruch ist auch von den Medien nicht unwidersprochen geblieben. Vor allem deutsche Zeitungen haben wiederholt auf Ungereimtheiten bei den Ermittlungen hingewiesen. So sei beispielsweise das Hauptbeweisstück, der erwähnte Heizlüfter, auf dem Weg vom Innenministerium zum Landeskriminalamt Salzburg und zu den Gerichtsgutachtern monatelang nicht nachvollziehbar gewesen.

Aus den vielen Pannen im Kaprun-Prozess, die Iris Rahlek auflistet, und dem für viele unverständlichen Freispruch ziehen auch andere Journalist*innen den Schluss, dass starke wirtschaftliche Interessen eine wesentliche Rolle gespielt haben könnten. So meint etwa Hannes Uhl in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit: „Der Freispruch ist erfolgt, weil man um das Image des Tourismus fürchtete – wie heute in Ischgl“.

Exklusiv in Iris Rahleks Buch kommt u.a. zur Sprache, dass laut dem deutschen Sachverständigen Hans-Jürgen Gold beim Kaprun-Prozess gelogen, vertuscht und manipuliert worden sei. Gold erstattete daraufhin -zig Anzeigen und untermauerte diese mit hunderten Seiten von Gutachten. Der Wiener Opferanwalt Mario Grabovsnig ging sogar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

„Alles wurde von der Justiz niedergeschmettert – trotz unzähliger Beweise. Wirklich eine unglaubliche Geschichte!“ resumiert die Autorin.

„Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn“ – Roman von Iris Rahlek

Herausgegeben von Books on Demand

Wohin steuert Österreichs Medienlandschaft ?

In der hohen Medienkonzentration hierzulande sehen kritische Beobachter*innen nicht zuletzt auch eine große demokratiepolitische Gefahr. Die Journalistin Iris Rahlek hat zur Causa folgenden leicht gekürzten Gastkommentar (ausgewählt von Udo Bachmair) verfasst:

ÖSTERREICH QUO VADIS ?

Iris Rahlek*

Eine Demokratie lässt sich anhand freier Meinungsäußerung, Pressefreiheit und unabhängiger Medien definieren. Medien sollten nicht den Regierenden, sondern den Bürgern verpflichtet sein und als Kontrollinstanz über das politische Geschehen agieren. Freie und unabhängige Massenmedien sind somit als die vierte Gewalt ein wichtiger Teil jeder Demokratie.

Und der österreichische Journalismus? Von regierungstreuer Hofberichterstattung bis hin zum medialen Einheitsbrei – so lassen sich die Beiträge über die türkis-grünen Tätigkeiten in Österreichs Medien insbesondere seit der Corona-Krise zusammenfassen. Einige, nur wenige übrig gebliebene kritische Journalisten sehen die Medienlandschaft in Österreich besorgt: Medienkonzentration und Gleichschaltung werden immer konkreter!

Die Änderungen haben in Österreich vor mehr als zehn Jahren begonnen – zunächst mit meist harmloseren Auswirkungen. Da wurde angefangen, ältere und erfahrene/kritische Journalisten in Altersteilzeit zu schicken, da sie den Unternehmen zu teuer geworden waren. Sie wurden ersetzt durch junge, völlig unerfahrene, aber billige Journalisten/Redakteure, die zudem leichter zu lenken waren. Ihnen wurde ein Pressetext vorgelegt, den sie meistens ohne zu hinterfragen übernahmen. Wer sich nicht dem Vorgeschriebenen beugen wollte, konnte gehen, denn junge, billige Redakteure gab/gibt es genug, und die Medienarbeit ist in Österreich sehr begrenzt.

Was sich derzeit aber in den vergangenen Monaten in Sachen Pressefreiheit in Österreich abspielt, ist von einer anderen Qualität und die Fortsetzung jenes Kurses, der ab Dezember 2017 von der damaligen türkis-blauen Bundesregierung eingeschlagen wurde. Es begann mit der sogenannten „message control“. Mit einer Armada an Presse- und PR-Mitarbeitern tat die ÖVP/FPÖ-Regierung alles in ihrer Macht stehende, damit medial möglichst nur jene Themen behandelt werden, die sie behandelt haben wollten. Und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache offenbarte in dem verhängnisvollen Ibiza-Video, er wolle mithilfe der Millionen einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte die Kronenzeitung, die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung, unter Kontrolle bringen, missliebige Journalisten – zack, zack, zack – auf die Straße setzen und diese durch FPÖ-Günstlinge ersetzen. So würde die FPÖ stärkste politische Kraft im Land.

In einer nach dem Ibiza-Skandal durchgeführten Journalistenumfrage erklärten 45 Prozent der österreichischen Journalisten, sie sehen die Pressefreiheit in Gefahr. In Deutschland waren 35 Prozent der Kollegen derselben Meinung, in der Schweiz nur 16 Prozent. Und wenn jetzt eine neue Umfrage durchgeführt würde, stünden die Ergebnisse in Österreich noch schlechter.

Sebastian Kurz ist an die Macht gekommen, um zu bleiben. Dazu braucht er eine Medienlandschaft, die auf seiner Linie ist. An diesem Ziel hält er fest: Er hat sich ein eigenes Netzwerk aufgebaut und fast alle Medien spielen mit. Wer kritisch berichtet, wurde von Türkis-Blau jetzt Türkis-Grün auch mit der Streichung von Inseraten bestraft.

Wegen Corona mussten viele Medien mit Verlusten kämpfen. Die Wirtschaft stockte und es wurde weniger inseriert. Die Regierung kündigte an, diese Ausfälle abzufedern und hat 20 Millionen Euro für die „Schau auf dich – schau auf mich“ Kampagne ausgeben. Im Zuge dessen hat das Bundeskanzleramt seine Werbeausgaben verzehnfacht. Profitiert hat vor allem die regierungsfreundliche Presse. Nun wurde öffentlich, wohin die Gelder geflossen sind. Die großen Stücke bekam der regierungsfreundliche Boulevard – für regierungskritische Medien blieb nur sehr wenig.

Die Eigentümer-Struktur der Druck-Medien in Österreich zeigt vor allem eines: Raiffeisen, die katholische Kirche und einige wenige Familien besitzen den Großteil der hierzulande konsumierten Produkte und stehen der ÖVP beziehungsweise Kurz sehr nahe.
Raiffeisen ist die Hausbank der ÖVP, und der Raiffeisen-Konzern ist auch ein gut vernetzter und starker Player am österreichischen Zeitungs-Markt. Er besitzt über 50 Prozent der Tageszeitung „Kurier“. Die restlichen 50 Prozent besitzt die „WAZ Ausland Holding GmbH“. Diese gehört wiederum zur Hälfte dem deutschen Zeitungs-Konzern „Funke Medien“. Die andere Hälfte gehört der SIGNA Gruppe und damit dem österreichischen Milliardär Benko. Dieser gehört zum „inneren Kreis“ von Kanzler Kurz und berät ihn beispielsweise in Wirtschaftsfragen. Über seine Anteile an der WAZ hat Benko auch bedeutenden Einfluss auf die „Kronen Zeitung“. In Österreichs bedeutendstem Printmedium bekam Sebastian Kurz im Wahlkampf 2019 laut „Media Affairs“ mehr Reichweite als alle anderen Spitzenkandidaten zusammen.

Und wie sieht es auf dem Fernsehmarkt aus? Türkis-blau erhöhte Anfang 2019 die Presseförderung für Privatfernsehen um satte 20 Millionen Euro. Der Platzhirsch in diesem Revier, die Pro7-Gruppe, zu der Puls 4, Puls 24, ATV 1 und ATV 2 gehören, erhielt dank der Erhöhung 2019 4,22 Millionen vom Staat. Im Wahlkampf ereignete sich dann Seltsames: Der Auftritt von Sebastian Kurz in der „Puls 4 Wahlarena“ wurde spontan um die Hälfte verlängert – auf Kosten der Auftritte von politischen Konkurrenten.

Auf das Vorgehen angesprochen sagte der zuständige Sendungsleiter achselzuckend: „Sebastian Kurz bringt eben mit Abstand die beste Quote.“ Doch wie sich herausstellen sollte, stimmte das gar nicht. Andere Spitzenkandidaten bekamen auf schlechteren Sendeplätzen ähnliche Zuschauerquoten.

Auch der ORF steht unter massivem Druck. „Es hat eine brutale Neuorganisation im Unternehmen gegeben, und es gibt sie nach wie vor.“, sagt ORF-Betriebsratsvorsitzender Gerald Moser. Die Umfärbungen zeigen Wirkung: ORF Redakteursvertreter Dieter Bornemann spricht angesichts auffällig regierungsfreundlicher Sendungen über „großen Ärger in den Redaktionen“. Manches habe den Charakter unkritischer Belangsendungen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Medienkonzentration in Österreich fortsetzt und die Pressefreiheit über kurz oder lang auf der Strecke bleibt. Medienpolitik als Machtpolitik haben Sebastian Kurz und sein langjähriger Kommunikator Gerald Fleischmann nicht erfunden. Sie stehen in langer österreichischer Tradition von Einflusshoffnung auf den ORF und des Buhlens um andere Medien, vor allem den Boulevard. Es hat aber Seltenheitswert, dass ein Bundeskanzler und seine Konsorten derart die Medien kontrollieren und starken Einfluss darauf nehmen. Interventionen stehen auf der Tagesordnung, wenn man nicht nach dem Willen des Kanzlers spurt. Orbanismus lässt grüßen!

*Iris Rahlek lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Salzburg. Ihr jüngstes Buch mit dem Titel „Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn“ liefert neue Erkenntnisse und Enthüllungen zur Kaprun-Katastrophe vor genau 20 Jahren ( Buchrezension folgt! )