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Reiche Gebildete überschätzt

EU-Wahl – ein demokratiepolitischer Lernprozess? Wohin soll die Reise gehen? Bange Fragen rund um die Rolle von Bildung.

Ilse Kleinschuster *

Die Politikwissenschafterin und Demokratieberaterin Tamara Ehz im Ö1-Morgenjournal sieht eine Korrelation zwischen Wahlbeteiligung und dem Ergebnis von Wahlen: Wenn vor allem „die gut Gebildeten“ immer brav wählen gehen, so bildet sich ein verzerrtes Bild, sagt sie (ich vermute, letztlich hat Frau Ehz wohl Menschen gemeint, die sozioökonomische Ungleichheit repräsentieren!) – und, die Politiker richten ihr Wahlprogramm dementsprechend aus. Daraufhin werden diese wahlmäßig Unterrepräsentierten unzufrieden und meinen, die Politiker tun ohnedies nichts für uns, also gehen wir gar nicht zur Wahl. Ein Teufelskreis? – Die wahlpolitischen Folgen sind bekannt. Die Wahlbeteiligung ging in den letzten Jahren zurück, die Nichtwähler*innen sind die größte Gruppe! Eine starke Wahlbeteiligung sei aber wichtig für eine Institution wie das EU-Parlament, so Tamara Ehz im Morgenjournal vom 8.6. 2024.

Tja, zunächst war es für mich irritierend, dass eine akademisch gebildete Demokratieberaterin die Definition „gut Gebildete“ für eine nicht bis schlecht repräsentierte Wählerschicht verwendet. Bildung, so meine ich, ist doch weder ein Patentrezept gegen Armut noch eine Grundvoraussetzung zur Vermögensbildung in größerem Stil, denn weder Firmengründer noch -erben benötigen höhere Bildungsabschlüsse für die Mehrung ihres Reichtums. Ich habe da einer Studie von Ulrich Schneider („Wer sind die Armen! – von falschen Bildern und neuen Daten, in Soziale Sicherheit 12/2018, S.450) entnommen, dass sich das geläufige Vorurteil, die Einkommensarmen seien ungebildet, empirisch widerlegen lässt, denn 56% von ihnen weisen ein mittleres und weitere 7,1% sogar ein hohes Qualifikationsniveau auf, was laut ihm bedeutet: „Bei fast drei Viertel der Armen dürfte das Bildungsniveau nicht die Ursache für die prekäre Einkommenssituation darstellen.“

Bildung wird demnach, hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Ungleichheit zu begrenzen, maßlos überschätzt. Sie ist offenbar kein Wundermittel, um die materielle Unterprivilegierung bestimmter Bevölkerungsschichten auszugleichen. Das hat wohl stark mit dem familiären Migrationshintergrund zu tun (siehe Arbeits- und Ausbildungsplätze, die aufgrund rassistischer und antisemitischer Vorurteile Kindern aus solchen Milieus trotz höherer Bildung oft nicht zu Verfügung stehen). Das mag wohl auch ein wesentlicher Grund für die Erosion unserer Gesellschaft sein. Die Zunahme chronisch unterfinanzierter öffentlicher Bildungsbereiche – hat sie nicht auch zur Herausbildung abgeschirmter Gesellschaftskreise geführt? Bildung, die zu einer Handelsware herabgewürdigt wird, hatte ein Schulwesen zur Folge, geprägt von sozioökonomischer Ungleichheit und einer stärkeren Klassenspaltung der Gesellschaft. Diese wachsende Ungleichheit ist wohl das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der Menschheit insgesamt.

Es ist heute kein Problem mehr von Arm und Reich, sondern es ist ein Problem von Rassismus und Antisemitismus. Das ist auch im sg. Sylter Weckruf stark hervorgehoben, wenn der Slogan „Reichtum schützt vor Dummheit nicht“ bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Essen zu lesen war. Für Österreich zeigen die Ergebnisse des Demokratie-Monitors von SORA/FORESIGHT, dass auch im Drittel der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen die Zufriedenheit mit dem politischen System seit 2018 deutlich gesunken ist. Auch antidemokratische und autoritäre Einstellungen sind unter den Privilegierten relativ weit verbreitet. So stimmen 14% der Aussage zu, „es sollte einen starken Führer geben. 9% dieser Gruppe sprechen sich für eine „Diktatur auf Zeit“ aus, die uns in den kommenden fünf Jahren aus der Krise führt, zudem sprechen sie sich gegen „unsere parlamentarische Demokratie“ aus. Der Professor für Allgemeine Soziologie, Jörg Flecker dazu: „Es ist zu befürchten, dass uns die Ergebnisse der extremen Rechten bei den Wahlen zum Europäischen Europaparlament anschaulich zeigen, wohin die Reise geht.“ – Werden wir daraus lernen?!?

*Gastautorin Ilse Kleinschuster ist Journalistin und ein besonders engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft

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