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Möglichkeit einer Karthasis

Der Antrag des Internationalen Strafgerichtshofes auf Haftbefehl gegen Israels Kriegs-Premier Netanjahu hat eine Welle von Empörung und Unverständnis in österreichischen Medien ausgelöst.

Walter Baier *

Der Spin, den die österreichischen Medien ihren Berichten über den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Benjamin Netanjahu geben, ist, nicht über dessen Begründung, das heißt die im Gaza-Streifen von der israelischen Armee begangenen Verbrechen zu reden, sondern über die Schutzbehauptungen des Beschuldigten. Dabei ist das Argument, dass durch den gleichzeitig erlassenen Haftbefehl gegen die Hamas-Führer eine Gleichsetzung erfolge, in zweierlei Hinsicht falsch. Erstens, weil bei der Unzahl der täglich ausgestellten Haftbefehle bisher niemand auf die abstruse Idee gekommen ist, es sei eine Gleichartigkeit der verfolgten Delikte unterstellt. Und zweitens, weil Massenmord eben Massenmord, Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eben Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Punkt. Der Versuch davon abzulenken, kommt einem Eingeständnis der Sachverhalte gleich.

Im Falle Netanjahus reden wir von der politischen Verantwortung für 35.000 tote Palästinenser*innen, zwei Drittel Zivilist*innen, darunter 10.000 getötete Kinder, dem Erdboden gleichgemachte Städte und eine auf viele Jahre unbewohnbare Landschaft. Ob dies von der internationalen Gemeinschaft als ein Völkermord qualifiziert wird, wird der Internationale Strafgerichtshof demnächst entscheiden. Allein, dass diese Beschuldigung vom Gericht als plausibel zugelassen wurde, zeigt, was Netanjahu aus Israel gemacht hat.
Die Haftbefehle gegen die Verantwortlichen sind in beiden Fällen sachlich gerechtfertigt. Israel und die wahren Freund*innen des israelischen Volks sollten sie als Möglichkeit einer notwendigen Katharsis verstehen.

* Dr. Walter Baier ist Friedensaktivist und Politiker sowie Autor zahlreicher Veröffentlichungen vorwiegend zu Themen des Sozialismus. Seit 2022 ist er Vorsitzender der Europäischen Linken.

Mit zweierlei Maß

In einer KURIER-Analyse vom 22.2.2024 werden Ähnlichkeit und Vergleichbarkeit der Fälle Assange und Nawalny in Frage gestellt. Diese Position gilt es zu hinterfragen.

Udo Bachmair

„Was Nawalny passiert ist, kann auch Julian passieren“ äußerte sich Assanges Ehefrau Stella zu Recht besorgt. Westliche Politik und Medien bemühen sich nun hartnäckig, diese These zu falsifizieren. Als ein Beispiel von mehreren sei Caroline Ferstls Analyse „Assange, der Nawalny des Westens“ jüngst im KURIER herausgegriffen.

Die Autorin kritisiert an der Äußerung von Stella Assange, diese würde damit das US-Justizsystem mit dem im autoritären Russland gleichsetzen. Man fragt sich sehr wohl, wo denn da im Gefängnisalltag der große qualitative Unterschied zu russischen Straflagern liegen soll. Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es da wie dort Berichte über Folter.

Und warum erscheint der Autorin die Einschätzung, dass auch Assange politischer Gefangener ist, so weit hergeholt? Diese Charakterisierung liegt ja klar auf der Hand. Assange hat sich mit seinen Recherchen über brutale Einsätze in Angriffskriegen der USA natürlich den Zorn und Hass der US-Führung zugezogen, die ihn nun lebenslänglich ausschalten will.

Es fällt auf, dass in dieser KURIER-Analyse kein einziges Mal das Wort „Kriegsverbrechen“ vorkommt, die Julian Assange mutig aufgedeckt hat. Das Wording „Kriegsverbrechen“ und „Kriegsverbrecher“ scheint nur für Russland oder Putin reserviert zu sein, nicht jedoch für die USA oder George Bush. Der schon sattsam bekannte außenpolitische Einheitsbrei westlicher Medien lässt Letzteres freilich nicht zu.

Ja, und woher will denn die Autorin der Analyse so genau wissen, dass die Anklagepunkte gegen Assange „strafrechtlich haltbar“ sind? Müsste diese Schlussfolgerung nicht auch für den Fall Nawalny gelten? Denn auch dem russischen Regimegegner werden Spionage und Geheimnisverrat vorgeworfen. Dies stellt ebenfalls eine Vergleichbarkeit der beiden Fälle dar.

Eine weitere Ähnlichkeit ist die der Existenzbedrohung. So ist zu befürchten, dass der „freie und menschenrechtsorientierte“ Westen, im Besonderen die USA, Assange sehenden Auges einem Mord auf Raten im harten US-Strafvollzug ausliefern werden. „Was Nawalny passiert ist, kann auch Assange passieren.“ So falsch kann diese These also nicht sein.

Kommt hinzu, dass ein negativer Ausgang der Causa Assange, sprich ein aus den Motiven Hass und Vergeltung resultierendes lebenslanges Wegsperren eines politisch unliebsamen Investigativjournalisten kein unwesentliches Kriterium für die Chancen künftiger Meinungs- und Pressefreiheit sein wird.

Ukraine und Gaza : Beendet das Töten!

Gerade im Krieg zeigt sich, wie auch bei Intellektuellen in Wirklichkeit der Bauch regiert. Die vermeintliche Unmöglichkeit von Verhandlungen ist bloß Scheinrationalität.

Wolfgang Koppler *

In der gestrigen ORF- Nachrichtensendung ZiB2 wieder einmal ein Interview mit einem Experten zum Ukrainekrieg. Diesmal war es Stefan Lehne von Carnegie Europe, dem Brüsseler Ableger eines US-Thinktanks. Zuständig für EU-Außenpolitik wurde er zum jüngsten EU-Rat zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine befragt. Angesichts der festgefahrenen Situation erkundigte sich Moderator Thür nach der Möglichkeit einer Friedenslösung- Putin wolle nicht, meint Lehne, „Sie haben ihn doch gerade im Beitrag gehört, es gibt keine Vermittlung“.

Was man im zuvor geschalteten Beitrag über eine Pressekonferenz Putins gehört hatte, war, dass dieser eine Neutralität und eine Entnazifizierung der Ukraine gefordert hatte. Ersteres wurde bereits im Frühjahr letzten Jahres verhandelt und „Denazifizierung“ ist eine mehr oder weniger stehende Redewendung Putins, die damals auch kein Hindernis für Verhandlungen war. Zudem gab es in den letzten Monate mehrere Signale seitens Putins, die auf Gesprächsbereitschaft hindeuten.

Wie schal und wenig stichhaltig die Behauptung von der Aussichtslosigkeit oder gar Unmöglichkeit von Verhandlungen ist, zeigt ein Artikel in Deutschlandfunk.de vom Februar heurigen Jahres unter dem Titel „Lässt sich der Frieden mit Russland verhandeln“. Als Argumente dient eigentlich nur die Behauptung, dass die die Ukraine „mit dem Rücken zur Wand und ihre Existenz als Staat auf dem Spiel“ stehe“ und der Verweis auf Kriegsverbrechen. In der Folge werden dann nur mehr die Ansichten und Befürchtungen der Kriegsparteien angeführt.

Weshalb die Existenz der Ukraine derzeit wirklich gefährdet sein soll, ist mir nicht ganz einsichtig. Vor allem aber stellt sich die Frage, weshalb ein Waffenstillstand und Verhandlungen die Ukraine mehr gefährden sollten als die Weiterführung des Krieges. Das Argument der Militärs, dass sich dann die russische Armee neu aufstellen bzw. erholen und ihre Position verbessern könne, gilt genauso für die Ukrainer. Weitere militärische Abenteuer sind angesichts der Schwächung Russlands ziemlich unwahrscheinlich. Und was Kriegsverbrechen betrifft, so ist dies ein rein emotionales „Argument“, zumal seit den Verbrechen von Butscha auf beiden Seiten Hunderttausende gestorben, verwundet und verstümmelt worden sind und auch Menschen in anderen Ländern unter diesem Krieg leiden. Reicht das Politik und Medien immer noch nicht ? Während hunderte Milliarden in diesen Krieg fließen, die im Klimaschutz und in der Entwicklungszusammenarbeit fehlen.

Und was die Angst vor einem Nachlassen der Unterstützung im Westen betrifft: Der derzeitige Abnützungskrieg schafft viel mehr Kriegsmüdigkeit und Unwillen als die Bereitschaft zu kreativen Lösungen. Die ja bis zur Befreiung von Kiew sehr wohl bestanden hat. Da wurde sogar während des Krieges verhandelt. Etwa über ein Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Bis die ukrainische Führung die Verhandlungen abbrach.

Aber jetzt wäre es an der Zeit, das Töten zu beenden. Ob im Ukrainekrieg oder im Gazastreifen. Und die Scheinrationalität.
Warum sind Biden und Blinken im Fall des Ukrainekriegs so blind ?

Not in our names.

https://www.deutschlandfunk.de/verhandlungen-ukraine-russland-100.html

* Mag. Wolfgang lebt als Journalist und Jurist in Wien.