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Journalismus und Wahrheit

„Was ist wahr?“ war die Fragestellung der diesjährigen Fresacher Toleranzgespräche. In diesen Tagen erscheint das dazugehörige Jahrbuch. Einer der darin enthaltenen Beiträge widmete sich der „Wahrheitsfindung im Journalismus“.

Udo Bachmair *

Die Inanspruchnahme einer absoluten Wahrheit (im theologischen Sinn) ist und kann nicht Gegenstand journalistischer Arbeit sein. Seriösem Journalismus geht es vielmehr um den Versuch einer größtmöglichen Annäherung an die Wahrheit. Ein solcher Versuch kann u.a. mittels Recherchen aus einer Vielfalt auch alternativer Quellen erfolgen sowie durch unermüdliches Bemühen um Differenzierung. Dazu gehört nicht zuletzt ständiges Hinterfragen von Wirkung und Bedeutung traditionellen und wiederholt verwendeten Sprachgebrauchs.

Einige Beispiele dafür:

Menschen, die die wachsende Kriegsrhetorik in Politik und Medien ablehnen und auf Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg drängen, als „Putinunterstützer“ und „russische Trolle“ verächtlich zu machen, auch wenn sie gleichzeitig den Krieg gegen die Ukraine klar verurteilen, erscheint als eine der Verzerrungen von Wahrheit in der Berichterstattung. Sich in die jeweilige Interessens- und Bedrohungslage von Kriegsgegnern hineindenken zu können und daraus differenzierende Schlüsse zu ziehen, würde wahrheitsorientierten Qualitätsjournalismus ausmachen.

Ein Krieg ist immer auch ein Informationskrieg und beide Kriegsparteien machen Kriegspropaganda, unabhängig davon, wer nun der Aggressor und wer das Opfer ist.

westliche Medien stellen ukrainische Kriegspropaganda meist als Fakten dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Seriöse Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum eruierbar. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen zum Kriegsverlauf überhaupt anzugeben, was leider in Medien selten passiert.

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dazu tragen auch einzelne Begriffe und Worte bei, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt wahrscheinlich nur wenigen auf, dass Äußerungen von russischen Politikern tendenziell mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No Go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht und Kriegspropaganda verbreitet.

Apropos „Angriffskrieg“: Dieser vor allem von APA und ORF ständig wiederholte Begriff wird kontraproduktiv dann, wenn er allzu inflatiönär verwendet wird. Denn es könnte dadurch bei MedienkonsumentInnen der Eindruck eines von oben verordneten und verpflichtenden Wordings entstehen. Die Bezeichnung „US-Angriffskrieg“ etwa für den Überfall der USA auf den Irak und andere Staaten der letzten Jahrzehnte wäre in westlichen Medien wohl auch heute noch unerwünscht bis verpönt.. US-Kriege waren nach offizieller Lesart ja meist „Befreiungskriege“..

Ähnlich beliebt in Politik und Medien ist die häufige Verwendung des Attributs „Terror“. Es ist wahr, dass etwa die Hamas zu Recht als Terrororganisation bezeichnet werden muss. Das grässliche Massaker vom 7. Oktober hat dies eindeutig bestätigt. Die Bevölkerung von Gaza dürfte das allerdings anders empfinden. Ihre Wahrheit besteht darin, die israelische Regierung wegen des brutalen Vorgehens im Gazastreifen als „Terrorregime“ zu betrachten. Niemals würden jedoch westliche Medien einen solchen Sprachgebrauch für Israels Regierung verwenden, was ja auch nicht wirklich seriös wäre.

Jedenfalls mehren sich Tendenzen, nahezu jede Kritik an der politisch weit rechts stehenden israelischen Führung mit der Keule des Antisemitismus zu beantworten. Dieser immer wiederkehrende Vorwurf gegen politische und journalistische Kritiker Israels verharmlost im Übrigen den wahren, den rassistisch motivierten Antisemitismus.

Als einer der Begriffe, der ebenfalls als verzerrte Wahrheit daherkommt bzw. umgedeutet wird, gilt das Wort Frieden. Ein ursprünglich positiv geladener Begriff, der im Umfeld zunehmender Kriegsrhetorik zum „Friedensdiktat“ oder „Diktatfrieden“ mutiert und damit abgewertet wird.

Höchst bedenkliche Begriffe, die sich ohne größere Empörung bereits langsam aber sicher eingeschlichen haben, sind aus der Nazi-Zeit entlehnte Bezeichnungen, wie „Systemparteien“, „Volksverrat“, „Fahndungsliste“, Lügenpresse, etc.. Politische Kampfbegriffe wie „EU-Wahnsinn“ oder die Kronenzeitungs-Rubrik mit „EU-Theater“ als Überschrift auf der Leserbrief-Seite, sowie etwa auch die schon zur Gewohnheit gewordene Verknüpfung von Migration mit der Beifügung illegal, verfehlen ihre fatale Wirkung ebenfalls nicht.

Beispiele, die noch beliebig fortzusetzen wären, Begriffe und Formulierungen, die jedenfalls nicht der Wahrheitsfindung dienen, sondern diese weitgehend erschweren. Dabei wären ein inhaltlich abwägender und objektiver Journalismus sowie eine Abrüstung der Worte auch im Bereich der Politik von hoher demokratiepolitischer Relevanz.

* Udo Bachmair nahm als langjähriger ORF-Redakteur und Präsident der Vereinigung für Medienkultur an den Fresacher Toleranzgesprächen zum Leitthema Wahrheit teil.

Preis für journalistische Selbstkritik

Würzburger Main-Post (Gastbeitrag)

In München nahm ich kürzlich an einer Tagung des Netzwerkes Medienethik teil -mit dem Titel „Aufwachsen in digitalen Gesellschaften“. Zu diesem Anlass wurde ein Preis an den Chefredakteur der regionalen Zeitung Main-Post verliehen. Der Grund: Selbstkritik dieser Tageszeitung, weil sie beim tragischen Tod mehrere Jugendlicher Hinweise aus Sozialen Medien fälschlich aufgegriffen hatte. Dies ist ein einschlägiges Thema der Medienkultur und findet darum hier Platz.  (Hans Högl).

Die Ansprüche der Leser an seriöse Medien sind zu Recht sehr hoch: Sie möchten schnell, umfassend, korrekt und kompetent über alle wichtigen Themen des Tages informiert werden. Gleichzeitig steigt aber das Tempo der Nachrichten im Zeitalter der Digitalisierung wie die Menge verfügbarer Informationen. Professionelle Redaktionen stellen sich dieser Herausforderung täglich. Doch trotz aller Sorgfalt passieren auch dort immer wieder Fehler. Gerade der offene Umgang mit den eigenen Fehlern mache „die selbstkritische Transparenz eines professionellen journalistischen Mediums deutlich“, findet Professor Matthias Rath, der Vorsitzende des „Vereins zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle“ (FPS)….

Verliehen wurde der Preis für einen am 30. Januar 2017 erschienen Kommentar von Chefredakteur Michael Reinhard mit der Überschrift „Soziale Netzwerke sind keine gute Quelle“. Dieser Text „ist eine kritische Auseinandersetzung des Chefredakteurs mit der eigenen Berichterstattung seines Blattes zum tragischen Tod mehrerer Jugendlicher im unterfränkischen Arnstein“, heißt es in der Begründung der Jury. Die Main-Post hatte zuvor neben Informationen der Polizei auch falsche Hinweise aus Sozialen Medien in ihre Berichterstattung aufgenommen, die die Opfer fälschlicherweise mit Drogen in Verbindung brachten. In seinem Kommentar entschuldige sich Chefredakteur Reinhard nicht nur für die voreilige Übernahme nicht bestätigter Vermutungen, sondern stellte diesen Fehler auch in den größeren Zusammenhang journalistischer Arbeit im digitalen Zeitalter, ohne die redaktionelle Verantwortung abzuwenden, sagte der FPS-Vorsitzende Rath bei der Preisverleihung in München. ….Diese Selbstkritik und der offene Umgang mit eigenen Fehlern weise auch darauf hin, dass Leser, die sich etwa in Sozialen Medien einem professionellem Journalismus entziehen, nicht nur Gefahr laufen, einseitig informiert zu werden, sondern auch Selbstkontrolle und Selbstkritik „als Zeichen eines aufgeklärten und professionellen Journalismus nicht mehr geboten zu bekommen“, so Rath. Er freue sich besonders über die Auszeichnung, „weil sie unsere Grundhaltung belohnt“, sagte Main-Post-Chefredakteur Reinhard: „Wir möchten, wann immer es erforderlich ist, unsere Arbeit transparent machen – aber auch unsere Fehler.“ Diese einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen, sei keine Schwäche, sondern eine Notwendigkeit: „Ich bin überzeugt, dass mangelnde Transparenz die Glaubwürdigkeit der Medien untergräbt.“ Trotz massiver populistischer Angriffe auf die Integrität seriöser Medien sei das Vertrauen einer großen Mehrheit der Bevölkerung gerade auch in die Berichterstattung von Regionalzeitungen sehr hoch, so Reinhard: „Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, diese Glaubwürdigkeit zu bewahren.“

Quelle: http://www.mainpost.de/ueberregional/bayern/Main-Post-Wuerzburg-Preise-Tragoedien-Social-Media;art16683,9895607
© Main-Post 2018

Desinformation gefährdet Demokratie

Hans Högl – Buchrezension zur Medienforschung

Bedeuten Fake News das Ende der informierten Gesellschaft? Der renommierte Journalistik-Professor und Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl untersucht die digitale Bedrohung der Demokratie und mögliche Lösungen in seinem neuen Buch.

Das Vertrauen in die Medien ist beschädigt. Spätestens seit Pegida-Trupps auf der Straße „Lügenpresse“ skandieren, wird der Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus öffentlich diskutiert. Dabei verbreiten nur wenige Redaktionen absichtlich Falschinformationen.

Stephan Russ-Mohl zeigt auf, warum es sich für bestimmte Akteure lohnt, vor allem über soziale Netzwerke Falschinformationen und Konspirationstheorien zu verbreiten. Immer raffiniertere Propaganda, hochprofessionelle Public-Relations-Experten, aber auch Roboter in sozialen Netzwerken („social bots“), darüber hinaus die Algorithmen und die Echokammern von Google, Facebook etc. tragen ihren Teil dazu bei, dass die Desinformation überhandnimmt. So gibt  es vermehrt Akteure, die aus machtpolitischen Motiven an medialer Desinformation und an einer Destabilisierung unserer Demokratie interessiert sind oder die aus kommerziellen Motiven eine solche Destabilisierung in Kauf nehmen.

Russ-Mohl geht über die Risiken und Nebenwirkungen (un„sozialer“ Medien hinaus und schlägt Lösungen vor. Dessen Hauptfrage lautet, wie sich der wachsende Einfluss der „Feinde der informierten Gesellschaft“ eindämmen lässt, darunter sind Populisten, Autokraten und deren Propagandatrupps. Könnte zum Beispiel eine „Allianz für die Aufklärung“ etwas bewirken, der sich seriöse Journalisten und Wissenschaftler gemeinsam anschließen?

Stephan Russ-Mohl Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet, Köln, Oktober 2017. 280 Seiten, mit Personenregister.

Über den Autor: Stephan Russ-Mohl ist Prof. für Journalistik (Universität Lugano, Schweiz) und leitet das European Journalism Observatory (www.ejo-online.eu). Von 1985 bis 2001 war er Publizistik-Professor an der FU Berlin. Er studierte Sozial- und Verwaltungswissenschaft an den Universitäten München, Konstanz und Princeton. Der Autor hat zeitweise in den USA (Stanford Univ.) und in Italien gelebt.

 

 

 

SRG-Ombudsmann : Viele Beschwerden zurückgewiesen

Hans Högl

Seit Jahren vielen Jahren verfolgt  die Vereinigung für Medienkultur (Wien) das Wirken des ORF-Publikumsrates.  Folgender NZZ-Beitrag  (online 10.6.2017) ist daher von besonderem Interesse : 

Ombudsmänner: Lästige, aber nötige Kritik

Rainer Stadler

Die «New York Times» schaffte den Ombudsmann ab. Die Schweizer Radio- und TV-Sender können das nicht tun – zu ihrem Glück.

Als Ombudsmann der privaten Radio- und Fernsehsender hat man keinen Stress. Der Arbeitsaufwand ist gering, denn es treffen kaum Beschwerden ein. Der für die Deutschschweiz zuständige Ombudsmann zählte im vergangenen Jahr bloss 6 Fälle, sein Kollege in der Romandie bekam in einigen Jahren gar keine und manchmal bloss 3 Beanstandungen. Die tiefen Zahlen kontrastieren auffällig stark mit jenen des Ombudsmanns von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Auf seinem Pult landen durchschnittlich etwa 150 Beschwerden pro Jahr – auch die Westschweizer und Südschweizer SRG erregt bedeutend weniger Ärger. In den vergangenen drei Jahren schnellten zudem die Beschwerden gegen SRF wegen einiger weniger Sendungen in die Höhe. Einen Rekord verbuchte die «Arena»-Sendung mit dem Historiker Daniele Ganser. Über 500 Beanstandungen gingen ein, die Ombudsmann Roger Blum einen Arbeitsaufwand von 160 Stunden bescherten – in der Regel benötigt er 6 Stunden, um eine Beschwerde gegen eine Sendung zu bearbeiten, wie er auf Anfrage sagte.

Lieber diese Kritik als andere

Aus den genannten Zahlen kann man eine spannungsgeladene Beziehung des Deutschschweizer Publikums zu seinem Service public herauslesen. Schwieriger ist es, daraus auf eine schlechte publizistische Leistungsbilanz von SRF zu schliessen. Denn der Ombudsmann weist einen Grossteil der Beschwerden zurück. Nur in 10 Prozent der Fälle gibt er ihnen recht und in 10 Prozent teilweise. SRG-Ombudsmann : Viele Beschwerden zurückgewiesen weiterlesen

Medienkritik – Rudeljournalismus. Analyse

Hans H ö g l

In den USA wurden viele Feld-Reporter eingespart, und die Anzahl von Online-Journalisten aufgestockt. Damit fehlen den Redaktionen die Außenantennen. Es gibt einen Verlust an Volksnähe und Kontakt zu den „kleinen Leuten“. Die Reporter saßen früher selten in den Büros, trieben sich in den Polizeistationen und vor den Gerichten herum und in Bars und Bahnhöfen. Dass der Großteil der ORF-Journalisten in Zukunft auf dem entlegenen Wiener Küniglberg tätig sein wird, verheißt nichts Gutes. Und in den Berichten der Außenpolitik wird man sich noch mehr – abgesehen von den wenigen Korrespondenten – vorwiegend mit angelsächsischen Agenturmeldungen eindecken und Erfahrungsberichte nicht zur Kenntnis nehmen. Ähnliches berichtete gestern ein Schweizer Paar in einem Vortrag über ihre kürzliche Reise in Syrien in Wien 9 im Festsaal der Caritas Sociales. Für ihren in vielen Punkten überraschenden Augenzeugenbericht interessierte sich nur eine einzige kleine Schweizer Zeitschrift.

Ich habe mich hier von den Magazinen Stern und der Schweizer Weltwoche anregen lassen. Zur Weltwoche sagte mir ein Saunafreund: Das ist das einzige Magazin, das sich von allen anderen abhebt. Dieser Automechaniker arbeitete früher in der Schweiz und bei einer Firma in Westafrika, hat ein ZEIT-Abo und wundert sich schon seit Längerem, dass Le Monde, das Pariser Weltblatt (der Handwerker liest auch französische Blätter) als einzige wagte, den Islam zu kritisieren.

Mir ist es wichtig, mich fallweise mit Medien auseinander zu setzten, deren Ansichten ich nicht teile, die mir gegen den Strich gehen. Die Sozialpsychologie nennt dies Bereitschaft zur kognitiven Dissonanz.

Nur so sind die Echoräume wie in Face Book zu vermeiden. Ein Leserbrief nennt es Fake-Book, denn die Falschmeldung, der Papst habe für Donald Trump eine Wahlempfehlung abgegeben, wurde millionenfach abgerufen.

 

 

Umberto Eco: Journalistische Tricks

Hans H ö g l

                        schöpft aus der Medien-Trickkiste von Umberto Eco

Umberto Ecos Roman „Nullnummer“ (2015)  ist kein Weltbestseller, aber er verrät subtile journalistische Tricks, Manipulation der feinen Art. Im Roman produziert ein Team von Journalisten eine provokante Zeitung, um Leute zu erpressen. Und dies im Auftrag von Commendatore Vimerate, der Dutzende Hotels kontrolliert und ein Medienimperium….Die Redaktion soll vorerst 12 Probe – also Nullnummern entwerfen. Davon der Name. Umberto Eco flicht in den Roman journalistischen Tricks ein. Ja es ist ein Roman. Oder werden darin Berufsgeheimnisse der Boulevardpresse auf-ge-blättert? Wir kramen in der Trickkiste des Romans und destillieren daraus die scharfe Suppe.

Beherzigung von Ratschlägen

Wie den Lesern Meinungen unterjubeln, ohne dass sie es merken? Nicht die Nachrichten machen die Zeitung, sondern die Zeitung macht die Nachrichten. –  Die Qualität einer Zeitung bemisst sich auch in ihrer Fähigkeit, mit Berichtigungswünschen adäquat umzugehen. So können Leserbriefe erfunden werden, auf die dann die Berichtigung folgt. Und dabei nennt man die Quelle nicht beim Namen, sondern lässt durchblicken, dass man über besondere Quellen verfügt, die glaubwürdiger sind als die von Signor Smentuccia.

Dann folgt der Rekurs auf das Notizbuch des Journalisten. Dieses Notizbuch kriegt nie jemand zu sehen, aber die Vorstellung, es handle ich um eine Art Life-Übertragung flößt Vertrauen in die Zeitung ein. Wenn Signor Smentuccia nicht aufhört, zu schreiben, deuten wir an, dass Signor schön öfter an andere Zeitungen geschrieben hat. Dies ist das Gute der Insinuation: Für das  Publikum wird er so ein Paranoiker.

Was Umweltfragen betrifft: Es gilt, nicht die Stahlindustrie und Erdölwirtschaft in Frage zu stellen. Bei diesen Dingen müssen wir unsere Leser sedieren, nicht alarmieren. Und wenn wir Leute kalt stellen wollen, zeichnen wir ein Porträt voll dunklen Andeutungen, und der Mann ist kaltgestellt, wie es sich gehört. Aus einer Nicht-Nachricht haben wir eine Nachricht gemacht. Und ohne zu lügen.

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Journalisten als Co-Politiker

Gert Scobel -3 sat
Buchtipp: „Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren“ von Thomas Meyer (Edition Suhrkamp) ist Gert Scobels persönliche Empfehlung. Das Buch ist für Gert Scobel unbedingt lesenswert, dessen Analysen helfen könnten, nicht nur Politik und Medien besser zu verstehen, sondern auch einen Grundpfeiler unserer Demokratie zu stärken, die  vor allem eines geworden ist: eine Mediendemokratie.
Den Tipp fanden wir in der 3-sat Mediathek von Do 29. Sept 2016 zum Thema „Lügenpresse“ von Gert Scobel.

Lügenpresse!? Manipulierte Bilder. Scobel heute in 3-sat.

Heute Do 29. Sept.  3-sat: Medientipp

Das manipulierte Bild.  20.15. Zur visuellen Manipulation

scobel- Niedergang des Journalismus.  21.00 Woher kommt der Begriff „Lügenpresse“?

3 -sat  bietet ein dreimonatiges TV- & Kulturprogrammheft  – es ist schon verfügbar für Oktober, November, Dezember.  Mit differenzierten Hintergrund – Besprechungen und Bilddokumentationen der Sendungen. Heftumfang: 74 Seiten, Preis  D € 2.50 / A 2.75 €.

Tipp: Hans H ö g l

Warnsignale: Medien-Beschwerden

Hans H ö g l

Medien sind Wirtschaftsbetriebe und orientieren sich primär nach ökonomischen Normen, aber sie schmücken sich mit dem Etikette der Aufklärung. Darum lässt das Wort des jungen Karl Marx aufhorchen: Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein. Medienkritik ist alles andere als neu. Aber Medienkritik von wissenschaftlicher Publizistik schwächelt seit Jahren. Einer der Gründe: Die Universität ist durch die Verpflichtung, sich Drittmittel für die Finanzierung der eigenen Institute zu beschaffen, von großen Medien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk abhängig geworden. Und auch darum wurde wissenschaftliche Medienkritik viel sanfter.

Demgegenüber steht der radikale Slogan „Lügenpresse“. Erst seitdem erwacht die Medienbranche, gesteht Fehler und Schwachpunkte ein, weist aber die Fundamental-Kritik zurück.

Darum kommt das Buch des Schweizer Medienwissenschafters Roger Blum: Unseriöser Journalismus? Beschwerden gegen Radio und Fernsehen in der Schweiz  genau rechtzeitig und ist eine wertvolle Dokumentation. Über Jahrzehnte befasste sich Roger Blum mit Schweizer Publikumsbeschwerden versus privaten und öffentlichen Medien. Im ersten Abschnitt geht der Autor auf etwa dreißig Seiten den Beschwerdemöglichkeiten in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Südtirol, Ostbelgien und Liechtenstein nach.

Offensichtlich verfügte er kaum über Informationen über den ORF-Publikumsrat; denn seine Worte über die Beschwerden in Österreich sind zu optimistisch und beziehen sich auf die KommAustria als rechtlicher Beschwerdeinstanz. Laut Publizistikprofessor Fritz Hausjell existieren keine Dissertationen über den ORF-Publikumsrat. Aber dessen Ablauf wird ausführlich und kritisch in meinem Beitrag in der Österreich-Onlineausgabe der „Neuen Zürcher Zeitung (nzz.at) dargestellt.

Sehr aufschlussreich ist, mit welcher Seriosität, Sorgfalt und Klugheit in der Schweiz mit Publikumsbeschwerden umgegangen wird. Blum weiß um Querulanten, denen nichts recht zu machen ist. Aber darum geht es ihm nicht. Das Schweizer Beschwerdesystem ist zweistufig. Es gibt regional-sprachliche Ombudsleute – diese stellen einen Kontakt zwischen den Beschwerdestellern und Medienvertretern her. Sind Beschwerdeführer mit den Antworten der Ombudsstellen unzufrieden, so wird die Beanstandung an die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) weitergeleitet.

Von den 643 Beschwerden, die bei der UBI seit 1984 eingegangen sind, wurden 450 materiell behandelt. Die restlichen wurden zurückgezogen oder auf anderem Weg erledigt. 84 Beschwerden wurden ganz oder teilweise gutgeheißen, dies waren also 13 % oder rund jede achte Beschwerde. (Neue Zürcher, 13. März 2012).

Also: Journalismus ist besser als sein Ruf, wenngleich Blum den allgemeinen Trend der Kommerzialisierung auch bei Schweizer Medien konstatiert. Er dokumentiert im genannten Werk ausführlich diverse Beschwerde-Entscheidungen über Themen wie: Minaretten-Initiative, Wahlsendungen, Meinungsforschung, Medienopfer, Diskriminierung, Jugendschutz, Satire, kriegerische Konflikte, Medizin, Tierschutz, Umwelt, Kultur.

Roger Blum: Unseriöser Journalismus? UVK Verlag, Konstanz 2016, Umfang: 279 Seiten.

Medienethik – Tagung an FH – St. Pölten. Medien vor/nach Köln

Hans H ö g l. Eigenanalyse

Das gestrige  Symposion an der Fachhochschule St. Pölten zur Medienethik erbrachte aufgrund breiter Konzeption eine Fülle an Erkenntnissen. Prof. Matthias Rath (PH-Ludwigsburg) unterschied  zwischen wissenschaftlicher Medienethik und den journalistischen Prinzipien- und Standesregeln. Mag. Andreas Warzilek (Österr. Presserat) berichtete von scharfer Kritik Eva Dichands -von New York her – am Presserat. Eva Dichand ist Herausgeberin der Gratiszeitung „Heute“ und hat ein familiäres und Presse- Naheverhältnis zur „Krone“.  Auch im Presserat ist die Flüchtlingsfrage Thema eins. Warzilek wünscht von Medienberichten die Wahrnehmung von  Schattierungen. Dr. Andy Kaltenbrunner (Geschäftsführer im Wiener Medienhaus) betonte  auf Basis von österreichischen Journalistenstudien  den starken Trend von  Gesinnungsjournalismus. Das bedeutet primär Anwaltsjournalismus und weniger solchen, der sich an  tatsachenbetonten Medienformaten orientiert.

Prof. Matthias Karmasin und Prof. Larissa Karner (beide Univ. Klagenfurt) wiesen auf  Irritationen, Widersprüche und Disruptionen in der Medienwelt hin. Larissa Karner vermisst in Flüchtlingsberichten die Balance. Vorschnell wurde  v o r   den Ereignissen in Köln jegliche Medienkritik als pegidalastig dargestellt. Sie betonte – aus evolutionstheoretischer Sicht- auch ein Kind würde gewarnt, in das Auto einer fremden Person einzusteigen. Und es gilt,   auch die Emotionen der kleinen Leute aufs Erste ernst zu nehmen – gleich ob legitim oder nicht. Qualitätsjournalismus wird dann die Gefühle  der Angst nicht anheizen, sondern versuchen, damit umzugehen, die Hintergründe von Emotionen der Angst vor Fremden aufzuarbeiten, aufzuklären.

Der Verfasser dieser Analyse erinnerte in der Diskussion  an den Satz eines russischen Philosophen: „Liebe das eigene Volk und achte die anderen Völker“. Wie stark die patriotische Eigenliebe  ausgeprägt ist,  zeigt   sich im Übermaß bei Sporterfolgen – in Österreich bei Skifahren – in Deutschland  beim Fußball.   Die „Neue Zürcher“  ortet in der  Medien- und universitären Welt eine kulturalistische Engführung nach der Erklärung der Menschenrechte, nach dem 2. Weltkrieg, wo überwiegend der Holocaust und der Antisemitismus im Blick kam und somit Kritik  an Ethnien und generell an Religionen wie dem Islam immunisierte.  Das führt auch dazu, dass beispielsweise Missbrauchsfälle von Pakistani  in England  und Vorfälle in Schweden in Flüchtlingsquartieren in Institutionen und Medien auffällig tabuisiert wurden.

In diesem Sinne wird Qualitätsjournalismus auch begründete und unbegründete Ängste der breiten Bevölkerung  zu beachten haben und auf Differenzen hinweisen und  argumentieren, warum in Österreich Flüchtlinge aus Ungarn nach 1954 und Ex-Jugoslawien viel bereitwilliger und in bedeutend größerem Ausmaß aufgenommen wurden als solche aus der doch kulturell ferneren arabisch-islamischen Welt.

Eine bemerkenswerte Ö 1-Radiosendung war das Journal-Panorama vom Do, den 25. Februar um 18.30, in welcher das Thema Lügenpresse differenziert aufgegriffen wurde. Warum muss es zu extremer und skandalös einseitiger Medienkritik kommen, damit partiell begründete und sachlich legitime Medienkritik überhaupt ernst genommen wird? Für uns alle – für Politik, Einzelmenschen und Medien gilt: Es gibt Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Auch verdienstvolle  Gesinnungsethiker können in der realen Welt bitter daran leiden, dass gute Gesinnung alleine negative Folgen hervorrufen kann. Siehe Beispiele aus gut gemeinter Entwicklungspolitik und im Fall der Flüchtlingsproblematik die massiven Trends zu populistischen Gruppierungen.