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Medienkampagne gegen Babler

Nicht zuletzt die Macht der Medien wird beim SPÖ-Parteitag in Linz den Ausschlag für Hans Peter Doskozil geben.

Udo Bachmair

Medien haben sich in den vergangenen Tagen voll auf Andreas Babler eingeschossen. Rechtzeitig vor dem Parteitag am Sonntag in Linz. Zur Freude Hans Peter Doskozils und seiner Anhänger. Sie können sich bereits siegessicher fühlen. Vor allem der Boulevard nützt teils aus dem Zusammenhang gerissene Zitate weidlich aus, um die Chancen des linken Kandidaten für den SPÖ-Vorsitz zu minimieren. Bemerkenswert, dass auch Zeitungen wie DER STANDARD eine undifferenziert einseitige Kampagne gegen Babler fahren.

„Ich bin ein Marxist“ ( hinsichtlich der theoretischen Grundlagen Marx-scher Gesellschaftskritik ) sowie „Natürlich bin ich kein Marxist, wenn man es so interpretiert“ ( auf die Frage, ob Babler die Diktatur des Proletariats anstrebt..): 2 Äußerungen, die nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinander stehen müssen. Sie reichen jedoch für die veröffentlichte Meinung aus, Babler als ungeeignet für die Funktion des SPÖ-Vorsitzenden darzustellen.

Wieder einmal wird-voraussichtlich erneut erfolgreich-die alte Kommunismus-Keule ausgepackt. Wer die marxistische Theorie als hilfreich zur Erklärung ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sieht, gilt in der intellektuell unterfordernden Debatte als Unterstützer des Stalinismus, der etliche Millionen Opfer gefordert hat. Argumente, dass strikt antikommunistische politische Systeme, wie der Nationalsozialismus sowie der Kapitalismus Abermillionen an Opfern verursacht haben, gelten freilich nicht. Ganz zu schweigen von der blutigen Geschichte des Kolonialismus.

Die Medienkampagne gegen Babler dürfte jedenfalls nicht ohne Auswirkung auf das Abstimmungsverhalten der Parteitagsdelegierten sein. Sollte Bablers Konkurrent Hans Peter Doskozil um den Parteivorsitz den Sieg davontragen, wäre dies auch ein weiterer Beleg für die Macht der Medien, die überwiegend Stimmung für Doskozil machen, dem man offenbar den brutalen Abschuss der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner verzeiht. Dass Doskozil mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit eine Koalition mit der FPÖ auch auf Bundesebene eingehen wird bzw. würde, wird offenbar nicht bedacht.

Kommt hinzu, dass nun ein weiteres Zitat Bablers gegen ihn verwendet wird, nämlich seine kritischen, zugegeben übertriebenen Äußerungen zu EU und NATO. Unglücklich formulierte Aussagen, teils aus dem Zusammenhang gerissen, die für ziemliche Aufregung gesorgt und zu weiteren medialen Shitstorms gegen Babler geführt haben. Die Äußerung Bablers, die EU sei das aggressivste Militärbündnis, sei „dumm“, wie Natascha Strobl, Politologin und Babler-Unterstützerin, heute gegenüber dem STANDARD eingestand. Zumindest wurde damit eine Diskussion über die zunehmend militaristisch orientierte Rolle der EU angestoßen. Kritik an dieser muss jedenfalls erlaubt sein.

(Siehe dazu auch den Gastbeitrag von Wolfgang Koppler unter dem Titel „EU-Kritik verpönt“.)

EU-Kritik verpönt

Andreas Babler, Kandidat für den SPÖ-Vorsitz, ist wegen seiner vor 3 Jahren getätigten kritischen Äußerungen zu EU und NATO ins Visier fast aller Medien geraten.

Wolfgang Koppler *

Andreas Babler hat etwas Ungeheuerliches getan: Er hat die EU kritisiert und ihren Reformbedarf aufgezeigt. Das Rauschen im Blätterwald war die unausweichliche Folge dieses Sakrilegs. Denn die EU ist eine Art Gottersatz. Für die Medien und die von ihnen produzierte öffentliche Meinung. So wie es vorher die Nation und noch früher der durch das Gottesgnadentum sanktionierte Herrscher war. Den man genauso wenig kritisieren durfte wie heutzutage NATO und EU. Denn an Gott, tätige Nächstenliebe oder so etwas Ähnliches haben ja immer nur die wenigsten geglaubt. Darum haben wir die Religion meist vergötzt. In Form irgendwelcher Bilder, die wir den anderen vorhielten.

Jetzt müssen wir halt an die EU glauben. Und dürfen nicht einmal auf ihre Widersprüchlichkeiten, Struktur- und Wertemängel hinweisen. Auch wenn diese auf der Hand liegen:

1. Militarismus: Die EU wird zunehmend zu einem Militärbündnis. Das angeblich den Frieden sichern soll. Von dem wir ziemlich weit entfernt sind. Und das nicht nur wegen Putin und dessen anachronistischem Weltbild. Sondern auch wegen des Vorrückens von NATO und EU bis ans Schwarze Meer. Was irgendwann mit den russischen Interessen kollidieren musste. Der russische Angriffskrieg hat wohl auch, aber nicht nur mit Putins Ehrgeiz zu tun. Was Politiker wie Kissinger und Macron längst begriffen haben. Nur leider sonst niemand. Ich darf den Ausspruch eines ehemaligen Bundeskanzlers anlässlich des Beitritts von Rumänien und Bulgarien in einer Fernsehdiskussion in Erinnerung rufen: Die EU steht jetzt am Schwarzen Meer. Kommentar überflüssig.

2. Demokratiedefizit: In der EU ist immer soviel von freiheitlich-demokratischen Werten die Rede. Tatsächlich werden inzwischen weit mehr als 60 % der nationalen Gesetze von jenem Rahmen beeinflusst, den die EU und ihre Organe vorgeben. Also durch EU-Richtlinien und Verordnungen. Das EU-Parlament hat diesbezüglich keinerlei Initiativrecht. Dieses liegt bei der von finanzstarken Lobbys beeinflussten Kommission. Zusätzlich gibt es auch noch – ganz offiziell – den European Round Table, welcher der „EU-Gesetzgebung“ beratend zu Seite stehen soll, aber in Wirklichkeit – wie Untersuchungen von NGOs gezeigt haben – ganz entscheidend mitmischt. Dort drin sitzen – erraten ! – die Vertreter europäischer Großkonzerne. Für die Finanzwirtschaft gibt es ein ähnliches Gremium. Und so kommen im Sozial- genauso wie im Umweltbereich – wieder richtig geraten -meist Alibimaßnahmen heraus, die Industrie und Finanzwirtschaft nicht wirklich weh tun.

3. Wertedefizit: Und damit sind wir bei den Werten, die unser Leben und unser System bestimmen. In erster Linie das Geld. Nicht das, was wir als Zahlungsmittel verwenden. Sondern das, was in unserer Gesellschaft den Wert von Menschen ausmacht. Und jene Wirtschaftsdaten, die das Handeln unserer Eliten bestimmen. Sie halten das für linken Schmafu ? Gut, dann fragen Sie sich einmal, weshalb jedes Jahr eine Liste der reichsten Menschen erstellt wird. Und zwar nicht nur für die Regenbogenpresse. Bill Gates, Elon Musk und Jeff Bezos strengen sich ja schließlich nicht umsonst so an, ihr Geld zu vermehren. Sondern weil man mit Geld mehr „wert“ ist. Und die Politik hat dafür zu sorgen, dass dieser wundersamen Geldvermehrung keine Steine in den Weg gelegt werden. Und den Reichen der Weg zu mehr noch mehr Reichtum geebnet wird. Dahinter steht die uralte puritanische Ethik, dass man damit prädestiniert für den Himmel sei. Nur halt zunehmend ohne Religion und Moral. Dass dabei die uralten immateriellen Werte von Weisheit, Mäßigung und gesellschaftlicher Gerechtigkeit ebenso wie die eigentliche Menschenwürde auf der Strecke bleiben, ist klar.

Und dass jemand, der die Zivilcourage hat, dies aufzuzeigen, von Politik und Medien attackiert wird, ist ebenfalls klar. Denn es sind unsere eigenen europäischen Lebenslügen, an denen wir nur allzu gern hängen: Wir als Verbreiter von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde. Statt von Elektronikschrott und Textilmüll an Afrikas Stränden. Im Namen unserer (wirtschaftlichen und persönlichen) Freiheit.

Andreas Babler hat eine andere Freiheit in Anspruch genommen. Die des Gewissens.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Neutralität über Bord

Schade um die „Wiener Zeitung“, die Ende Juni eingestellt wird. In ihr sind bzw. waren immer wieder Berichte zu lesen, die man in anderen Medien vergeblich sucht.

Udo Bachmair

Die Wiener Zeitung, der die Regierungsparteien ÖVP und Grüne mit Ende Juni den Todesstoß versetzen, ist nicht nur generell mit Qualitätsjournalismus aufgefallen. Die älteste Zeitung der Welt hat auch immer wieder mit journalistischen Beiträgen gepunktet, die anderswo nicht erschienen sind.

Jüngstes Beispiel dafür sind von anderen Medien bewusst oder unbewusst übersehene, jedoch für Österreich durchaus relevante Äußerungen von Maria Sacharowa, der Sprecherin des russischen Außenministeriums. Sie reagierte auf eine Aussage von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gegenüber der deutschen Tageszeitung „Die Welt“, in der er von einem „informellen Dialog“ zwischen Wien und Moskau gesprochen hatte.

Einen solchen Dialog gebe es nicht, konterte Sacharowa. Sie erklärte- zitiert von der Wiener Zeitung – laut der russischen Nachrichtenagentur TASS :

„Österreich, das sich gegenüber Russland eindeutig auf die Seite des Westens in seiner feindlichen Politik gestellt hat, hat seine bisher unabhängige Rolle in der Außenpolitik aufgegeben und das Prinzip der Neutralität über Bord geworfen“

Harte und deutliche Worte, die eines gewissen Wahrheitsgehalts nicht entbehren. Hat sich doch Österreich, allen voran der Bundespräsident, mit undiplomatisch antirussischen Attacken (neutralitäts)politisch angreifbar gemacht. Realistische Chancen sind damit für Österreich geschwunden, als Ort von Verhandlungen zur Beendigung des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine in Frage zu kommen.

Kommt hinzu, dass hierzulande zunehmend Medien-Kommentare und PolitikerInnen-Äußerungen zu registrieren sind, die die Neutralität Österreichs in Frage stellen und behaupten, dass diese für unser Land keinen Schutz darstellen würde. Ein NATO-Beitritt Österreichs sei zu diskutieren. Das aber würde Russland als eine der Staatsvertragsmächte wohl endgültig vor den Kopf stoßen und die Beziehungen Wien/Moskau nachhaltig auf Eis legen. Größere Sicherheit wäre damit für Österreich nicht verbunden, warnen Experten.

US-Krieg gegen den Irak kein Angriffskrieg ?

Den Ukraine- und den Irak-Krieg messen Medien und Politik mit ungleichen Maßstäben

Udo Bachmair

Es war vor 20 Jahren. 30.000 Bomben und Raketen gingen auf Bagdad, Basra, Mossul und zahlreiche andere irakische Städte nieder und ließen neben Militäranlagen auch einen Großteil der zivilen Infrastruktur des Irak in Flammen aufgehen. Zehntausende Soldaten und Zivilisten fielen der Aggression der „Koalition der Willigen“, angeführt von USA und NATO, schon in den ersten Wochen zum Opfer.

Die westlichen Medien scheuten sich jedoch, den Irak-Krieg als Angriffskrieg zu bezeichnen. Aus Sicht der USA war es verharmlosend eine „Militäroperation“, um den Irak von der Diktatur Saddam Husseins zu befreien. Es war jedoch wie die russische Invasion in der Ukraine eindeutig ein Angriffskrieg mit Verstößen gegen Grundlagen des Völkerrechts.

Im Gegensatz zu den von den USA und der NATO geführten zahlreichen Angriffskriegen wird der russische Überfall auf die Ukraine von Medien und Politik im Westen nahezu mantraartig als „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ bezeichnet. Keine Meldung, keine Information über den Ukrainekrieg kommt ohne diese Formulierung aus, als gäbe es auch hierzulande flächendeckend verpflichtendes Wording im Journalismus.

Der Autor dieser Zeilen hat als Moderator der Ö1-Journale den US-amerikanischen Überfall auf den Irak in einer Moderation als „Angriffskrieg der USA“ bezeichnet. Was folgte, war extern ein Shitstorm, intern eine Rüge in der Redaktionskonferenz mit der Bitte um eine andere Formulierung. Vorwurf damals: Wie kann man denn nur einen „Befreiungsschlag“ für das irakische Volk als Angriffskrieg bezeichnen..!?

Das Beispiel zeigt, welch ungleiche Maßstäbe in der außenpolitischen Berichterstattung angewendet werden. Auch 20 Jahre später wird in manchen Medien, wie jüngst im auffallend russlandkritischen STANDARD, die US-Aggression gegen den Irak schlicht als „Militäroperation“ verharmlost. Das ist just jener Ausdruck, mit dem Putins Propaganda den Krieg gegen die Ukraine beschönigt.

Dass der russische Präsident vor den Internationalen Strafgerichtshof gezerrt werden soll, hat Medien und Politik im Westen zum Jubel veranlasst. Sollte Putin tatsächlich Kriegsverbrechen nachgewiesen werden, wäre eine Verurteilung durchaus verständlich. Warum aber, fragen sich viele, ist nie eine Anklage gegen US-Präsident Bush wegen Kriegsverbrechen erhoben worden ? Eine der möglichen vereinfachenden Antworten : USA und NATO immer gut, Russland prinzipiell böse.

Zum Thema passend ein Zitat von ORF-Korrespondent Karim El Gawhary auf www.quantera.de – Dialog mit der islamischen Welt:

“ Es geht nicht darum, den Irak-Krieg und den Ukraine-Krieg gegeneinander aufzurechnen oder gar zu behaupten, das eine rechtfertige das andere. Aber die USA und Europa besäßen in vielen Teilen der Welt mehr Glaubwürdigkeit, würde alles mit dem gleichen Maß gemessen. Und in der arabischen Welt springen diese Doppelstandards ganz besonders ins Auge.“

Ein Tipp zu diesem und anderen internationalen Themen : www.international.or.at

Westen ohne Verhandlungswillen ?

Ein bemerkenswertes Interview mit Robert Brieger, dem „aus Österreich stammenden höchsten EU-Militär“, unter dem Titel „Putin zeigt Schwäche“ kürzlich in den Oberösterreichischen Nachrichten sagt auch einiges aus über den außenpolitischen und militärischen Kurs des Westens.

Von Wolfgang Koppler *

Zunächst stuft Brieger die Teilmobilmachung Russlands als Zeichen der Schwäche ein. Dies ist durchaus nachvollziehbar, zumal Putin mit diesem Schritt zeigt, dass die aktive Armee nicht mehr ausreicht, um den Krieg weiterzuführen. Schlecht ausgebildete Reservisten – die zudem erst nach Monaten eingesetzt werden können – sind wohl auch nicht imstande, professionelle Soldaten zu ersetzen. Und last but not least, wird der Krieg in Russland zunehmend unpopulärer und damit auch Putin.

Interessant ist aber, welche Schlüsse Brieger (der natürlich die Politik von NATO und EU 1:1 wiedergibt) daraus für den Westen zieht.

Der jetzige Schritt Putins sei „ein Schritt zur weiteren Eskalation und wird den Krieg verlängern“.
Logisch. Aber eskaliert nicht auch der Westen, indem er Verhandlungen von Vornherein als unrealistisch abtut ?

Aber zurück zu Brieger:

Die Bemühungen des Westens, „die Verteidigung der Ukraine zu unterstützen…müssen eher noch intensiviert werden.“ Ein Nachgeben würde nämlich „das russische Regime ermuntern, weitere
Gebietsarrondierungen anzustreben.

Wie bitte ? Eine Armee, der es bis jetzt nicht gelungen ist, den Donbass zu erobern, der die Waffen und Soldaten ausgehen, soll auch noch das Baltikum und vielleicht noch Finnland überfallen können ?

Die Interviewerin stellt solche Fragen natürlich nicht, das wäre ja Majestäts- pardon EU- und NATO-Beleidigung (wobei sich die Frage stellt, wie unsere Gesellschaft und Politik ohne Diskurs und Diskussion mögliche Fehler von Politikern korrigieren will).

Sie wirft Brieger statt dessen Hölzchen, etwa mit der Frage, ob die Ukraine den Krieg noch gewinnen könne, was natürlich bejaht wird. Brieger beeilt sich dabei hinzuzufügen, dass es dabei „nicht um eine bedingungslose Kapitulation Russlands“, sondern „um eine Wiederherstellung der bedingungslosen Souveränität der Ukraine“. Diese könne bei entsprechender Unterstützung militärisch so erfolgreich sein, dass „Russland zum Verhandeln gezwungen ist“. Was wird dann noch verhandelt werden ? Angesichts der Aussagen Selenskyjs, aber auch der Stimmung in der Ukraine und im Westen wird wohl niemand glauben, dass dann über eine Neutralität der Ukraine verhandelt wird oder auch nur das Minsker Abkommen oder irgendwelche Minderheitenrechte noch irgendeine Zukunft haben.

Von der Zukunft Russlands ist im Interview erst gar nicht die Rede. Dass dort nach einer Niederlage plötzlich die Demokratie ausbrechen würde, scheint man nicht einmal mehr in Brüssel zu glauben.

Demgemäß ist am Schluss des Interviews auch nur mehr von der Verteidigungsfähigkeit Europas und verstärkten Rüstungsanstrengungen die Rede. Die Frage ist nur: Wer soll uns nach der von Brieger prognostizierten Niederlage Russlands (im Kampf um ein Gebiet anderthalb mal so groß wie Österreich) noch angreifen ?. Die Chinesen ? Mit einer Mittelmeerflotte ?

Pikantes Detail am Rande: Brieger will den Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland nicht ganz ausschließen und spricht auch von einer Ausbildungsmission für die Ukraine u.a. in ABC-Waffen, wenn er auch deren Einsatz für nicht sehr wahrscheinlich hält. Wahnsinn scheint wirklich ansteckend. Und die Propaganda bei uns scheint inzwischen ähnlich dümmlich wie die Putins. Nur dass in Russland wenigstens 40 Bürgermeister ihren Unmut zeigen. Und einige mutige Demonstranten.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien.

Krieg und Kriegspropaganda

Ein Krieg geht immer einher auch mit einem Informationskrieg. Kriegspropaganda betreiben alle Kriegsparteien. Besonders gut inszeniert sich dabei die Ukraine. Mit voller Unterstützung westlicher Medien. (Beitrag veröffentlicht im Magazin INTERNATIONAL Juni 2022)

Udo Bachmair

Zwei Hauptnarrative beherrschen den Disput rund um den russischen Krieg gegen die Ukraine: Erstens der Glaube daran, dass Wladimir Putin ausschließlich mit weiteren schweren NATO-Waffen in die Knie gezwungen werden könne. Russlands Präsident würde ausschließlich die Sprache militärischer Gewalt verstehen. Das zweite Narrativ besteht darin, dass immer mehr (schwere) Waffen den Krieg und unermessliches Leid nur verlängern würden und eine weitere Eskalation damit vorprogrammiert sei. Diesem Narrativ schenken westliche Medien weder Glauben noch Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Friedensbewegte, die noch einen Spielraum für diplomatische Bemühungen und sinnvolle Friedensinitiativen sehen, werden als „Putinversteher“ oder naive Pazifisten gebrandmarkt.

Reine Militärlogiker fühlen sich allein schon provoziert von auch nur gemäßigten Äußerungen zur komplexen Causa. So etwa von der Meinung der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, Waffen und Sanktionen allein würden nicht ausreichen, um diesen Krieg zu beenden. Man müsse „mit mehr Intensität und Anstrengungen an diplomatischen Lösungen arbeiten“. Diese Perspektive ruft bei Politik und Medien jedoch kaum ein positives Echo hervor. Vielmehr dominieren Verwunderung bis Empörung über eine solche friedensorientierte Position. Im Besonderen Boulevardmedien scheinen einander in Kriegsrhetorik und Dämonisierung Putins und Russlands überbieten zu wollen.

Die regelmäßigen Auftritte des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, einmal im Tarnanzug, festen Schrittes durch Kiew marschierend, einmal im olivgrünen Militärleibchen in einem beflaggten Studio, verfehlen ihre Wirkung nicht. Unermüdlich appelliert der zum Helden stilisierte Staatschef mit martialischen Worten an den Westen, speziell die NATO, weitere schwere Waffen zu liefern. Die schon vor dem Angriffskrieg Russlands seit Jahren bereits mit westlicher Hilfe aufgerüstete Ukraine kann auf weitere massive Waffenlieferungen hoffen. Politik und Medien im Westen begleiten sie dabei mit wohlwollender propagandistischer Unterstützung.

Was den Informationskrieg betrifft, der jeden Krieg begleitet, wirken westliche Medien nahezu gleichgeschaltet. Jenseits aller Objektivitätskriterien, die man sich als Medienkonsument gerade auch in der außenpolitischen Berichterstattung wünschen würde, dominiert einseitiger medialer Mainstream. Die Russen generell böse, die Ukrainer generell gut, so lautet vielfach die Devise. Dass damit weiterer Hass geschürt und eine noch spärlich vorhandene, aber noch mögliche Gesprächsbasis endgültig zunichte gemacht wird, interessiert nur marginal.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken und dem Festhalten an einem starren Freund/Feind-Schema stellen westliche Medien ukrainische Quellen als ernstzunehmend dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Glaubwürdige Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum zu orten. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen überhaupt anzugeben, was leider auch im ORF selten passiert. Auch beim Konsum von ORF-Nachrichtensendungen bleibt als Botschaft mitunter der Eindruck hängen, dass ukrainische Informationspolitik als faktenbasiert vermittelt wird, die andere Kriegspartei hingegen agiere bloß mit Fakes und Propaganda. Dabei wäre schon der Versuch von Differenzierung im Sinne eines Qualitätsjournalismus ein Hoffnungsschimmer.

Wenn ein Sprecher des rechtsradikalen Asow-Regiments etwa in der ZiB 1 auftritt, ohne dass eine interpretierende oder differenzierende Analyse dazu beigesteuert wird, ist dies unseriös. Oder wenn in TV-Diskussionsrunden nahezu ausschließlich Kriegs- und Militärlogik verbreitet wird, wie etwa in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“. Oder wenn in unausgewogen besetzten Diskussionsrunden wie etwa im ORF-Format „Im Zentrum“ antirussische Feindbildpflege dominiert, darf man sich nicht darüber wundern, dass Politik und Medien zunehmend an Glaubwürdigkeit einbüßen, wenn relativierende journalistische Einordnung zunehmend schwindet.

Was sollen die Menschen denn noch glauben, wenn Journalismus nicht in der Lage zu sein scheint, zu differenzieren und die Interessenslage von allen Seiten eines Konflikts her zu sehen und zu hinterfragen. Besonders krass tritt dieses Manko in einer so komplexen Causa wie der des Kriegs gegen die Ukraine zutage.
Dass es auch anders geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner nichtmartialischen und differenzierenden Beiträge großes Lob verdient. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien hingegen können dies nicht. Deren Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Seite geopolitischer Weltsicht repräsentieren. Auch das ORF-Büro in Moskau greift kaum auf andere Quellen zurück…

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt kritischen Medienbeobachtern auf, dass Äußerungen russischer Politiker durchgängig mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall wie der Russlands. Das heißt aber nicht, dass automatisch nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht. So sind etwa Meldungen über Misshandlungen russischer Gefangener durch ukrainische Soldaten rasch von der Bildfläche verschwunden..
Auch aus politikwissenschaftlicher Perspektive findet da oft eine Verzerrung statt : Wenn „unsere“ Seite einen Krieg anzettelt, herrscht mehr Zurückhaltung, es werden wesentlich mehr Beweise für mögliche Kriegsverbrechen gesucht, bevor darüber berichtet wird. Wenn „Feinde des Westens“ dasselbe machen, ist die Empörung groß. Weil die Politik empörter ist und Medien das spiegeln. Aber auch Medien ihrerseits setzen die Politik unter Druck, noch härter gegen den „Feind“ aufzutreten. Nicht zuletzt deshalb musste sich auch der zunächst zurückhaltend gewesene deutsche SPD-Kanzler Scholz dazu durchringen, der Lieferung von schweren Waffen letztlich doch zuzustimmen

Der Irak-Krieg im Jahr 2003 war ebenfalls ein illegaler Angriffskrieg, ausgeführt von den USA. Medien waren damals aber bei Weitem nicht so empört. Wichtige Details darüber, wie verheerend sich die Invasion auf die Zivilisten im Irak ausgewirkt hat, haben Medien damals kaum beachtet. Völkerrechtswidrige Aspekte und die Tatsache, dass wir es auch beim Irak-Krieg mit einer Aggression zu tun haben, sind damals weitgehend ausgeblendet worden.
Trotz des Irakkrieges, trotz der Bomben auf Bagdad und Belgrad, trotz des gewaltsamen Regime Change in Libyen, etc. wird die NATO in westlichen Medien durchgehend als Verteidigungsbündnis verharmlost. Dass Russland und auch andere die NATO als aggressive Militärallianz wahrnehmen und sich von ihr bedroht sehen, entzieht sich bei Medien und Politik im Westen der Vorstellungskraft und stößt weitgehend auf Unverständnis. Solange der Westen sich nicht auch in die geopolitische Interessenslage Russlands hineindenken kann, Stichwort dazu die NATO-Erweiterung, so lange werden keine effektiven Friedensschritte zu erwarten sein. Von russischer Seite ist dies zurzeit ebenfalls kaum zu erwarten, Putin verharrt in seiner seltsam historisch basierten Kriegslogik. Das muss allerdings nicht so bleiben. Auch der Westen, allen voran die EU, sollten nicht auf Dauer an militaristischer Ideologie im Zusammenhang mit diesem Krieg festhalten.

Der Ukraine sei zu wünschen, so rasch wie möglich friedliche Zustände erleben zu können. Doch beide Kriegsparteien bewegen sich nicht. Dies lässt vorerst keine Hoffnung auf eine Waffenruhe oder auf Friedensverhandlungen keimen. Das Heil ausschließlich in der Lieferung schwerer Waffen zu sehen, wie es etwa die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen unermüdlich wiederholt, erscheint höchst kontraproduktiv, ein Friedenskonzept der „Friedensunion“ EU fehlt. Für kreative Überlegungen, auf nichtmilitärischem Gebiet Friedensinitiativen anzudenken, mangelt es an Willen und Phantasie. Besonders bemerkenswert ist die militante Haltung vor allem der deutschen Grünen, die sich als früherer parlamentarischer Arm der Friedensbewegung nun ins ideologische Lager der Militaristen begeben haben und damit weiter Öl ins Feuer gießen, allen voran die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Österreichs Grüne halten da nicht dagegen
Natürlich soll hier nicht einem naiven Pazifismus das Wort geredet werden, allerdings einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik. Diese müsste auch Kompromissen Raum geben. Eine primitive und ebenfalls naive Kriegslogik sowie weitere beharrliche Feindbildpflege lassen jedenfalls ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

Vor diesem Hintergrund plädiert der renommierte Medien- und Konfliktforscher Florian Zollmann für einen „konstruktiven Journalismus“ gerade auch in der Kriegsberichterstattung. Medien schauen auf den Krieg oft wie auf eine Sportveranstaltung: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Und im Prinzip ohne konstruktive Lösungen einzubringen, ohne zu schauen: Welche sind die verschiedenen Interessen, was gibt es für Lösungsstrategien, und wie kann man journalistisch deeskalierend wirken? Fragen, über die es gerade auch für die Politik rege nachzudenken gilt.

Kriegslogik schlägt Friedenslogik

Ein heißer Krieg geht immer einher auch mit einem Informationskrieg, der sämtliche Friedensalternativen ausblendet. Kriegspropaganda betreiben alle Kriegsparteien. Besonders gut inszeniert sich dabei die Ukraine.

Udo Bachmair

Die regelmäßigen Auftritte des ukrainischen Präsidenten Selensky, einmal im Tarnanzug, jüngst festen Schrittes marschierend durch die Innenstadt von Kiew, einmal im Trainingsanzug vor einer großen ukrainischen Flagge, verfehlen ihre Wirkung nicht. Mit martialischen Worten appelliert er regelmäßig an den Westen, im Besonderen an die NATO, weitere schwere Waffen zu liefern. Die schon vor dem Angriffskrieg Russlands mit westlicher Hilfe aufgerüstete Ukraine kann auf weitere massive militärische Unterstützung hoffen. Ob das die Ukraine dem „Sieg“ näherbringt, bleibt fraglich.

Was den Informationskrieg betrifft, der jeden Krieg begleitet, ist aus westlicher Sicht, im Speziellen seitens der nahezu gleichgeschaltet wirkenden Medien, die moralische Siegerin klar ausgemacht: Es ist die Ukraine. Jenseits aller Objektivitätskriterien, die man sich als Medienkonsument gerade auch in der außenpolitischen Berichterstattung wünschen würde, dominiert klar einseitiger medialer Mainstream. Die Russen generell böse, die Ukrainer generell gut, so die Devise.

Vernebelt vom Schwarz/Weiß-Denken stellen westliche Medien Ergüsse ukrainischer Kriegspropaganda meist als Fakten dar, hingegen alles, was von russischer Seite kommt, als völlig unglaubwürdig und propagandistisch. Freilich ist es für journalistische Arbeit schwieriger denn je, auf seriöse Quellen zurückgreifen zu können, auch wenn ehrliche Absicht dazu besteht. Seriöse Quellen im Informationskrieg sind nämlich kaum zu orten. Aber es wäre zumindest wünschenswert, Quellen überhaupt anzugeben, was leider auch im ORF selten passiert.

Wenn ein Sprecher des rechtsradikalen Asow-Regiments etwa in der ZiB 1 auftritt, ohne dass eine interpretierende oder differenzierende Analyse dazu beigesteuert wird, ist dies unseriös. Oder wenn in TV-Diskussionsrunden ausschließlich Kriegs- und Militärlogik verbreitet wird, wie jüngst etwa in der ARD-Sendung „Hart, aber fair“, oder wenn in unausgewogen besetzten Diskussionsrunden wie etwa im ORF-Format „Im Zentrum“ antirussische Feindbildpflege dominiert, darf man sich nicht darüber wundern, dass Politik und Medien zunehmend an Glaubwürdigkeit einbüßen.

Was sollen die Menschen denn noch glauben, wenn Journalismus nicht mehr in der Lage zu sein scheint, zu differenzieren und die Interessenslage von allen Seiten eines Konflikts zu sehen und zu hinterfragen. Besonders krass tritt dieses Manko in einem so komplexen Fall wie dem Ukraine-Krieg zutage.

Dass es auch anders geht, beweist immer wieder der besonnene und sachorientierte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der sich jenseits bloßer Kriegsrhetorik und wegen seiner nichtmartialischen und differenzierenden Analysen und Reportagen großes Lob verdient. Wehrschütz kann auf authentische Quellen vor Ort verweisen, die meisten Redaktionen westlicher Medien hingegen nicht, ihre Hauptquellen sind die großen US-nahen Agenturen, die nur eine Sicht der Welt repräsentieren. Auch das ORF-Büro in Moskau greift kaum auf andere Quellen zurück..

Schon Jahre vor dem Krieg haben westliche Medien und PolitikerInnen Russland beharrlich zu einem Feindbild mit aufgebaut. Dabei helfen einzelne Begriffe und Worte, wie sie auch in der sogenannten objektiven Nachrichtensprache verwendet werden. So fällt wahrscheinlich nur wenigen auf, dass Äußerungen von russischen Politikern durchgängig mit Prädikaten wie „behaupten“, „unterstellen“, etc. versehen werden. Wenn ein US- oder EU-Politiker eine Stellungnahme abgibt, lauten die Prädikate „betonen“, „bekräftigten“, „erklären“ etc. also positiv geladene Begriffe.

Abermals sei bekräftigt, dass ein Angriffskrieg im 21.Jahrhundert in Europa ein absolutes „No go“ sein sollte. Großmachtphantasien mit einem realen Krieg erzwingen zu wollen, ist menschenrechtlich und völkerrechtlich strikt abzulehnen. Krieg und Gewalt sind per se Verbrechen, besonders ein aggressiver militärischer Überfall. Das heißt aber nicht automatisch, dass nur der Aggressor Kriegsverbrechen begeht.

Die Ukraine sollte so rasch wie möglich friedliche Zustände erleben können. Doch beide Kriegsparteien bewegen sich nicht. Dies lässt vorerst keine Hoffnung auf eine Waffenruhe oder auf Friedensverhandlungen keimen. Das Heil ausschließlich in der Lieferung schwerer Waffen zu sehen, wie es etwa die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen oder bedauerlicherweise auch die früher antimilitaristischen Grünen bevorzugen, lässt jedenfalls weiter Öl ins Feuer gießen.

Natürlich soll hier nicht einem naiven Pazifismus das Wort geredet werden, allerdings einer von Friedensethik getragenen aktiven Friedenspolitik. Eine Politik, die auch Kompromissen Raum gibt. Eine primitive und ebenfalls naive Kriegslogik lässt ein sehnlichst erwartetes Kriegsende in noch weitere Ferne rücken.

EU auf Kriegslogik-Kurs

Nicht nur seitens Russlands, auch seitens der EU überwiegt Kriegsrhetorik. Mit tatkräftiger Medien-Unterstützung.

Udo Bachmair

Es ist ein Jammer. Kein Ende des Kriegs gegen die Ukraine ist absehbar. Kriegspropaganda auf beiden Seiten vernebeln den Blick auf höchst nötige Friedensinitiativen. Der Aggressor Russland verharrt in Starre. Aber auch seitens der „Friedensunion“ EU fehlen jegliche Signale, die auf Bemühungen zur Entspannung der Lage hindeuten könnten. Ganz im Gegenteil: Nach dem Vorbild der USA und der NATO mangelt es auch der EU an auch nur bescheidenen Versuchen, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. So wird Kommissionspräsidentin von der Leyen nicht müde, täglich ihre Hasstiraden Richtung Moskau abzusetzen, sonst nichts. Damit werden noch mögliche letzte Reste einer Gesprächsbasis mit dem russischen Präsidenten restlos zunichte gemacht.

Kein einziges nichtmilitärisches Konzept der EU, kein einziger sinnvoller Vorschlag zur Konfliktbeilegung liegt vor. Was bleibt, ist die „Strategie“, die Ukraine weiter massiv aufzurüsten. Brandgefährlich.

Schwere Waffen, schwere Waffen, schwere Waffen, so lautet das Mantra Brüssels, das sehenden Auges eine weitere Eskalation in Kauf nimmt.

Die Enttäuschung über die Union wächst, die im Gegensatz etwa zur UNO ausschließlich in miliärischen Optionen und medial eifrig unterstützter Feindbildpflege ihr Heil sieht. Für alternative Lösungsansätze fehlen sowohl Phantasie wie auch Intellekt.

Enttäuschend auch, dass der bisher besonnene deutsche Kanzler Olaf Scholz nun doch dem Druck nachgegeben und grünes Licht für die Lieferung schwerer Waffen im Ukraine-Einsatz gegeben hat. Vergessen dabei wird, dass dies Russland als Kriegserklärung des Westens betrachten kann. Ganz abgesehen vom historisch sensiblen Aspekt der schweren Hypothek der NS-Vergangenheit, in der 20 Millionen russische Zivilisten Opfer der deutschen Wehrmacht wurden..

Die Vorgangsweise des Westens unter der kranken Logik „Schwere Waffen-Frieden schaffen“ sind jedenfalls als fahrlässiges und eskalierendes Unterfangen Deutschlands und der angeblich friedlichen EU einzuschätzen.

Ähnliche Sorgen umtreibt auch Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift „International“ deren jüngste Ausgabe soeben erschienen ist. www.international.or.at

Für die Wiener Zeitung hat Edlinger zu r Causa folgenden Kommentar verfasst :

Alternativen zum „Sieg auf dem Schlachtfeld“ suchen

Fritz Edlinger

Die EU betrachten viele als höchst erfolgreiches Friedensprojekt. Dies bekräftigte auch 2012 die Verleihung des Friedensnobelpreises international. Ruft man sich die jüngsten Stellungnahmen führender EU-Vertreterinnen und -Vertreter in Erinnerung (Außenbeauftragter Josep Borrell: „Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen werden“), ist die EU allerdings auf dem besten Weg, Friedenspolitik neu zu definieren

Mit den massivsten jemals verhängten Wirtschaftssanktionen und -zig Milliarden Euro an Waffenhilfe soll der Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld garantiert und der Aggressor Russland besiegt werden. Zögerliche Politiker wie der deutsche Kanzler, der sich offensichtlich noch an Willy Brandts Ostpolitik erinnern kann, werden von den Medien und auch den eigenen Koalitionspartnern heftig kritisiert. Man fühlt sich an „Die letzten Tage der Menschheit“ („Serbien muss sterbien!“, „A jeder Russ? An Schuss!“) erinnert. Auch die weitgehend gleichgeschaltete mediale Berichterstattung leistet ihren Beitrag zur verstärkt auf militärische Stärke ausgerichteten „Sicherheits“-Politik der EU.

In diesem Zusammenhang ist es sicher kein Zufall, dass in der europäischen Berichterstattung die pazifistische ukrainische Widerstandsbewegung so gut wie nirgends vorkommt. Sie passt einfach nicht ins militaristische Konzept der Proponenten der US/Nato-Sicherheitsdoktrin, die leider auch die politische Führung in Kiew teilt.

Aber es gibt Alternativen. Es ist keine Frage, dass die russische Invasion aufs Schärfste zu verurteilen ist. Trotz oder gerade wegen des Heldentums der ukrainischen Bevölkerung sowie der perfekten medialen Inszenierung des Präsidenten Wolodomyr Selenskyj und seiner mitunter recht anmaßend agierenden internationalen Vertreterinnen und Vertreter, vor allem aber angesichts der unvorstellbaren menschlichen und materiellen Opfer des ukrainischen Volkes sollte man doch den Mut aufbringen, die dominante bellizistische Logik infrage zu stellen.

Um gleich bei der Europäischen Union zu bleiben, so stünde es gerade dieser Friedensnobelpreisträgerin gut an, die jüngste Initiative von UN-Generalsekretär António Guterres in Richtung eines sofortigen humanitären Waffenstillstandes ohne Wenn und Aber zu unterstützen, gegebenenfalls sich sogar daran zu beteiligen. Ein gemeinsamer Besuch von Guterres mit EU-Ratspräsident Charles Michel in Kiew und Moskau wäre zweifellos sinnvoller als die zahllosen Solidaritätsbesuche von EU-Granden in Kiew und wenigen Sondierungstelefonate mit Moskau.

Es stünde auch dem immerwährend neutralen Österreich gut an, sich verstärkt an der Diskussion über Alternativen zum – bis zum endgültigen Sieg geführten – Krieg zu beteiligen. Und sich auch schon Gedanken über die Nachkriegsordnung zu machen. Noch besser wären konkrete friedensschaffende Maßnahmen. Zum Beispiel könnte man zumindest einen Teil der gigantischen Ausgaben für Waffen zur Planung des Wiederaufbaues verwenden, Österreich könnte etwa Geld und Personal für die konkrete Ausarbeitung eines zukünftigen Neutralitätskonzeptes anbieten. Es gäbe also genügend Möglichkeiten, mehr als weitere Waffen zu finanzieren.

Werben für gewaltlose Politik

Wer hätte das vor wenigen Wochen noch gedacht, dass Gewalt und Krieg in Europa wieder die Oberhand gewinnen würden.

Udo Bachmair

Es ist wahrlich unfassbar, nach einer langen Friedensphase nun zurückgeworfen zu sein auf kriegerische Konfliktlösung offenbar jenseits jeglichen zivilisatorischen Fortschritts, den man bis vor kurzem noch als existent und erreicht betrachtet hatte.

Der Aggressor im Ukraine-Krieg ist klar zu benennen. Es ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Doch seine völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine ist nicht zu verstehen ohne eine bereits jahrelang zuvor vom Westen und der NATO massiv betriebene Feindbildpflege. Russland ist von westlicher Propaganda in Politik und Medien beharrlich zum Feindbild Nummer 1 aufgebaut worden.

Die provokative NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands hat auch nicht gerade zur Besänftigung russischer Ängste beigetragen. Ganz im Gegenteil: Angesichts des aggressiven Charakters der NATO, wie die letzten 3 Jahrzehnte zeigen – Beispiele Irak über Jugoslawien bis Libyen – erscheint russische Besorgnis nicht unverständlich.

Machen wir uns nichts vor: Auf beiden Seiten eines Krieges wird Propaganda als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Unabhängig davon, ob Propaganda aus einem westlich demokratischen Bereich oder einem autoritär geführten Staat wie Russland kommt. Warum etwa US-Propaganda „wahrer“ sein sollte, Beispiel die Fakes zur Begründung des Angriffskrieges auf den Irak, entzieht sich jeder vernünftigen Beurteilung,

Was nun Gebot der Stunde ist, ist weitere Eskalation des Ukraine-Krieges, weitere Tote, weiteres Leid zu verhindern. Das kann nicht durch weitere Aufrüstung der Ukraine und den Einsatz tausender Söldner aus dem Ausland erreicht werden, sondern durch diplomatische Beweglichkeit. Diese aber lassen beide Kriegsparteien vermissen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wichtig und sinnvoll in Zeiten wie diesen sind besonnene Stimmen aus Politik und Medien mit unermüdlichem Werben für eine gewaltlose Politik. Eine dieser Stimmen ist die von Sepp Wall-Strasser, Theologe und Wirtschaftswissenschafter. Der SPÖ-Bürgermeister der oberösterreichischen Stadt Gallneukirchen hat eine entsprechende Botschaft via Facebook verbreitet:

„Viele fordern jetzt, Putin zu töten ( „Kopfgelder“ ; Timoschenko „er ist das absolute Böse, wir sind das Licht“ => das Böse muss ausgerottet werden; Forderung eines regime-change,…). Sollte dies passieren, müssen wir damit rechnen, dass dieses Riesenreich in unkontrollierbare Auseinandersetzungen, und, von nationalistischen, rechtsextrem und/oder religiös-fundamentalistisch motivierten Bewegungen und Parteien angetriebenen Kämpfen im kriegerischen Chaos endet. Ein Libyen oder Syrien von Moskau bis Wladivostok… Hirn-und strategieloser können solche Forderungen nicht sein. Es müssen JETZT Schritte für nichtkriegerische Lösungen gefunden werden.

Die Fortsetzung der Dämonisierung und Heroisierung verschlimmert die Lage von Tag zu Tag. Und was gewinnt die Welt dabei? Auch nach Millionen Toten muss irgendjemand zu verhandeln beginnen. Nur weiss niemand, wer bis dahin überlebt hat, und – falls es „Freiheit“ gibt- für wen? Bereits seit Jahren denkt Politik – sowohl „westliche“ wie „östliche“ lmmer mehr in militärischen Kategorien. Dies fällt uns jetzt auf den Kopf. Verhandeln, friedliche Koexistenz, empathische Politik, Zugestehen von historisch bedingten Ängsten und Interessen werden als Schwäche ausgelegt. So kommt es zu „Kränkungen“ und Demütigungen (die nach Haller regelmäßig ihren Ausweg in der Rache suchen). „Recht haben/kriegen“ klafft da auseinander/ kann zum Gegensatz werden zu einer Politik der klugen Lösungen.

Wie sehr sich die Stimmung seit der Nachkriegszeit geändert und die Politik verrannt hat zeigt das Beispiel Deutschland. Während man nach zwei Weltkriegen besorgt war, dass Deutschlands Politik in aller Zukunft auf Demilitarisierung ausgerichtet sei, musste es sich in den letzten Monaten in die Ecke treiben lassen, wieso es KEINE Waffen liefere. Und dann gab es standing Ovations für das größte Aufrüstungsprogramm ever… Dieser Krieg heute ist das Erbe von 30 Jahre unvernünftiger Politik. Wir können es kaum noch ändern. Aber die fatalen Entscheidungen dieser Tage legen die Grundsteine für die Katastrophen von morgen.

Wir sind immer großteils die Erben der Politiken der vergangenen Jahre. Daher müssen wir uns lösen von deren Fesseln und auf eine Politik der nichtkriegerischen und gewaltfreien Politik zurückkommen, wie sie in Ansätzen nach dem Trauma des 2. Weltkrieges doch größere Teile der Politik beherrscht hat. Heutiger Mainstream lässt Politiker wie Roosevelt, Palme, Brandt und Kreisky gar nicht mehr zu. Gesiegt haben die, die ihrem Land die Position „Number ONE“ versprechen, das „Kämpfen bis zum letzten Mann“, die Rettung der heiligen Heimaterde… Vielleicht kann uns eine neue Form der Friedensbewegung, die wir jetzt beginnen müssen, noch retten. Aber es wäre das erste Mal, dass so eine sich durchsetzt VOR der großen Katastrophe. Vielleicht rettet uns diesmal schlicht und einfach die banale Tatsache, dass Biden und den USA der Krieg mit Russland nicht reinpasst, weil sie sich auf die Konfrontation mit China eingestellt haben.“

Plädoyer für Deeskalation

Selten hat ein Zeitungsinterview derartig hasserfüllte Postings ausgelöst wie das heute erschienene STANDARD-Gespräch mit dem Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg zum Ukraine-Krieg.

Udo Bachmair

Der sinnlose und brutale russische Krieg gegen die Ukraine ist menschlich und völkerrechtlich unmissverständlich zu verurteilen. Dennoch sollte trotz aller berechtigten Empörung auch Platz sein für differenzierende Betrachtung von Ursachen und Hintergründen dieses Krieges. Dies hat jedoch in den Medien zurzeit kaum Platz. Und wenn, dann ausschließlich aus der Sicht von USA, EU und NATO.

Wohltuend jenseits von Kriegspropaganda und traditionell antirussischem Mainstream westlicher Berichterstattung sind Veröffentlichungen, die etwas gemäßigter und differenzierter ausfallen. So das erwähnte Interview, das STANDARD-Redakteur Ronald Pohl mit dem in Wien lebenden Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg geführt hat.

Nitzberg ist vor allem durch vielgelobte Neuübertragungen von Bulgakov-Romanen bekanntgeworden. So etwa durch die Übersetzung des weltberühmten Ukraine-Romans „Die weiße Garde“. Nitzberg, Sohn eines Künstlerpaares, rät angesichts des jetzigen Krieges zu Mäßigung und Deeskalation.

Im Folgenden das Gespräch mit Alexander Nitzberg im Wortlaut :

„STANDARD: Präsident Putin hat die Existenz einer ukrainischen Nation regelrecht in Abrede gestellt.

Nitzberg: Ich habe Putins Rede vom 24.2. auf Russisch gehört und eine solche Passage eigentlich nicht vernommen. Russlands Außenminister Lawrow hat erst unlängst gesagt, dass das russische Volk das ukrainische respektiere und als sein Brudervolk ansehe.

STANDARD: Hat Putin nicht explizit von „Denationalisierung“ gesprochen?

Nitzberg: Er sprach wörtlich von „Denazifizierung“. Putins Rhetorik zielt also auf eine Form des ukrainischen Nationalismus, die bis zum Nazismus reicht. Blicken wir auf die beiden Sprachen: Die Wissenschaft konzediert der ukrainischen Sprache eine eigenständige Entwicklung. Aus dem Altrussischen haben sich verschiedene Sprachen entwickelt, Russisch und Ukrainisch verhalten sich zueinander wie etwa Deutsch und Niederländisch. So etwas ist immer ein Politikum: Sobald Sie behaupten, Ukrainisch sei gar keine eigenständige Sprache, sondern ein Dialekt, bewirken Sie etwas. So etwas hängt von der Perspektive ab. Was wäre der sprachliche „Urmeter“, an dem Sie Maß nähmen? Man kann derartige Definitionen nicht der Sprache selbst entnehmen.

STANDARD: Wie kann man die Katastrophe jetzt beenden?

Nitzberg: Es muss ein Faktor der Menschlichkeit das Handeln leiten, und zwar in beide Richtungen. Ich meine damit eine aktiv gelebte Neutralität. Wenn uns Bulgakows Roman Die weiße Garde etwas lehrt, dann Folgendes: Völker werden zu Spielbällen unterschiedlicher Kräfte, gerade auch solcher, die man nicht sieht. Kämpfe werden aber auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, und die Menschen fahren einander schließlich an die Kehle. Grundfalsch wäre ein Schwarzweißmuster der Art: „Hier haben wir es mit dem Guten zu tun, dort mit dem Bösen“.

STANDARD: Hat Sie der 24. Februar überrascht?

Nitzberg: Nicht wirklich. Aber man könnte sich auch die Frage stellen: Wer kämpft hier gegen wen? Eine Antwort lautet: Russland gegen die Ukraine. Doch in Wahrheit halten sich sehr viel mehr „Spieler“ auf dem Spielbrett auf, darunter solche, die massive Eigeninteressen vertreten, wie die USA.

STANDARD: Reagiert der Westen zu emotional?

Nitzberg: Unter den Literaten und Übersetzern wird vielfach derart hysterisch reagiert, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt, gerade in Österreich und Deutschland. Manche Übersetzer geben sich ungemein martialisch. Jeder Versuch, etwas zu dämpfen, um in sich gehen zu können, um Distanz zu gewinnen, wird so verunmöglicht. Dabei wäre es die angemessene Haltung eines Intellektuellen. Kriegszeiten sind Zeiten der Propaganda. Jeder Misserfolg wird dem Gegner in die Schuhe geschoben. Wenn Sie in einem Hochhaus sitzen und einen Granateneinschlag beobachten – woher wollen Sie wissen, von welcher Seite das Geschoss stammt? Hier in Österreich schwingen sich manche Leute nach zwei, drei Tagen zu Akteuren auf. Dabei rühren sie die Kriegstrommel. Unser „Job“ als Intellektuelle ist es doch, Zurückhaltung zu üben.

STANDARD: Viele lassen sich mitreißen?

Nitzberg: Die Frankfurter Buchmesse hat Russland ausgeladen. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber: Der ukrainische PEN-Club fordert die Weltbevölkerung auf, die gesamte russische Literatur zu boykottieren. Mit der Begründung, es würden in der russischen Literatur immer wieder Elemente auftauchen, die die Ukraine beleidigen! Meine Mutter, Jahrgang 1935, hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sie hat als Kind Deutsch gelernt. Ich habe sie daraufhin gefragt: Wurde während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Literatur etwa von den Behörden verboten? Sie antwortete: im Gegenteil. Man hat Goethe, Schiller, Heine rauf und runter rezitiert. Die Sowjetlehrer argumentierten, Deutschland sei eine Kulturnation mit großartigen Schriftstellern. Hitler ist der Zerstörer. Aber die eigentliche Kultur muss verbreitet werden. Wir Menschen der Schrift haben doch eine Mission. Wir müssen die Menschen zusammenbringen, unabhängig von Ethnie und Ideologie.

STANDARD: Ideologische Einschreibungen werden häufig erst nachträglich vorgenommen.

Nitzberg: Man kann Weltliteratur nicht danach beurteilen, ob irgendwelche „problematischen“ Sätze fallen. Meine Position in all den Jahren ist die gelebte Neutralität. Literatur und Kultur gehören aus der Umklammerung durch die Politik herausgelöst. Ich möchte als Übersetzer stets zeigen, ob ich nun Bulgakow oder Charms ins Deutsche übertrage: Es ist immer eine Unart, ein großes Werk der Weltliteratur ausschließlich durch die politische Brille zu lesen. Es ist sinnlos zu fragen, ob ein Werk „für“ etwas oder „gegen“ etwas ist.

STANDARD: Fehlt uns Sinn für Ambivalenz?

Nitzberg: Es gibt nur noch richtig oder falsch, gleich ob es ums Klima geht, um das Geschlecht, um die „Rasse“. Ist man für Putin, gegen Putin? Das sind doch allesamt simplifizierende Haltungen. Ich habe in den vergangenen Jahren wiederholt mit jungen ukrainischen Künstlern Debatten geführt, die rasch „heiß“ wurden. Sie wurden von meinen Freunden gelegentlich sehr nationalistisch geführt. Solche Meinungen kamen von Menschen, die sich für gewöhnlich kosmopolitisch geben. Es finden sich solche Reflexe häufig bei ursächlich emanzipatorischen Bewegungen. Muss eine engagierte Feministin zwangsläufig eine Männerhasserin sein? Wenn Sie an den ukrainischen PEN denken: Was wäre der nächste logische Schritt? Dass wir die russische Literatur verbrennen?

STANDARD: Wir denken nicht dialektisch?

Nitzberg: Nehmen Sie die Causa Gergiev her. Er ist ein erstrangiger Dirigent und wird vor eine simple Frage gestellt: Er soll ein Lippenbekenntnis leisten, das ihm Zugang zur Arbeit gewährt. Er soll abschwören. Das ist unwürdig und dem konkreten Menschen gegenüber respektlos. Selbst wenn er nicht meiner Meinung ist, muss ich das akzeptieren. Es ist doch klar, dass eine Front mitten durch ihn hindurchläuft. Und mitten durch sein Herz.“

Alexander Nitzberg (52) ist gebürtiger Russe und lebt seit 2010 in Wien. Lyrische Werke, darunter der Suhrkamp-Band Farbenklavier (2012). Zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Michail Bulgakow und Boris Sawinkow.