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Palästina-Botschafter als Feindbild

Ein vom ZiB2-Anchor Armin Wolf korrekt moderiertes Streitgespräch hat in Politik und Medien dennoch für ziemliches Aufsehen gesorgt. Allen voran polemisierte der scheidende ÖVP-Spitzenpolitiker Wolfgang Sobotka gegen den ins ORF-Studio eingeladenen palästinensischen Botschafter und schwang die sattsam bekannte Antisemitismus-Keule.

Wolfgang Koppler *

Der TV-Aufreger der Woche war wohl die ZiB2-Konfrontation des palästinensischen Botschafters mit dem Sprecher der israelischen Armee, die einander nichts schuldig blieben. Sogar Nationalratspräsident Sobotka schaltete sich ein und witterte Antisemitismus. Er sah wohl eine letzte Chance, sich vor seinem Abgang noch schnell zu profilieren. Angesichts seiner schlechten Umfragewerte wohl nicht ganz unverständlich.

Tragisch, dass der kurz vor einem Flächenbrand stehende Nahostkrieg – und als solchen muss man die immer blutigeren Auseinandersetzungen zwischen Hamas, Hisbollah und Israel inzwischen wohl bezeichnen – in einem neutralen Staat wie Österreich derart missbraucht wird. Und noch tragischer, dass manche Politiker und Journalisten Österreichs problematische Vergangenheit, die neben historischer Aufarbeitung eigentlich zu einem besonderen Verantwortungsbewusstsein für Menschenrechtsverletzungen gleich welcher Art führen müsste, dazu nutzen, sich dadurch in Szene zu setzen, dass sie Netanjahu und der israelischen Rechten eine Art Blankoscheck ausstellen. Um eine ganze Region ins Unglück und das eigene Land ins Verderben zu stürzen.

Hamas und Hisbollah müssen vernichtet werden. Koste es, was es wolle. Selbstverständlich war der blutige Überfall der Hamas am 7. Oktober des Vorjahres ein Terrorakt. Aber je blutiger und risikoreicher dieser Antiterrorkrieg wird, desto mehr verblassen die Geschehnisse des 7. Oktober in den Köpfen vieler Menschen, vor allem bei jenen, die ums nackte Überleben kämpfen und mit diesem Terrorakt nichts zu tun haben. Und selbst wenn man um den Preis zigtausender Toter die Hamas aus dem Gazastreifen vertreiben könnte, würde sie woanders weiterexistieren und vielleicht würde an ihre Stelle eine noch radikalere Organisation treten. Da sind sich zahlreiche Experten einig.

Man kann das Böse nicht mit unlauteren Mitteln bekämpfen, ohne sich selbst ins Unrecht zu setzen und damit dem Gegner in die Hände zu spielen. Wir sind nicht Gott. Und auch Jahwe musste seinen Zorn letztlich bändigen. Um jenem Volk eine Chance zu geben, das er liebte und auserkoren hatte. Das gilt nicht inzwischen nicht nur für Israel, sondern für uns alle. Wir sind Menschen und keine Götter, Gerieren wir uns als solche, werden wir zum Teufel. Was selbstverständlich auch für andere Kriege gilt.

https://www.derstandard.at/story/3000000240388/nach-zib-2-mit-palaestina-botschafter-orf-chef-weist-kritik-sobotkas-zurueck

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Möglichkeit einer Karthasis

Der Antrag des Internationalen Strafgerichtshofes auf Haftbefehl gegen Israels Kriegs-Premier Netanjahu hat eine Welle von Empörung und Unverständnis in österreichischen Medien ausgelöst.

Walter Baier *

Der Spin, den die österreichischen Medien ihren Berichten über den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes gegen Benjamin Netanjahu geben, ist, nicht über dessen Begründung, das heißt die im Gaza-Streifen von der israelischen Armee begangenen Verbrechen zu reden, sondern über die Schutzbehauptungen des Beschuldigten. Dabei ist das Argument, dass durch den gleichzeitig erlassenen Haftbefehl gegen die Hamas-Führer eine Gleichsetzung erfolge, in zweierlei Hinsicht falsch. Erstens, weil bei der Unzahl der täglich ausgestellten Haftbefehle bisher niemand auf die abstruse Idee gekommen ist, es sei eine Gleichartigkeit der verfolgten Delikte unterstellt. Und zweitens, weil Massenmord eben Massenmord, Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eben Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Punkt. Der Versuch davon abzulenken, kommt einem Eingeständnis der Sachverhalte gleich.

Im Falle Netanjahus reden wir von der politischen Verantwortung für 35.000 tote Palästinenser*innen, zwei Drittel Zivilist*innen, darunter 10.000 getötete Kinder, dem Erdboden gleichgemachte Städte und eine auf viele Jahre unbewohnbare Landschaft. Ob dies von der internationalen Gemeinschaft als ein Völkermord qualifiziert wird, wird der Internationale Strafgerichtshof demnächst entscheiden. Allein, dass diese Beschuldigung vom Gericht als plausibel zugelassen wurde, zeigt, was Netanjahu aus Israel gemacht hat.
Die Haftbefehle gegen die Verantwortlichen sind in beiden Fällen sachlich gerechtfertigt. Israel und die wahren Freund*innen des israelischen Volks sollten sie als Möglichkeit einer notwendigen Katharsis verstehen.

* Dr. Walter Baier ist Friedensaktivist und Politiker sowie Autor zahlreicher Veröffentlichungen vorwiegend zu Themen des Sozialismus. Seit 2022 ist er Vorsitzender der Europäischen Linken.

Zitat der Woche

Israels Krieg gegen Gaza wütet weiter. Ungeachtet der Bemühungen sogar der Israelschutzmacht USA, das israelische Kriegsregime zum Einlenken zu bewegen. Besorgnis lässt sich ablesen auch aus einem (jüngst im KURIER entdeckten) Zitat, ausgewählt von

Udo Bachmair

„Die Entmenschlichung,
die Israel beim Massaker der Hamas erlebt hat,
kann kein Freibrief sein,
um selbst andere zu entmenschlichen“

sagt US-Außenminister Anthony Blinken zur Weigerung von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und dessen rechtsradikalen Ministerkollegen, die Lage in Gaza zu „beruhigen“.

Bekanntlich hat der Krieg Israels gegen Gaza bereits mehr als 27.000 Menschenleben gefordert, unter ihnen einen großen Anteil an Kindern. Mit der nun angekündigten militärischen Aggression im Raum Rafah ist ein weiterer hoher Blutzoll zu befürchten

Die Bemerkung Blinkens ist auch insofern bemerkenswert, als die USA bei den von der NATO geführten Angriffskriegen selbst ebenfalls kaum Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen haben.

Vorbildliches ORF-Weltjournal

Der im jüngsten Weltjournal-Spezial des ORF gezeigte US-Beitrag zu „Netanjahu, die USA und der Weg in den Gaza-Krieg“ ließ betreffend Objektivität, Detailgenauigkeit und Engagement kaum Wünsche offen.

Wolfgang Koppler *

Die erwähnte Sendung zeigt, was Journalismus sein könnte und wie weit wir in Österreich und Deutschland davon entfernt sind.

In etwas weniger als anderthalb Stunden wurden die Geschichte des Gaza-Konflikts und die Ursachen des gegenwärtigen grauenhaften Krieges ebenso wie die diesbezüglich oft problematische Haltung der USA verständlich, differenziert und einfühlsam geschildert. Er beschäftigte sich vor allem mit dem Aufstieg und letztlich dem Scheitern Benjamin Netanjahus, der das Osloer Abkommen und eine Zweistaatenlösung von Anfang an ablehnte und an Stelle einer Kooperation mit den Palästinensern auf militärische Stärke und Scheinsicherheit setzte. Und letztlich zum Getriebenen statt zum Akteur wurde.

Mit diesem Konzept versuchte er schon Rabin zu desavouieren, dessen Friedensbemühungen er als schädlich für Israel ansah. Rabins Ermordung kostete ihn vorübergehend die Gunst der Wähler. Erst Hamas-Attentate brachten Bibi wieder Popularität. 1996 wurde er erstmals Regierungschef und später Minister in Sharons Kabinett, aus dem er austrat, als dieser die israelische Armee aus dem Gazastreifen zurückzog und diesen abriegelte.

Sharons Fall ins Koma machte dann den Weg frei für Netanjahus neuerlichen Aufstieg an die Regierungsspitze. Angriffe aus dem Gazastreifen beantwortete er regelmäßig mit Luftangriffen und Militäraktionen („Rasenmähen“). Seine Siedlungspolitik wurde zwar von den US-Präsidenten Clinton, Bush und erst recht Obama kritisiert, aber nie wirklich behindert. Bis dann Trump die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegte und den Likud-Hardliner auch noch beim Siedlungsbau ermutigte.

Der Beitrag zeigt interessante Interviews mit Vertretern der Palästinenser, kritischen israelischen Journalisten ebenso wie etwa mit Trumps US-Botschafter in Jerusalem. Der bis heute ebenso wenig vom Nahostkonflikt und dem Palästinenserproblem zu verstehen scheint wie sein ehemaliger Chef Trump, der meinte, mit einigen Milliardeninvestitionen im Westjordanland die Palästinenser befriedigen zu können.

Ein Beitrag, aus dem nicht nur amerikanische, sondern vielleicht auch Brüsseler Politiker etwas lernen könnten. Trotz oder gerade unserer historischen Verantwortung wegen. Vor allem, wie sich Emotionen einerseits und selbstgefällige Empathielosigkeit mit den Betroffenen anderseits auf beiden Seiten zu einem gefährlichen Gebräu entwickeln können. Vor allem, wenn man dabei vernünftige Interessenabwägung und Selbstbescheidung aus dem Augen verliert. Auch im Ukrainekrieg.

Sehenswert. Auch für Journalisten. www.tvthek.orf.at/profile/Weltjournal/1328

*Gastautor Mag. Wolfgang Koppler lebt als Journalist und Jurist in Wien