Schlagwort-Archive: Neutralität

Für eine engagierte Neutralität

Auffällig ist in vielen Medien die Tendenz, die österreichische Neutralität als nicht mehr zeitgemäß darzustellen. Doch nicht alle Experten sehen dies so.

Udo Bachmair

Die österreichische Neutralität sei überholt und kein effektiver Schutz in Zeiten wie diesen. Mit dieser Botschaft sollen MedienkonsumentInnen offenbar Zug um Zug an den Gedanken eines NATO-Beitritts Österreichs gewöhnt werden, als eine sozusagen logische Konsequenz. Dies offen auszusprechen traut sich jedoch kaum jemand im Politik- und Medienbereich, auch nicht die NEOS, die die Neutralität besonders deutlich in Frage stellen. Sie träumen von einem eigenständigen EU-Verteidigungssystem, das letztlich, sollte es überhaupt jemals realisiert werden, wiederum voll unter die Domäne und den Einflussbereich der NATO käme.

Wie auch immer, kein Weg würde in weiterer Folge an der NATO vorbeiführen. Dass seitens der westlichen Militärallianz ein großes Interesse auch an einem Beitritt Österreichs bestünde, liegt auf der Hand. Umso mehr obliegt bzw. obläge es seriösen und beherzten Experten, Argumente pro Beibehaltung der in der Verfassung garantierten und bisher auch bewährten Neutralität einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Einer dieser Wissenschafter, nämlich der renommierte Politologe Heinz Gärtner, bringt Rolle und Bedeutung eines neutralen Staates wie Österreich besonders gut auf den Punkt, indem er klar festhält:

„Neutrale Staaten sind nicht wertneutral. Im Gegenteil, »engagierte Neutralität« bedeutet, Stellung zu nehmen zu schweren Menschenrechtsverletzungen, Genozid und Krieg. Neutrale Staaten sind aber nicht gezwungen, die Positionen von Großmächten oder Bündnissen zu übernehmen. Engagierte Neutralität ist also das Gegenteil von Abseitsstehen. Sie bedeutet Einmischen, wann immer möglich, und Heraushalten, wann immer nötig. Damit kann sie ein wertvoller Beitrag der Vermittlung und der Deeskalation in Zeiten immer schärfer werdender Konfrontationen sein. Somit behält sich der Neutrale einerseits die Macht, Weisungen von Bündnissen nicht auszuführen. Andererseits wird Status der Neutralität glaubhaft und nützlich.“

Mainstream-Medien auf NATO-Linie ?

Immer deutlicher wird offenbar, dass österreichische Medien zunehmend auf kritischen Kurs gegenüber unserer Neutralität einschwenken bzw. bereits eingeschwenkt sind.

Fritz Edlinger *

Die Berichterstattung mancher österreichischer Medien über die von rund 70% der heimischen Bevölkerung geschätzten immerwährenden Neutralität lässt zunehmend Zweifel an den Absichten mancher Herausgeber und ihrer Journalisten entstehen. Vor allem die überregionalen Zeitungen – ich meine hier vor allem Kurier, Standard und Presse – bombardieren ihre Leserinnen und Leser mit neutralitätskritischen Analysen und Interviews.

Ganz zufällig haben sowohl der Kurier als auch der Standard elendslange Interviews mit dem als NATO-Propagandisten bekannten US-Professor Timothy Snyder veröffentlicht, der nicht nur die NATO-Ukraine-Politik ohne weitere Wenn und Aber unterstützt, sondern der sich auch noch die Freiheit nimmt, Österreich darauf hinzuweisen, dass seine Neutralität seit langem nicht mehr zeitgemäß sei.

Den sprichwörtlichen Vogel hat allerdings der langjährige ORF-Auslandskorrespondent und regelmäßiger Falter-Kommentator Raimund Löw, der in seinem Kommentar im Falter die Demolierung der Neutralität konstatiert und empfiehlt, dass sich Österreich ebenfalls dem „Schutz der NATO“ anvertrauen soll. Im ebenfalls einmal linksliberal positionierten Standard liest man es ähnlich. Die Zeitenwende hat ganz offensichtlich in den Hirnen vieler Menschen, vor allem auch solcher in Politik und Medien tätigen, zu einer radikalen Bewusstseins- und Meinungsveränderung geführt. Die deutsche Außenministerin ist da offensichtlich kein Einzelfall.

Dass Hopfen und Malz noch nicht gänzlich verloren sind, beweisen einige mutige Autoren, wie unser langjähriges Redaktionsmitglied Prof. Heinz Gärtner (siehe sein aktuelles Interview in der deutschen Zeitschrift Die Zeit und auch eines im Schweizer Rundfunk). Auch ein langes Interview mit Prof. Dieter Segert (übrigens ebenfalls Autor in der aktuellen Ausgabe von INTERNATIONAL) in den Salzburger Nachrichten zeigt, dass es doch noch nachdenkliche und friedenswillige Menschen gibt. Der langjährige ORF-Redakteur Udo Bachmair gehört ohne Zweifel ebenfalls zu dieser Gruppe, wie sein Kommentar in der Internet-Zeitschrift „Unsere Zeitung“ (siehe Link) beweist. Offensichtlich verbreiten sich gewisse meinungsändernde Viren in bestimmten – zumeist großstädtischen Blasen – stärker als in periphereren Milieus.

Ich möchte abschließend nochmals auf einige unserer jüngsten Videos zu Fragen der Neutralität und der Friedenspolitik verweisen. Wir werden weiterhin derartige nationale und internationale Positionen verbreiten, um die Möglichkeit zu geben, sich auch Informationen zu besorgen, die man in den meisten der heimischen Mainstreammedien kaum mehr findet. Dass Meinungsfreiheit und Pluralismus zu den Grundsäulen unserer „freiheitlich-demokratischen“ Grundordnung zählen, scheint immer weniger Menschen bewusst zu sein. Zumindest bei jenen, welche privilegierte Zugänge zu Medien haben.

Links:

www.international.or.at

www.unsere-zeitung.at/2023/07/15/neutralitaet-ade/

www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/hat-die-neutralitaet-ausgedient?partId=12417424

Die Zeit: „Diese Raketen sind nicht nur ein Schutz“- Prof. Heinz Gärtner

* Fritz Edlinger ist Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL. Der Text ist aus dessen Newsletter entnommen.

Medienkampagne gegen die Neutralität

In Berichten und Kommentaren mehren sich jene Stimmen, die Österreichs Neutralität als überholt betrachten. Experten, die dies anders sehen, sind in unseren Medien eher nicht willkommen. Doch es gibt Ausnahmen.

Udo Bachmair

Beim Medienkonsum der vergangenen Wochen fällt die zunehmende Tendenz in der Berichterstattung auf, die österreichische Neutralität als nicht mehr sinnvoll darzustellen. In der veröffentlichten Meinung dominieren Argumente, die letztlich zur Aufweichung der Neutralität führen sollen. Gleichzeitig fehlt den meisten Neutralitätsskeptikern der Mut, offen auszusprechen, dass die einzige Alternative zu der bei Österreichs Bevölkerung höchst populären Neutralität der Beitritt zur NATO wäre.

Während im Social Media-Bereich auch warnende Argumente vor einer Abkehr von Österreichs Neutralität und einem NATO-Beitritt zu finden sind, wird man diesbezüglich in Printmedien oder auch in ORF-Beiträgen kaum fündig. Es kommen nahezu ausschließlich neutralitätsskeptische und NATO-nahe Stimmen vor, die die Neutralität am liebsten über Bord werfen würden. Differenzierend argumentierende Persönlichkeiten, wie etwa der frühere Bundesheergeneral Wolfgang Greindl oder der besonders profunde Politikwissenschaftler Heinz Gärtner kommen hingegen kaum zu Wort.

Mit einer positiven Ausnahme überrascht hingegen die renommierte deutsche Wochenzeitschrift ZEIT. Sie hat ein höchst bedenkenswertes Interview mit Univ. Prof. Gärtner veröffentlicht.

Gärtner sieht im Beitritt Österreichs zur European Sky Shield Initiative rechtlich keine Neutralitätsverletzung, wenngleich das österreichische Bundesheer damit NATO-tauglicher gemacht werden solle. Der Politologe befürchtet aber Gefahren für unser Land. Raketen des künftigen Luftabwehrsystems könnten nicht nur ein Schutz, sondern auch zu einem „Magneten“ werden:

„Man weiß ja noch nicht genau, welche Waffen Österreich am Ende kaufen wird, aber die Rede bei Sky Shield ist zum Beispiel von solchen, die 20 bis 80 Kilometer weit fliegen können. Diese können nicht nur als Defensiv-, sondern auch als Offensivwaffen betrachtet werden – und damit zu einem Ziel werden. Ein potentiell feindlicher Staat könnte versuchen wollen, sie zu vernichten“

Prof. Gärtner hebt in dem ZEIT-Interview die Funktion des neutralen Staates als Vermittler in Konfliktsituationen hervor. Österreichs Außenpolitik hat sich ja von dieser noch zu Kreiskys Zeiten vorbildlichen Rolle Österreichs bereits sehr weit entfernt :

„Nach einem Ende des Krieges in der Ukraine sollte es einen Prozess geben – wie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki 1975. Die Nato-Staaten werden diese Funktion nicht übernehmen können. Österreich oder die Schweiz aber schon“

Und dann im Interview die erwartete und immer wieder in den Medien gestellte Frage: Ist die Neutralität noch zeitgemäß ? Heinz Gärtner dazu klar: „Ja, natürlich“:

Heinz Gärtner plädiert in dem Gespräch mit ZEIT-Redakteur Florian Gasser für das Konzept einer „engagierten Neutralität“, indem er ausführt:

„Wir müssen uns so viel wie möglich einmischen und so viel wie notwendig raushalten. Das ist etwas anderes als die traditionelle isolationistische Position, die etwa die FPÖ noch vertritt. Die wollen still sitzen und sich nirgendwo beteiligen. Das ist das Gegenteil einer engagierten Neutralität. Österreich sollte sich diplomatisch unbedingt stärker engagieren. Wir müssen uns wieder mehr einsetzen und uns auch wieder stärker bei Friedensmissionen der UN beteiligen.“

Auch im neutralen Irland läuft zu diesem Thema eine rege Debatte. Dort dürfte man jedoch im Widerstand gegen eine Aufweichung der Neutralität schon weiter sein als in Österreich. Als besonders laute und beherzte Stimme pro Neutralität erweist sich in Irland die linke EU-Abgeordnete Clare Daly. Sie ist als Hauptrednerin und Organisatorin einer Neutralitätskonferenz vehement gegen Versuche der irischen Regierung aufgetreten, Abstriche von der Neutralität zu machen.

Näheres zur Neutralitätsdebatte in Irland hat Fritz Edlinger, Herausgeber und Chefredakteur der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL zur Verfügung gestellt:

www.international.or.at/wp-content/uploads/2023/07/Reinisch_Irl-Neutraliaetsdebatte_International_2023-07-01.pdf

Reste von Vernunft

Hin und wieder ist auch in der Kronenzeitung Positives zu entdecken.

Wolfgang Koppler *

Man sagt mir nach, ich sähe im Emmentaler nur die Löcher. Und so fallen mir meistens Beispiele für schlechten Journalismus auf.

Die Krone vom 3.7. war (abgesehen von der etwas reißerischen Schlagzeile) eine angenehme Überraschung. Auf den Seiten 2-3 ein Interview mit Philipp Kucher, dem neuen Klubchef der SPÖ im Nationalrat, in dem es darum ging, wie man die Partei wieder einen könnte. Kucher gilt ja als Doskozil-Mann (aber auch als Brückenbauer) und erkennt die Notwendigkeit, Doskozil und seine Anhänger in den Erneuerungsprozess einzubinden

Ein wirkliches Highlight war aber Christians Hauensteins Artikel auf S 4: Er nimmt die Diskussion über die österreichische Neutralität anlässlich des nicht ganz unproblematischen Beitritts zum Luftverteidigungssystem Skyshield zum Anlass, die internationale Bedeutung der Neutralität von Österreich und der Schweiz als Beispiel für andere Länder hervorzuheben, die – so wie einst Österreich – in den Konflikt zwischen Machtblöcken zu geraten drohen.

Zu solchen Ländern zählen ehemalige Sowjetrepubliken wie die 5 „Stans“, also Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan. Kirgistan und Tadschikistan. Das autoritär regierte, aber laut Verfassung neutrale Turkmenistan hat nämlich in Kooperation mit der Parlamentarischen Versammlung der OSZE zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Neutralität in Zentralasien“ nach Aschabad geladen, zu der neben Vertretern der obgenannten Staaten auch Diplomaten aus Deutschland und Russland kamen. Und Experten aus der Schweiz und Österreich, wie etwa Heinz Gärtner, die die Vor- und Nachteile sowie die jeweilige Auslegung der Neutralität in ihren Ländern erklärten. Sie sprachen sich für einen neutralen Block in Zentralasien aus. Kronejournalist Christian Hauenstein meinte am Schluss seines Beitrags, die „atomwaffenfreie Pufferzone“ dieser Staaten könnte dadurch stabiler werden.

Was eigentlich jedem vernünftigen Menschen einleuchten müsste. Insbesondere wenn man Politik als Spiel von Interessen begreift. Aber in Kriegszeiten geht die Vernunft bekanntlich regelmäßig verloren. Und so wurde auch diese Veranstaltung in anderen Medien weitgehend totgeschwiegen. Denn Neutralität gilt als unmoralisch.

*Gastautor Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien

Neutralität über Bord

Schade um die „Wiener Zeitung“, die Ende Juni eingestellt wird. In ihr sind bzw. waren immer wieder Berichte zu lesen, die man in anderen Medien vergeblich sucht.

Udo Bachmair

Die Wiener Zeitung, der die Regierungsparteien ÖVP und Grüne mit Ende Juni den Todesstoß versetzen, ist nicht nur generell mit Qualitätsjournalismus aufgefallen. Die älteste Zeitung der Welt hat auch immer wieder mit journalistischen Beiträgen gepunktet, die anderswo nicht erschienen sind.

Jüngstes Beispiel dafür sind von anderen Medien bewusst oder unbewusst übersehene, jedoch für Österreich durchaus relevante Äußerungen von Maria Sacharowa, der Sprecherin des russischen Außenministeriums. Sie reagierte auf eine Aussage von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gegenüber der deutschen Tageszeitung „Die Welt“, in der er von einem „informellen Dialog“ zwischen Wien und Moskau gesprochen hatte.

Einen solchen Dialog gebe es nicht, konterte Sacharowa. Sie erklärte- zitiert von der Wiener Zeitung – laut der russischen Nachrichtenagentur TASS :

„Österreich, das sich gegenüber Russland eindeutig auf die Seite des Westens in seiner feindlichen Politik gestellt hat, hat seine bisher unabhängige Rolle in der Außenpolitik aufgegeben und das Prinzip der Neutralität über Bord geworfen“

Harte und deutliche Worte, die eines gewissen Wahrheitsgehalts nicht entbehren. Hat sich doch Österreich, allen voran der Bundespräsident, mit undiplomatisch antirussischen Attacken (neutralitäts)politisch angreifbar gemacht. Realistische Chancen sind damit für Österreich geschwunden, als Ort von Verhandlungen zur Beendigung des völkerrechtswidrigen Krieges gegen die Ukraine in Frage zu kommen.

Kommt hinzu, dass hierzulande zunehmend Medien-Kommentare und PolitikerInnen-Äußerungen zu registrieren sind, die die Neutralität Österreichs in Frage stellen und behaupten, dass diese für unser Land keinen Schutz darstellen würde. Ein NATO-Beitritt Österreichs sei zu diskutieren. Das aber würde Russland als eine der Staatsvertragsmächte wohl endgültig vor den Kopf stoßen und die Beziehungen Wien/Moskau nachhaltig auf Eis legen. Größere Sicherheit wäre damit für Österreich nicht verbunden, warnen Experten.

NATO-Beitritt statt Neutralität

Ein bezeichnendes Licht auf die Qualität unseres „Qualitätsjournalismus“ wirft die derzeitige Diskussion zur „sicherheitspolitischen Neuorientierung“ unseres Landes, in Wirklichkeit nichts anderes als die Forderung nach Abschied von der Neutralität und NATO-Beitritt. Denn selbstverständlich würde es nicht bei einer Bündnisfreiheit bleiben.

Wolfgang Koppler

Da wird die Moralkeule geschwungen, wie etwa im Standard und der ZiB2 des ORF und beklagt, dass „bei dem schon ein Jahr währenden Blutbad“ in der Ukraine (die zugegebenermaßen ungeschickt argumentierende) EU-Ministerin Edtstadler immer noch einen „offenen Diskurs“ verweigern würde (Standard). Und geradezu empört gefragt, was wäre, wenn alle neutral wären (Armin Wolf). Als ob ein NATO-Beitritt Österreichs irgendetwas an dem dortigen Gemetzel ändern würde, außer die innen- und außenpolitischen Spannungen zu verschärfen. Und als ob die derzeitige Eskalation noch nicht genug wäre. Oder die Bettelbesuche von Erdogan-Versteher Stoltenberg in Ankara.

Und zum Überdruss wird das sattsam bekannte Trittbrettfahrer-„Argument“ strapaziert, was im Ergebnis nichts anderes heißt, als dass sich unsere Politiker am Interesse der NATO orientieren sollten, das lästige Loch in deren Aufmarschgebiet zu schließen. Statt am Interesse ihres Landes. Denn ein sicherheitspolitischer Mehrwert für Österreich ist nicht ersichtlich. Nicht einmal das Bundesheer kann einen solchen Mehrwert wirklich darlegen, sondern gibt teilweise sogar offen zu, dass man um das Heeresbudget in den nächsten Jahren fürchtet, wenn die Diskussion abflaut. Die Konsequenzen eines nicht mehr rückgängig zu machenden NATO-Beitritts unter der Defacto-Führungsmacht USA (unter Präsidenten wie Bush und Trump) werden überhaupt ausgeklammert.

Und dann gibt es noch die völkerrechtliche Seite der Angelegenheit. Da wird zwar jeden Tag hundert Mal auf die Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffskriegs verwiesen. Geht es aber um Österreichs Neutralität, ist das Völkerrecht schlichtweg „Blunzn“. Der einzige Journalist, der auf die völkerrechtliche Seite der Angelegenheit verwiesen hat, ist der Boulevardjournalist Richard Schmitt. Eine Schande für den so genannten Qualitätsjournalismus (ganz unabhängig davon, welche Auffassung man vertritt).

Und als Jurist darf ich vermerken: Er hat Recht. Die Notifikationstheorie gilt nach wie vor. Unsere Neutralität wurde sämtlichen Staaten notifiziert, mit der Möglichkeit zum Widerspruch. Schon die Aushöhlung der Neutralität im Zuge des EU-Beitritts und die Novellierung des Art 23 f BVG (Petersberg-Maßnahmen) war im Prinzip völkerrechtswidrig, wie auch eine sehr interessante Arbeit einer Grazer Juristin aus dem Jahr 2011 beweist.* Die Beendigung der Neutralität oder gar der Beitritt zu einem Militärbündnis wäre es umso mehr. Und der bekannte Einwand, dass uns die Neutralität aufgezwungen worden wäre, müsste eigentlich dazu führen, dass ein Großteil der völkerrechtlichen Vereinbarungen null und nichtig wäre, da sich nur selten zwei gleichmächtige Vertragspartner gegenüberstehen. Da könnte man zahlreiche Kriege wieder aufflammen lassen.

* https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/222526/full.pdf

Hinzugefügt sei ein Hinweis (von Udo Bachmair) auf einen weiteren brillanten Beitrag von Univ. Prof. Heinz Gärtner zum Thema „Engagierte Neutralität“:

https://www.derstandard.at/story/2000144314288/engagierte-neutralitaet-glaubwuerdig-und-nuetzlich

Plädoyer für Deeskalation

Selten hat ein Zeitungsinterview derartig hasserfüllte Postings ausgelöst wie das heute erschienene STANDARD-Gespräch mit dem Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg zum Ukraine-Krieg.

Udo Bachmair

Der sinnlose und brutale russische Krieg gegen die Ukraine ist menschlich und völkerrechtlich unmissverständlich zu verurteilen. Dennoch sollte trotz aller berechtigten Empörung auch Platz sein für differenzierende Betrachtung von Ursachen und Hintergründen dieses Krieges. Dies hat jedoch in den Medien zurzeit kaum Platz. Und wenn, dann ausschließlich aus der Sicht von USA, EU und NATO.

Wohltuend jenseits von Kriegspropaganda und traditionell antirussischem Mainstream westlicher Berichterstattung sind Veröffentlichungen, die etwas gemäßigter und differenzierter ausfallen. So das erwähnte Interview, das STANDARD-Redakteur Ronald Pohl mit dem in Wien lebenden Autor und Übersetzer Alexander Nitzberg geführt hat.

Nitzberg ist vor allem durch vielgelobte Neuübertragungen von Bulgakov-Romanen bekanntgeworden. So etwa durch die Übersetzung des weltberühmten Ukraine-Romans „Die weiße Garde“. Nitzberg, Sohn eines Künstlerpaares, rät angesichts des jetzigen Krieges zu Mäßigung und Deeskalation.

Im Folgenden das Gespräch mit Alexander Nitzberg im Wortlaut :

„STANDARD: Präsident Putin hat die Existenz einer ukrainischen Nation regelrecht in Abrede gestellt.

Nitzberg: Ich habe Putins Rede vom 24.2. auf Russisch gehört und eine solche Passage eigentlich nicht vernommen. Russlands Außenminister Lawrow hat erst unlängst gesagt, dass das russische Volk das ukrainische respektiere und als sein Brudervolk ansehe.

STANDARD: Hat Putin nicht explizit von „Denationalisierung“ gesprochen?

Nitzberg: Er sprach wörtlich von „Denazifizierung“. Putins Rhetorik zielt also auf eine Form des ukrainischen Nationalismus, die bis zum Nazismus reicht. Blicken wir auf die beiden Sprachen: Die Wissenschaft konzediert der ukrainischen Sprache eine eigenständige Entwicklung. Aus dem Altrussischen haben sich verschiedene Sprachen entwickelt, Russisch und Ukrainisch verhalten sich zueinander wie etwa Deutsch und Niederländisch. So etwas ist immer ein Politikum: Sobald Sie behaupten, Ukrainisch sei gar keine eigenständige Sprache, sondern ein Dialekt, bewirken Sie etwas. So etwas hängt von der Perspektive ab. Was wäre der sprachliche „Urmeter“, an dem Sie Maß nähmen? Man kann derartige Definitionen nicht der Sprache selbst entnehmen.

STANDARD: Wie kann man die Katastrophe jetzt beenden?

Nitzberg: Es muss ein Faktor der Menschlichkeit das Handeln leiten, und zwar in beide Richtungen. Ich meine damit eine aktiv gelebte Neutralität. Wenn uns Bulgakows Roman Die weiße Garde etwas lehrt, dann Folgendes: Völker werden zu Spielbällen unterschiedlicher Kräfte, gerade auch solcher, die man nicht sieht. Kämpfe werden aber auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, und die Menschen fahren einander schließlich an die Kehle. Grundfalsch wäre ein Schwarzweißmuster der Art: „Hier haben wir es mit dem Guten zu tun, dort mit dem Bösen“.

STANDARD: Hat Sie der 24. Februar überrascht?

Nitzberg: Nicht wirklich. Aber man könnte sich auch die Frage stellen: Wer kämpft hier gegen wen? Eine Antwort lautet: Russland gegen die Ukraine. Doch in Wahrheit halten sich sehr viel mehr „Spieler“ auf dem Spielbrett auf, darunter solche, die massive Eigeninteressen vertreten, wie die USA.

STANDARD: Reagiert der Westen zu emotional?

Nitzberg: Unter den Literaten und Übersetzern wird vielfach derart hysterisch reagiert, dass es mir regelrecht den Atem verschlägt, gerade in Österreich und Deutschland. Manche Übersetzer geben sich ungemein martialisch. Jeder Versuch, etwas zu dämpfen, um in sich gehen zu können, um Distanz zu gewinnen, wird so verunmöglicht. Dabei wäre es die angemessene Haltung eines Intellektuellen. Kriegszeiten sind Zeiten der Propaganda. Jeder Misserfolg wird dem Gegner in die Schuhe geschoben. Wenn Sie in einem Hochhaus sitzen und einen Granateneinschlag beobachten – woher wollen Sie wissen, von welcher Seite das Geschoss stammt? Hier in Österreich schwingen sich manche Leute nach zwei, drei Tagen zu Akteuren auf. Dabei rühren sie die Kriegstrommel. Unser „Job“ als Intellektuelle ist es doch, Zurückhaltung zu üben.

STANDARD: Viele lassen sich mitreißen?

Nitzberg: Die Frankfurter Buchmesse hat Russland ausgeladen. Das wäre an sich schon schlimm genug. Aber: Der ukrainische PEN-Club fordert die Weltbevölkerung auf, die gesamte russische Literatur zu boykottieren. Mit der Begründung, es würden in der russischen Literatur immer wieder Elemente auftauchen, die die Ukraine beleidigen! Meine Mutter, Jahrgang 1935, hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. Sie hat als Kind Deutsch gelernt. Ich habe sie daraufhin gefragt: Wurde während des Zweiten Weltkriegs die deutsche Literatur etwa von den Behörden verboten? Sie antwortete: im Gegenteil. Man hat Goethe, Schiller, Heine rauf und runter rezitiert. Die Sowjetlehrer argumentierten, Deutschland sei eine Kulturnation mit großartigen Schriftstellern. Hitler ist der Zerstörer. Aber die eigentliche Kultur muss verbreitet werden. Wir Menschen der Schrift haben doch eine Mission. Wir müssen die Menschen zusammenbringen, unabhängig von Ethnie und Ideologie.

STANDARD: Ideologische Einschreibungen werden häufig erst nachträglich vorgenommen.

Nitzberg: Man kann Weltliteratur nicht danach beurteilen, ob irgendwelche „problematischen“ Sätze fallen. Meine Position in all den Jahren ist die gelebte Neutralität. Literatur und Kultur gehören aus der Umklammerung durch die Politik herausgelöst. Ich möchte als Übersetzer stets zeigen, ob ich nun Bulgakow oder Charms ins Deutsche übertrage: Es ist immer eine Unart, ein großes Werk der Weltliteratur ausschließlich durch die politische Brille zu lesen. Es ist sinnlos zu fragen, ob ein Werk „für“ etwas oder „gegen“ etwas ist.

STANDARD: Fehlt uns Sinn für Ambivalenz?

Nitzberg: Es gibt nur noch richtig oder falsch, gleich ob es ums Klima geht, um das Geschlecht, um die „Rasse“. Ist man für Putin, gegen Putin? Das sind doch allesamt simplifizierende Haltungen. Ich habe in den vergangenen Jahren wiederholt mit jungen ukrainischen Künstlern Debatten geführt, die rasch „heiß“ wurden. Sie wurden von meinen Freunden gelegentlich sehr nationalistisch geführt. Solche Meinungen kamen von Menschen, die sich für gewöhnlich kosmopolitisch geben. Es finden sich solche Reflexe häufig bei ursächlich emanzipatorischen Bewegungen. Muss eine engagierte Feministin zwangsläufig eine Männerhasserin sein? Wenn Sie an den ukrainischen PEN denken: Was wäre der nächste logische Schritt? Dass wir die russische Literatur verbrennen?

STANDARD: Wir denken nicht dialektisch?

Nitzberg: Nehmen Sie die Causa Gergiev her. Er ist ein erstrangiger Dirigent und wird vor eine simple Frage gestellt: Er soll ein Lippenbekenntnis leisten, das ihm Zugang zur Arbeit gewährt. Er soll abschwören. Das ist unwürdig und dem konkreten Menschen gegenüber respektlos. Selbst wenn er nicht meiner Meinung ist, muss ich das akzeptieren. Es ist doch klar, dass eine Front mitten durch ihn hindurchläuft. Und mitten durch sein Herz.“

Alexander Nitzberg (52) ist gebürtiger Russe und lebt seit 2010 in Wien. Lyrische Werke, darunter der Suhrkamp-Band Farbenklavier (2012). Zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Michail Bulgakow und Boris Sawinkow.

Zum Blatt der Solidarwerkstatt aus Linz

Die Kenntnis der Medienfinanzierung ist wünschenswert

Hans Högl

Ich bekomme regelmäßig die Schrift der Solidarwerkstatt zugesandt. Sie tritt angeblich für eine solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich ein.

Es gibt in diesem Blatt kaum etwas, wogegen es nicht ist: Die EU ist hinter dem Mond, sie spricht sich gegen die Erhöhung des bereits sehr niedrigen österreichischen Verteidigungsbudgets aus und warnt im Bezug auf Österreich von der „Mutter aller Schlachten“(!!!) und schreibt von Vielem anderen und präsentiert sich umweltbewusst.

Und dann ist das Blatt für eine ökosoziale Politik…..

Den Stahlhelm des Monats verleiht sie der Ex-Kanzlerin Brigitte Bierlein (p.2). Also sie ist wirklich keine aggressive Frau!

EU & USA: Kollaboration mit Antisemiten. Foto mit Bild und Text:
Ukrainische Neonazis- Handlanger für die Regime-Change-Politik von EU und USA (p. 5).

Nulltarif – für alle -auf allen Öffis -österreichweit (p. 16). (Schön- alles ist gratis- irgendwer muss aber dafür arbeiten oder dies bezahlen)

Ich schrieb zweimal an die Herausgeber und bat um Auskunft, wie sich das Blatt finanziert und bekam keine Antwort. Das möchte ich hier festhalten

Österreich und EU-Sicherheitsunion

Thomas Roithner (Univ. Wien-Politikwissenschafter). Gastbeitrag

Außenminister Kurz (Liste Kurz, ÖVP) und Verteidigungsminister Doskozil (SPÖ) sind sich einig: Österreich soll sich an der geplanten EU-Sicherheitsunion beteiligen. Was beinhaltet diese? Wo liegen die Probleme? Welches Bild von Frieden und Sicherheit liegt dem zu Grunde und – vor allem – welche Alternativen gibt es? Diese habe ich im Internetportal der Tageszeitung „Der Standard“ dargestellt. Der Artikel kann kostenlos online abgerufen werden.

Die Atomenergie-Organisation (IAEA) in der Wiener UNO-City feierte kürzlich den 60er. Unter Direktor Mohamed ElBaradei wurde sie 2005 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Was kann sie heute angesichts der nuklearen Drohungen leisten? Oder weiter gefasst: Wie kann man dem Krieg die Zähne ziehen? Publiziert wurde der Beitrag in der Wochenzeitung „Die Furche“. Der Beitrag ist online kostenlos abrufbar.