Schlagwort-Archive: Niederlande

EU-Migrationspolitik „tödlich“ ?

Der Soziologe Ruud Koopmans hat ein bemerkenswertes Buch zum Themenkomplex Migration/Integration verfasst. Das schon im Vorjahr erschienene Werk ist dennoch ein lesenswerter Beitrag auch zur aktuellen Debatte.

Hans Högl –

Worte eines Experten zur Migration und Integration: Ruud Koopmans Buch sei „außerordentlich klug argumentierend“ schreibt die „Frankfurter Allgemeine“, nennen wir es „diskussionswürdig“.

Ruud Koopmans forscht als Soziologe seit Jahren zur Migration, Integration und Islamismus. Seit 2013 lehrt er an der Humboldt-Universität in Berlin. Ich zitiere aus seinem Buch: „Das verfallene Haus des Islam“, München 2021 (Beck Verlag, 314 S. mit Sach- und Personenregister) sowie aus einem zwei Seiten umfassenden Interview im Sept. 2022. Das Buch berührt diverse Themen – so die gescheiterte Assimilation in Frankreich, aber auch Integrationsfragen anderswo.

Laut Koopmans ist keine Migrationspolitik so „tödlich“ wie jene in Europa. Es dürften mehr als 20.000 Tote in den letzten 10 Jahren gewesen sein.

Koopmans: „Ja, Kanada wird immer wieder als leuchtendes Beispiel für gelungene Integrationspolitik genannt. Der Erfolg kommt jedoch nicht von der Integrationspolitik, sondern von der Einwanderungspolitik. Man gibt sich zwar multikulti, aber an der Pforte wird extrem streng selektiert. Da kommt man nur hinein, wenn man hohe Bildungsqualifikationen hat und andere Kriterien erfüllt. Kanada hat zudem den Vorteil, dass es weit entfernt ist von den Krisenherden der Welt. Es gibt kaum Menschen, die spontan an den Grenzen auftauchen. Stattdessen werden sie in Flüchtlingslagern ausgesucht …und man klärt, ob sie Anspruch auf Asyl haben. Man macht all das im Voraus, was in Europa erst passiert, wenn die Leute eingewandert sind.“ (Interview des Autors in der NZZ am 29. Sept. 2022, S. 30f. Dadurch wurde ich auf das Buch aufmerksam).

In Koopmans Buch heißt es ähnlich (S. 212 ): Die Einwanderer Kanadas haben im Schnitt ein höheres Bildungsniveau als geborene Kanadier. Dies resultiert aus der selektiven Einwanderungspolitik. In Differenz zu Europa durchläuft jeder Migrant nach Kanada ein Punktesystem, das qualifizierte Migranten mit Berufserfahrung und Sprachkenntnisse bevorzugt. Flüchtlinge kommen selten ungefragt nach Kanada, da zwischen den meisten Kriegs- und Armutsgebieten der Welt weite Ozeane liegen. In Kanada hat die im Ausland geborene Bevölkerung zu 46 % eine Hochschulausbildung (S. 213). Zum Vergleich: In den Niederlanden und in Frankreich sind dies 22 % , in Deutschland nur 17 %. Das Problem liegt schon im Schulabschluss: In Frankreich haben exakt 24 % der jungen Erwachsenen algerischer Herkunft im Alter von 20 und 35 Jahren keinen Schulabschluss. obgleich sie Französisch sprechen ( S. 212).

Kanada akzeptiert eine begrenzte Aufnahme von Flüchtlingen, deren Fluchtgeschichte vor der Aufnahme geprüft wird. Und dies in Absprache mit der UNO-Flüchtlingsorganisation. Ruud Koopmans: Europa hat das Problem mit einer zu 90 % ungesteuerten Migration. In Kanada ist es umgekehrt: da ist zu 90 % Migration gesteuert.

Koopmans Vorschlag für Europa: Ungesteuerte Zuwanderung durch gesteuerte Zuwanderung zu ersetzen. Auch bei der Fluchtmigration. Er ist für Aufnahme von größeren Kontingenten, aber für keinen Anspruch auf Asyl für irreguläre Asylbewerber. Die Asylverfahren müsste man in Drittstaaten durchführen, wie das Großbritannien und Dänemark planen (ebda).

Einwand: Da werden viele Asylanwälte und NGOs Sturm dagegen laufen. Die wären ja brotlos.

Koopmans: „Ich zähle darauf, dass es einen Kompromiss gibt zwischen Konservativen und Progressiven. Die Konservativen müssten anerkennen, dass die Migration nicht begrenzt, aber umgesteuert wird. Die Progressiven, dass es eine gesteuerte und selektiven Migration braucht. Beide müssen über ihren Schatten springen.“

Verzerrte Weltsicht durch Negativ-News

Das Gute in Menschen dominiere, so argumentiert ein niederländischer Journalist und Historiker. Er sieht kritisch die Nachrichtenselektion- auch in Facebook, Google, Twitter.

Hans Högl: Zitate aus dem Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregman

„Es gibt unzählige informative Formen des Journalismus, die einem helfen, die Welt besser zu verstehen.“

Doch der Autor sieht die nebensächlichen und sensationellen Kurznachrichten kritisch. „Acht von zehn Erwachsenen in der westlichen Welt konsumieren täglich Nachrichten. Im Schnitt verwenden wir eine Stunde pro Tag darauf. Das entspricht insgesamt drei Jahren in einem Menschenleben“.

Die Menschen sind anfällig für die Trostlosigkeit der Nachrichten -für „negativity bias“. Wir werden mit Geschichten von Flugzeugkatastrophen, Kinderschändern, etc. bombardiert, die man nicht so schnell aus dem Kopf bekommt, und das führt zu einer verzerrten Weltsicht (S. 32).

Und in Plattformen werden die extremen Seiten der Nachrichten noch weiter angeheizt.—Die Leute hinter Facebook, Twitter und Google wissen, worauf man klickt, was man am schockierendsten und gemeinsten findet. Sie wissen, wie man ihre Aufmerksamkeit fesselt, um ihnen dann die lukrativsten Anzeigen aufzutischen.

Einfluss kleinerer Staaten in der EU

Ein Leser in der Krone schrieb: Die kleineren Staaten in der EU hätten nichts zu sagen. Es gibt Personen, die in ihren bisherigen Vorstellungen verhaftet bleiben.

Hans Högl greift dazu anderslautende Kommentare zur EU-Vereinbarung auf:

Dieses Spitzentreffen in der EU zeigt, dass die Zeiten der deutsch-französischen Führungsrolle vorbei sind. Merkel und Macron haben ihren Vorstoß von 500 Milliarden Direkthilfe nicht mit anderen Regierungen abgesprochen. Das fiel ihnen nun auf die Füße. In der Gemeinschaft ist ein anderes Machtzentrum aus den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Finnland und Österreich entstanden, schreiben die Nürnberger Nachrichten und ähnlich formulierte es die Kleine Zeitung (Graz). 21.07.2020. Die Neue Zürcher sieht es so:letztlich habe sich doch Macron zu einem Gutteil durchgesetzt, der seit Jahren sich bemüht, dass die Lasten auf die gesamte EU verteilt werden.

Wird Italiens üppiges Parlament zurecht gestutzt?

Hans Högl

Unsere Medien neigen dazu, Auslandsnachrichten im Sinne von inländischem Parteiinteresse zu deuten. Unabhängig davon verweise ich aus dem Kontext der Medienkultur auf ein folgenreiches Referendum in Italien und dies früher als sonst in unseren Medien.

Die Länder des EU-Südens stehen im Mittelpunkt der jetzigen EU-Verhandlungen. Von einer Seite (Merkel-Macron) wird Hilfe für den Süden mit der unverschuldeten Corona-Krise argumentiert. Tatsache ist, dass es in Ländern wie Spanien und Italien schon lange eine gefährliche Jugendarbeitslosigkeit gibt und in Italien eine große Schattenwirtschaft. Doch vielen Italienern geht es als Person besser als dem italienischen Staat. Dieser steht vor großen Problemen und deren politische Elite tanzt quasi weiter auf dem Vulkan.

Nun diese selbstgenügsame politische Elite erfährt im frühen Herbst einen Test, der zwar nicht die Halbinsel grundlegend ändert, aber doch signifikativ für einen partiell-wichtigen Wandel ist.

Im Frühherbst sind die Italiener voraussichtlich zu einem Verfassungsreferendum aufgerufen und werden gefragt, ob sie wünschen, die üppige Zahl der Parlamentarier zu verringern, nämlich die Abgeordnetenkammer soll von 630 auf 400 vermindert werden, die Zahl der Senatoren von 315 auf 200 sinken.

Schweiz: Mulmige Gefühle bei Konzernen

Die OECD und die G-20 erörterten in Paris: Konzerne sollen in jenen Ländern ihre Steuern entrichten, wo sie ihre Umsätze erzielen. Und für sie soll ein Mindest-Steuersatz gelten. Dagegen regt sich Widerstand – so in der Schweiz – dem Sitz großer Konzerne. Diese Analyse biete ich ehrenamtlich auf unserem Blog als Engagierter in der „Vereinigung der Medienkultur . Spenden sind willkommen. IBAN: AT 31 2011 1300 0310 1325

Hans Högl

Es kreisen Bilder von Medien um kuriose Clowns, TV-Politikkomiker und Schauspieler auf der größten Bühne der Welt, dem Fernsehen. So stand gestern der Brite Boris Johnson im Zentrum, vor ein paar Tagen galt der Blick dem siegreichen TV-Star und politischen Komiker und neuen Präsidenten in der Ukraine. Ohne Unterlass vernehmen wir Tweets vom Egozentriker und Geschäfts-Politik-Dealer der USA, dann wieder von politischen Spielernaturen in Italien. Es sind kuriose männliche Politikclowns, die von den Massen aus Verzweiflung über das öffentliche (Un) Wohl gewählt werden. Doch bahnt sich eine Hoffnung an?

In der Schweiz geht eine Angst um. Schweiz liebt internationale Steuer-Flüchtlinge. Doch Konzerne sollen laut OECD nicht sosehr dort Steuern entrichten, wo sich ihren Sitz, ihr Gesäß niederlassen, sondern wo sie ihre Umsätze erzielen. Und es soll eine Mindeststeuer gelten. Da erschrickt der Verband der Konzerne in der Schweiz: das käme einer „substantiellen Erosion des Steuersubstrats“ gleich.

Ecce: Vokabeln mit klassisch-antiken Sprachwurzeln: substantiell, Erosion und Substrat- ein Schleier für das Gemeinte. Und da orten maßgebliche Schweizer Kreise dies als gefährlichsten Angriff der internationalen Gemeinschaft auf die Schweiz. Das käme noch teurer als jener auf das Bankgeheimnis. Aber ereignet sich denn das erörterte Wunder?

Der Schweiz als beliebten Sitz größter Firmen drohen Milliardenausfälle, schreibt die „Neue Zürcher“ am 22. Juli 2019 auf der Titelseite. Denn 400 Fachleute der G-20 Staaten trafen sich bei der OECD in Paris und diskutierten über neue Regeln der Besteuerung. „Doch so gut die Laune des OECD-Steuerchef war, so mulmig dürfte den Teilnehmern aus der Schweiz zumute gewesen sein. Denn die Schweiz gehört zu den Ländern, die wohl die Rechnung für diese „Party“ zahlen müssen. Eine Party – welche Sinn-Verdrehung von etwas, das die Alltagsmoral Vergehen heißt, aber was bisher die Weltpolitik als legal betrachtete.

Und so will der Schweizer Bund, den Schaden begrenzen – mit Bündnispartnern, die da sind: Niederlande, Irland, Luxemburg und – siehe da – auch mit dem so hochgelobten Skandinavien und mit Kanada und Singapur. In der Aufzählung fehlen mir die Londoner City und Steueroasen in den USA.

Und da handelte ein angesehener Kleinstaat im Herzen Europas Jahrzehnte im wohlverstandenen ach` so liberalen Eigeninteresse: Er bietet größten Wirtschaftskonzernen und Leuten mit Supergehältern an, ihren Steuersitz in einem wunderschönen Kantönli zu wählen und Brosamen ihrer Riesengewinne zu versteuern, was dann anderen Ländern und ihren Budgets fehlt. Während kleine und mittlere Betriebe und die Mittelschichten und die kleinen Leute ihren Steuervorschreibungen nachkommen und die Staatsbudgets einigermaßen füllen, entziehen sich die Manager der Großkonzerne und dahinter ihre Financiers ihrer Pflicht und dies ganz legal und mit bisheriger stillschweigender internationaler Zustimmung.

Viele Staaten Europas bieten Sozialleistungen oft nur auf Pump, sind zwar nicht so
hochverschuldet wie Griechenland und Italien, aber doch in einem so gefährlichen Ausmaß, dass sie eines Tages ihre Sozialleistungen nicht mehr stemmen und als Bankrotteure zur Kasse gebeten werden.