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Die ganze Geschichte

Eine hochinteressante, aber leider wenig beachtete Doku-Reihe des ORF: Österreich – die ganze Geschichte. **

Wolfgang Koppler *

Die auf ORFIII ausgestrahlte Folge „Scheuende Pferde“ über einen folgenschweren Attentatsversuch eines bosnisch-serbischen Attentäters auf den österreichisch-ungarischen Statthalter in Bosnien im Jahr 1910 ist besonders sehenswert. Weil sie zeigt, wie wenig Europa die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aufgearbeitet hat. So leiden wir noch heute unter Konflikten, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert haben. Und vielleicht sogar noch weiter zurückreichen. Die Konflikte am Balkan und die tiefe Kluft zwischen West- und Osteuropa, vor allem aber die antirussischen Ressentiments sind nur zu verstehen, wenn man auf die Zeit vor dem Beginn des 1.Weltkriegs zurückblickt.

Als Reaktion auf die allzu verstandesbetonte Aufklärung, deren Grenzen an den Auswüchsen der französischen Revolution sichtbar geworden waren, hatte die Romantik die Gefühle, Leidenschaften und Sehnsüchte des Menschen entdeckt (und in der Spätromantik dann auch seine Abgründe). Es entstanden jene politischen und weltanschaulichen Bewegungen, die uns bis heute beschäftigen: Sozialismus, Liberalismus und Nationalismus. Letzterer hatte im Gefolge der napoleonischen Kriege auch Deutschnationalismus und Panslawismus zur Folge. Während der Deutschnationalismus sich von einer romantischen Bewegung hin zu einer von Überlegenheitsdünkel geprägten Deutschtümelei entwickelte, führte der Panslawismus zur Wiederentdeckung einer lange Zeit verschütteten Kultur. So musste etwa die tschechische Schriftsprache (ähnlich wie das Hebräische) von Linguisten und Historikern im 19.Jahrhundert wiederentdeckt und neu entwickelt werden, da das Tschechische nur mehr von einfachen Leuten gesprochen wurde. Die sich unterdrückt fühlenden Slawen entwickelten neues Selbstbewusstsein. Zumal sie meist von anderen Völkern bzw. Reichen dominiert wurden. Ob es die Slawen in Österreich-Ungarn oder die Serben im Osmanischen Reich waren.

Als Serbien im 19:Jahrhundert seine Unabhängigkeit erlangte, sahen sich die in Bosnien lebenden Serben von Österreich-Ungarn unterdrückt. Zumal die Habsburger 1908 Bosnien-Herzegowina nach dessen schon 30 Jahre zuvor erfolgten Besetzung auch noch okkupiert hatten. Die dort immer schon großteils zur Unterschicht zählenden Serben wollten nicht anstelle des Osmanischen Reiches eine neue, ihnen fremde (nicht orthodoxe) Großmacht als Herrscher. Die Folge waren miteinander unter dem Titel „Junges Bosnien“ agierende Rebellengruppen, die auch Attentate verübten. Der obgenannte Attentatsversuch führte zu weiteren Attentaten, die in jenem von Sarajewo 1914 gipfelten. Das hatte bekanntlich den ersten Weltkrieg zur Folge. Dass Gavrilo Princip in Serbien immer noch als Held gefeiert wird, sollte zu denken geben..

Wenn es am Schluss der Doku heißt, dass Vergangenheitsbewältigung anders aussieht, so muss man hinzufügen, dass auch die österreichische Seite ihre Schuld am 1.Weltkrieg bis heute nicht aufgearbeitet hat. Etwa jenen im Staatsarchiv zu findenden Brief von Franz Josef, in dem dieser meint, der Krieg müsse rasch erklärt werden. Weil die serbische Regierung das österreichische Ultmatum vielleicht doch noch annehmen könnte. Oder unsere allzu sehr an Brüssel und Berlin orientierte Außen- und Wirtschaftspolitik. Während wir etwa Prag, Bratislava und Budapest ziemlich stiefmütterlich behandeln.

Und was den Ukrainekrieg betrifft: Vielleicht liegt eine seiner Ursachen in einer Abwertung Osteuropas. Während die Ukrainer darum kämpfen, als Europäer anerkannt zu werden, wenden sich die Russen zunehmend mit Verachtung von Europa ab. Oder sagen wir besser: Von Brüssel. Obwohl sowohl die Ukraine als auch Russland letztlich zu Europa gehören.
Oder wo sonst liegt Moskau ? Geographisch und kulturell ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

** Die erwähnte ORF-Doku ist unter folgendem Link abrufbar:

https://tv.orf.at/program/orf3/oesterreic7462.html

Lob für Doku in ORF III

Die kürzlich auf ORFIII ausgestrahlte Dokumentation über Senta Wengraf (Zeitgeschichte: Schauspiellegenden) war interessant besonders auch im Hinblick auf die Medienkultur.

Wolfgang Koppler *

Senta Wengraf galt ja als die Grand Dame des Theaters, aber auch der Wiener Gesellschaft. Ohne das vor sich herzutragen, wie ein Zeitzeuge in dem obgenannten Beitrag zurecht meinte. Ich selbst kann mich noch daran erinnern, wie sie irgendwann in den 90-ern ins Foyer der Kammerspiele kam, um sich an der Kassa nach dem Kartenverkauf für die aktuelle Vorstellung zu erkundigen. Was die Verbundenheit mit ihrem Theater zeigte. Und ihre fehlenden Allüren. Ihre Loyalität und Hilfsbereitschaft gegenüber ihren Freunden einerseits und ihre Lebenslust anderseits wird in der Doku von zahlreichen Zeitzeugen bestätigt.

Was ihr Privatleben betraf, so ist sie als Lebensmensch von Marcel Prawy bekannt. Ihre langjährige Beziehung zu bzw. ihre Liaison mit Bruno Kreisky hingegen blieb der Öffentlichkeit Jahrzehnte lang verborgen. Obwohl man in der „Seitenblickegesellschaft“ längst davon wusste. Aber die Medien hielten damals dicht. Es ging niemanden etwas an und offenbar gab es doch einen gewissen Ehrenkodex unter Journalisten, sodass auch nach Kreiskys Abgang bis zu seinem Tod und darüber hinaus nichts aufkam. Weder Qualitäts- noch Boulevardmedien schrieben damals darüber. Herbert Lackner vom Profil meinte, dass der wirtschaftliche Druck noch nicht so groß gewesen wäre, dass man sich gezwungen sah, jede reißerische Story zu bringen, auch wenn sie rein privater Natur und nicht von öffentlichem Interesse war.

Aber es dürfte auch das Gefühl dafür verloren gegangen sein, was geht und was nicht geht. Etwa wenn anfangs noch interessante, aber inzwischen hinlänglich bekannte Geschichten über Lena Schilling in den Medien zum so-und sovielten Male wiedergekäut werden. Obwohl diese sich – gemessen an dem öffentlichen Druck, der auf ihr lastet – gar nicht so uneinsichtig zeigt.

Journalismus sollte sich lieber mit wirklich heiklen Dingen in Wirtschaff und Politik befassen. Es gäbe genug davon. Aber leider zu wenig Mut.

Warum traut sich beispielsweise niemand, die Sinnhaftigkeit der nur mehr gewinnorientierten sozialen Medien in Frage zu stellen, in denen sich sehr oft Leute austoben, die kein Wort mehr mit ihrer unmittelbaren Umgebung wechseln? Und sich schon durch den Anruf eines Bekannten gestört fühlen? Wie etwa der Rückgang der Sprachtelefonie, aber auch neueste Untersuchungen zeigen.

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist in Wien