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Mit der Keule des Antisemitismus

Langsam wird es unerträglich. Jeder Versuch, eine sachliche Debatte über den Krieg Israels gegen Gaza zu führen, wird abgewürgt von der sattsam bekannten Antisemitismus-Keule.

Udo Bachmair

Jede noch so berechtigte Kritik an der gewaltsamen Überreaktion Israels auf das ebenfalls zu verurteilende grausame Massaker der Hamas gilt als antisemitisch. Sogar ein gemäßigter humanistischer Intellektueller wie der jüdische Philosoph Omri Boehm, der gestern auf dem Judenplatz besonders versöhnliche Worte fand, wird als antisemitisch verunglimpft. Vor dem Hintergrund eines indirekten Gewaltaufrufs seitens des früheren Chefs der israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Musicant, Eier auf den Redner zu werfen. Dabei will Boehm nichts anderes als einen gemeinsamen Staat mit Gleichberechtigung für Israelis und Palästinenser, um damit der ewig scheinenden Gewaltspirale ein Ende zu setzen.

Das interessierte eine kleine Schar proisraelischer AktivistInnen nicht, die mit Transparenten, die die Sicht auf den Redner verstellten sowie Fernsehjournalisten an ihrer Arbeit hinderten, von der Rede Boehms abzulenken versuchten. Man stelle sich umgekehrt vor, jemand hätte mit palästinensischen Losungen eine Veranstaltung und journalistische Arbeit gestört, die Polizei wäre sofort eingeschritten.. Es ist wahrlich unerträglich, jeglicher Kritik am brutalen militärischen Vorgehen Israels in Gaza, das mittlerweile weit über 30.000 Todesopfer gefordert hat, mit der Keule des Antisemitismus zu begegnen.

Vor diesem Hintergrund sind besonnene und differenzierende Stimmen gerade in hoch emotionalisierten Zeiten wie diesen nötiger denn je. Stellvertretend dafür ein Facebook-Eintrag des Politikwissenschafters und Kulturanthropologen Univ. Prof. Thomas Schmidinger kürzlich auf Facebook:

Derzeit zeigt sich sehr deutlich, dass aus der Shoah und den anderen Verbrechen der Nazis sehr unterschiedliche Lehren gezogen werden können. Einerseits kann man daraus die universalistische Konsequenz ziehen, dass man immer und überall gegen Unterdrückung und Verfolgung ethnischer, religiöser, sozialer oder sexueller Gruppen auftritt und weltweit für die Menschenrechte aller Menschen konsequent eintritt. Andererseits kann man daraus die partikularistische Konsequenz ziehen, dass der jüdische Staat Israel immer und überall Recht hat und die Handlungen der Regierung dieses Staates jedenfalls zu verteidigen sind. Der politische Mainstream in Österreich und Deutschland hat sich offensichtlich parteiübergreifend für letzteres entschieden und geht dabei so weit, auch die Versuche der israelischen Rechtsregierung, Kritik an deren Politik grundsätzlich mit dem Verdacht des Antisemitismus abzuschmettern, zu übernehmen.

Wenn auch gemäßigte jüdische KritikerInnen der israelischen Kriegsführung in Gaza bereits delegitimiert werden und von österreichischen und deutschen PolitikerInnen unter Antisemitismusverdacht gestellt werden, dann läuft meines Erachtens in dieser Debatte etwas gewaltig schief. Dieser deutsch-österreichische Sonderweg scheint mir nichts anderes als ein identitätspolitischer Versuch zu sein, sich seiner eigenen historischen Verantwortung durch Externalisierung des Antisemitismusvorwurfes zu entledigen.

Was nicht bzw. wie gesagt wird

In der Causa Nahost haben sich ähnlich der aktuellen Außenpolitik auch die meisten Medien Österreichs, unter ihnen der ORF, dem proisraelischen Mainstream verschrieben. Das Leid der Palästinenser bleibt weitgehend ausgespart. Die folgende Medienkritik bezieht sich auf einen jüngst veröffentlichten ORF-Beitrag.

Gabriele Matzner *

Unter dem Titel „US-Sanktionen gegen israelische Siedler“ berichtet ORF-online am 1. Februar ausführlich über Erklärungen von US-Präsident Biden und US-Außenminister Blinken über amerikanische Bemühungen, die von israelischen Siedlern in der West-Bank ausgeübten Angriffe auf palästinensische Zivilisten einzudämmen.

An dem Bericht ist zwar prima facie nichts direkt falsch, wichtig ist aber zu bemerken, was nicht gesagt wird und wie manches gesagt wird, also auf die Wortwahl zu achten.

Es entsteht der meines Erachtens zweifelhafte Eindruck (z.B. durch die Worte „deutliches Zeichen“), dass die USA ohnehin alles Mögliche tun, um solche Israelis zu zähmen, zumindest die schlimmsten Exzesse zu verhindern. Das ist im Grunde natürlich nicht der Fall. Ohne US-Waffen und Deckung im UN-Sicherheitsrat könnte Israel nicht so agieren, bzw. müsste viel mehr tun, um solche Verbrechen zu unterbinden.

US-Sanktionen gibt es nun gegen ganze 4 Siedler?! Das kann man wohl als Nebbich bezeichnen. Bei dieser Gelegenheit hätte der ORF erwähnen müssen, was diese Siedler, angeblich mit Unterstützung/Duldung des israelischen Militärs (Aufklärung, bitte!), seit Jahrzehnten und in den letzten Monaten verstärkt anrichten, man muss Zahlen nennen, um eine Vorstellung zu vermitteln!

A-propos Zahlen: Wenn man 400.000 Siedler nennt, sollte man auch angeben, wie viel Prozent Land sie vom Westjordanland (schon) einnehmen, und was das für die verbliebenen Palästinenser bedeutet. Zu sagen, die UNO halte die Siedlungspolitik auf der illegal besetzt gehaltenen West-Bank für völkerrechtswidrig, ist auch irreführend: sie ist völkerrechtswidrig. Punkt.

Schließlich: an der „siedlerfreundlichen“ Konferenz, die da samt den angeblich dort geäußerten Ungeheuerlichkeiten erwähnt wird, hat angeblich ein Drittel der israelischen Regierung, nicht nur der rechts-extremistische Sicherheits-Minister Ben-Gvir, teilgenommen, und das zwei Tage nach dem IGH-Urteil.

Dieser ORF-Bericht erscheint unangemessen unkritisch bzw. devot. Er entspricht nicht dem aufklärerischen Auftrag dieser wichtigen Institution.

* Gastautorin Dr. Gabriele Matzner, Diplomatin und Buchautorin, war österreichische Botschafterin in mehreren Ländern, zuletzt in London. Sie ist Sprecherin der Initiative Engagierte Neutralität und lebt in Wien.