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Vom Ego zum Selbst

Mitunter findet sich auch in Boulevardblättern Interessantes. Etwa das, was NEOS-Gründer und Ex-NR-Abgeordneter Matthias Strolz zu seinem nunmehr endgültigen Rückzug aus der Politik getwittert hat.

Wolfgang Koppler

Ob Matthias Strolz sich nun wirklich für immer aus der Politik oder gar aus der Öffentlichkeit zurückzieht, ist hier nicht so wichtig. Auch nicht, ob ihm das, was er hier zu dem, was man in der zweiten Lebenshälfte anpeilen sollte, schildert, wirklich gelingt. Aber die Richtung, die er hier für unsere Persönlichkeitsentwicklung in einer besonders egoistischen und egozentrischen Kultur vorgibt, das Wesentliche worauf es ankommt, wäre für uns alle interessant. Besonders für Angehörige der so genannten Eliten aus Politik, Medien und Wirtschaft.

Zunächst beschreibt Strolz jene Egozentrik, die seiner Ansicht nach die erste Lebenshälfte prägt. Das Streben nach meist materieller Selbstverwirklichung, das die Presse vor einigen Monaten treffend als Flucht (vor dem Wesentlichen, wie etwa den Anforderungen der Gemeinschaft) bezeichnete. Strolz, der selbst nicht ganz frei von Egozentrik ist, hat da wohl auch seine eigenen Erfahrungen geschildert. Strolz nennt es etwas beschönigend, den Versuch, sich an Projekte und Menschen zu binden. Der mE wohl meist in Verlorenheit und Einsamkeit endet. Strolz meint zu Recht, dass viele dieser (materiellen Selbstverwirklichungs-)Logik bis zum Lebensende anhaften.

Und spricht Strolz unter Bezugnahme auf C.G. Jung von der Einladung in der zweiten Lebenshälfte vom Ego zum Selbst zu reifen, zur eigenen Personenmitte vorzustoßen. Was nur gelingt, wenn wir dabei „unsere Schattenseiten integrieren“. Die nachstehenden Ausführungen sind manchen vielleicht zu philosophisch oder zu esoterisch – aber das ist hier nicht so wichtig. Aber zu uns selbst, zu unseren Abgründen und dann vielleicht – wenn uns davor schaudert – zu unserer positiven Intuition vorzustoßen, das ist wohl allgemeingültig.

Und könnte für jede und jeden, vor allem aber für Politiker, Unternehmer und Journalisten wichtig sein, Um sich nicht allzu sehr in Egozentrik und Feindbildern zu verlieren, ob es der ach so unvernünftige „Pöbel“, Putin oder sonst jemand ist. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Veränderung in Medien, Wirtschaft und Politik. Und würde auch die Klagswut bei einigen eindämmen. Und die Eigenständigkeit fördern. Anstelle von Echokammern.

https://x.com/matstrolz/status/1838489030524117379?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1838489030524117379%7Ctwgr%5E8dea7ae1fa63f195f297926abff25dc48bbfe3fa%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.heute.at%2Fs%2Fpolit-knall-neos-comeback-von-strolz-abgeblasen-120060730

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Keine Zukunft für Zukunftsfragen?

Wie jüngst in den Niederlanden ist ein Rechtsruck auch bei der bevorstehenden EU-Wahl wahrscheinlich bzw. wird medial herbeigeschrieben. Eine unheilvolle Entwicklung, wenn die Gefahr fehlender Mehrheiten für Zukunftsfragen besteht.

Ilse Kleinschuster *

Die Berichterstattung zur POLITIK im KURIER von 24. Nov. 2023 treibt mir Schweiß auf die Stirn und lässt mich wieder einmal am Verstand der Menschen zweifeln.

Schon das Titelblatt zeigt den Gewinner und Populisten Wilders – mit Sektglas auf seinen Triumpf anstoßend – und darunter steht „Die Parallelen zu Österreich sind unverkennbar.“
Oder, Seite 8, Großes Bild vom lächelnden Wilders, betitelt „Warum Wilders?“ – Nicht nur wird da in einer Schlagzeile großartig verkündet, dass Geert Wilders, der seit 20 Jahren sein Unwesen in den Niederlanden treibt, jetzt zum PVV-Parteichef gewählt ist und „seinen Höhenflug“ erlebt, sondern – und ich finde es politisch nicht korrekt – wird da in einem Satz gleich auch vom Höhenflug der deutschen AfD und der FPÖ in Österreich berichtet.

Dann ist auf selbiger Seite noch ein kurzer Kommentar aus Brüssel „Blockade von Rechtsaußen? In Brüssel wachsen Sorgen! Nach Wilders‘ Triumpf rückt klarer Rechtsruck bei Europawahlen 2024 näher. Fehlen bald die Mehrheiten für Zukunftsfragen?“

Solche Prophezeiungen ein Jahr vor den Nationalratswahlen in Österreich sind mir einerseits unheimlich – könnten sie nicht all jenen Bürgern*innen, die „politische Idioten“ (gr., nicht vom Fach) sind, Wasser auf ihre Mühlen sein? – Ich meine, wo diese ohnedies schon durch schlechte Parteipolitik total verunsichert sind, ja, sich von laufenden Lösungs-Ankündigungen, die dann nicht eingehalten werden (können), gefoppt fühlen.

Andererseits ist vielleicht die Frage, ob bald Mehrheiten für Zukunftsfragen fehlen würden, hier suggestiv gestellt? doch eine, die uns Bürger*innen mehr beschäftigen sollte.

Immer mehr gibt mir das Selbstverständnis, mit dem oft behauptet wird, wir lebten ja in einer repräsentativen Demokratie und da wäre eben das Wahlrecht die einzige Möglichkeit einer Partei seine Stimme zu geben. Das sei zwar sehr unbefriedigend, aber was können wir schon tun, außer eventuell gar nicht zur Wahl zu gehen.

Ich finde das in einer Zeit, in der wir zunehmend unter globalen Spannungen leben, nicht mehr tragfähig. Ich habe Kenntnis von vielen guten Lösungsvorschlägen, die auch immer wieder öffentlich vorgestellt und im Kleinen praktiziert werden. Wenn ich auch nicht weiß, welcher Weg der beste und schnellste wäre, so höre ich mir doch solche Vorschläge gerne an und versuche sie weiterzugeben. Der letzte, der mich sehr berührt hat, war zum Thema „Herstellung gemeinschaftlicher Handlungsfähigkeit“ durch Demokratie, vorgestellt von Nutt Los, er spricht hier von Demokratie als Befriedungstechnik:

* Gastautorin Ilse Kleinschuster ist engagiertes Mitglied der Zivilgesellschaft

Faktencheck zur Asylpolitik

Am 18. Juni ist Weltflüchtlingstag. Spätestens dann werden sich Politik und Medien dieses Reizthemas wieder annehmen.

Udo Bachmair

Sobald die Emotionen rund um die Coronapolitik abgeebbt sind, wird neben dem Klimawandel erneut auch die Asylpolitik wieder die Schlagzeilen beherrschen. Rund und um dieses komplexe Thema kursieren besonders viele Falschinformationen, Halb- und Unwahrheiten. Die Allianz „Menschen.Würde.Österreich“ hat nun zahlreiche „Lügen der Bundesregierung“ aufgelistet, die von Medien oft nicht hinterfragt werden. Sprecher der Allianz, von denen die Beispiele stammen, sind

Christian Konrad & Ferry Maier **

„Österreich hat im Jahr 2020 bereits 5.000 UMF aufgenommen.“

Das stimmt nicht: Österreich hat 2020 186 UMF aufgenommen.
5.000 Minderjährige erhielten 2020 Schutz, davon wurden allerdings mehr als 3.000 in Österreich geboren; bei den übrigen ist nicht klar, wann sie nach Österreich einreisten.

„Auf Lesbos ist Hilfe vor Ort effektiver als Evakuierung.“

Hilfe vor Ort funktioniert auf Lesbos nicht bzw. kommt teilweise nicht an. 181 (gebrauchte) Container kamen etwa nie dort an, beheizte Zelte sind mangels Stromanschluss im Lager nicht benutzbar.
Aus einer humanitären Notsituation kann man nur evakuieren – nicht umsonst sprechen sich ExpertInnen (auch vor Ort in Griechenland) auf dem Gebiet seit Monaten dafür aus.

• Wording „illegale Migranten“ in Bezug auf Geflüchtete in Griechenland/am Balkan

Die meisten Menschen, die aktuell in Griechenland und Bosnien ausharren müssen, kommen aus Syrien, Afghanistan, Irak oder palästinensischen Gebieten. Also in der Regel Länder mit recht hohen Asylanerkennungsquoten. Der Begriff „Migranten“ ist daher falsch. Die „illegale Migration“ ist in Wahrheit nichts anderes als Flucht.

• Pull-Effekt: „Wenn man Menschen aufnimmt, kommen immer mehr.“

Es ist mittlerweile wissenschaftlich bestätigt, dass es keinen „Pull-Effekt“ gibt. Das zeigen auch die konstant gebliebenen Zahlen Ertrunkener im Mittelmeer, seit es kaum mehr Seenotrettung gibt.

Geflüchtete als „Opfer der Schlepper“ darstellen

Es gibt keine legalen Fluchtwege, Flucht ist also immer „illegal“. Auch rechtlich wird die „illegale Einreise“ mit der Schutzzuerkennung rückwirkend straffrei. Solange es keine Alternativen gibt, sind Flüchtende auf Schlepper angewiesen. Man spielt diesen also nicht mit Seenotrettung oder der Aufnahme von Geflüchteten in die Hände, sondern dadurch, dass es keine Möglichkeit zur legalen Flucht gibt.

• „Wirtschaftsflüchtlinge“ haben keinen Anspruch auf Schutz bzw. schaden dem Sozialsystem

Auch wirtschaftliche Gründe können zur Asylzuerkennung führen bzw. zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz, wenn die wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat z.B. so katastrophal ist, dass die Betroffenen dort nicht überleben können. Personen, die fliehen, weil sie keine Ausbildung oder keinen Arbeitsplatz finden, sind auf der Suche genau danach. Bei Beachtung des Fachkräftemangels werden genau solche Personen eigentlich dringend gesucht.

„Arbeitslose Österreicher sollen Arbeitsplätze bekommen.“

Mangelberufe gibt es, weil es eben nicht genug Österreicher gibt, die diese Arbeit machen können oder wollen. Weil sich außerdem immer mehr Menschen gegen einen Lehrberuf entscheiden, wird der Fachkräftemangel in den vergangenen Jahren immer größer. Zahlreichen Aufenthaltstiteln bzw. Beschäftigungsbewilligungen geht zudem eine „Arbeitsmarktprüfung“ voran; – also eine Überprüfung, ob es keine/n ÖsterreicherIn gibt, die diese Arbeit antreten könnte.

„sichere Drittstaaten“ auf den Fluchtrouten

Die meisten Staaten, die Flüchtende auf der Route durchqueren, sind der Genfer Flüchtlingskonvention nicht oder nicht vollständig beigetreten oder haben de facto kein funktionierendes Asylsystem. Wenn es sich um sichere Staaten handeln würde, würden die Menschen nach dem Asylgesetz dorthin zurückgeschickt werden. So hat z.B. der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon 2011 festgestellt, dass Abschiebungen nach Griechenland wegen systemischer Mängel im Asylsystem unzulässig sind, und empfiehlt UNHCR z.B. Serbien nicht als sicheren Drittstaat heranzuziehen.

„Nur Kriminelle werden abgeschoben.“

Das stimmt nicht: Im Jahr 2020 waren 53,7% der Abgeschobenen straffällig.
Abgesehen davon ist eine Abschiebung in ein Kriegsland (Beispiel: Afghanistan) immer rechtswidrig, weil das Recht auf Leben für alle Menschen gilt. Die Abschiebung als „Strafe“ wäre außerdem ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung.

„Europa nimmt die meisten Flüchtlinge auf.“

73% der Flüchtlinge werden in unmittelbaren Nachbarstaaten aufgenommen; 80% in Entwicklungsländern. Fast 80 Millionen Menschen waren 2020 auf der Flucht, Europa nahm mit rund 470.000 also nur einen Bruchteil an Geflüchteten weltweit auf.

• „Zuwanderung ins Sozialsystem“/“Flüchtlinge bekommen mehr Sozialleistungen als Österreicher_innen.“

Menschen flüchten dorthin, wo es ein funktionierendes Asylsystem und faires Asylverfahren gibt; soziale Absicherung zählt natürlich dazu. Asylberechtigte sind ÖsterreicherInnen sozial gleichgestellt, werden aber nicht bevorzugt. Subsidiär Schutzberechtigte sind in vielen Dingen schlechter gestellt und Menschen mit Bleiberecht erhalten oft überhaupt keine Leistungen. MigrantInnen müssen vor der Zuwanderung erst ausreichend Einkommen nachweisen, um überhaupt ein Visum zu erhalten, und haben anschließend keinen Anspruch auf Sozialleistungen.

„Flüchtlinge sind ungebildet bzw. schlecht ausgebildet.“

Das stimmt nicht: Zahlreiche Menschen flüchten etwa gerade aufgrund ihres Bildungsstandes (z.B. DolmetscherInnen und JournalistInnen aus dem Irak, RegierungsbeamtInnen aus Afghanistan). Flüchtende sind außerdem in der Regel besser gebildet als die Gesamtbevölkerung ihres Herkunftsstaates.

** Christian Konrad war Chef von Raiffeisen, Ferry Mayer ÖVP-Politiker.

Beide fühlen sich der alten „christlich-sozialen ÖVP“ verbunden und lehnen den „empathiebefreiten“ Weg der neuen türkisen ÖVP unter Kanzler Kurz vehement ab.

155 Tote, und niemand ist schuld ?

Dieser Tage jährt sich zum 20. Mal die Brandkatastrophe von Kaprun, bei der im Tunnel der Bahn auf das Kitzsteinhorn im November 2000 155 Menschen qualvoll ums Leben gekommen sind. Die engagierte Journalistin Iris Rahlek hat ein akribisch recherchiertes Buch über Hintergründe, Ungereimtheiten und Spätfolgen der Katastrophe geschrieben.

Udo Bachmair

Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn“ – so der Titel des jüngst erschienen Werks von Iris Rahlek. Es ist an Dichte und Spannung kaum zu überbieten. Es deckt teils himmelschreiende Ungereimtheiten und Vertuschungen auf, die sich im Spannungsfeld von Politik, Justiz, Wirtschaft und Medien mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt haben. Auch wenn Fakten und Fiktion zu einem Roman verwoben sind, ist der dokumentarische Wert von Rahleks nicht zu unterschätzen. Penible Recherchen und neue Erkenntnisse zeichnen Rahleks Werk aus.

Die Opfer der Brandkatastrophe von Kaprun stammten aus 8 Nationen, die meisten aus Deutschland und Österreich. Die Autorin des Buchs stellt unter anderem die Schuldfrage. Kann und darf es denn tatsächlich sein, dass niemand für die „Fahrt in den Tod“ mit 155 verbrannten und an Rauchgasvergiftung verstorbenen Menschen und zahlreichen Verletzten verantwortlich sein soll ? Alle Angeklagten im Kaprun-Prozess, vor allem der Gletscherbahnen-AG wurden damals freigesprochen.

Dabei war menschliches Versagen als Ursache für die Katastrophe für die meisten Experten bald klar : Ein defekter Heizlüfter im Führerstand der Standseilbahngarnitur „Kitzsteingams“ hatte den Brand ausgelöst. Doch keinem der Beschuldigten der Gletscherbahnen Kaprun konnte eine direkte Schuld an der größten zivilen Katastrophe der Zweiten Republik nachgewiesen werden. Man verwies auf die damalige Rechtslage, die einen Schuldspruch für die gesamte Aktiengesellschaft nicht vorgesehen hätte.

Der Freispruch ist auch von den Medien nicht unwidersprochen geblieben. Vor allem deutsche Zeitungen haben wiederholt auf Ungereimtheiten bei den Ermittlungen hingewiesen. So sei beispielsweise das Hauptbeweisstück, der erwähnte Heizlüfter, auf dem Weg vom Innenministerium zum Landeskriminalamt Salzburg und zu den Gerichtsgutachtern monatelang nicht nachvollziehbar gewesen.

Aus den vielen Pannen im Kaprun-Prozess, die Iris Rahlek auflistet, und dem für viele unverständlichen Freispruch ziehen auch andere Journalist*innen den Schluss, dass starke wirtschaftliche Interessen eine wesentliche Rolle gespielt haben könnten. So meint etwa Hannes Uhl in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit: „Der Freispruch ist erfolgt, weil man um das Image des Tourismus fürchtete – wie heute in Ischgl“.

Exklusiv in Iris Rahleks Buch kommt u.a. zur Sprache, dass laut dem deutschen Sachverständigen Hans-Jürgen Gold beim Kaprun-Prozess gelogen, vertuscht und manipuliert worden sei. Gold erstattete daraufhin -zig Anzeigen und untermauerte diese mit hunderten Seiten von Gutachten. Der Wiener Opferanwalt Mario Grabovsnig ging sogar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

„Alles wurde von der Justiz niedergeschmettert – trotz unzähliger Beweise. Wirklich eine unglaubliche Geschichte!“ resumiert die Autorin.

„Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn“ – Roman von Iris Rahlek

Herausgegeben von Books on Demand

Stirbt der ländliche Raum? Eine spannende Diskussion

Die Vereinigung für Medienkultur hat zur Podiumsdiskussion „Ländlicher Raum – Stiefkind für Politik und Medien“ geladen. Es war ein gut besuchter spannender Diskussionsabend mit höchst kompetenten Gästen.

Udo Bachmair

Den Abend im renommierten Presseclub Concordia hat der Zukunftsforscher und Experte für Globale Dörfer, Franz Nahrada, mit der Präsentation seines Projekts „DorfUni“ eröffnet. Das Motto des Projekts lautet „Bildung für Alle Allerorts“. Gemeinden sollen gemeinsam mit Universitäten praxisrelevantes Wissen teilen. Als Ziel definiert Nahrada, den ländlichen Raum durch Wissensaustausch und andere gemeinsame Aktivitäten zu stärken und weiterzuentwickeln.

Der bekannte Verkehrsplaner Hermann Knoflacher warnte davor, das Land weiter in die Städte „ausrinnen“ zu lassen. So müsse dem ungebremsten Ausbau von (Umfahrungs-)Straßen Einhalt geboten werden. In der Praxis stehe die Bauordnung immer wieder im Widerspruch zur Raumplanung, ein Umstand, der manche Bürgermeister zu problematischen Umwidmungen verleite.

Christa Kranzl, Kommunalpolitikerin und Unternehmerin, plädierte für einen Ausbau des Öffentlichen Verkehrs, im Besonderen eine Reanimierung von Bahnverbindungen. So sollte etwa die Donauuferbahn dringend wieder in Betrieb genommen werden. Nachhaltige Mobilität sieht die frühere Verkehrsstaatssekretärin auch am Land nur durch den Öffi-Ausbau gegeben.

Der Unternehmensberater und Projektentwickler Karl Heinz Wingelmaier präsentierte beunruhigende Zahlen. Demnach würden 4 von 10 Dörfern schrumpfen. Frühere Infrastruktur gehe weitgehend verloren. Kinderbetreuungsplätze, Gasthäuser, kleine Geschäfte würden immer rarer. Der Bodenverbrauch durch (Woechenend-)Einfamilienhäuser habe enorm zugenommen. Die Folgen seien hemmungslose Versiegelung des Bodens und Zersiedelung des ländlichen Raums.

Ulrike Rauch-Keschmann vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit erklärte, es müsse alles getan werden, um Arbeitsplätze durch Tourismusprojekte und.andere Maßnahmen zu schaffen. Zudem gelte es, ein lebendiges Vereinsleben wiederherzustellen. Grundsätzlich gehe es um „Entschleunigung statt Beschleunigung“.

Vereinzelt wurde in der Diskussion der Vorwurf erhoben, dass die Medien nicht genügend Bewusstsein und Sensibilität für den ländlichen Raum vermittelt hätten. Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung hingegen meinte, Schuld an der Entwicklung seien nicht nur die Medien, sondern auch die Globalisierung und das Verhalten der KonsumentInnen. Diese würden zwar immer wieder das Greißlersterben im ländlichen Raum beklagen, gleichzeitig aber zunehmend in Supermärkten am Rande der Städte einkaufen, gab Jungwirth zu bedenken.

Besonders kompetent moderiert hat den Diskussionsabend der Vizepräsident der Vereinigung für Medienkultur, Hans Högl.

Solidarität statt Spaltung

Spätestens seit der Finanzkrise 2008 und den Flüchtlingsströmen 2015 erscheint unsere Gesellschaft so gespalten wie schon lange nicht mehr. Ist das tatsächlich so ? Wenn ja, wie groß ist die Chance, miteinander wieder ins Gespräch zu kommen, über politische und ideologische Grenzen hinweg ? Fragen, mit denen sich zwei empfehlenswerte Bücher beschäftigen.

Udo Bachmair

Als Folge der Finanzkrise ab 2008 haben Zukunftsängste immer weitere Kreise der Bevölkerung erfasst. In dieser Phase war die politische Auseinandersetzung zunehmend von nationalistischen Tönen dominiert. Rechte und rechtsextreme Parteien konnten erfolgreich politisches Kleingeld aus den Sorgen der Menschen schlagen. Das funktionierte besonders auch 2015, jenem Jahr, in dem die Migration und die „Zuwanderung ins Sozialsystem“ ( unisono Ex-Kanzler Kurz und die FPÖ ) als Wurzel allen Übels gebrandmarkt wurden.

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben zweifellos zu einer Polarisierung beigetragen. Aber ist der Graben so tief, dass es keine Brücken mehr gibt zwischen den als „Anständige“ Definierten und als „Sozialschmarotzer“ Diffamierten, zwischen dem linken und dem rechten Lager ? Die Autoren des im Promedia-Verlag erschienen Buches „Umkämpfte Solidaritäten“ versuchen dieses politisch und medial oft bemühte Bild differenziert zu betrachten. Sie meinen, dass wir uns nicht dem Fatalismus hingeben sollten, der in dem Bild einer Spaltung tendenziell enthalten sei.

Grundthese der Autoren ist daher: Die Spaltungslinien in der Gesellschaft sind vielfältig und weniger polar als man annehmen würde. Im Zentrum steht der Begriff Solidarität, der sowohl Spaltungen bzw. Ausgrenzungen als auch Einschlüsse und Zusammenhalt in den Blick bekommt, sozusagen als die zwei Seiten derselben Medaille. Dadurch würde sich zeigen, dass Trennlinien zwischen „uns“ und den „anderen“, zwischen drinnen und draußen, nicht immer eindeutig verlaufen und durchaus mit Ambivalenzen und Widersprüchen verbunden sind.

„Umkämpfte Solidaritäten – Spaltungslinien in der Gegenwartsgesellschaft“
( Altreiter / Flecker u.a., erschienen im Promedia-Verlag )

Wie sind denn nun Spaltung und Polarisierung zu überwinden ? Diese Thematik ist Gegenstand auch eines weiteren jüngst erschienenen Werks, in dem gleich 51 prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien ihre Argumente zum Besten geben. Gespeist worden ist dieser vom Monatsmagazin „Datum“ herausgegeben Sammelband von einem mehrstündigen „Debatten-Happening“ aus Anlass des 15. Gründungsjubiläums der renommierten Monatszeitung.

Eine bunte Mischung aus Debattenbeiträgen von Barbara Coudenhove-Calergi, Hannes Androsch, Heinz Fischer, Annelise Rohrer bis zu Barbara Blaha und Niko Alm machen das komplexe Werk interessant und attraktiv.

„Wo sind wir hier eigentlich ? – Österreich im Gespräch“
( Apfl / Loudon / Zach, erschienen im Verlag Brandstätter )

Ex-Kanzler Kerns kantige Kritik

Aufgefallen

Zitate des Tages
(ausgewählt von Udo Bachmair)

„In der Politik gilt: Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht“

( Ex-Bundeskanzler Christian Kern in einem KURIER-Interview )

„Meine Nachfolgerin Rendi-Wagner erlebt jetzt, wie das ist. Da gibt’s Leute, die sitzen in den Wiener Kaffeehäusern, sind seit 20, 30 Jahren Teil des Systems und machen Stimmung gegen die eigene Vorsitzende. Sie selbst übernehmen nie Verantwortung, ziehen am Ende immer den Kopf ein. Der Vorsitzende steht vorne, kassiert die Watschen“

( Rüge Christian Kerns an die Adresse der eigenen Partei ).

„Geschichte lehrt, dass Nationalismus zum Krieg führt… Vor dem Massenmord in Christchurch ist so lange ein Feindbild produziert worden, bis ein Wahnsinniger Selbstjustiz geübt hat. Oder der Brexit. Die haben sich so lange aufgeganselt, bis sie ihr Zerstörungswerk vollendet haben. Vielleicht fehlt auch unserer Regierung das Geschichtsbewusstsein, um zu erkennen, wie schwer solche Entwicklungen zu kontrollieren sind“

( Der frühere Bundeskanzler Kern im KURIER-Interview auf die Frage, wie beängstigend es sei, dass Nationalisten und Populisten weltweit das Sagen haben ).

Widerstand erzeugt Hoffnung

Politik, Medien, Kirchen : Stopp dem rechten Ungeist

Udo Bachmair

Hetze im Internet, Hass gegenüber Fremden, Antisemitismus, Nazi-Texte in Liederbüchern: Der Ungeist von Rassismus und Rechtsextremismus erscheint an Tagen wie diesen allgegenwärtig. Und für manche scheint er bereits salonfähig geworden zu sein.

Doch es gibt Hoffnung.

Ein immer breiterer Widerstand gegen rechte Zündler regt sich:  In den Medien (Ausnahme  weitgehend die Kronenzeitung), in NGOs, in Kirchen bis hin zum beeindruckenden Appell des Bundespräsidenten gegen NS-Verherrlichung und Menschenverachtung.

Als mutig erscheint in dem Zusammenhang auch die Rücktrittsaufforderung Van der Bellens an den nö. FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer. Dieser war bis vor kurzem noch Vizeobmann der rechtsextremen Burschenschaft Germania, behauptet jedoch, von ihren Nazi-Liedern nie etwas gehört oder gewusst zu haben..

Gäbe es in Deutschland einen ähnlichen Fall, wäre ein Rücktritt wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Die dortige Medienlandschaft scheint stärker willens und in der Lage zu sein als hierzulande, entsprechend Druck auszuüben. Doch wir sind halt in Österreich..

In Österreich verhallen Appelle für Menschlichkeit, Solidarität und Antifaschismus nur allzu oft. Viele Medien nehmen sie nur am Rande wahr. Dabei wäre es wünschenswert, etwa auch kirchlichen Stimmen in der Öffentlichkeit mehr Gehör zu verschaffen.

So lässt angesichts jüngster Vorfälle um FPÖ-Politiker der Vorsitzende des ökumenischen Rates der Kirchen, Thomas Hennefeld, mit besonderes eindringlichen Worten aufhorchen. Er mahnt Kirche und Gesellschaft zu erhöhter Wachsamkeit und Sensibilität und merkt zum Fall Germania an:

Wo sich das Haupt des widerwärtigen antisemitischen Ungeistes erhebt, wie im Fall des Liederbuches bei der Burschenschaft Germania, müssen die Kirchen aufschreien

Zum Plan des FPÖ-Innenministers, Flüchtlinge und Asylwerber „konzentriert“ in Massenunterkünften „halten“ zu wollen, meint der Vorsitzende des ÖRKÖ :

80 Jahre nach dem  „Anschluss“ an Hitler-Deutschland spricht ein Minister davon, Menschen konzentrieren zu wollen. Dabei geht es nicht nur um Anspielungen auf die dunkelste Zeit unserer Geschichte, sondern auch um die Maßnahmen, die damit verbunden sind. Anscheinend sollen tausende Menschen aus Familien, in denen sie integriert sind, herausgerissen werden und an einen anderen Ort gebracht werden. Die Kirchen dürfen nicht darauf warten, bis es der Regierung einfällt, auch andere Gruppen auszusondern, nur weil jetzt von uns niemand betroffen ist, sondern müssten schon jetzt protestieren.

 

Wahlkampf 2017: Rechtspopulisten in Politik und Boulevard geben den Ton an

Machtlos gegen den Rechtspopulismus ?

Udo Bachmair

Auch wenn der Wahlkampf für die Nationalratswahl zurzeit noch hochsommerlich dahinköchelt, wird er recht bald wieder von der „Flüchtlingskrise“ dominiert sein. Neben Straches FPÖ wird „Jungpopulist“ ( Der Spiegel ) Sebastian Kurz alles daransetzen, dieses Reizthema so intensiv wie möglich zu „bespielen“. Natürliche Verbündete sind dem Obmann einer einst christlichsozialen Partei der Boulevard, allen voran das Krawallblatt „Österreich“ und die rechtspopulistische Kronenzeitung. Sie lassen in Glossen, in ausgewalzten Kriminalstories, in denen überwiegend Ausländer verdächtigt werden, sowie in einseitig ausgewählten Leserbriefen nichts unversucht, einen Notstand als Folge der „Flüchtlingsströme“ herbeizuschreiben. Das Feindbild Asylwerber und Ausländer insgesamt wird in Schwarz-Weiß-Manier unermüdlich bekräftigt. Kein Wunder, dass auch Menschen, die noch nie in ihrem Leben konkrete Erfahrungen mit Migranten gemacht haben, mit Hass, Vorurteilen und Gewaltfantasien infiziert werden.

„Die hätte man alle über den Haufen schießen müssen“ – so äußerte sich jüngst etwa ein offenkundiger Rassist in einem Lokal in Bad Radkersburg, als es um die Frage ging, was man tun hätte sollen, als im Herbst 2015 zahlreiche Flüchtlinge – unter ihnen auch viele Frauen mit Kleinkindern – über die Murbrücke von Slowenien nach Österreich gekommen waren. Tags darauf bin ich in Eisenerz auf der Straße Ohrenzeuge aggressiver Wutausbrüche geworden: „Politiker, die zulassen, dass Asylwerber hier angesiedelt werden, gehören an die Wand gestellt…“ Äußerungen dieser Art lassen für die Zukunft Schlimmes erahnen, umso mehr dann, wenn Humanität, Empathie und Solidarit weiter an Wert verlieren. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es umso verantwortungsloser, wenn Rechtspopulisten in Politik und Boulevardmedien die Lage weiter anheizen.

Aber wie dem grassierenden Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Rassismus begegnen ? Entsprechende Handreichungen bietet ein neues Buch des Soziologen und Populismus-Forschers Prof. Walter Ötsch. Titel: „Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung“, erschienen vor kurzem im Westend-Verlag. Zentrale These des Buches, das Ötsch gemeinsam mit der Falter-Journalistin Nina Horaczek verfasst hat: „Der Rechtspopulismus besitzt einen einfachen Kern: Hier sind WIR und dort sind die ANDEREN“. Es gibt nur Gute, wir das „Volk“ sowie Böse, das sind Ausländer, vor allem Moslems. Im Umgang mit rechten Demagogen rät Ötsch: „Nicht provozieren lassen. Eigene Inhalte in den Vordergrund stellen. Sachlichkeit mit Emotion verbinden. Positivbilder gegen Negativbilder stellen. Und nicht zuletzt: den Humor nicht vergessen.“ Letzteres fällt einem angesichts der wachsenden Aggressionen jedoch immer schwerer..

Schulqualität und Medienkonsum

Colin  C r o u c h

Rundfunk, den man früher eher dem gemeinnützigen Bereich oder dem Erziehungssystem zugeordnet hätte, ist heute Teil des kommerziellen Sektors. Das bedeutet, dass Nachrichtensendungen nach dem Vorbild kommerzieller Produkte gestaltet werden. Es geht darum, rasch die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln, um konkurrierenden Unternehmen die Kundschaft abzujagen. Damit verlagert sich die Priorität in Richtung einer extrem vereinfachenden, sensationsheischenden Berichterstattung, wodurch das Niveau der politischen Diskussion und die Kompetenz der Bürger weiter sinken. Und Politiker müssen sich an den Modus für Nachrichten, die für das Massenpublikum produziert werden, anpassen.

Und Lehrer müssen um die Aufmerksamkeit von Schülern kämpfen, die in ihrer Freizeit viele Stunden vor dem Fernseher  (und Mobilphone) sitzen. Dieses Problem kommt in den aufgeregten Debatten über die Qualität des Bildungssystems „so gut wie nie zur Sprache Hängt dies vielleicht zusammen, dass diese Diskussionen von den Eigentümern der Massenmedien vermittelt und gesteuert werden?“

Dass Medien wie Schulen funktionieren, war das ursprüngliche Leitbild der British Broadcasting Corporation (BBC). Der Auftrag dieses Senders und anderer öffentlich-rechtlicher war es, „zu informieren, zu bilden und zu unterhalten“. Spuren dieses Modells findet man noch in der BBC. Doch heute werden die Programm-Verantwortlichen dieser Sender genötigt, ihre Einschaltquoten mit denen ihrer Rivalen vom Privatfernsehen zu vergleichen, daher müssen auch sei um jeden Preis Quote machen. Das kommerzielle Modell triumphiert über andere Formen politischer Kommunikation. Sie wird zu einem kurzlebigem Konsumgut. Der Konsument hat über den Staatsbürger gesiegt.

Dies ist ein Resumé aus Colin Crouch: Postdemokratie (2013) (H. Högl)