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Offener Brief an die Ö1-Information

Der ORF wäre verpflichtet, auch in der außenpolitischen Berichterstattung auf Ausgewogenheit und Differenzierung Bedacht zu nehmen. Wenn es ums Thema Ukrainekrieg geht, gelingen diese Vorgaben nur selten. Eines der Beispiele dafür ist ein Beitrag mit besonderer Schlagseite von Markus Müller jüngst im Ö1-Mittagsjournal, Gegenstand des folgenden offenen Briefes an die Ö1-Information:

An die Redaktion des Radiosenders Ö1

von Sylvia Stuckenberg *

ORF-Redakteur Markus Müller-Schinwald beschuldigt den Neutralitätsforscher Pascal Lottaz im Mittagsjournal von Ö1 vom 19.4.2024 Kreml-Propaganda zu betreiben. Als Grund werden dessen Äußerungen zu den Friedensverhandlungen im März 2022 in Istanbul herangezogen. Lottaz sagt, dass die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vom Westen torpediert worden seien.
Und das sei der Beweis, dass er im Dienste Moskaus stünde, so der Journalist.

Schauen wir uns das einmal genauer an. Als Vermittler bei den Friedensverhandlungen in Istanbul traten Erdogan (türkischer Staatspräsident), Bennett (damaliger israelischer Premierminister) und Gerhard Schröder (ehemaliger deutscher Bundeskanzler) auf. Alle drei waren sich am Ende der Verhandlungen einig, dass die russischen und die ukrainischen Unterhändler einer umfassenden Friedenslösung sehr Nahe gekommen waren.

Die Ukraine würde einem Neutralitätsstatus zustimmen und auf eine Aufnahme in die Nato verzichten und im Gegenzug dafür Sicherheitsgarantien von einem wesentlichen Teil der westlichen Staaten ( sogenannte Garantiestaaten) erhalten. Und Russland erklärte sich bereit die Integrität der Ukraine mit Ausnahme der Krim zu gewährleisten. Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit, Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.
Bennett weiter: …die Ukrainer haben den Frieden nicht vereinbart, weil sie es nicht durften. Die mussten bei allem, was sie berieten, erst bei den Amerikanern nachfragen. Auch Mevlüt Cavusoglu , damaliger türkischer Außenminister, äußerte sich in ähnlicher Weise. In einem Interview mit der CNN Türk am 20.4.2022 sagte er:“ Einige Nato Staaten wollten, dass der Ukraine Krieg weitergeht, um Russland zu schwächen.“

Im Rahmen der Verhandlungen wurde von der ukrainischen Delegation am 29. März 2022 ein Positionspapier vorgelegt, das zum Istanbuler Kommunique wurde. Die ukrainischen Vorschläge wurden von der russischen Seite in einem Vertragsentwurf umgesetzt. Michael von der Schulenburg, der ehemalige UN Assistant Secretary-General (ASG) in UN Friedensmissionen schreibt, dass “die Nato bereits am 24.März 2022 auf einem Sondergipfel beschlossen hätte, diese Friedensverhandlungen (zwischen der Ukraine und Russland) nicht zu unterstützen“. Nach von der Schulenburg hatte es sich bei den russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen um eine historisch einmalige Besonderheit gehandelt, die nur dadurch möglich war, weil sich Russen und Ukrainer gut kennen und die „gleiche Sprache sprechen“

Die Washington Post berichtet am 5.4., dass in der Nato die Fortsetzung des Krieges gegenüber einem Waffenstillstand und einer Verhandlungslösung bevorzugt wird:“ Für einige in der Nato ist es besser, wenn die Ukraine weiterkämpfen und sterben als einen Frieden zu erreichen, der zu früh kommt oder zu einem zu hohen Preis für Kiew und das übrige Europa“ Selenskyj solle“ so lange weiterkämpfen, bis Russland vollständig besiegt ist“.

Am 9.4. traf Boris Johnson unerwartet in Kiew ein und wies laut dem britischen Guardian vom 28.4. den ukrainischen Präsidenten Selenskyj an „keine Zugeständnisse an Putin zu machen“ Er brachte die Botschaft mit nach Kiew, dass selbst, wenn Selenskyj bereit wäre gegen Sicherheitsgarantien eine Verhandlungslösung mit Russland zu finden, es der Westen nicht ist!

Auch die NZZ meldet am 12.4., dass die britische Regierung unter Johnson auf einen militärischen Sieg der Ukraine setzt. Der Guardian Kolumnist Simon Jenkins warnte, dass „Liz Trust riskiert, den Krieg in der Ukraine für ihre eigenen Ambitionen anzufachen“

Die US Zeitschrift Responsible Statecraft zitiert die Zeitschrift „Foreign Affairs“: diese schreibt am 2.9.22:“ Laut mehreren ehemaligen hochrangigen US-Beamten, mit denen wir gesprochen haben, schienen sich russische und ukrainische Unterhändler im März 2022 auf die Umrisse einer vorläufigen Zwischenlösung geeinigt zu haben……..aber der Westen ist nicht zu einem Ende des Krieges bereit.“

Eine tragfähige Lösung von beiden Seiten, Ukraine und Russland, ein ausverhandelter Vertragsentwurf war finalisiert und im letzten Augenblick von den USA und Großbritannien torpediert worden. Alle anwesenden Diplomaten berichten über diesen Verlauf.

Wie kommt nun Herr Müller-Schinwald dazu, diese Darstellung als russische Propaganda zu bezeichnen? Hat er nur nicht sorgfältig recherchiert oder steht eine Absicht dahinter?

Sehr erstaunlich ist die Tatsache, dass Herr Müller-Schinwald als einzige Referenz für seine Behauptung ein Mitglied einer Nato-Denkfabrik zitiert. Herr Kalensky vom Zentrum für hybride Bedrohung diskreditiert Herrn Pascal Lottaz. Diese Zentren werden auch als Exzellenzzentren bezeichnet. Sie wurden 2003 von der Nato als zivile Einrichten für Schulungen u.a. gegründet. Bis heute gibt es 26 solcher Zentren, die auch eine Einbindung von nicht Nato-Staaten vorsehen. Es ist die einzige Nato/EU Institution. Das Konstrukt ist sehr undurchsichtig, wäre es aber Wert, genau beleuchtet zu werden.

Ich denke seriöser Journalismus sieht anders aus. In kürzester Zeit hätte Herr Müller-Schinwald unendlich viele Quellen aus der ganzen Welt zusammentragen können und damit die Aussage von Pascal Lottaz bestätigen können. Aber es muss wohl die Frage gestellt werden, warum gerade jetzt ein seriöser Neutralitätsforscher als russischer Spion „enttarnt“ wird, oder bestenfalls wie Herr Müller Schinwald meint als „nützlicher Idiot“ einzustufen sei.

Als öffentlich rechtlicher Rundfunk sind Sie verpflichtet mit Sorgfalt und ausgewogen zu berichten. Im übrigen gebietet dies auch die journalistische Ethik.

Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Wenn ich als Ärztin mit einer Problemstellung überfordert bin, wird der Patient an einen Fachkollegen zugewiesen. Da fange ich nicht an herumzupfuschen. Das gilt auch für den Journalismus. Auch dort werden mit solch unprofessionellen Berichten Existenzen aufs Spiel gesetzt.

* Dr. Sylvia Stuckenberg ist Journalistin und Medizinerin und lebt in Lochau in Vorarlberg. Zitate in ihrem offenen Brief stammen aus der Berliner Zeitung, vornehmlich aus der Analyse „Wie die Chance für eine Friedensregelung vertan wurde“ (erschienen 19.11.2023).

Reizthema Ukrainekrieg und Medien

Das große Interesse an der jüngsten Podiumsdiskussion zu dieser Causa hat die Erwartungen weit übertroffen. Um die 800 Zugriffe auf den nun auch auf Youtube abrufbaren Mitschnitt werden mittlerweile registriert.

Udo Bachmair

„Der Krieg gegen die Ukraine und die Berichterstattung westlicher Medien“. Das war Thema einer vielbeachteten Podiums- und Publikumsdiskussion kürzlich im Presseclub Concordia in Wien. Der rege Diskussionsabend, veranstaltet von der Vereinigung für Medienkultur, hat gezeigt, wie groß der Unmut über außenpolitische Berichterstattung mit Schlagseite in den meisten unserer Medien ist.

Ein Krieg geht immer einher auch mit einem Informationskrieg, beide Kriegsparteien betreiben Kriegspropaganda, lauteten zwei der Grundthesen der Veranstaltung. Medien spielen dabei eine wichtige und verantwortungsvolle Rolle, sie machen aber mitunter selbst Politik und üben sich in Kriegs-statt in Friedensrhetorik. Beispiel der beharrliche auch mediale Druck auf den deutschen Kanzler Scholz, endlich weitere schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Besondere Aufmerksamkeit schenkte das Publikum auch einem Live-Gespräch mit ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz, der mit seiner sachlichen und differenzierenden Berichterstattung für engagierten Qualitätsjournalismus steht.

Die Aufzeichnung des Diskussionsabend ist auf Initiative von Fritz Edlinger, des Herausgebers der renommierten Zeitschrift INTERNATIONAL, nun also auch auf Youtube abrufbar.

Hier der Link : https://www.youtube.com/watch?v=WDSUw-3k7PI

Auslandsberichterstattung mit Schlagseite ? Diskussion im Presseclub Concordia

Erläuterung und Details zur Podiumsdiskussion am 17.1. 

Udo Bachmair

Angesichts der Dominanz der 3 weltpolitisch ähnlich orientierten großen Nachrichtenagenturen entstehen für Journalist/innen besondere Herausforderungen. Können vor diesem Hintergrund Differenzierung und Objektivität vor allem bei so komplexen Fragen wie dem Syrienkonflikt etc. ausreichend garantiert werden ?

Die erwähnten Nachrichtenquellen ähneln einander in Themenauswahl, Inhalten und Formulierungen. Das begünstigt eine bestimmte (westliche)Sichtweise der Welt in internationalen Informationen. Eine inhaltliche Schlagseite kann auf Kosten von journalistischer Seriosität und Qualität gehen.

Inwieweit das medial gezeichnete Bild  bestimmter Länder und Konflikte der Realität nahekommt, soll anhand von Venezuela und Kuba erörtert werden.

Die Podiumsdiskussion am 17.1.  ist eine Veranstaltung der Vereinigung für Medienkultur und der Österreichisch-Kubanischen Gesellschaft.

 

„Tendenzen und Probleme außenpolitischer Berichterstattung
am Beispiel Kubas und Venezuelas“

 Zeit:  Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 Wien

 Ort:  Mittwoch, 17. Jänner 2018, 19 Uhr

Am Podium:

Verena Gleitsmann, ORF-Redakteurin Ressort Außenpolitik Ö1

Fritz Hausjell, Publizistikwissenschafter, Beirat der Vereinigung für Medienkultur

Hermine Schreiberhuber, freie Journalistin, ehem. stv. Außenpolitikchefin der APA

Erhard Stackl, Journalist u.a. des Standard, Chefredakteur „Jüdisches Echo“

Carlos Troger, Venezuela-Experte, Vorstandsmitglied österr.-kuban. Gesellschaft

Michael Wögerer, Kuba-Experte, Gründer der Internetzeitung „Unsere Zeitung“

Moderation:

Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur

Anmeldung erbeten an stifter@medienkultur.at