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Tag-zu-Tag-Journalismus und Publikum

Tagesjournalismus klammert Strukturwandel aus -ein Buch vor 60 Jahren – was blieb aktuell im „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1961) – von Jürgen Habermas?

Hans H ö g l

Bürgerliche Öffentlichkeit war das Publikum direkt versammelter Privatleute, wo sich öffentliches Raisonnement ereignete – ein Wort, das auf Vernunft verweist und zugleich auf ihre verächtliche Herabsetzung zur nörgelnden Vernünftelei (S. 334).

Massenmedien verstehen sich als Stellvertreter des Publikums. Doch hierbei wird ein Großteil der Bevölkerung ausgeschlossen. Für Habermas hat Demokratie den Vorrang, doch Experten (Politiker, Top-Manager, Juristen…) koppeln sich immer mehr von Normalbürgern ab. Damit hat öffentliches Raisonnement keinen Ort mehr. Kultur und soziales Miteinander werden stark von Wirtschaft und Verwaltung geprägt.

Hubertus Niedermaier meint in dem Buch: „Wozu Demokratie“ – Konstanz 2017: Die interaktiven Medien bieten neue Chancen politischer Partizipation (S. 355). Doch oft sind es nicht Chancen, es schlägt ins Gegenteil um. Unsere Zitate weisen auf Niedermaiers Resumé über Habermas hin.

Der Untertitel des Buches „Wozu Demokratie?“ lautet „Politische Philosophie im Spiegel der Zeit“. Dem Autor gelingt es, im Erörtern historischer Hintergründe politische Denker uns nahe zu bringen – beginnend von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart. So über: Platon, Cicero, Augustinus, Machiavelli, Hobbes, Locke, Kant, Rousseau, Hegel, Marx, J. Stuart Mill, Adorno, Parsons, Luhmann, Habermas, Beck.

Brisanter Brief an den Kanzler

Wie Politiker versuchen, Journalisten für sich einzunehmen bzw. gefügig zu machen, zeigt ein bemerkenswerter offener Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Udo Bachmair

Der bekannte Ex-Krone-Journalist Thomas Schrems hat seinem Unmut mittels eines offenen Briefs an Sebastian Kurz Luft gemacht. Er demonstriert exemplarisch, wie intensiv der „PR-Kanzler“ mit der bisher wohl konsequentesten Selbstinszenierung inklusive gelungener „Message-Control“ versucht, vor allem Journalist*innen von Medien mit besonders großer Reichweite zu beeinflussen und an sich zu binden. Das funktioniert offenbar gut. Denn Kurz kann sich einer großen Unterstützung von Massenblättern wie Krone, Heute oder Oe-24 erfreuen. Zudem kann Kurz immer wieder auf das Wohlwollen vor allem der ZiB 1 des ORF bauen. Unabhängiger Journalismus sieht wohl anders aus..

Die Verzahnung von Medien und Politik, ein Phänomen, das besonders in Österreich angesichts zahlloser „Verhaberungen“ wie geschmiert läuft, wird von kritischen Beobachtern jedoch als demokratiepolitisch äußerst bedenklich bewertet.

Zum Thema nun also im Wortlaut der erwähnte offene Brief des früheren Chronik-Chefs der Kronen Zeitung, Thomas Schrems :

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Sebastian!

Weißt du noch, damals …
du meine Güte, lang ist’s her.

DU, der gerade erst aus dem Geilomobil gekletterte, vermeintlich „kleine“, frisch gebackene Staatssekretär für Integration (was ist bloß aus deiner Haltung von damals geworden
– oder war das auch bereits alles knallhartes Kalkül auf deinem steilen Weg an die Macht?) … … und ICH, der vermeintlich „mächtige“ Chronik-Chef beim Kleinformat. Unser erstes Mal sozusagen – an dem kleinen Ecktisch in der „Krone“-Kantine. Und neben dir dein eisern aufstrebender Adlatus, der sich bald schon zum Bullterrier in Sachen Message-Control der türkisen Familie mausern sollte. Wobei ja Familie ein Begriff ist, der – wie ich meine –
nicht durch eure Umtriebe entehrt werde sollte. Sei´s drum.

DU also, damals losgeschickt von deiner Chefin & Innenministerin, um dich im Pressehaus anzudienen, um dich in diesem wahrhaftigen Zentrum der Macht, wie es heißt, vorzustellen (kein Scherz! So war das damals Usus, auch bei Ministern und Konsorten, auch sie mussten allesamt antanzen) … …
dich vorzustellen also in der Höhle des Medienzaren und freundliche Nasenlöcher zu machen. Im Dreierpack quasi. Zuallererst natürlich ganz oben, im 16. Stockwerk, beim alten Herrn, wie wir ihn nannten, Hans Dichand sel. Dann beim Chefredakteur. Und hinterher bei mir.

Ja, ja, ich gebe es unumwunden zu: Ein klein wenig gebauchpinselt gefühlt hab ich mich schon. Und ein klein wenig ins Fliegen geraten vor lauter „Einfluss“ und so weiter war ich damals wohl auch schon. So viel Selbstkritik muss sein. Und dann erst jener Sonntag (ich weiß es noch wie gestern), als DU mich in der Redaktion anriefst und fragtest, ob du den Job des Außenministers annehmen sollst? – Nein, nein, dass hier bloß kein falscher Eindruck entsteht. Bestimmt hast du dir von Dutzenden eine Meinung eingeholt. Weil dir ein breites Spektrum an
Meinung, insbesondere, was dich selbst, deine Außenwirkung etc. betrifft, seit jeher wichtig war. Lustig war das aber schon. Damals. Die vielen gemeinsamen Reisen in aller Herren Länder. Nicht zu vergessen jene, als DU und dein späterer Bullterrier in nachmitternächtlicher Laune mich, den Schreiberling, in einer Rooftop-Bar in New York in den Pool zu den halbnackten Mädels werfen wolltet – es dann aber doch bleiben ließet.

Du meine Güte, und was da nicht auch alles off-the-record geunkt wurde auf diesen Reisen. Der „Pöbel“ kam, soweit ich mich erinnere, allerdings nicht explizit zur Sprache (na ja, das Thema hat der Thomas jetzt eh ausreichend abgedeckt). Aber sonst allerlei. Doch das ist eine andere Geschichte und gehört nicht hierher.

Und so ging es eben Schlag auf Schlag. Mit dem systematischen Einlullen und Gefällig-Machen von Journalisten. Mit dem alten Spiel aus Geben und Nehmen (da eine exklusive Story, dort Publicity für den aufgehenden Politik-Stern). Diese Art von Verhaberung, deren Früchte heute
ebenfalls unter der Message-Control durch Euresgleichen firmieren. Irgendwie verlief das Spiel stets auf einer leicht schiefen Ebene – doch dazu gehören bekanntlich zwei. Einer, der mehr nimmt, und einer, der naiv genug ist, mehr zu geben.
Also: Schwamm drüber, lieber Sebastian. Immerhin bin ich ja selber schuld. In der Rückbeschau.

ABER:
Ich habe abgeschworen. Dem Blatt und auch gleich dem Tagesjournalismus als solchem. Vor Jahren schon und aus vielerlei Gründen. Allen voran natürlich das Nest selbst, in dem ich wohlbestallt saß und werkte. Die Zentrifuge des Wahnsinns, wie wir die Redaktion nannten. Aber auch: die eigentliche Zentrifuge der Macht. Dort, wo der Bartel den Most her – und so mancher Bundeskanzler sich seine Watschen abholt. Dort auch, wo dieses Spiel des Gebens und Nehmens bis zur Perversion perfektioniert wird.

Wenn der Eine (nennen wir ihn: DU und deinesgleichen) schaut, was so an manipulativem Dreck reingeht und ob er damit durchkommt – und der Andere (nennen wir ihn: ICH und meinesgleichen) denkt: „Na, wird schon passen.“ Und so kommt es bisweilen, dass ICH und meinesgleichen
dabei den Blick fürs Wesentliche verlieren. Weil wir aus einem sich mehr und mehr verselbständigenden Reflex heraus agieren. Eine Art „Adabei-Reflex“, der die ursprünglichen Aufgaben des Journalisten (das kritische Hinterfragen, Berichten etc.) mehr und mehr zurückdrängt – und im Gegenzug dem Promi-Faktor zu seinem „Recht“ verhilft. Weil doch Licht und Glanz der „großen Namen“ ringsum so sehr hereinstrahlen, dass man fast nicht anders kann als
…? Genau. Nichts. Mitstrahlen. Wegsehen. Schweigen. Bloß, weil sie dich plötzlich am Handy anrufen. Bloß, weil sie dir (rein dienstlich natürlich) die tollsten Reisen anbieten, die besten Exklusivgeschichten, dich in die teuersten Restaurants entführen und so weiter. Und da kann es dann auch passieren, dass man (wenn auch leicht beschämt und mit
reichlich Alkohol kompensiert) wegsieht und schweigt …Kleines Beispiel
gefällig? Auch wenn dieses eine nicht DICH persönlich betrifft, sehr wohl aber deine Partie (oder sagt man Partei)?

Wenn also zum Beispiel bei einer Pressereise nach Fernost (Thema: Kampf gegen die Produktpiraterie) die Delegationsleitung auf dem Rückflug sechs nigelnagelneue Golfpacks dabei hat. Für die Freunde daheim. Spottbillig (weil gefaked). Aber man könnte natürlich argumentieren: Gut, dass WIR die gefälschten Taschen gekauft haben. So sind sie wenigstens vom Markt und keine Gefahr. Oder? Wurde je eine Zeile darüber oder über dergleichen geschrieben?– Nicht dass ich wüsste. Vielmehr hat es sich auch hier – einmal mehr – bezahlt gemacht, dass nur sorgfältig ausgewählte KollegInnen ausgewählter Medien (auf Regimentskosten, versteht sich) mit an Bord waren.

Ja, und so wächst und wächst sie, die kontrollierte Nähe. Ganz hin und weg ist unsereiner vor lauter blendender Macht-Mitspielerei. Und übersieht, dass die Handschellen dieser Nähe nach „oben“ längst um die Fesseln gelegt sind. Ja, und so häufen sie sich – die Geschichten, die stets ungeschrieben geblieben sind. DIE Storys schlechthin, die ICH und meinesgleichen dann lieber doch nicht schreibt und sie stattdessen im Herzen trägt, um sie eines schönen Tages den Enkelkindern als eine von unzähligen Schnurren aus einem bewegten Leben zum Besten zu geben.

Natürlich wissen DU und deinesgleichen um diese Mechanismen. Ihr seid wahrhaftige Meister dieses Wissens. Und so klicken die Handschellen des Einlullens und wechselseitigen Emporhebens und Begünstigens, dass es eine wahre Freude ist. Klick. Klick. Klick.

Ja, so war das. Ja, so ist das. Und keiner, lieber Sebastian, beherrscht dieses
Spiel gekonnter und gewiefter als DU. Und so war einer meiner vielen Gründe, dem Tagesgeschäft bei der Zeitung zu entsagen, letztlich auch dieser unsägliche Ekel, der mich damals bereits erfasst hatte angesichts der viel zu tiefen Einblicke, die mir gewährt wurden in euer Reich, in die so genannte „hohe Politik“ und ihre geistbefreit-schmutzigen Mechanismen. Jener würgende Ekel auch, der mir angesichts des dich damals schon umschwirrenden Klüngels die Luft für ein sauberes Atmen nahm (ja, der Thomas> „Jetzt-wieder-reisen-wie-der-Pöbel“ S. war auch schon munter mit von der Partie und einige andere mehr).
Und, ja, ferne Boten dieses würgenden Ekels steigen mir heute noch die Kehle empor, wenn ich sehe, wie DU und deine Spezis dieses Land untereinander aufteilen, in den Sumpf ziehen und bis zum Erbrechen der Lächerlichkeit preisgeben.

ABER Ich habe ja abgeschworen, und ich bin der Versuchung, in den Ring zurückzukehren, nicht eine Sekunde lang erlegen. Das letzte Mal war erst vor ein paar Monaten, und ich hätte abermals in leitender Position arbeiten sollen für ein neues Medium – ausgerechnet! –, dessen Geldgeber dir und den Deinen eng verbunden sind. Bestimmt wäre das Salär ganz ordentlich gewesen (doch ich habe nicht einmal danach gefragt). Wie stolz und froh ich doch bin, nicht gezögert zu haben. Als hätte mir das Schicksal eine allerletzte Prüfung der Standhaftigkeit
auferlegt – und gleich Luzifer persönlich auf mich losgehetzt.

Brrrr! Oh nein, sehr geehrter Herr Bundeskanzler und lieber Sebastian:
Besser ist´s, kleinere, bedeutend bescheidenere Brötchen zu backen.
Ganz pöbelhaft. Besser ist´s, die Bodenhaftung nicht zu verlieren (oder zurückzugewinnen). Besser ist´s, ein freischaffender Buchstaben-Hin-und-Her-Schieber zu sein, der für sein Auskommen viel und hart arbeiten muss, so rechtschaffen wie die allermeisten Menschen in diesem Lande auch. Menschen, die alles Mögliche haben – bloß nicht euch verdient. Besser so … und dafür Mensch sein, Mensch bleiben.

Bleibt nur noch diese Frage: Wie viele Nadeln, wie viele Lögers und Schmids und Blümels und wie sie alle heißen mögen, braucht es noch, bis es endlich „PUFF!“ macht? Bis ein tosender Schwall türkiser heißer Luft auch dich vom Parkett fegt – und mit dir alles, was uns die längste Zeit so dreist auf der Nase herumtanzt? Wie sagen die Kommentatoren (und Luftballon-Experten) so gerne?

Man darf gespannt sein.

Dein Thomas (Schrems)

( Brief erstmals veröffentlicht via Facebook )