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Wieder ins Gespräch kommen

In die Endlosschleife der Interviews zu den russischen Präsidentschaftswahlen hat sich ein weiteres mit ähnlichem Inhalt eingereiht: In der ZiB2 kam jüngst Rüdiger Fritsch zu Wort, deutscher Ex-Botschafter in Moskau. Der Erkenntnisgewinn des von Armin Wolf geführten Gesprächs war überschaubar.

Wolfgang Koppler *

Solche Interviews sind meist entbehrlich, zumal man gerade bei einem Konservativen wie dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau sich die Antworten ausrechen konnte. Trotzdem kann man – wenn man eine Art Vogelperspektive einnimmt und sowohl die russischen als auch die westliche Ansicht zu Putin, Russland und dem Ukrainekrieg unbefangen und unemotional zu beurteilen sucht – vielleicht zu neuen Schlüssen gelangen. Die russische und die westliche Seite sind einander nämlich nicht gar so unähnlich. Und wirken eigentlich wie Kleinkinder, die an einer Puppe ziehen und sie entzwei reißen.

Der Westen ist der Ansicht, dass der Krieg unbedingt gewonnen werden müsste. Alles andere wäre ein Katastrophe für die freie Welt. Auch Putin möchte den Krieg gewinnen (wobei ihm angesichts der wirtschaftlichen Probleme, die auch Fritsch erwähnte, insgeheim vielleicht Verhandlungen doch lieber wären, wie einige Signale aus den letzten Monaten zeigen). Seine Rhetorik im Hinblick auf Forderungen nach einem Sturz der ukrainischen Regierung oder gar eine Wiedereingliederung ins russische Reich oder das Spiel mit der atomaren Bedrohung nimmt selbst im Westen in Wirklichkeit niemand ernst. Dass er sich mit dem Angriff auf die Ukraine verschätzt hat, ist nichts Neues und wiederum eine Endlos-Rhetorik des Westens, die zu nichts führt.

Nicht ganz uninteressant waren Fritschs Hoffnungen auf einen Sturz Putins und seine Unsicherheit, wer dem 71-jährigen russischen Staatschef nachfolgen könnte. Er hatte natürlich – so wie wir alle – keine Ahnung, wer das sein könnte bzw. wie die Zukunft Russlands aussehen könnte. Als Alternative fiel ihm eigentlich nur Nawalny ein. Dieser ist erstens tot und wäre wahrscheinlich auch kein echter Hoffnungsträger gewesen. Sowohl von seinen ziemlich chauvinistischen Ansichten als wohl auch von seinen Fähigkeiten her. Das hat jetzt nichts mit unserem Mitgefühl und unserer Empörung über Haft und Tod Nawalnys zu tun.

Tatsächlich fällt so gut wie allen politischen Kommentatoren, wenn es um Alternativen zu Putin und die Zukunft Russlands geht, immer nur ein: Nicht-Putin, alles ist besser als Putin. Ein westlicher Experte sprach das sogar vor einigen Monaten ganz offen aus.

Auch mir ist klar, dass die Putin-Ära, die ich keineswegs beschönigen will, sich in nicht allzu ferner Zukunft ihrem Ende zuneigen wird. Da wir aber alle nicht wissen, was dann kommen wird und was sich im Hintergrund der Nomenklatura abspielt, sollte man mit Wünschen nach einem Umsturz eher vorsichtig sein. Zumal der Zerfall einer Atommacht und die Transformationsprozesse in einem seit Jahrhunderten autoritär geführten Staat unabsehbare Folgen haben können. Nicht nur für Russland selbst.

Auch aus diesem Grund sollte man sich auf Verhandlungen im Ukrainekrieg einlassen. Denn die Wahrscheinlichkeit eines friedlichen Machtwechsels in die Nach-Putin-Ära würde sich nach einem für beide Seiten tragbaren Frieden zumindest erhöhen. Denn gekränktes Nationalgefühl ist gefährlich. Gerade bei den diesbezüglich eher empfindlichen Russen- Mit denen man wieder ins Gespräch kommen sollte. Ganz ohne westliche Selbstgefälligkeit. Zumal es auch bei uns mit der Meinungsfreiheit nicht gar so weit her ist. Wie man gerade am Ukrainekrieg sieht.

* Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien.

Fenster nach Europa

Laut Kremlchef Wladimir Putin will Russland das Fenster nach Europa trotz Windes weiter geöffnet halten. Ein Signal an den Westen?

Wolfgang Koppler *

Es war eine interessante – von vielen Medien verschwiegene – APA-Meldung unter dem Titel „Für Putin bleibt Fenster nach Europa offen“. Sie bezieht sich auf eine Aussage Putins jüngst beim Internationalen Kulturforum in St. Petersburg: Auch wenn darüber nachgedacht werde, das Fenster zuzudrücken, werde dies nicht geschehen, äußerte sich Putin dort laut Staatsagentur TASS.

Auch wenn Putin sich dabei übertrieben souverän gab („Wir haben keinen Konflikt mit der europäischen Gesellschaft, aber Russland erlebt mit der europäischen Elite schwere Zeiten.“), so ist es doch auch ein Signal an den Westen: Wir können auch ohne euch leben, bzw. ihr könnt uns gern haben. Aber wir sind gesprächsbereit. Dass dabei vom Ukrainekrieg und von Verhandlungen nicht explizit die Rede ist, ist klar. Kein Politiker wird seine Karten offen auf den Tisch legen. Schon gar nicht, wenn er sich in einem festgefahrenen Krieg befindet. Aber zusammen mit einigen anderen Signalen aus jüngster Zeit ist es ein ziemlich deutliches Zeichen von Verhandlungsbereitschaft.

Auch wenn beide Seiten in der Öffentlichkeit auf ihren Standpunkten beharren, wäre jetzt wirklich die Zeit gekommen, über Kompromisse nachzudenken. Zum Beispiel Ausverhandlung der bereits zu Beginn des Krieges angedachten Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Autonomie und Entmilitarisierung von Luhansk, Donezk, Saporischyja und Cherson (nach Rückzug von russischer und ukrainischer Armee) sowie Verzicht auf die Krim.

Aber zuerst: Waffenstillstand und Verhandlungen. Beide Seiten wissen längst, dass sie den Krieg nicht oder zumindest nur unter ungeheuren Opfern gewinnen können. Und wenn bei den Verhandlungen nichts herauskommt, kann man ja immer noch im Frühjahr weiterschießen. Und was Biden betrifft: Er könnte einen Erfolg dringend brauchen. Und das heißt vor allem: ein stabiler Frieden. Oder wollen wir, dass Trump 2025 wieder im Weißen Haus sitzt ? Wie hat er laut Frankfurter Rundschau neulich gesagt ? Er sei der einzige Mensch, dessen Aussicht mit jeder Anklage steigen und steigen..

Die USA und Europa hätten ihn wirklich verdient. Gegen ihn ist Till Eulenspiegel ausgesprochen langweilig. Vielleicht arbeiten Politik und Medien gerade deswegen – bewusst oder unbewusst – auf ein solches Szenario hin…

• Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Journalist und Jurist und lebt in Wien

Friedenskonferenz medial vorverurteilt

Die Wiener Friedenskonferenz 2023 war bereits im Vorfeld Gegenstand unfreundlicher und polemischer Berichterstattung. Besondere Einseitigkeit wird seitens der Veranstalter dem STANDARD vorgehalten.

Gastkommentar von Werner Wintersteiner *

Unter dem Titel „Wiener Friedenstreffen steht unter Propagandaverdacht“ wurde die für dieses Wochenende angesetzte internationale Friedenskonferenz der Zivilgesellschaft bereits vorverurteilt, bevor die erste Teilnehmerin in Wien eingetroffen ist.

Es ist wirklich bedauerlich, dass eine Zeitung vom Format des STANDARD sich für eine so einseitige Berichterstattung hergibt. Es wird nicht objektiv über die Intentionen und Ziele berichtet – Informationen, die man durch eine ausführliche Lektüre der Website (https://www.peacevienna.org) oder durch Interviews mit den Organisator*innen leicht hätte einholen können. Dann hätte man zum Beispiel schreiben können,

+ dass hier in Wien erstmals seit Beginn des russischen Aggressionskrieges Aktivist:innen aus buchstäblich der gesamten Welt zusammenkommen, um sich über Wege zum Frieden auszutauschen;

-+ dass Stimmen des globalen Südens, die bei uns in praktisch allen Fragen unterbelichtet oder ganz ignoriert werden, einen prominenten Platz erhalten;

+ dass selbstverständlich Kontroversen stattfinden werden, dass sie durch Working Groups und andere interaktive Formen – geradezu herausgefordert werden, der Überzeugung folgend, dass der freie Austausch der Meinungen eine Essenz der Friedensarbeit ist;

+ dass öffentlich ukrainische und russische Friedensaktivist:innen sich miteinander austauschen werden.

Was man aber in all den Aufrufen und erläuternden Dokumenten keineswegs finden kann, ist auch nur ein einziger Satz, der die russische Aggression rechtfertigen oder auch nur beschönigen würde.

Stattdessen aber Sätze wie die folgenden:

„Waffenstillstand heißt nicht die Anerkennung bestehender Frontlinien als Grenzen, sondern nur ein Ende des Tötens und des Mordens, ein Stopp der Zerstörungen. Raus aus den Schützengräben und Bunkern, hin zu neuem freiem Leben!

Verhandlungen heißt nicht Zustimmung oder Anerkennung des völkerrechts- widrigen Angriffskrieges Russland gegen die souveräne Ukraine, heißt auch nicht die Vorgeschichte dieses Krieges besonders die NATO-Osterweiterung aus den Augen zu verlieren, sondern Wege für die gemeinsame Gestaltung der Zukunft an dem Verhandlungstisch zu entwickeln – wahrscheinlich unter der Beteiligung von internationalen Moderatoren bzw. Mediatoren des Globalen Südens.“

Warum ist das dem STANDARD keine Zeile wert?

Es ist wirklich mehr als verwunderlich, dass es nach über einem Jahr eines verheerenden Krieges, der unzählige Todesopfer und Millionen Flüchtlinge und die Welt an den Rand eines Weltkriegs gebracht hat, der Ruf nach Waffenstillstand und Verhandlungslösungen immer noch tabuisiert wird. Es ist traurig, dass man sich rechtfertigen muss, wenn man über den Frieden öffentlich nachdenkt.

Es ist wirklich zu billig und entspricht keinem seriösen Journalismus, wenn man diese Bemühungen pauschal als russische Propaganda verleumdet. Das erinnert freilich daran, dass die Anti-Atom-Bewegung der 1950er Jahre pauschal als kommunistische 5. Kolonne diffamiert wurde. Sind wir wieder dort angelangt?

Und es ist ein Skandal, wenn damit zugleich versucht wird, diesen öffentlichen Gedankenaustausch einfach zu verhindern, wie das von verschiedenen Seiten versucht wird. Doch der Frieden ist einfach zu wichtig und zu dringend, als dass man sich einschüchtern lassen dürfte. Die Medien sind aufgefordert, sich ein objektives Bild von diesen Anstrengungen zu machen und es ihrem Publikum zu vermitteln.

* Gastautor Univ.Prof.Dr.Werner Wintersteiner ist renommierter Friedensforscher und Friedenspädagoge

Ukrainekrieg: Eskalation stoppen

Der Politologe Hans Joachim Funke hat es gewagt, eine Petition von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht zu unterzeichnen, die zur Intensivierung von Verhandlungen statt Ausweitung der Waffenlieferungen aufruft.

Wolfgang Koppler*

Immerhin haben sich auch Stimmen aus SPD und CSU dem Aufruf angeschlossen. Dieser wird vom Politologen Herfried Münker – fast schon erwartungsgemäß – als „gewissenlose Unterstützung Putins“ bezeichnet. Henryk Broder unterstellt Schwarzer und Wagenknecht „toxische Männlichkeit“ und Zynismus. So in den Medien überhaupt argumentiert wird, beschränkt es sich auf angeblich mangelndes Interesse Russlands oder einfach auf „Man muss den Aggressor stoppen“. Sogar die gewiss nicht als Friedenstaube geltende österreichische Ex-Außenministerin Ursula Plassnik sprach in einem Streitgespräch mit Schwarzer (in der ZiB 2) schon vor etlichen Monaten von einer Eskalationsspirale in den Medien. Kein Ruhmesblatt für den Journalismus.

Interessant in diesem Zusammenhang war da das jüngste ZiB 2-Interview mit dem „gewissenlosen“ Hajo Funke und seinem Widerpart Major Feichtinger, ehemaliger Brigadier des Bundesheeres. Zu Beginn wird natürlich Münkers Vorwurf ins Spiel gebracht, dem Funke sein eigenes Gewissen entgegensetzte. Er gestand der Ukraine das Recht auf Verteidigung zu und sprach davon, dass der Krieg zu einem Patt geführt hätte und sich dies angesichts der Waffenlieferungen des Westens auf absehbare Zeit nicht ändern werde. Ob man jetzt oder später verhandle, würde am Frontverlauf nichts Wesentliches ändern. Nur würde es wahrscheinlich nochmals 250.000 Tote kosten. Aus Russland gäbe es durchaus Verhandlungssignale. Eine Unterbrechung des Krieges im Sinne eines Waffenstillstands wäre das einzig Sinnvolle. Im Übrigen hätte die ukrainische Führung ja selbst bis April verhandelt (Anm.: bis zur Befreiung Kiews).

Feichtinger bezeichnete die Verhandlungsergebnisse vom April zunächst als „Friedensdiktat“ (ein anderes Wort für den schon etwas abgelutschten und historisch peinlichen Diktatfrieden). Auf den deren Inhalt der damaligen Verhandlungen ging er gar nicht ein, obwohl die Neutralität der Ukraine mit Sicherheitsgarantien bereits sehr weit verhandelt war und die ukrainische Führung selbst erklärt hatte: Jeder Krieg endet durch eine Vereinbarung (erinnert an Stellungnahmen von Politikern: Nicht ins Konzept Passendes übergeht man mit Schweigen). Ein Waffenstillstand zementiere nur den Status quo.

Und dann die Überraschung (auch für Armin Wolf, Anchorman der ZiB 2: Feichtinger musste zugeben, dass bei objektiver Betrachtung der Kriegslage auf absehbare Zeit tatsächlich keine großen Veränderungen des Frontverlaufs zu erwarten seien. Weder die Rückeroberung der Krim noch jene der Separatistengebiete sei ein realistisches Ziel. Auch einen Jahre langen opferreichen Krieg schloss er nicht aus. Wesentlich jedoch sei, was die Kriegsparteien glaubten. Jede Seite erwarte sich noch Vorteile aus der Weiterführung des Krieges. Außerdem würden in der Ukraine 85 – 90 % der Bevölkerung den Kurs der Regierung stützen.

Populismus als Strategie des Westens ?

* Gastautor Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und lebt in Wien

Westen ohne Verhandlungswillen ?

Ein bemerkenswertes Interview mit Robert Brieger, dem „aus Österreich stammenden höchsten EU-Militär“, unter dem Titel „Putin zeigt Schwäche“ kürzlich in den Oberösterreichischen Nachrichten sagt auch einiges aus über den außenpolitischen und militärischen Kurs des Westens.

Von Wolfgang Koppler *

Zunächst stuft Brieger die Teilmobilmachung Russlands als Zeichen der Schwäche ein. Dies ist durchaus nachvollziehbar, zumal Putin mit diesem Schritt zeigt, dass die aktive Armee nicht mehr ausreicht, um den Krieg weiterzuführen. Schlecht ausgebildete Reservisten – die zudem erst nach Monaten eingesetzt werden können – sind wohl auch nicht imstande, professionelle Soldaten zu ersetzen. Und last but not least, wird der Krieg in Russland zunehmend unpopulärer und damit auch Putin.

Interessant ist aber, welche Schlüsse Brieger (der natürlich die Politik von NATO und EU 1:1 wiedergibt) daraus für den Westen zieht.

Der jetzige Schritt Putins sei „ein Schritt zur weiteren Eskalation und wird den Krieg verlängern“.
Logisch. Aber eskaliert nicht auch der Westen, indem er Verhandlungen von Vornherein als unrealistisch abtut ?

Aber zurück zu Brieger:

Die Bemühungen des Westens, „die Verteidigung der Ukraine zu unterstützen…müssen eher noch intensiviert werden.“ Ein Nachgeben würde nämlich „das russische Regime ermuntern, weitere
Gebietsarrondierungen anzustreben.

Wie bitte ? Eine Armee, der es bis jetzt nicht gelungen ist, den Donbass zu erobern, der die Waffen und Soldaten ausgehen, soll auch noch das Baltikum und vielleicht noch Finnland überfallen können ?

Die Interviewerin stellt solche Fragen natürlich nicht, das wäre ja Majestäts- pardon EU- und NATO-Beleidigung (wobei sich die Frage stellt, wie unsere Gesellschaft und Politik ohne Diskurs und Diskussion mögliche Fehler von Politikern korrigieren will).

Sie wirft Brieger statt dessen Hölzchen, etwa mit der Frage, ob die Ukraine den Krieg noch gewinnen könne, was natürlich bejaht wird. Brieger beeilt sich dabei hinzuzufügen, dass es dabei „nicht um eine bedingungslose Kapitulation Russlands“, sondern „um eine Wiederherstellung der bedingungslosen Souveränität der Ukraine“. Diese könne bei entsprechender Unterstützung militärisch so erfolgreich sein, dass „Russland zum Verhandeln gezwungen ist“. Was wird dann noch verhandelt werden ? Angesichts der Aussagen Selenskyjs, aber auch der Stimmung in der Ukraine und im Westen wird wohl niemand glauben, dass dann über eine Neutralität der Ukraine verhandelt wird oder auch nur das Minsker Abkommen oder irgendwelche Minderheitenrechte noch irgendeine Zukunft haben.

Von der Zukunft Russlands ist im Interview erst gar nicht die Rede. Dass dort nach einer Niederlage plötzlich die Demokratie ausbrechen würde, scheint man nicht einmal mehr in Brüssel zu glauben.

Demgemäß ist am Schluss des Interviews auch nur mehr von der Verteidigungsfähigkeit Europas und verstärkten Rüstungsanstrengungen die Rede. Die Frage ist nur: Wer soll uns nach der von Brieger prognostizierten Niederlage Russlands (im Kampf um ein Gebiet anderthalb mal so groß wie Österreich) noch angreifen ?. Die Chinesen ? Mit einer Mittelmeerflotte ?

Pikantes Detail am Rande: Brieger will den Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland nicht ganz ausschließen und spricht auch von einer Ausbildungsmission für die Ukraine u.a. in ABC-Waffen, wenn er auch deren Einsatz für nicht sehr wahrscheinlich hält. Wahnsinn scheint wirklich ansteckend. Und die Propaganda bei uns scheint inzwischen ähnlich dümmlich wie die Putins. Nur dass in Russland wenigstens 40 Bürgermeister ihren Unmut zeigen. Und einige mutige Demonstranten.

* Gastautor Wolfgang Koppler ist Jurist und Journalist und lebt in Wien.

Haben wir immer noch nicht gelernt ?

Berichterstattung in vielen Medien, aber auch Äußerungen von Experten und Politikern zum Ukrainekrieg, sind derzeit von Phrasen und Parolen geprägt.

Wolfgang Koppler*

Putins „Militäroperation zur Entmilitarisierung und Denazifizierung“ oder auch die Drohung mit dem „Dritten Weltkrieg“ auf der einen Seite, „Kampf bis zum Ende, bis zur Vertreibung aller russischen Soldaten aus der Ukraine“ oder gar „bis zur Schwächung der russischen Armee, sodass sie niemand mehr angreifen kann“. Auch vom „totalen Krieg“ war schon die Rede. Selbst Experten reden von einem „Kampf der Werte“ oder fordern „noch mehr Waffen“. Das Wort „Vernunft“ hat man in dieser Debatte schon lange nicht mehr gehört. Putins Wahnsinn scheint so ansteckend zu sein wie das Coronavirus.

Sehen wir uns daher die Fakten hier und nun, soweit sie eruierbar sind, einmal an. Der gegenständliche Krieg wird nach der überwiegenden Mehrheit der Experten jedenfalls noch Monate dauern. Jeden Tag sterben hunderte Menschen, werden andere ihr Leben lang gezeichnet. Mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide drohen zu verrotten. Die Infrastruktur eines ganzen Landes wird mehr und mehr zerstört. Von vielen anderen Folgen und Gefahren eines immer länger dauernden Kriegs ganz zu schweigen. Ein EU-Beitritt der Ukraine binnen kurzer Zeit ist nicht machbar. Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stehen seit Monat still.

Man kann sich natürlich einfach dem Mainstream anschließen und sagen: Der Aggressor muss bestraft werden, das Gute muss siegen. Keine Verhandlungen mit Aggressoren. Dann soll man aber auch ehrlich sein und dazu sagen: Das kostet weitere zigtausende Tote und noch mehr Verletzte (was auch Selenski inzwischen eingestehen musste). Und Millionen Hungernde in zahlreichen Ländern. Und wahrscheinlich Unruhen und politische Verwerfungen, was ebenfalls Tote, Verletzte und weiteres Leid zur Folge hat.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass es auf westlicher Seite nur um Werte geht (was in der Politik ein Novum wäre und angesichts der geopolitischen Lage der Ukraine eher unwahrscheinlich ist), wurde bis jetzt nur nebulos mit „Menschenrechten“, „Freiheit“ und gar mit westlichen Werten operiert. Im Wesentlichen bedeutet dies im konkreten Fall „Gerechtigkeit um (fast) jeden Preis“. Nur den Weltkrieg wollen wir nicht, da die Verteidigung der Menschenrechte um den Preis einen Atomkriegs doch keinen Sinn mehr ergibt. Denn wenn alle tot sind, nützt uns die Gerechtigkeit nichts mehr.

Damit wären wir auf einmal bei den altmodischen Grundtugenden, insbesondere bei jenen, die meist und erst recht in Kriegszeiten unter den Teppich gekehrt werden: Weisheit und vor allem Mäßigung. Die eher langweilige Dame mit dem Krüglein hat – völlig unbemerkt und nolens volens – durch die Atombombe plötzlich wieder Bedeutung erlangt. Nennen wir es schlicht Verhältnismäßigkeit. Sonst wird aus Tapferkeit Verwegenheit und aus Gerechtigkeit Selbstgerechtigkeit. Und letztlich Wahnwitz, wie bei Michael Kohlhaas. Weil der Mensch, ob religiös oder nicht, kein Gott ist.

Bei der Opferung von zigtausenden oder hunderttausenden Menschen sind wir großzügiger als beim Risiko eines Atomkriegs. Das sind uns die Menschenrechte wert. Aber überlegen wir einmal, wie wir bei der Ahndung eines Verbrechens vorgehen: Riskieren wir etwa bei der Verfolgung eines Verbrechers hunderte Menschenleben ? Und was die Politik betrifft: Ist sie nicht die Kunst des Möglichen ? Liegt der Internationale Strafgerichtshof plötzlich in Brüssel und Washington ?

Es geht nicht um naiven Pazifismus. Aber wären nicht Verhandlungen etwa im Rahmen der zuletzt von Italien gemachten Vorschläge – unter Einsatz eines Gasembargos (um beiden Seiten die Ernsthaftigkeit des Westens vor Augen zu führen) – vernünftiger ? Ein solches Gasembargo bereitet uns doch deshalb solche Probleme, weil wir keine realistischen Ziele haben und deshalb davon ausgehen, dass es ad infinitum dauern müsste. Mit realistischen Verhandlungszielen könnte man aber wohl auch die Wirtschaft ins Boot holen.

Das Argument der Hardliner gegen Verhandlungen und Kompromisse ist immer das gleiche: Man müsse von weiteren Aggressionen abschrecken. Erstens sind Militärexperten durchwegs der Ansicht, dass die russische Armee an ihren Grenzen angelangt sei und weitere militärische Abenteuer eher unwahrscheinlich sind. Aber vor allem dürfte die so genannte „Dominotheorie“ durch die Ergebnisse der Kriege in Vietnam und Korea weitgehend widerlegt sein. Haben wir immer noch nicht gelernt ?

* Mag. Wolfgang Koppler ist Jurist und Publizist und lebt in Wien